"Die Familie braucht ein Wunder"
In seiner Predigt am 6. Juli in Ecuador weist Franziskus auf die zentrale Rolle Mariens in Kana hin und fordert uns auf, die Fürsprache der Muttergottes zu suchen, denn Christus muss heute in den Familien ein neues Wunder wirken.
VOM PAPST 18. Juli 2015
APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS NACH ECUADOR, BOLIVIEN UND PARAGUAY (5.-13. JULI 2015)
HEILIGE MESSE FÜR DIE FAMILIEN
PREDIGT DES HEILIGEN VATERS
Parque de los Samanes, Guayaquil (Ecuador) Montag, 6. Juli 2015
Der Abschnitt des Evangeliums, den wir gerade gehört haben, ist das erste Wunderzeichen, das in der Erzählung des Johannesevangeliums geschieht. Die Sorge Marias wird zur Bitte an Jesus: „Sie haben keinen Wein mehr“, sagt sie zu ihm, und den Hinweis auf die „Stunde“ wird man dann von den Berichten der Passion her verstehen.
Es ist gut, dass es so ist, denn dies erlaubt uns, das Verlangen Jesu, zu lehren, zu begleiten, zu heilen und zu erfreuen, von diesem Ruf seiner Mutter aus zu sehen: „Sie haben keinen Wein mehr“.
Die Hochzeit von Kana wiederholt sich in jeder Generation, bei jeder Familie, bei jedem von uns und unseren Wünschen, dass es unserem Herzen gelingen möge, Standfestigkeit zu finden in bleibender Liebe, fruchtbarer Liebe und froher Liebe. Geben wir Maria Raum, „der Mutter“, wie es der Evangelist sagt. Gehen wir mit ihr nun den Weg von Kana.
Maria ist aufmerksam, sie ist aufmerksam bei dieser Hochzeit, die schon begonnen hat; sie sorgt sich um die Bedürfnisse der Brautleute. Sie ist nicht geistesabwesend, nicht in ihre Welt versunken; ihre Liebe lässt sie „sein für“ die anderen. Ebenso wenig geht sie zu den Freundinnen, um zu kommentieren, was gerade geschieht, und um die schlechte Vorbereitung der Hochzeit zu kritisieren. Und da sie aufmerksam und umsichtig ist, bemerkt sie, dass kein Wein vorhanden ist. Der Wein ist Zeichen für Freude, Liebe, Fülle. Wie viele unserer Kinder und Jugendlichen spüren, dass es diesen Wein in ihren Häusern schon eine Weile nicht mehr gibt. Wie viele Frauen, die allein und traurig sind, fragen sich, wann die Liebe erloschen ist, wann die Liebe aus ihrem Leben verschwunden ist. Wie viele alte Menschen fühlen sich bereits außerhalb des Festes ihrer Familien vernachlässigt und dass sie schon nicht mehr an der täglichen Liebe ihrer Kinder, Enkel und Urenkel laben. Ebenso kann das Fehlen dieses Weines eine Folge von Arbeitslosigkeit, von Krankheiten oder schwierigen Situationen sein, die unsere Familien auf der ganzen Welt durchmachen. Maria ist keine „Beschwerde“-Mutter, ebenso wenig ist sie eine Schwiegermutter, die wacht, um sich an unserer Unerfahrenheit, unseren Fehlern und Unachtsamkeiten zu freuen. Maria ist ganz einfach Mutter! Ja, sie ist aufmerksam und zuvorkommend. Es ist schön, dies zu hören: Maria ist Mutter! Habt ihr Lust, es alle gemeinsam mit mir zu sagen? Los: Maria ist Mutter! Noch einmal: Maria ist Mutter! Noch einmal: Maria ist Mutter!
