OSTERZEIT 3. WOCHE - SAMSTAG
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DIE BESONDERE GEWISSENSERFORSCHUNG
Treu bleiben inmitten der Verwirrung. Das Gewissen in konkreten Punkten prüfen. Schmiede der Treue.
I. Die Rede des Herrn in der Synagoge von Kafarnaum wurde vielen zum Ärgernis. Es kam unter den Zuhörern zu erregten Gesprächen. Daraufhin zogen sich viele Jünger zurück und wanderten nicht mehr mit ihm1, heißt es bei Johannes im heutigen Evangelium. Gemeint ist nicht die Menge der anonymen Zuhörer, gemeint sind Leute aus dem Kreis der Jünger. »Hätten sie verstehen sollen? Wohl kaum. Man kann sich nicht denken, wie damals einer diese Worte hätte verstehen können. Aber sie hätten an ihn glauben sollen. An ihm festhalten und offenlassen, wohin er sie auch führen würde. Ahnen, daß hinter seinen Worten eine göttliche Tiefe liege; daß sie zu etwas unsäglich Großem geführt werden sollten und sagen: Wir verstehen nicht; öffne Du uns den Sinn! Doch sie urteilen, und alles verschließt sich.«2 Nur bei den Zwölf gibt es hinter dem Nichtverstehen etwas, das sie zum Bleiben anhält. Und was? Warum standen sie in Treue zu ihm, als Ärgernisse und Mißtrauen überhandnahmen, als Enttäuschung zum Abfall von ihm führte? Weil sie keine bloßen Zuhörer, sondern enge Freunde Jesu waren, die sich - wie könnte es anders gewesen sein - Tag für Tag mit ihm über alles aussprachen. Sie hatten - mehr oder weniger - erkannt, daß Jesus nicht nur Worte für ihre alltäglichen Nöte fand, sondern Worte des ewigen Lebens hatte. Zu wem sollen wir gehen? fragt Petrus. Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes.3 »Es ist schön, zu lesen, wie Petrus antwortet. Er sagt nicht: Wir verstehen, was du meinst, sondern: Wir halten deine Hand fest. Deine Worte sind Worte des Lebens, auch wenn wir sie nicht verstehen. Das war wohl die einzige Antwort, die damals gegeben werden konnte.«4
Und heute? Flexibilität und Anpassung scheinen mehr zu gelten als Treue. Zerrüttete Ehen gehören zum Alltagsbild, ein Wortbrüchiger gilt als kluger Pragmatiker, »Freundschaft« ist zum vielfach mißbrauchten und deshalb wohlfellen Begriff geworden. Auch in der Kirche begegnen uns Verhaltensweisen, die die Treue zum Glauben verletzen.
Das heutige Evangelium stellt uns die Treue von zwölf Menschen vor Augen, die wenig verstehen und nicht wissen, wie es weitergehen wird, die aber an ihrer Bindung festhalten, weil sie den, dem sie folgen, lieben. Sie zweifeln nicht an Jesus und haben deshalb keine Selbstzweifel, denn Jesus trägt sie. In seiner Homilie bei der Übernahme des obersten Hirtenamtes brachte Papst Johannes Paul II. die Ungewißheiten des heutigen Menschen mit der Antwort des Petrus in Zusammenhang: »Heute weiß der Mensch oft nicht, was er in seinem Innern, in der Tiefe seiner Seele, seines Herzens trägt. Er ist deshalb oft im Ungewissen über den Sinn seines Lebens auf dieser Erde. Er ist vom Zweifel befallen, der dann in Verzweiflung umschlägt. Erlaubt (...) Christus, zum Menschen zu sprechen! Nur er hat Worte des Lebens! In der Tat, Worte ewigen Lebens!«5
Treue zum Herrn erfordert innere Wachsamkeit in leichten wie in schweren Zeiten. Die kleinen Scharmützel haben ihre Bedeutung, halten sie uns doch in der notwendigen inneren Spannung. Deshalb empfehlen erfahrene geistliche Menschen die Übung der besonderen Gewissenserforschung - auch Partikularexamen genannt -, die auf einen besonderen Punkt unseres inneren Kampfes zielt, etwa auf größeres Feingefühl im Umgang mit dem Herrn. »Die allgemeine Gewissenserforschung gleicht der Abwehr. - Das Partikularexamen dem Angriff. - Das erste ist Panzerung, das zweite ein scharfes Schwert.«6
Das heutige Evangelium stellt uns Treue und Untreue vor Augen. Es regt zu konkreten Fragen an: Ist meine Bindung an den Herrn so stark, daß ich der so zeittypischen Versuchung zu pragmatischer Untreue standhalten kann? Ist das ein besonderer Punkt meiner Gewissenserforschung?
