FASTENZEIT 5. WOCHE - MITTWOCH
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die erlösung - ein aktuelles geschehen
Jesus hat uns vom Urübel der Sünde erlöst. Alle anderen Übel sind relativ und können fruchtbar gemacht werden. Das Reich Christi ist nicht von dieser Welt, aber sein Heil wirkt schon in ihr. Das Werk der Erlösung aktualisiert sich in der jeweiligen Zeit und im Leben eines jeden Menschen.
I. Der Vater hat uns in das Reich seines geliebten Sohnes aufgenommen. Durch ihn haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden.1
Erlösen heißt Loskaufen, ein Lösegeld für die Befreiung bezahlen. Das Evangelium der heutigen Messe deutet an, was für eine Knechtschaft auf den Menschen lastete: Amen, amen, das sage ich euch: Wer die Sünde tut, ist Sklave der Sünde.2 »Nur aus Gott hatte der Mensch Bestand und nur auf Gott hin konnte er leben. Er sündigte aber. Damit versuchte er, diese Grundwahrheit seines Daseins aufzuheben und sich in sich selbst zu stellen. Er fiel von Gott ab - wirklich, in einem furchtbaren Sinn. Er fiel vom Wirklich-sein weg, auf das Nichts zu (...). Gott ist dem Menschen nachgegangen, wie es im Gleichnis vom verlorenen Schaf und von der verlorenen Drachme geschrieben steht (Lk 15), in das Reich des Verlorenseins, in das böse Nichts, das unter der Tat des Menschen aufgeklafft war (....). Nun stand in der Menschengeschichte Einer da, der Gott war und Mensch. Rein wie Gott; verantwortungsbeladen wie der Mensch.«3
Weil Christus uns auf eine radikale Weise von der Macht des Teufels und der Sünde befreit hat, kann sich das Herz - allen Gefährdungen zum Trotz - geborgen wissen. Nunmehr erlangen die Worte des Psalms aus der Liturgie des Stundengebets ihren vollen Sinn: Der Herr ist mein Licht und mein Heil: Vor wem sollte ich mich fürchten? (...) Mag ein Heer mich belagern: Mein Herz wird nicht verzagen. Mag Krieg gegen mich toben: Ich bleibe dennoch voll Zuversicht.4 Das einzige Übel, das wir zu fürchten haben und das es mit Gottes Gnade abzuwenden gilt, ist die Sünde. Christus hat sie bezwungen; alle anderen Übel, die unser menschliches Leben begleiten - Leid und Schmerz an Leib und Seele, Not und Armut -, sind nur relativ und auch sie hat Christus, indem er sie auf sich nahm, verwandelt: »Ich nenne dir die wahren Schätze des Menschen auf dieser Erde, damit du sie dir nicht entgehen läßt: Hunger, Durst, Hitze, Kälte, Schmerz, Schande, Armut, Einsamkeit, Verrat, Verleumdung, Gefängnis...«5 Diese Umwertung ist der gewaltigste, der fruchtbarste Umsturz aller Zeiten.
Fragen wir uns also nach unserer Einstellung zu Leid und Schmerz. Verbinden sie uns mit dem leidenden Erlöser? Heiligen wir sie oder beschweren wir uns nur jämmerlich?
II. Der Herr kommt, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben6. Aber er sagt uns: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Die christliche Botschaft ist »eine Botschaft von einem Heil, das nicht von dieser Welt, das aber doch das Heil der Welt ist (vgl. Joh 17,11-18). Das Christentum spricht einerseits von einem Heil, das nicht von dieser Welt ist. Es bezeugt Heil von Gott her. Allein Gott kann einen ganz neuen Anfang setzen; er allein kann auch die letzte Erfüllung des Menschen sein. Das Christentum bezeugt andererseits aber auch, daß dieses Heil in Jesus Christus ein für allemal in der Welt und für die Welt gegenwärtig ist.«7
Wenn euch also der Sohn befreit, dann seid ihr wirklich frei, heißt es im heutigen Evangelium8. Wir Menschen werden niemals Menschenverachtung, Unterdrückung, Ungerechtigkeit, Armut, Neid oder Haß ganz ausrotten können. Diese Ausgeburten menschlicher Bosheit können dem Menschen äußerlich brutal zusetzen, ja, er kann an ihnen innerlich zerbrechen, und leider können sie auch das Innerste im Menschen zerstören, aber der Mensch kann sie auch - das zeigt das Beispiel vieler Märtyrer - um Christi willen annehmen.