Maria aber wendet sich in diesem Augenblick, in dem sie bemerkt, dass kein Wein mehr da ist, vertrauensvoll an Jesus. Das bedeutet, dass Maria betet. Sie geht zu Jesus, sie betet. Sie geht nicht zum Verantwortlichen für das Festmahl; sie unterbreitet die Schwierigkeit der Brautleute direkt ihrem Sohn. Die Antwort, die sie erhält, scheint entmutigend: „Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen“ (V. 4). Aber währenddessen hat sie schon das Problem in die Hände Gottes gelegt. Ihre Sorge für die Bedürfnisse der anderen beschleunigt die „Stunde“ Jesu. Maria ist Teil dieser Stunde, von der Krippe bis zum Kreuz. Denn Maria, die „mit ein paar ärmlichen Windeln und einer Fülle zärtlicher Liebe einen Tierstall in das Haus Jesu zu verwandeln“ verstand (Evangelii gaudium, 286), und uns als Kinder erhielt, als ein Schwert ihre Seele durchdrang, sie lehrt uns, unsere Familien in die Hände Gottes zu legen; sie lehrt uns zu beten und dabei die Hoffnung zu entfachen, die uns zeigt, dass unsere Sorgen auch die Sorgen Gottes sind.
Beten zieht uns immer aus dem Umfeld unserer Sorgen heraus, lässt uns über das, was uns schmerzt, was uns bewegt oder was uns selbst fehlt, hinausgehen und hilft uns, uns in die Haut der anderen zu versetzen, in ihre Schuhe zu schlüpfen. Die Familie ist eine Schule, in der das Gebet uns auch daran erinnert, dass es ein Wir gibt, dass es einen unmittelbaren, konkreten Nächsten gibt, der unter demselben Dach lebt, der unser Leben teilt und bedürftig ist.
Und schließlich handelt Maria. Die Worte „Was er euch sagt, das tut!“ (V. 5), die sie an die Diener richtet, sind eine Einladung auch an uns, uns Jesus zur Verfügung zu stellen, der gekommen ist, um zu dienen und nicht, um sich dienen zu lassen. Das Dienen ist das Kriterium der wahrhaftigen Liebe. Wer liebt, der dient, der stellt sich in den Dienst der anderen. Und dies lernt man besonders in der Familie, wo wir aus Liebe einander dienen. Im Schoß der Familie wird niemand ausgeschlossen; alle sind gleich wert. Ich erinnere mich, dass einmal meine Mutter gefragt wurde, welches ihrer fünf Kinder – wir sind fünf Geschwister – welches ihrer fünf Kinder sie mehr lieben würde. Und sie sagte [der Heilige Vater zeigt seine Hand]: Es ist wie mit den Fingern, wenn sie mir in den stechen, tut es gleich weh, wie wenn sie mir in den stechen. Eine Mutter liebt ihre Kinder, wie sie sind. Und in einer Familie werden die Brüder und Schwestern geliebt, wie sie sind. Niemand wird ausgeschlossen.
Dort in der Familie lernt man, um Erlaubnis zu bitten, ohne andere zu überfahren, ‚danke‘ zu sagen als Ausdruck einer aufrichtigen Wertschätzung dessen, was wir empfangen, Aggressivität oder Unersättlichkeit zu beherrschen, und dort lernt man ebenso, um Verzeihung zu bitten, wenn wir irgendeinen Schaden angerichtet haben, wenn wir streiten. Denn in jeder Familie gibt es Reibereien. Die Frage ist dann, um Vergebung zu bitten. Diese kleinen Gesten ehrlicher Höflichkeit helfen, eine Kultur des Zusammenlebens und der Achtung gegenüber unserer Umgebung aufzubauen (vgl. Laudato si’, 213). Die Familie ist das nächstgelegene Krankenhaus; wenn jemand krank ist, wird er dort gepflegt, solange man kann. Die Familie ist die erste Schule der Kinder, sie ist die unverzichtbare Bezugsgruppe für die jungen Menschen, sie ist das beste Heim für die alten Menschen. Die Familie bildet den großen „sozialen Reichtum“, den andere Einrichtungen nicht ersetzen können, der unterstützt und verstärkt werden muss, um niemals den rechten Sinn der Dienste zu verlieren, welche die Gesellschaft für ihre Bürger leistet. Denn diese Dienste, welche die Gesellschaft für die Bürger leistet, sind nicht eine Art Almosen, sondern eine echte „soziale Schuld“ hinsichtlich der Institution der Familie, die das Fundament ist und die so viel zum Gemeinwohl aller beiträgt.
Die Familie bildet ebenso eine kleine Kirche, wir nennen sie eine „Hauskirche“, die mit dem Leben die Zärtlichkeit und Barmherzigkeit Gottes vermittelt. In der Familie mischt sich der Glaube mit der Muttermilch: Wenn man die Liebe der Eltern erfährt, spürt man die Liebe Gottes näher.
