OSTERZEIT 6. WOCHE - SAMSTAG
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DIE GABEN DES HEILIGEN GEISTES: WISSENSCHAFT
Gotteslob der Schöpfung. Unterscheidung der Geister. Zeugen der Güte der geschaffenen Dinge.
I. Alles Geschaffene enthält Gottes Spuren, die Welt ist ein Abglanz seiner Herrlichkeit. Gott »gibt den Menschen jederzeit in den geschaffenen Dingen Zeugnis von sich.«1 In der Schöpfung spiegeln sich die Macht und Weisheit, der Glanz, die Güte und Schönheit Gottes wider: Die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes, vom Werk seiner Hände kündet das Firmament.2
Jedoch ist es nicht immer leicht, die Spuren Gottes auch wahrzunehmen und sich von ihnen zu ihrem Urheber emporzuschwingen; denn die Ursünde und unsere persönlichen Sünden verstellen uns die Sicht: Im Buch der Weisheit werden jene getadelt, die die Welt in ihrer Vollkommenheit vor Augen hatten, ohne den wahrhaft Seienden erkennen zu können. Beim Anblick der Werke erkannten sie den Meister nicht, sondern hielten das Feuer, den Wind, die flüchtige Luft, den Kreis der Gestirne, die gewaltige Flut oder die Himmelsleuchten für weltbeherrschende Götter. Wenn sie diese, entzückt über ihre Schönheit, als Götter ansahen, dann hätten sie auch erkennen sollen, wieviel besser ihr Gebieter ist; denn der Urheber der Schönheit hat sie geschaffen.3
Damals wie heute kann uns das Gewaltige und Schöne, das in der Schöpfung aufleuchtet, blenden. Naturbetrachtung bleibt dann in sich befangen; unfähig, das Wahrgenommene zu transzendieren, mündet sie in pantheistische Frömmigkeit, einen fragwürdigen Religionsersatz, der in Schlüsselmomenten des menschlichen Lebens versagen muß.
Die Gabe der Wissenschaft soll im menschlichen Verstand das Gespür dafür schärfen, daß die geschaffenen Dinge Fingerzeige Gottes sind. Mit dieser Gabe ist nicht die »Wissenschaft« im üblichen Sinn gemeint, nämlich durch die systematische Anwendung der Vernunft Erkenntnisse zu erwerben, gemeint ist vielmehr eine übernatürliche innere Bereitschaft, die Seele in das göttliche Wissen eintauchen zu lassen: »Eine Gabe, die unter der erleuchtenden Einwirkung des Heiligen Geistes die Tugend des Glaubens vervollkommnet, da sie uns die geschaffenen Dinge in ihren Beziehungen zu Gott erkennen läßt.«4 Unter dem Walten dieser Geistesgabe erkennen wir die Dinge in ihrem Ursprung als gottgeschaffen und von ihm im Sein erhalten, von ihrem Wesen her als göttlichen Widerschein, von ihrem Zweck her als Wegweiser zu ihm. So erfassen wir, »daß die ganze Schöpfung, das Kreisen der Erde und der Gestirne, das gute Streben des Menschen und der Fortschritt in der Geschichte, daß alles von Gott kommt und auf ihn hinzielt5.
Zwar hat das Wort »Wissenschaft« einen abstrakten Klang. Doch ist nichts konkreter als dieses Wissen um das Beschenktwerden durch die Schöpfung. Im Lobgesang der drei jungen Männer, die der König Nebukadnezzar in einen Feuerofen werfen ließ, weil sie sich weigerten, ein von ihm errichtetes Götzenbild anzubeten, wird die ganze Schöpfung aufgerufen, Gott zu preisen: Preist den Herrn, all ihr Werke des Herrn, lobt und rühmt ihn in Ewigkeit! ... Ihr Himmel ... all ihr Wasser über dem Himmel ... Sonne und Mond ... ihr Sterne am Himmel ... aller Regen und Tau ... all ihr Winde ... Frost und Hitze ... Rauhreif und Schnee ... ihr Nächte und Tage ... Licht und Dunkel ... ihr Berge und Hügel ... all ihr Gewächse auf Erden ... ihr Quellen ... ihr Meere und Flüsse ... ihr Tiere des Meeres ... ihr Vögel am Himmel ... all ihr Tiere, wilde und zahme ... singt ihm Lob und Dank, denn ewig währt seine Güte.6
In dem alten Hymnus »Komm Schöpfer Geist« betet die Kirche: »Accende lumen sensibus « Zünde an ein Licht in den Sinnen. Es ist die Bitte an den Heiligen Geist, er möge unsere Sinne hell und durchdringend machen, damit wir nicht im Reiz des Äußeren stecken bleiben, sondern hinter allem die Schöpferhand Gottes sehen und so vom Schauen und»Staunen zum Frohlocken über Gottes Werke gelangen.