II. Solange wir leben, müssen wir kämpfen. Wir lieben Christus, aber Leidenschaften, Lauheit oder eine spießige Gesinnung suchen nur das eigene Ich. Auf Dauer wird Christus dann zum Störfaktor im menschlichen Leben. Damit das nicht geschieht, gilt es, nein zu allem zu sagen, was uns von ihm trennen könnte, und ja zu allem, was uns ihm näher bringt. Manchmal fällt es einem leicht, wir kommen uns wie echte Himmelsstürmer vor, manchmal schwer, wir werden mutlos angesichts so vieler trauriger Beispiele um uns. Ob es den Aposteln damals nicht ähnlich ergangen ist, als Petrus zu dem rettenden Wort Zuflucht nahm: Mögen auch alle weglaufen - Du hast Worte des ewigen Lebens?
Die allgemeine Gewissenserforschung läßt uns die Beweggründe unserer Handlungen besser erkennen, sie erstreckt sich auf alles in unserem Alltag. Die besondere Gewissenserforschung soll uns helfen, einen konkreten Fehler zu überwinden oder in einer bestimmten Tugend zu wachsen. »Dein Partikularexamen soll darauf zielen, eine bestimmte Tugend zu erwerben oder einen dich beherrschenden Fehler auszumerzen«7 Es ist ratsam, die Ubung dieser Gewissenserforschung an bestimmte Tageszeiten zu knüpfen. Wenn wir es uns beispielsweise zur Gewohnheit gemacht haben, den Engel des Herrn um die Mittagszeit zu beten, können wir dieses Gebet gut mit einem kurzen prüfenden Blick auf den bisherigen Tag verbinden.
Was kann Gegenstand unserer besonderen Gewissenserforschung sein? Vielleicht haben wir bemerkt, daß es uns in bestimmten Situationen am Bewußtsein der Gegenwart Gottes fehlt. Zu den Zeiten des Gebetes sind wir beim Herrn, aber dann - mitten in unserer Arbeit, im Familienleben oder auf der Straße - denken wir überhaupt nicht mehr an ihn. Wir möchten gerne, aber ... Und dann erinnern wir uns, daß wir auf dem Weg zur Arbeit vielleicht an einer Kirche vorbeifahren oder beim Betreten unserer Wohnung ein Marienbild vor uns haben ... Was liegt da näher, als Tag für Tag zu versuchen, nicht gleichgültig an der Kirche vorbeizufahren oder das Marienbild außer acht zu lassen.
Andere Male werden wir uns betrübt fragen: Warum diese Trägheit beim Aufstehen, die ich doch eigentlich gar nicht will und wo ich weiß, daß sie mich nur aus dem bewährten Rhythmus bringt? Warum die grantigen Äußerungen beim Frühstück, die immer wieder den Tag mit einem Mißklang beginnen lassen? Könnte ich mir nicht vornehmen, jedesmal - mit ein wenig mehr Selbstkontrolle - ein freundliches Wort zu sagen und gelassen einen vielleicht nötigen Tadel auf später zu verschieben? Wir können viele solcher Kleinigkeiten entdecken, die Gegenstand der besonderen Gewissenserforschung sein können: Geduld haben gegenüber diesem oder jenem Mitarbeiter, dessen enervierende Art ich mittlerweile doch kenne; Zurückhaltung beim Gespräch über abwesende Dritte, damit es nicht in Klatsch ausartet; zuhören lernen; dankbar sein für kleine Aufmerksamkeiten; mehr Gespür für Ordnung, innerlich bei der Zeiteinteilung und äußerlich zwischen Arbeitspapieren oder Handwerkszeug, entwickeln? Neben solchen Details werden wir manchmal auf wesentlichere Aspekte stoßen, die unser inneres Leben tiefer im Glauben verankern, etwa den Umgang mit der Muttergottes oder mit den Schutzengeln zu verlebendigen.