In der Familie – wir alle sind Zeugen dafür – geschehen die Wunder mit dem, was da ist, mit dem, was wir sind, mit dem, was einer zur Hand hat … und oft ist es nicht das Ideal, nicht das, was wir erträumen oder was „sein sollte“. Es gibt ein Detail, das uns nachzudenken geben muss. Der neue Wein, dieser so gute Wein, wie der Verantwortliche für das Mahl auf der Hochzeit in Kana sagt, kommt aus den Krügen zur Reinigung, das heißt von dem Ort, wo alle ihre Sünde gelassen haben … Er kommt von dem „Schlechten“, denn „wo jedoch die Sünde mächtig wurde, das ist die Gnade übergroß geworden“ (Röm 5,20). Und in der Familie eines jeden von uns und in der gemeinsamen Familie, die wir alle bilden, wird nichts weggeworfen, ist nichts unnütz. Kurz vor Beginn des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit wird die Kirche die Ordentliche Bischofssynode zur Familie feiern, um eine echte geistliche Unterscheidung reiflich zu überlegen und konkrete Lösungen und Hilfen zu finden für die vielen Schwierigkeiten und wichtigen Herausforderungen, denen sich die Familie heute stellen muss. Ich lade euch ein, euer Gebet in diesem Anliegen zu intensivieren, damit noch alles, was uns unrein erscheint, wie das Wasser in den Krügen, uns erregt oder erschreckt, Gott dadurch, dass er es durch seine „Stunde“ hindurchgehen lässt, in ein Wunder verwandeln kann. Die Familie heute braucht dieses Wunder.
Und diese ganze Geschichte begann damit, weil es hieß: „Sie haben keinen Wein mehr“, und alles konnte geschehen, weil eine Frau – die Jungfrau Maria – aufmerksam war, ihre Sorgen in die Hände Gottes zu legen wusste und besonnen und mutig handelte. Aber es gibt ein Detail; das Ergebnis ist nicht geringer: sie kosteten den besten Wein. Und das ist die gute Nachricht: der beste Wein ist da, um geschöpft zu werden, das Angenehmste, Tiefste und Schönste für die Familie kommt noch. Die Zeit kommt, wo wir die tägliche Liebe kosten, wo unsere Kinder den Raum, den wir teilen, wieder entdecken, und die alten Leute bei der Freude jeden Tages zugegen sind. Der beste Wein ist in Erwartung, er kommt noch für jeden Menschen, der zu lieben wagt. Und in der Familie gibt es das: dass man die Liebe wagt, dass man zu lieben wagt. Und der beste der Weine kommt, wenn auch alle Prognosen und Statistiken das Gegenteil behaupten. Der beste Wein kommt zu denen, die heute alles zusammenbrechen sehen. Murmelt es, bis man es glaubt: der beste Wein kommt noch. Murmelt es ein jeder in seinem Herzen: der beste Wein kommt noch. Flüstert es den Verzweifelten und Lieblosen ins Ohr: Habt Geduld, habt Hoffnung, macht es wie Maria, betet, handelt, öffnet das Herz, den der beste der Weine ist dabei zu kommen. Gott nähert sich immer den Peripherien derer, die ohne Wein geblieben sind, die nur Mutlosigkeit zu trinken haben. Jesus hat eine Schwäche dafür, den besten Wein mit denen zu verschwenden, die aus dem einen oder anderen Grund schon spüren, dass sie alle Krüge zerbrochen haben.
Wie Maria uns einlädt, tun wir, „was der Herr uns sagt“. Tut, was der Herr euch sagt. Und danken wir, dass hier in unserer Zeit und unserer Stunde der neue, der beste Wein uns die Freude der Familie, die Freude, in einer Familie zu leben, wieder erfahren lässt. So sei es.
[Am Ende der Messe im Park „Los Samanes“ frei gesprochen Worte:]
Gott segne euch, er begleite euch. Ich bete für die Familie eines jeden von euch, und ihr macht es gleich, wie es Maria getan hat. Und ich bitte euch nicht zu vergessen, für mich zu beten. Auf Wiedersehen!
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