II. Wie können wir erfassen, was zu Gott hin- und was von ihm wegführt? Die Gabe der Wissenschaft hilft uns dabei. Sie befähigt uns zur Unterscheidung der Geister. Denn nicht nur die Natur, auch die Werke von Menschenhand und -geist können zu Götzen werden: »Der Widerstand gegen den Heiligen Geist, den der heilige Paulus in der inneren und subjektiven Dimension als Spannung, Kampf und Auflehnung im menschlichen Herzen unterstreicht, findet leider in den verschiedenen Geschichtsepochen und besonders in unserer modernen Zeit auch ihre äußere Dimension, indem er sich als Inhalt der Kultur und der Zivilisation, als philosophisches System, als Ideologie, als Aktions- und Bildungsprogramm für das menschliche Verhalten konkretisiert. Dieser Widerstand findet seinen höchsten Ausdruck im Materialismus, sei es in seiner theoretischen Form, als Gedankensystem, sei es in seiner praktischen Form, als Methode der Interpretation und Bewertung der Tatsachen sowie als Programm eines entsprechenden Verhaltens.«7
Die Gabe der Wissenschaft verhilft uns außerdem zum rechten Umgang mit der Schöpfung. Da die meisten Christen ohnehin mitten in der Welt leben, ist es ihre Aufgabe, die zeitlichen Dinge und Tätigkeiten auf Gott hinzuordnen. Dann halten wir uns von ungeordnetem Besitzenwollen oder von Anhänglichkeiten frei, die etwas an sich Gutes in Böses verkehren können. Dank der Geistgabe der Wissenschaft scheinen selbst Alltäglichkeiten, wie Haushalt, Studium oder Krankenpflege, als Weg zu Gott auf, als apostolisches Zeugnis im Dienst an der Gesellschaft. »Jede noch so alltägliche Situation birgt etwas Heiliges, etwas Göttliches in sich8, sagt der selige Josefmaria Escrivá und ergänzt: »Wenn ein Christ die unbedeutendste Kleinigkeit des Alltags mit Liebe verrichtet, dann erfüllt sich diese Kleinigkeit mit der Größe Gottes. Das ist der Grund, warum ich immer und immer wieder betont habe, daß die christliche Berufung darin besteht, aus der Prosa des Alltags epische Dichtung zu machen.«9
Kraft dieser Gabe lieben wir die irdischen Dinge gemäß ihrem rechten Wert, auf Gott hin. So verstellen sie uns niemals den Blick für das Wichtigste: Tempel des Heiligen Geistes zu sein. »Wenn Gott in unserer Seele wohnt, ist alles andere - mag es auch noch so wichtig erscheinen - nebensächlich und vorübergehend: wir aber, in Gott, sind das Bleibende.«10
Deshalb betrachten wir den Glauben als unseren größten Schatz, ungleich wichtiger als alle irdischen Güter und als selbst das Leben. Auch dazu verhilft uns die Gabe der Wissenschaft. In ihrem Lichte erkennen wir dann auch die Bedeutung von allem, was unseren Glauben stärkt: die Sakramente, das Gebet, die Askese.
