OSTERZEIT 5. WOCHE - MITTWOCH
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DER WEINSTOCK UND DIE REBEN
Vom wahren Weinstock fließt das wahre Leben. Der Herr reinigt uns von Wildwuchs, damit wir viel Frucht bringen. Apostolisches Zeugnis als Überfließen des inneren Lebens.
I. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht. Diese Worte sind die Mitte des heutigen Evangeliums.1 Weinberge gehörten zum vertrauten Bild im Land des auserwählten Volkes. Ihr Anblick inspiriert den Herrn. Das Sinnfällige wird zum Bild und Gleichnis für das Überweltliche.
Im Alten Testament ist oft die Rede vom Volk Israel als Weinberg und Weinstock. Warum hoffte ich denn auf süße Trauben? Warum brachte er nur saure Beeren?2 ist Gottes Klage bei Jesaja, die Jesus in einem Gleichnis aufgreift.3 Das Volk Israel als der von Gott eingepflanzte Weinberg ist dankbar, weil er Wurzeln geschlagen und das ganze Land erfüllt hat, aber es klagt auch: Warum rissest du seine Mauern ein? Alle, die des Weges kommen, plündern ihn aus, und es fleht um Hilfe: Sieh auf uns! Sorge für diesen Weinstock.4
Im Munde Jesu erhält das Bild vom Weinstock einen ganz neuen Sinn. Der Herr bezeichnet sich darin »als denjenigen, der allein Spender des wahren, echten Lebens ist, in dem man daher bleiben muß5. jesus, der wahre Weinstock, teilt den Reben das Leben mit. Aus dem wahren Weinstock fließt das Leben der Gnade in die Reben.
Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.6 Er läßt uns an seinem Leben, am Leben Gottes teilhaben. Im Augenblick der Taufe entsteht in uns etwas Neues, das unser Sein im tiefsten ergreift: wir werden zu Kindern Gottes, zu Brüdern und Schwestern Christi, zu Gliedern seines Leibes, der Kirche. Auch die Kirche verdankt ihr Wachsen als Gottes Pflanzung der Frucht des Weinstocks und der menschlichen Arbeit7 im großen Geheimnis der Eucharistie.
Das Strömen dieses göttlichen Lebens in uns kann nicht einmal durch den Tod versiegen; denn durch ihn wird uns das Leben gewandelt, nicht genommen8. Nur die Abwendung von Gott in der Todsünde trennt uns vom Weinstock und vom Leben.
Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch.9 »In ihm, dem Gottmenschen, steigt aus der Wurzel Gottes die neue Lebendigkeit auf, an welcher teilhaben sollen, die an ihn glauben (Joh 11,26). Jenes Leben, was im eigentlichen Sinne >aus uns< kommt, ist ja zum Tode, von Gott abgerissen, auf das Nichts zustürzend. Jenes hingegen, das aus Gottes Ewigkeit kommt und in seine Ewigkeit steigt, ist das Leben Christi. An ihm wird uns durch das Wort und durch das Brot Anteil gegeben, wie es im sechsten Kapitel des Johannesevangeliums heißt, indem wir glauben und indem wir essen. Dadurch sind wir Zweige am Weinstock. Daraus können wir wachsen und Frucht tragen. Wachsen aus seinem Saft, und ebendarin uns selbst eigen; Frucht tragen aus seinem Leben, und ebendarin wir selbst fruchtbar.«10
