FASTENZEIT SAMSTAG NACH ASCHERMITTWOCH
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RETTEN, WAS VERLOREN WAR
Wir sind krank und heilungsbedürftig. Jesus kommt als Arzt, die Menschen zu heilen. Christus heilt unsere Gebrechen. Das Bußsakrament. Auf den Herrn hoffen, wenn wir uns schwach fühlen. Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken.
I. Im Evangelium der heutigen Messe1 wird uns die Berufung des Matthäus geschildert. Der Herr ruft ihn, und er reagiert unverzüglich: er verließ alles und folgte ihm.
Der neugewonnene Jünger wollte Jesus seine Dankbarkeit bezeigen: Er gab für Jesus in seinem Haus ein großes Festmahl und lud seine Freunde dazu ein: Viele Zöllner und andere Gäste waren mit ihnen bei Tisch.
Das erboste die Pharisäer. Sie fragten die Jünger: Wie könnt ihr zusammen mit Zöllnern und Sündern essen und trinken? Galten doch die Zöllner als Sünder, weil sie in ihrem Beruf unverhältnismäßig hohe Einkünfte erzielten und gute Beziehungen zu den Heiden unterhielten.
Jesus antwortet den Pharisäern mit einem tröstlichen Wort: Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, um die Sünder zur Umkehr zu rufen, nicht die Gerechten2.
Der Herr möchte sich allen Menschen zuwenden. »Der Dialog des Heiles war nicht abhängig von den Verdiensten derer, an die er gerichtet war, und nicht einmal von den Ergebnissen, die er hätte erreichen oder verfehlen können.«3
Wir alle sind krank, wir alle sind Sünder, die der göttlichen Barmherzigkeit und der Verzeihung bedürfen, denn niemand ist gut außer Gott, dem Einen4. Die Menschheit ist nicht zweigeteilt in Gerechtfertigte aus eigener Kraft und Sünder. Wir alle brauchen den Herrn - Tag für Tag. Wer da meint, ihn nicht zu brauchen, verschließt sich dem Heil.
Die Worte Christi, der als Arzt kommt, regen uns an, demütig und vertrauensvoll um Verzeihung für unsere eigenen Sünden zu bitten und ebenso für die Sünden derer, die meinen, fern von Gott leben zu können. Von ihnen sagte die heilige Theresia von Avila: »O mein wahrhaftiger Gott, um welch widersinnige Sache bitte ich dich heute: daß du den liebst, dem du gleichgültig bist, daß du dem öffnest, der nicht an deine Tür gepocht, daß du dem Heilung bringst, der krank sein möchte und alles daransetzt, es zu sein! Du hast gesagt, Herr, daß du kommst, um nach den Sündern zu suchen. Diese, Herr, sind die wahren Sünder. Sieh nicht auf unsere Blindheit, Herr, mein Gott, sondern auf das viele Blut, das dein Sohn für uns vergossen hat; deine Barmherzigkeit überstrahle solch ein Übermaß an Bosheit; bedenke, Herr, daß wir deine Geschöpfe sind.«5 Wenn wir uns in Demut so an Jesus wenden, wird er uns und jenen, die wir ihm näherbringen möchten, stets seine Barmherzigkeit gewähren.
II. Im Alten Testament ist der Messias der Hirt, der seine Schafe umhegen und jene, die krank oder verletzt sind, heilen wird6. Der Herr kommt, um nach dem zu suchen, was verloren war, er ruft die Sünder, er gibt sein Leben hin als Lösepreis für alle7. In ihm erfüllt sich das prophetische Wort: Er hat unsere Krankheiten getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen, und durch seine Wunden sind wir geheilt.8
Christus heilt all unsere Gebrechen. Jeder braucht ihn, weil jeder hinfällig ist. »Er ist Arzt und heilt unseren Egoismus, wenn wir seine Gnade bis ins Tiefste unserer Seele eindringen lassen.«9 Unsere Begegnung mit dem Herrn soll wie die eines Kranken sein, der geheilt werden will und sich dem Arzt ganz anvertraut. »Jesus hat uns gemahnt, daß die schlimmste Krankheit die Heuchelei ist, jener Stolz, der uns dazu bringt, die eigenen Sünden zu verhehlen. Beim Arzt ist absolute Aufrichtigkeit unerläßlich; es gilt, die Wahrheit lückenlos aufzudecken und zu sagen: Domine, si vis, potes me mundare (Mt 8,2), Herr, wenn du willst - und du willst immer -, kannst du mich heilen. Du kennst meine Gebrechen; ich spüre diese Symptome, ich leide an jenen Schwächen; und wir zeigen ihm einfach unsere Geschwüre und auch den Eiter, wenn es ihn gibt. Herr, du hast ja so viele Menschen geheilt: Laß mich dich als göttlichen Arzt erkennen, wenn ich dich im Herzen habe oder dich im Tabernakel anbete.«10
Ein besonders wichtiges Heilmittel ist das Bußsakrament: »Beim tieferen Nachdenken über die Bedeutung dieses Sakramentes erblickt das Bewußtsein der Kirche in ihm (...) eine heilende Funktion. Dies hängt mit der Tatsache zusammen, daß Christus im Evangelium häufig gleichsam als Arzt erscheint und sein erlösendes Wirken von den frühesten christlichen Anfängen an oft als >heilende Medizin< bezeichnet wird. >Heilen will ich, nicht anklagen<, sagte der heilige Augustinus gerade mit Bezug auf die Bußpastoral; und es geschieht dank der Medizin der Beichte, daß die Erfahrung der Sünde nicht zur Verzweiflung führt,«11 sondern zu Frieden und Freude.
