FASTENZEIT 5. WOCHE - SAMSTAG
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JESUS WIRD GEFANGENGENOMMEN
Judas: Freund und Verräter. Vorgeschichte seiner Untreue. Nichts vermag zu bewirken, daß der Herr uns seine Treue entzieht. Demut, Reue, Hoffnung. Die Flucht der Jünger. Christus nahe folgen.
I. Nachdem der Herr im Garten Getsemani sein Gebet beendet hatte, erhob er sich und ging abermals zu den drei Jüngern, die vor Erschöpfung und Trauer eingeschlafen waren. Steht auf, sagt er zu ihnen, wir wollen gehen! Seht, der Verräter, der mich ausliefert, ist da. Noch während er redete, kam Judas, einer der Zwölf, mit einer Schar von Männern, die mit Schwertern und Knüppeln bewaffnet waren.1
Ein Freundschaftszeichen besiegelt den Verrat: Sogleich ging er auf Jesus zu und (...) küßte ihn.2 Das muß uns ewig rätselhaft bleiben. Wieso konnte einer, der Jesus so gut kannte, ihn ausliefern? Was war in Judas' Seele vorgegangen? Er hatte doch die vielen Wunder gesehen, die Güte Jesu allen gegenüber erfahren, die Macht seines Wortes, die so viele Menschen gefesselt hatte - auch ihn selbst. Und vor allem: Der Herr hatte ihn aus dem weiten Kreis der Jünger zu einem seiner zwölf Vertrauten auserwählt. Petrus hebt dies später hervor, als es nach der Himmelfahrt des Herrn darum ging, den Verräter zu ersetzen: Er wurde zu uns gezählt und hatte Anteil am gleichen Dienst.3 Auch Judas war ausgesandt worden, das Wort zu verkündigen, und er wird die Fruchtbarkeit seines Wirkens durch Wunder und Zeichen in der Vollmacht des Meisters erfahren haben. Und nun der Verrat ...
Wir können die Vorgeschichte nur ahnen. Trotz Christi Nähe muß er innerlich auf Abstand zu ihm gegangen sein. Der Bruch mit dem Meister, der Riß durch Glauben und Berufung muß sich nach und nach vollzogen haben. In einem bezeichnenden Augenblick wird diese innere Distanz deutlich. Er wird Zeuge eines Geschehens, der Salbung in Betanien, das nur von einer dankbaren Liebe her zu erklären ist, kann es jedoch nicht mehr richtig einordnen und reagiert mißmutig. Den bewegenden Versuch, der grenzenlosen Liebe Jesu durch eine verschwenderische Geste irgendwie zu entsprechen, hält er für eine »Übertreibung« Er bemäntelt sein Mißfallen mit der »Liebe zu den Armen« Johannes registriert nüchtern: Das sagte er aber nicht, weil er ein Herz für die Armen gehabt hätte, sondern weil er ein Dieb war; er hatte nämlich die Kasse und veruntreute die Einkünfte.4»So erkaltete wohl nach und nach seine Liebe zum Herrn, und es blieb nur mehr der äußere Schein einer Gefolgschaft übrig. Die liebende Hingabe an Gott bestimmte nicht mehr sein Leben. Sie wurde zu einer Maske, und mehr als einmal mag er sich gesagt haben, wieviel besser wäre es gewesen, dem Herrn nicht gefolgt zu sein.
In einer solchen Situation verblaßt alles Erlebte: die Wunderheilungen, die glücklichen Augenblicke nahe beim Meister, die Freundschaft zu den Gefährten. Orientierungslos geworden, ist dieser bedauernswerte Mensch in seiner Verirrung zu allem fähig. Schritt für Schritt hat er die Treue fallen lassen. Die äußere Geste eines Kusses vollendet die allmähliche innere Entfremdung.
Die schreckliche Tat kann uns den Blick schärfen für vorangegangene Untreue, die nicht ins Gewicht zu fallen schien, und, als Kontrast dazu, für den Wert der Treue und Beharrlichkeit in den unscheinbaren Dingen des Alltags.
Ein alter kirchlicher Schriftsteller gebraucht ein anschauliches Beispiel: »Ein Haus stürzt nicht auf einmal zusammen. Meistens steht am Anfang ein alter Bauschaden und die Nachlässigkeit der Bewohner, die auf die kleinen Risse nicht achten. Anfangs sickern nur ein paar Tropfen durch, doch nach und nach zerfrißt das Wasser das Gebälk und es verfault. Mit der Zeit dann werden die Risse immer größer, alles bröckelt ab. Und schließlich regnet es in Strömen herein.«5
Die Passion unseres Herrn stellt uns auch die vor Augen, die damals dabei waren. Sie alle muß das Verhalten des Judas befremdet haben. Aber die Vorgeschichte des nächtlichen Kusses läßt uns nicht in Ruhe. Wie steht es um unsere Treue im Kleinen? Gibt es feine Risse - kleine Anzeichen eines »Doppellebens« Hat die Aufrichtigkeit im Umgang mit dem Herrn nachgelassen? Vielleicht verheißen dreißig lächerliche Silberlinge eine noch lächerlichere Befriedigung?»