II. Dies schreibe ich euch, damit ihr wißt, daß ihr das ewige Leben habt11. Damit ihr es wißt? Wie aber können wir dieses Wissen von einer Wirklichkeit - dem ewigen Leben, der Gemeinschaft mit Gott - erwerben? »Wir müssen um die Erkenntnis beten. Immer wieder heißt es in der heiligen Schrift: >Entschleiere meine Augen<, >öffne meinen Sinn<, >rühre an mein Herz<, >statt eines Herzens aus Fleisch gib mir ein lebendiges<, vom Geist durchwirktes, das empfinden kann. Immer wieder wird vom Lichte gesprochen, das uns verheißen ist und in welchem die Wirklichkeit Gottes deutlich werden soll. Immer wieder wird von der Nähe Gottes gesprochen, und vom Leben in seiner Nähe; von seinem Angesicht, das er uns zeigen wird und vor dem wir leben sollen. Das alles sind doch nicht bloß Worte! Es sind wirkliche Verheißungen, und sie sagen uns: Du kannst der Wirklichkeit Gottes inne werden. Bitte darum. Und wenn das Wort: >Bittet, und ihr werdet empfangen< von etwas gilt - dann von der Gabe der Gaben: der lebendigen Erkenntnis Gottes.«12
Wir können zu diesem Wissen durch das Gebet und die Sakramente kommen. Durch sie bleiben wir mit dem Weinstock verbunden, sind fruchtbar und erfahren die Fürsorge dessen, der uns durch das mitgeteilte Leben diese Fruchtbarkeit sichert: Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab, und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt.13
Der Herr will uns hier ein Doppeltes sagen: er spricht von jenen, die an ihm sind, aber unfruchtbar bleiben; was wir wohl so verstehen müssen, daß eine selbstverschuldete Unfruchtbarkeit am Ende die Abtrennung zur Folge hat. Und dann sind da jene, die schon Frucht bringen, sich jedoch nicht mit »etwas« zufriedengeben dürfen. Sie sollen erkennen, daß sich die Gnade als geistliches Lebensprinzip bis zur Fülle in Gott entfalten und immer fruchtbarer werden will. Wenn der Herr über die Reben spricht, die gereinigt werden, erscheint damit auch das vielfache Leid, das wir auf Erden erfahren, in einem neuen Licht: es ist Läuterung. Auch das, was wir Unglück, Heimsuchung nennen, ist liebevolle Fügung des Vaters. Er will, daß ihr reiche Frucht bringt14, und legt die Wege für seine Gnade frei durch Lichten und Roden, durch Jäten und Schneiden im Dickicht von Unlust, Nachlässigkeit und Menschenfurcht, im Gestrüpp von Egoismus und Sinnlichkeit. Wäre es nicht so, bliebe die Gnade wie gefangen in unwegsamem Gelände: das Leben der Seele würde verkümmern.
So müssen wir dem Herrn des Weinbergs danken, daß er uns von Wildwuchs reinigt. Der Herr ist fordernd, aber zugleich mild, denn er beruhigt die Seinen: Ihr seid schon rein durch das Wort, das ich zu euch gesagt habe.15
Dieses Wort bewahrt uns vor Übereilung und vor Frustration wegen scheinbarer Unfruchtbarkeit, hinter der sich nicht selten Eitelkeit verbirgt. Dieses Wort beschämt uns aber auch, weil wir noch manches Unreine in uns bemerken. Es fällt uns sicher nicht leicht, ihn zu bitten, er möge uns noch gründlicher reinigen und läutern. Wieviel Unstetigkeit unseres Charakters, wieviel Engherzigkeit, wieviel Anhänglichkeit an Irdisches, an Wohlstand und Bequemlichkeit! Wenn ein Vorhaben scheitert, gute Absichten mißdeutet werden, eine Krankheit uns einschränkt - der Herr läßt es zu, damit wir daran innerlich wachsen und fruchtbarer werden. »Hast du nicht aus dem Mund des Meisters das Gleichnis vom Weinstock und den Reben vernommen? - Sei getrost: Er fordert viel von dir, weil du eine Rebe bist und Frucht bringst ... Er beschneidet dich, >ut fructum plus afferas<, damit du mehr Frucht bringst.
