Josef Schuster SJ Pille danach
Zwei katholische Krankenhäuser in Köln weigerten sich am 15. Dezember 2012, eine mutmaßlich vergewaltigte Frau medizinisch zu versorgen. Man befürchtete, in der Frage "Pille danach" mit dem kirchlichen Träger und der Erzdiözese Köln in einen Konflikt zu geraten. Inzwischen hat eine lebhafte Diskussion eingesetzt. Für eine angemessene ethische Bewertung ist es notwendig zu wissen, ob das entsprechende Präparat eine nidationshemmende, eine abortive oder analog zur "Pille davor" eine empfängnisverhütende Wirkung hat.
Auf dem Markt gibt es die Pille "PiDaNa" mit dem Wirkstoff Levonorgestrel schon seit fast 30 Jahren. Sie verhindert entweder den Eisprung oder verzögert zumindest diesen Zeitpunkt. Wird diese Pille vor dem Eisprung eingenommen, kommt es in der Regel zu keiner Empfängnis. Studien belegen, dass Lovonorgestrel weder nidationshemmend noch abortiv wirkt; wenn eine Empfängnis bereits stattgefunden hat, bleibt das Präparat wirkungslos.
Mit dem Namen "ellaOne" ist seit 2010 ein von der EU-Arzeimittelbehörde zugelassenes Präparat auf dem Markt, dessen Wirkstoff Ulipristalacetat die Ausschüttung eines Hormons (LH) in der Hirnanhangdrüse verhindert, das jene Kaskade auslöst, die zum Eisprung führt. Analog zur Wirkweise von Levonorgestrel wird dadurch der Eisprung verhindert bzw. hinausgezögert - merklich länger als bei "PiDaNa". Diese Pille hat den Vorteil, dass sie bis zu 120 Stunden nach dem Geschlechtsverkehr eingenommen werden kann. Allerdings gibt es Zweifel, ob der Wirkstoff Ulipristalacetat nicht doch nidationshemmende Wirkung hat. Dabei gilt es zu bedenken, dass diese Pille im Unterschied zu "PiDaNa" erst relativ kurz erhältlich ist, daher ist auch die Anzahl der belastbaren Studien noch gering.
Bei der auch in Deutschland zugelassenen Pille "Mifegyne" (RU-486) handelt es sich eindeutig um eine Abtreibungspille. Ihr Wirkstoff Mifepriston verhindert nicht nur die Einnistung des Embryos in die Gebärmutterschleimhaut, er bricht auch Wochen nach der Empfängnis eine Schwangerschaft ab - wirkt also abortiv. Deshalb darf Mifegyne nicht mit den beiden zuvor genannten Pillen verwechselt werden.
Die Bedeutung der jeweils unterschiedlichen Wirkweisen der vorgestellten Präparate wird unter ethischer Rücksicht erst dann unmittelbar plausibel, wenn man mit der offiziellen kirchlichen Position davon ausgeht, dass der Mensch als Mensch - also nicht nur als Mitglied der biologischen Gattung homo sapiens - mit dem Abschluss der Befruchtungskaskade zu einer Zygote beginnt. Damit kommt ihm Würde zu - und daraus folgend auch Schutz der Würde: Recht auf Leben von seinem Beginn an. Unter dieser Rücksicht gewinnt eine mögliche Schwangerschaft aufgrund von Vergewaltigung zusätzliche Brisanz.
Zu bedenken ist: erstens das Verbrechen der Vergewaltigung, das von den betroffenen Frauen nicht nur als brutale Verletzung ihrer körperlichen Integrität und Selbstbestimmung empfunden wird, sondern als seelisches Trauma oft jahrzehntelang nachwirkt; zweitens eine mögliche aufgenötigte Schwangerschaft; und drittens ein Kind, das als bleibende traumatisierende Erinnerung an die Vergewaltigung empfunden werden kann und das doch selber ein unschuldiges Opfer der Umstände ist. Erst wenn die Komplexität dieser Situation angemessen wahrgenommen wurde, wird eine ethische Bewertung genügend Sensibilität entwickeln können und nicht einfach im logischen Paradeschritt zu fertigen Antworten kommen.
Kardinal Joachim Meisner, Erzbischof von Köln, entschuldigte sich für das (Fehl-)Verhalten der beiden Krankenhäuser und erklärte am 31. Januar 2013 nach Absprache mit der römischen Glaubenskongregation, dass die "Pille danach" im Fall einer Vergewaltigung auch in katholischen Krankenhäusern verabreicht werden darf. Die katholische Bischofskonferenz schloss sich dieser Auffassung an. Außerdem sei der Wille der Frau in jedem Fall zu berücksichtigen. Neu ist die damit vorgetragene Position nicht, denn bereits 2009 heißt es in einer Verlautbarung der US-amerikanischen Bischofskonferenz: "Einer Frau, die vergewaltigt wurde, sollte es ermöglicht werden, sich selbst gegen eine potenzielle Empfängnis aufgrund einer Notzucht zu verteidigen. Wenn sich nach einer angemessenen Untersuchung herausstellt, dass es keine Evidenz für eine bereits erfolgte Empfängnis gibt, sollte sie mit Medikamenten behandelt werden, die einen Eisprung, Spermien-Kapazitation (physiologischer Reifungsprozess der Samenzellen, ohne die eine Befruchtung nicht möglich ist; J. S.) oder die Befruchtung verhindern." In den jeweiligen Erklärungen wird eigens darauf hingewiesen, dass den betroffenen Frauen neben medizinischer auch psychologische und seelsorgliche Hilfe anzubieten sei.
Es kann sein, dass eine betroffene Frau sich nicht in der Lage sieht, das bereits empfangene Kind auszutragen. Eberhard Schockenhoff spricht in diesem Zusammenhang von einer Art "Notwehrrecht" der Frau, die ihr aufgezwungene Schwangerschaft auch durch die Einnahme einer nidationshemmenden bzw. abortiv wirkenden Pille zu beenden. Andere Moraltheologen haben sich ähnlich geäußert. Deren Begründung stützt sich nicht in erster Linie auf die rechtliche Legitimität einer Abtreibung nach § 218 StGB, sondern auf die besondere Situation einer Schwangerschaft aufgrund einer Vergewaltigung und der Sorge um die physische wie psychische Genesung der Frau.
Die Bischöfe gehen in ihrer Erklärung nicht so weit. Allerdings sollte es auch für Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft gelten, dass sie gerade in solchen Fällen das Arzt-Patienten-Verhältnis achten und die gewiss nicht leichte Entscheidung einer betroffenen Frau auch dann respektieren, wenn sie mit dem generellen Leitbild des Schutzes des menschlichen Lebens der Einrichtung kollidiert. Ferner sollte es keinen Druck auf beteiligte Ärzte und Seelsorger geben. Anderseits dürfen von einem Arzt keine Handlungen verlangt werden, die er nicht mit seinem Gewissen verantworten kann und die seinem ärztlichen Ethos widersprechen.
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