Wenn wir umkehren und neu beginnen, können wir immer mit der Unterstützung und Hilfe des Herrn rechnen. Er ist der Anführer unseres inneren Kampfes, und »ein Feldherr zieht einen Soldaten, der zuerst geflohen ist, dann aber umkehrt und den Feind beherzt bekämpft, demjenigen vor, der sich zwar niemals abgewendet, aber auch keine mutige Tat vollbracht hat«12. Nicht nur der heiligt sich, der niemals zu Fall kommt, sondern auch derjenige, der immer wieder aufsteht. Das Problem liegt nicht darin, daß wir schwach sind, sondern in der Resignation, die dazu führt, daß wir uns mit unseren Schwächen abfinden und nicht mehr kämpfen. Christus ist der Arzt, der uns heilt und uns im Kampfe stärkt.
III. Sollten wir einmal meinen, wir seien innerlich gebrochen und in eine ausweglose Situation geraten, kann uns das tröstliche Wort des Herrn wieder aufrichten: Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Es gibt keine Krankheit, für die er nicht ein Heilmittel hätte. Und er ist stets ganz nahe bei uns, gerade dann, wenn die Schwere einer Sünde uns belastet. Nur eins ist dann nötig: rückhaltlos ehrlich zu sein.
Diese Erkenntnis kann uns auch in unserer Sorge um das Wohl der anderen zugute kommen; denn manchmal begegnen wir jemandem, dessen seelische Not kaum heilbar zu sein scheint. Und sie ist es doch. Getragen von unserem Gebet und unserem Opfer, erwartet der Herr dann von uns ein größeres Verständnis für die Not dieser Menschen.
»All deine Krankheiten werden geheilt werden« sagt der heilige Augustinus. »>Aber es sind ihrer viele< wirst du antworten. Doch der Arzt, der sie heilt, ist stärker als sie alle. Für den Allmächtigen gibt es keine unheilbaren Krankheiten; laß du ihn gewähren, daß er dich heilt, und gib dich ganz in seine Hand.«13
Welche Menschen gehen zu Jesus? Neben den einfachen Zuhörern solche, deren Not groß und ganz handgreiflich ist: Gelähmte, Blinde, Lahme ... Deshalb brennt in ihnen das Verlangen nach Heilung. Nur wer um die eigene Verwundung weiß, ersehnt Genesung. Hier hilft uns die persönliche Gewissenserforschung. Sie zeigt uns unsere Wunden.
Matthäus ließ an jenem Tage sein altes Leben hinter sich, um mit Christus zusammen ein neues zu beginnen. Betend kommentiert der heilige Ambrosius - der große Kirchenlehrer aus dem 4. Jahrhundert - diese Szene: »So wie er will auch ich, Herr, mein bisheriges Leben aufgeben und niemand anderem als dir folgen, denn du heilst meine Wunden. Wer vermöchte mir die Liebe zu Gott zu entreißen, die sich in dir offenbart? (...) Ich bin an den Glauben gebunden, mit Nägeln an ihn geheftet, und dies durch das heilige Band der Liebe. All deine Gebote mögen für mich wie ein Brandmal sein, das für immer an meinem Leib haftet (...); ja, die Medizin brennt in den Gliedern, aber sie merzt den Eiterherd aus. Reiß, Herr, die Fäulnis meiner Sünden aus mir heraus. Binde mich durch die Fesseln der Liebe und schneide alles Faule ab. Komm bald, und presse die vielen verborgenen und geheimen Leidenschaften aus mir heraus; brenne meine Wunden aus, damit die Erkrankung nicht den ganzen Körper erfaßt (...). Ich habe einen Arzt gefunden, der im Himmel wohnt, aber seine Medizin auf Erden gibt. Nur er kann meine Wunden schließen, denn er duldet nicht, daß ich leide; nur er vermag die Pein des Herzens zu lindern und die Angst der Seele, denn er kennt die verborgensten Dinge.«14
Viele Freunde des Matthäus, die bei dem Mahl mit Jesus zu Tisch saßen, werden von der freundlichen und verständnisvollen Art des Herrn angetan gewesen sein. Für manche von ihnen mag dies der Anstoß zu einer Neuausrichtung des Lebens, der Anfang einer Bekehrung zu Christus gewesen sein. Matthäus hatte die Freude der Nachfolge nicht für sich behalten. Er sorgte dafür, daß auch seine Freunde den Herrn kennenlernten. Das Gastmahl zur Ehre Jesu wurde so zum Zeichen des Dankes und zu einer Gelegenheit, sich zum erstenmal als Apostel, als Menschenfischer, zu versuchen.
1 Lk 5,27-32. - 2 Lk 5,31-32. - 3 Paul VI., Enz. Ecclesiam suam, 6.8.1964. - 4 Mk 10,18. - 5 Theresia von Avila, Rufe der Seele zu Gott, 8. - 6 vgl. Jes 61,1 ff.; Ez 34,16 ff. - 7 vgl. Lk 19,10. - 8 Jes 53,4 ff. - 9 J. Escrivá, Christus begegnen, 93. - 10 ebd. - 11 Johannes Paul II., Apost. Schreiben Reconciliatio et Paenitentia, 2.12.1984, 31,2. - 12 Gregor der Große, Homilien über die Evangelien, 4,4. - 13 Augustinus, Kommentar zum Psalm 102. - 14 Ambrosius von Mailand, Kommentar zum Lukasevangelium, 5,27.
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