II. Judas, mit einem Kuß verrätst du den Menschensohn?6 Der Herr begegnet Judas mit der Sanftmut, die man einem Kranken entgegenbringt. Er spricht ihn - wie einen Freund - mit seinem Namen an. Freund, dazu bist du gekommen?7 Noch bleibt Zeit für Judas, sich zu besinnen. Denn der Herr ist immer bereit, uns zu vergeben, wenn wir die Freundschaft zu ihm nur aufs neue suchen. Auch Judas hätte Vergebung erhalten, hätte er die ausgestreckte Hand des Herrn ergriffen.
Judas mag den Fortgang der Ereignisse mit zunehmender Beklemmung verfolgt haben. Vielleicht hatte er gar nicht daran gedacht, der Prozeß gegen Jesus könnte die Todesstrafe zur Folge haben. Denn Matthäus berichtet: Als nun Judas, der ihn verraten hatte, sah, daß Jesus zum Tod verurteilt war, reute ihn seine Tat. Er brachte den Hohenpriestern und den Ältesten die dreißig Silberstücke zurück8. Reue, aber ohne Demut und deshalb ohne Hoffnung auf Vergebung. Wenn es auch ungeheuerlich klingt: Hätte er seine Hoffnung auf die Güte des Herrn gesetzt, so wäre er trotz der schrecklichen Schuld das geblieben, wozu der Herr ihn berufen hatte: Säule der Kirche.
Manches im Evangelium ist in seiner Größe oder in seiner Schrecklichkeit so überwältigend, daß wir zunächst nur »hinschauen= können - innerlich stumm, bestürzt und fassungslos. Aber dann empfangen wir ein Licht für die Seele.Im Falle des Judas heißt dies: Mögen unsere Sünden auch noch so groß sein, der Herr wartet immer auf uns, um uns zu vergeben, und kein Fehltritt, kein Verrat kann bewirken, daß er uns die Freundschaft aufkündigte, wenn wir nur demütig zu ihm gehen. Gott erwartet von einem Menschen nicht tadellose Leistungsnachweise, sondern die Demut, immer wieder neu zu beginnen. Er erwartet, daß wir die theologische Tugend der Hoffnung in die Tat umsetzen. Wer weiß, ob manche Mißerfolge in unserem inneren Ringen nicht daher kommen, daß wir zu sehr auf uns selbst und zu wenig auf das Gebet und die Sakramente vertrauen.
III. Am Rande des Dramas spielt sich eine kleine Szene ab, die fast unbemerkt bleibt: Wenn ihr mich sucht, sagt Jesus zu den Schergen, dann laßt diese gehen!9 Auch mitten in der höchsten Bedrängnis sorgt sich der Herr um die Seinen.
Darauf nahmen sie ihn fest, führten ihn ab und brachten ihn in das Haus des Hohenpriesters.10 Johannes fügt noch hinzu, daß sie ihn fesselten11. So wird er unter Anpöbelungen und Beschimpfungen fortgeschleppt. Und die Jünger? Sie verließen ihn alle und flohen12.
Jesus bleibt allein in den Händen der Häscher, denn die Jünger sind einer nach dem anderen verschwunden. »Der Herr wird gegeißelt, und niemand steht ihm bei; angespuckt, und niemand stellt sich vor ihn; mit Dornen gekrönt, und niemand greift ein; gekreuzigt, und niemand befreit ihn« schreibt der heilige Augustinus13.»Petrus folgte ihm von weitem14. Er wird bald schmerzlich erfahren, was es heißt, den Herrn aus dem Blick zu verlieren. Nach der Verleugnung wird der Blick des Herrn ihn von neuem treffen.
Christus ganz dicht folgen, bei ihm bleiben: bei der Arbeit, auf der Straße, in der Kirche, zu Hause, das ist die Lehre. Uns nicht von ihm trennen: Auch dann nicht, wenn sein Jünger Nachteile einstecken muß. Denn wir wissen, daß wir fern von ihm nichts vermögen.
Wir dürfen vermuten, daß der eine oder andere der Jünger zu Maria eilte, um ihr zu berichten, man habe ihren Sohn abgeführt. Die »Mutter der Schmerzen« wird ihnen in jenen bitteren Stunden Frieden gegeben haben. Sie, »Refugium peccatorum« die Zuflucht der Sünder.
1 Mt 26,46-47. - 2 Mt 26,49. - 3 Apg 1,17. - 4 Joh 12,6. - 5 Johannes Cassianus, Unterredungen mit den Vätern, 6. - 6 Lk 22,48. - 7 Mt 26,50. - 8 Mt 27,3. - 9 Joh 18,8. - 10 Lk 22,54. - 11 Joh 18,12. - 12 Mk 14,50. - 13 Augustinus, Erklärung der Psalmen (22), 2,8. - 14 Lk 22,54.
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