10. Oktober – Der heilige Franz Borgia
Äußerst ungnädig war die Gnädige Frau Herzogin Johanna von Gandia in Spanien, als sie eines Tages ihren achtjährigen Franz zum soundsovielten Mal dabei ertappte, wie er, anstatt zu reiten und zu fechten, um sich auf seine spätere hohe Stellung in der Welt vorzubereiten, wieder mit Heiligenbildchen spielte und ein Altärchen baute.
„Junge!“ herrschte die Mutter unbeherrscht den Verdutzten an, „nun lass doch einmal das fromme Getue! Raus mit dir! Aufs Pferd!“
Das waren unschöne Worte, die besser ungesprochen geblieben wären, denn das kindliche Spiel der Jungen mit Altärchen und das der Mädchen mit dem Nonnenschleier ist der anmutsvolle Widerschein einer edlen, heiligen Kinderseele, und die Eltern sollten sich über einen solchen Zeitvertreib der Kinder eher freuen als ärgern. Kinder, die das tun, sind bestimmt noch unverdorbene Kinder.
Die Herzogin von Gandia konnte übrigens mit ihrem Franz später zufrieden sein, denn aus dem Jungen wurde ein weltgewandter Höfling und ein hervorragender Staatsmann, der sich in den feinen Sitten, in allen ritterlichen Künsten und in den verwickeltsten Regierungsgeschäften mit jedem anderen messen konnte, und nachher wurde noch weit Größeres aus ihm, denn er wurde Priester, Ordensgeneral und ein Heiliger.
Mit achtzehn Jahren kam Franz Borgia nach Madrid an den Hof Kaiser Karls V., dessen Reichsgrenzen Europa und Amerika durchschnitten und den Atlantischen Ozean in sich einschlossen. Bald schon schenkte der mächtige Herrscher dem Junker von Gandia seine Zuneigung, und zwischen den beiden blühte eine edle Mannesfreundschaft auf. Borgias Heirat mit der schönen Eleonora de Castro, die dem Gatten im Lauf der Jahre acht Kinder schenkte, brachte das Glück des Edelmannes zum Überfließen, aber im Herzensgrund zutiefst weinte trotz allem die Sehnsucht nach Gott, und dann trat im Jahr 1539 jenes Ereignis ein, das dem Dreißigjährigen den letzten Schleier vor der Nichtigkeit aller weltlichen Ehre und irdischen Glückes hinwegriss und seinem Leben ein klares Ziel gab.
Zu Toledo in Spanien feierte Kaiser Karl V. in unerhörter Pracht ein Fest mit Musik und Spiel und Tanz, mit prächtigen Rittern in goldglänzenden Rüstungen und schönen Frauen in Samt und Seide und Edelsteinen, tagelang, und als das Fest den Höhepunkt erreichte, starb über Nacht nach kurzem hitzigem Fieber die junge strahlende Kaiserin, die tags zuvor noch getanzt, gescherzt und gelacht hatte, und da war mit einem Schlag das Fest vorüber.
Franz Borgia wurde ausersehen, die Leiche zur Königsgruft in Granada zu überführen, und als er dort, zwei Wochen später, vor der Beisetzung zur Beurkundung vorschriftsgemäß den Sarg noch einmal öffnen ließ, prallte er entsetzt zurück, und ein Grauen erfasste ihn vor der Verwesung, die ihm entgegenstarrte. War das der Rest von aller Erdenpracht? Dann waren Macht und Majestät nur elender Plunder, und alles irdische Glück war wie eine schillernde Seifenblase, die zerplatzt und verdunstet und keine Spur zurücklässt. Dann war alles Irdische nichtig und nur das Ewige wichtig, dann lag des Lebens letzter Sinn einzig darin, dass man die Seele für den Himmel rettete auf dem sichersten Weg, den es gab, rückhaltlos und rücksichtslos, zielstrebig, verbissen und zäh.
In jener Stunde erkannte Franz Borgia des Lebens letzte Weisheit, und als sieben Jahre später der Tod auch ihm die Gattin nahm, zog er aus seinem letzten Wissen um die Erdendinge die letzten Folgerungen, er verließ die Welt mit dem Scheinglück, und beim Eintritt in den Jesuitenorden stellte er sich den Obern für jedes beliebige Amt zur Verfügung, sei es Pförtner oder Koch oder was immer.
Das war gut gemeint und ehrlich gewollt, aber schwer getan, denn ein Mann, der lebenslang befehligt hat, kann sich erst in Jahren zum Diener aller machen. Wo indessen guter Wille herrscht, wie es bei Franz Borgia der Fall war, da gelingt mit Gottes Gnade das schwierige Werk der Selbstbezwingung, und so meisterlich hat der frühere Herzog von Gandia sich selbst bezwungen, dass er alles Ungestüm und alle Reizbarkeit und alle Herrschsucht ablegte und gegen Schluss des Lebens sanft- und demütig von Herzen wurde, ein Spiegel jeglicher Tugend und ein Vorbild für die Ordensbrüder, die ihn im Jahr 1565 als zweiten Nachfolger ihres Stifters Ignatius von Loyola zum Ordensgeneral wählten.
Mit Klugheit und Geschick und unleugbarem Erfolg hat der Heilige sieben Jahre lang bis an das Lebensende das hohe Amt geführt. In seiner letzten Krankheit wies er alle Besuche, auch den Besuch von Kardinälen, ab mit dem Bemerken, er habe es nur mehr mit dem Herrn über Leben und Tod zu tun. Seit der Leichenschau zu Granada hatte Franz Borgia zu tief in die letzten Abgründe des Lebens hineinblickt, als dass ihn irdische Ehre noch hätte blenden können.
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