Gelegentlich wird uns das Partikularexamen ein entschiedenes Nein abverlangen, wenn wir einen Fehler haben einreißen lassen. Besser freilich ist es, wenn wir statt des Nein zu einer schlechten Gewohnheit ein überzeugtes, freudiges Ja zur entgegengesetzten Tugend sprechen.
Wie passend ist da das Stoßgebet des Blinden im Evangelium: Domine, ut videam! Herr, mach, daß ich sehe!8
III. Auch das geistliche Gespräch ist ein geeignetes Mittel, die Gewissenserforschung auf die momentane Lebenssituation konkret abzustimmen. Jemanden, der sich leicht im Abstrakten verliert, kann eine regelmäßig eingesehene Notiz schnell auf den Boden der Wirklichkeit zurückholen. Für den hingegen, der sich in Kleinigkeiten verzettelt, wäre so etwas nicht empfehlenswert.
Es darf uns nicht überraschen, wenn unser Kampf nicht gleich zum Erfolg führt. Außerdem ist es nicht gut, selbst über Erfolge oder Mißerfolge zu urteilen. Haben wir den Nerv wirklich getroffen, dann geht es in aller Regel bei unserer besonderen Gewissenerforschung um einen chronisch gewordenen Fehler. Und das heißt: Zeit, Geduld, Beharrlichkeit aufbringen. Der Fortschritt kommt mit der Bereitschaft, immer wieder aufs neue zu beginnen. So festigt sich die Demut, Niederlagen werden uns zu tieferer Reue, Siege zu größerer Dankbarkeit führen. Die lautere Liebe ist hellwach und kommt deshalb immer wieder auf neue Einfälle, unseren asketischen Kampf zu präzisieren.
Nichts vermag gegen Lauheit und spießige Allüren erfolgreicher zu sein als die tägliche besondere Gewissenserforschung. Darin festigt sich die Treue, die wir uns für den Ernstfall erhoffen. »Vergessen wir nicht: weder die Spitzhacke noch die Axt, noch die Schläge sonst eines Werkzeugs, so scharf es auch sein mag, sind die gefährlichsten Feinde des Gesteins, sondern das Wasser, das tropfenweise in die Ritzen des Felsen sickert, bis es das Gefüge sprengt. Hier liegt für den Christen die große Gefahr: die täglichen Scharmützel zu vernachlässigen, was nach und nach seine Spuren in der Seele hinterläßt, so daß sie schließlich schlaff und spröde wird, gleichgültig und unempfänglich für die Stimme Gottes.«9
Am Ende unseres Gebetes vergegenwärtigen wir uns noch einmal die Antwort des Petrus: Du hast Worte des ewigen Lebens. (...) Du bist der Heilige Gottes. Ohne dich verfehlen wir den Weg, erblinden für die Wahrheit, verschließen uns dem Leben. Es ist ein Stoßgebet, das uns wachhält.
Wir empfehlen unsere Treue der Virgo fidelis. Sie möge uns helfen, Schritt für Schritt die Hindernisse zu beseitigen, die uns von ihrem Sohn trennen.
1 Joh 6,66. - 2 R.Guardini, Der Herr, Würzburg 1951, S.240. - 3 Joh 6,68-69. - 4 R.Guardini, a.a.O., S.240. - 5 Johannes Paul II., Homilie bei der Amtsübernahme, 22.10.78. - 6 J.Escrivá, Der Weg, Nr.238. - 7 ebd., Nr.241. - 8 Mk 10,51. - 9 J.Escrivá, Christus begegnen, 77.
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