Nichts Irdisches kann uns Christen gleichgültig lassen: Nicht die Ungerechtigkeit noch die guten Gaben der Schöpfung. Gewiß sind die diesseitigen Leiden und Freuden nichts im Vergleich zu den Gütern, die Jesus uns erworben hat. Doch Liebe und Gerechtigkeit verpflichten uns, hier und jetzt an einer menschlicheren und gerechteren Welt mitzubauen, in der nicht mehr menschliche Bosheit das Leiden verursacht und wo die irdischen Güter allen zugänglich sind. Unser eigener Beitrag dazu mag - angesichts der weltweiten Dimensionen des Bösen - wie ein Tropfen im Ozean erscheinen. Aber selbst wenn wir nur einige wenige Menschen erreichen, ist er Ausdruck unserer Solidarität; und jeder, den wir erreichen, erfährt so die Güte Christi.
Christus konnte von sich sagen: Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.9 Jeder Mensch darf von sich sagen: Christus hat mich geliebt und sich für mich hingegeben10. Denn jeder ist das ganze Blut Christi wert. Der heilige Paulus erinnert uns daran - um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden - und folgert daraus: Verherrlicht also Gott in eurem Leib!11 - in eurem ganzen Dasein.
Die Antwort kann doch nur darin bestehen, uns weit dem Wirken der Gnade zu öffnen, die uns Christus auf Golgota erschlossen hat: im Bemühen, sie durch die Sakramente zu festigen, im Gebet und in Werken der Nächstenliebe, im Vermeiden der Gelegenheiten zur Sünde.
III. Das - scheinbare - Scheitern Christi bringt uns die Erlösung. Seitdem dürfen wir die reiche Frucht der Liebe Jesu am Kreuz ernten, »denn obwohl gewaltige Ungerechtigkeit herrscht und viele dieses Reich der Liebe nicht wollen, schreitet das Werk der göttlichen Erlösung in der menschlichen Geschichte, dem Schauplatz des Bösen, voran.«12
Die Fastenzeit eignet sich gut, sich dieses Voranschreiten gegenwärtig zu halten. Die Erlösung ist nichts Vergangenes, das sich in der Geschichte verlöre: »Sooft das Kreuzesopfer, in dem Christus, unser Osterlamm, dahingegeben wurde, auf dem Altar gefeiert wird, vollzieht sich das Werk unserer Erlösung«" Dies macht den unermeßlichen Wert jeder heiligen Messe aus. Die Erlösung ereignet sich beim einmaligen Geschehen von Leiden, Sterben und Auferstehen Christi; dieses Werk wird für uns jedesmal aktuell, wenn wir mit innerer Anteilnahme dem heiligen Meßopfer beiwohnen.
Aber auch jede innere Umkehr ist - wenngleich anders als bei der heiligen Messe - Teilhabe am Erlösungswerk Christi; wenn wir etwa das Beichtsakrament empfangen und - wiederum auf einer anderen Ebene - wenn wir es verstehen, kleine Unannehmlichkeiten oder, sofern es uns zugedacht ist, schweres Leid in ein Gut von unschätzbarem Wert zu verwandeln, so wie die Wassertropfen, die der Priester bei der Gabenbereitung dem Wein hinzufügt, sich mit dem Wein vermischend zu Christi Blut werden. »Der Sünder, dem vergeben wurde, ist imstande, seine eigene körperliche und geistige Abtötung, die er sich selbst auferlegt oder zumindest angenommen hat, mit dem Leiden Jesu zu vereinen, der ihm die Vergebung erlangt hat.= 14 Auf diese Weise werden wir gleichsam zu Mit-Erlösern in Christus.Wie Maria, die Mutter der Schmerzen, stehen wir unter dem Kreuz. Wir wenden uns an sie, damit wir stark sind im Leiden und so zum Werk der Erlösung beitragen.
1 Kommunionvers der Messe vom Tage. Kol 1,13-14. - 2 Joh 8,34. - 3 Guardini, Der Herr, Würzburg 1951, S.473-474. - 4 Ps 27,1.3. - 5 J. Escrivá, Der Weg, Nr. 194. - 6 Joh 10,10. - 7 Katholischer Erwachsenen-Katechismus, Bonn 1985, S.221-222. - 8 Joh 8,36. - 9 Joh 15,13. - 10 Gal 2,20. - 11 1 Kor 6,20. - 12 J. Escrivá, Christus begegnen, 186. - 13 II. Vat. Konz., Konst. Lumen gentium, 3. - 14 Johannes Paul II., Apost. Schreiben Reconciliatio et Paenitentia, 2.12.1984, 31.
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