III. Menschen, die unter dem Einfluß des Heiligen Geistes die göttliche Dimension ihres Lebens entdecken, sind in der Lage, »sich aus den verschiedenen Zwängen zu befreien, die hauptsächlich von den materialistischen Grundlagen des Denkens, der Praxis und der entsprechenden Methoden herrühren. In unserer Zeit sind diese Faktoren bis in das Innerste des Menschen eingedrungen, in jenes Heiligtum des Gewissens, wo der Heilige Geist ununterbrochen das Licht und die Kraft des neuen Lebens gemäß der >Freiheit der Kinder Gottes< mitteilt. Die Reifung des Menschen in diesem Leben wird durch die Beeinträchtigung und den Druck behindert, welche die in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft bestimmenden Strukturen und Mechanismen auf ihn ausüben.«11 Unter diesen Bedingungen »tragen die Christen als Zeugen der wahren Würde des Menschen durch ihren Gehorsam dem Heiligen Geist gegenüber zur vielfältigen >Erneuerung des Antlitzes der Erde< bei, indem sie mit ihren Brüdern zusammenarbeiten, um all das zu verwirklichen und zu vervollkommnen, was im heutigen Fortschritt der Zivilisation und Kultur, der Wissenschaft und Technik und der anderen Bereiche des menschlichen Denkens und Wirkens gut, edel und schön ist.«12
Unser Ja zur Welt aber schließt die Einsicht ein, daß alles Irdische nur insoweit einen Wert hat, als es Weg zum Ewigen ist; denn das Leben auf Erden ist kurz, und das irdische Glück zählt im Vergleich zum Glück, das Gott jenen verheißen hat, die ihn lieben, wenig. Möchten wir da nicht in Reue wiedergutmachen, daß wir Gott in der Vergangenheit so oft hintangesetzt haben?
So erscheint alles in dieser Welt - die wir lieben und die der Ort unserer Heiligung ist - durch die Vergänglichkeit geprägt. Aber gleichzeitig wissen wir uns dazu berufen, »ex umbris et imaginibus ad veritatem« aus Schatten und Bildern zur Wahrheit zu gelangen, wie es in der Grabinschrift des großen Kardinals Newman heißt.»Nur das, was Johannes die Begierde der Augen13 nennt, kann diese Sicht von der Welt, von Ereignissen und Menschen verdunkeln. Dann verschließt sich der Verstand dem wahren Licht und wird nicht selten an den irdischen Wirklichkeiten irre, weil sie am Ende nicht einlösen können, was sie versprochen haben. Durch den ungeordneten Wunsch nach materiellen Gütern und das Streben nach einem Glück des bloßen Genießens verblendet, verfällt die Seele in eine Art Blindheit. Jede Hoffnung richtet sich dann ausschließlich auf das Materielle. Und alles, was Opfer und Selbstverleugnung erfordert, erscheint als Zumutung.
Diese rein irdische Sicht der Wirklichkeit blendet das Wissen von der göttlichen Wahrheit aus. Wenn überhaupt, dann erscheint sie als etwas Theoretisches, sinnlos für das praktische Leben und belanglos für die Gestaltung der realen Existenz. Die Seele wird unfähig, das Übernatürliche zu erfassen, weil ihre Augen sich nur dem trügerischen Glanz der irdischen Güter öffnen wollen.
Der Heilige Geist möge uns in diesen Tagen der Vorbereitung auf Pfingsten lehren, dankbar, demütig und mit innerer Freiheit die irdischen Güter zu handhaben. Das Bewußtsein seiner Gegenwart in uns kann uns helfen, Gott inmitten unserer Beschäftigungen nicht aus dem Auge zu verlieren. Das ist die wahre Wissenschaft, um die wir auch Maria bitten, die Mutter der schönen Liebe, der Furcht, der Erkenntnis und der heiligen Hoffnung14. »Maria ist auch Mutter der Erkenntnis, denn an ihrer Hand kann man die wichtigste aller Lektionen lernen: daß nichts lohnt, wenn wir dem Herrn nicht nahe sind; daß alle herrlichen Dinge dieser Erde und alle erfüllten Wünsche unseres Herzens nichts sind, wenn dieses Herz nicht von der Flamme der lebendigen Liebe und vom Licht der heiligen Hoffnung erhellt wird, die uns die unendliche Liebe in der endgültigen Heimat ahnen lassen.«15
1 II.Vat.Konzil, Konst. Dei Verbum, 3. - 2 Ps 19,1-2. - 3 Weish 13,1-5. - 4 A.Tanquerey, Grundriß der aszetischen und mystischen Theologie, Paris 1931, S.921. - 5 J.Escrivá, Christus begegnen, 130. - 6 Dan 3,52-90. - 7 Johannes Paul II., Enz. Dominum et Vivificantem, 18.5.1986, 56. - 8 J.Escrivá, Gespräche, 114. - 9 ebd., 116. - 10 J.Escrivá, Freunde Gottes, 92. - 11 Johannes Paul II., a.a.O., 60. - 12 ebd. - 13 1 Joh 2,16. - 14 Sir 24,24 (Vg.). - 15 J.Escrivá, Freunde Gottes, 278.
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