Natürlich schmerzt dieses Beschneiden und Herausreißen! Aber wie köstlich sind hernach die Früchte und wie ausgereift die Werke!«16
III. Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so könnt auch ihr keine Frucht bringen, wenn ihr nicht in mir bleibt.17 Der heilige Augustinus schreibt, es heiße nicht: »>Ihr könnt ohne mich nur wenig tun<, sondern: >Ihr könnt nichts tun<: Sei es also wenig oder viel, es kann nicht ohne den geschehen, ohne welchen nichts geschehen kann.«18
Alles Gute, das wir in uns finden, ist Frucht unserer Verbundenheit mit Christus. Wir geben ihm, was er in uns im Umgang mit ihm im Gebet und in den Sakramenten wachsen läßt. Wir wissen jedoch auch, daß wir uns ihm verschließen können: »Betrachtet die Rebzweige: Sie haben den Saft des Weinstocks empfangen und jetzt tragen sie reiche Frucht. Noch vor ein paar Monaten ganz junge Triebe, sind sie jetzt süßes und reifes Fruchtfleisch, das Auge und Herz vieler Menschen erfreuen wird (vgl. Ps 103,15). Halb von Erde bedeckt, liegen einige Zweige am Boden, die sich vom Stock losgelöst haben. Auch sie waren Reben, nun aber verdorrt und ausgetrocknet; das anschauliche Sinnbild der Unfruchtbarkeit.«19
Das Bild vom Weinstock und den Rebzweigen reicht über den persönlich-privaten Bereich hinaus. Auch die Art zu arbeiten, Menschen zu begegnen, für die Familie da zu sein, erwächst aus dem Einssein mit Christus. Das Apostolat - jede Form des Apostolates - erwächst aus der Fülle, aus dem Überfließen des inneren Lebens. Das Zweite Vatikanische Konzil lehrt: »Da Christus, vom Vater gesandt, Quell und Ursprung des gesamten Apostolates der Kirche ist, kann es nicht anders sein, als daß die Fruchtbarkeit des Apostolates der Laien von ihrer lebendigen Vereinigung mit Christus abhängt; sagt doch der Herr: Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt viele Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun (Joh 15,5). Dieses Leben innigster Vereinigung mit Christus in der Kirche nähren die gleichen geistlichen Hilfen, die allen Gläubigen zu Gebote stehen (...). Dieser Hilfen müssen sich die Laien so bedienen, daß sie bei der rechten Erfüllung ihrer weltlichen Pflichten in den gewöhnlichen Lebensverhältnissen die Vereinigung mit Christus nicht von ihrem Leben abspalten, vielmehr in dieser Vereinigung dadurch wachsen, daß sie ihre Arbeit gemäß dem Willen Gottes leisten.«20
Überall im Leben gilt, daß keiner geben kann, was er nicht hat. Gute Früchte können nur an einem guten Baum gedeihen. »Das Holz des Weinstocks ist um so verächtlicher, wenn es nicht im Weinstock bleibt, um so herrlicher, wenn es dort bleibt (...). Abgeschnitten nutzt es zu nichts mehr, weder dem Bauern noch dem Zimmermann. Eines von beiden kommt der Rebe zu, entweder der Weinstock oder das Feuer; wenn sie nicht im Weinstock ist, wird sie im Feuer sein; damit sie also nicht im Feuer sei, möge sie im Weinstock sein.«21
Wie anregend kann der Anblick von Weinbergen sein! Sie vor Augen, sprach Christus das Wort vom wahren Weinstock. Er ließ damit all die alttestamentlichen Bilder von Dank und Undank, Lohn und Strafe, Klage und Bitte, die wir uns am Anfang unseres Gebetes vergegenwärtigten, weit hinter sich. Schließen wir mit einem anderen Bild vom Weinstock, einem lieblichen Wort, das die Kirche auf Maria bezieht: Wie ein Weinstock trieb ich schöne Ranken, meine Blüten wurden zu prächtiger und reicher Frucht.22 Die Kirche legt der Muttergottes das Wort der göttlichen Weisheit in den Mund: Wer mich findet, findet Leben und erlangt das Gefallen des Herrn.23
1 Joh 15,1-8. - 2 Jes 5,1-5. - 3 vgl. Mt 21,33-45. - 4 Ps 80,9.10.13.15. - 5 Regensburger Neues Testament, Bd.4, Regensburg 1961, S.283. - 6 Joh 10,10. - 7 Gebet zur Gabenbereitung. - 8 Präfation von den Verstorbenen I. - 9 Joh 15,4. - 10 R.Guardini, Der Herr, Würzburg 1951, S.441. - 11 1 Joh 5,13. - 12 R.Guardini, Vom lebendigen Gott, Mainz 1991, S.63. - 13 Joh 15,2. - 14 Joh 15,8. - 15 Joh 15,2. - 16 J.Escrivá, Der Weg, Nr.701. - 17 Joh 15,4-6. - 18 Augustinus, Homilien zum Johannesevangelium, 81,3. - 19 J.Escrivá, Freunde Gottes, 254. - 20 II.Vat.Konz., Dekret Apostolicam actuositatem, 4. - 21 Augustinus, a.a.O., 81,3. - 22 Sir 24,17. - 23 Spr 8,35.
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