Am Anfang ist die Sehnsucht Aus: Christ & Welt Ausgabe 34/2015
In der vergangenen Woche kritisierte Christiane Florin einen Text des Passauer Bischofs Stefan Oster. Er verstehe Christsein als Hochleistungssport, schrieb sie. Nun antwortet der Kritisierte: Die Freude an Jesus ist das Wichtigste, nicht die Anstrengung.
Foto: Pressestelle Bistum Passau Christiane Florin hat unter der Überschrift »Ein katholischer Evangelikaler« besonders meinen Facebook-Post über »Humanismus der Nettigkeit« kommentiert und damit einen Beitrag zur gewünschten Debatte darüber geleistet. Ihre Texte empfinde ich oft als sehr zugespitzt, oft anregend, oft kontrovers, häufig einfach gut geschrieben. Verstanden fühle ich mich in speziell diesem Text freilich nicht wirklich.
Der letzte Teil ihres Textes wirft mir quasi ein Frömmigkeitsprogramm als eine Art Leistungssport vor – und läuft damit im Grunde diametral dem entgegen, was aus meiner Sicht zentral ist. Die Sehnsucht ist der Anfang von allem! Es geht im Grunde immer um die Frage: Ist es möglich, dem Herrn selbst zu begegnen, innerlich berührt zu werden von seiner erlösenden Gegenwart, Wahrheit, Liebe, Schönheit? Und wie ist es möglich, in diese Beziehung konkret zu finden, und wie ist es möglich, in ihr zu bleiben, zu wachsen und sich darin verwandeln zu lassen? Der Kern der Verkündigung ist niemals Hölle oder Verdammnis! Der Kern der Verkündigung ist immer: Jesus ist gekommen, ist für uns in abgründiger Liebe gestorben, um uns in seine, in die neue Wirklichkeit zu führen, die er Himmelreich nennt oder Königreich Gottes oder Reich des Vaters. Eine Wirklichkeit, die in der Gemeinschaft seiner Gläubigen, in der Kirche, schon anbricht und anfanghaft schon da ist.
Der Glaube und die Schrift sagen: Ja, es ist möglich, ihm zu begegnen, auch und gerade in seiner Kirche. Und es ist möglich, sich von seinem Geist führen zu lassen. Und Schrift und Überlieferung sagen auch: Es ist nie (!) möglich aus eigener Anstrengung, aus eigenem geleistetem »Power-Beten«, aus Fasten als Leistungssport, als Selbstheiligungsprogramm oder Ähnlichem. Das wäre wohl ziemlich genau das, was auf der Basis der Schrift »Pharisäismus« wäre. Ehrliche Frömmigkeit ist immer eine Antwort, der im Grunde eine Kapitulation des »Ich kann es selbst leisten« vorausgeht. Ich kann mir die Liebe des Herrn nie durch Leistung verdienen!
Was ist der Unterschied und warum kann es sein, dass zum Beispiel mein Wunsch nach Orten, an denen Gott um seiner selbst willen gepriesen, angebetet und im fürbittenden Gebet angefleht wird, nach »Leistungsprogramm« riecht? Wir können es analog zu unseren menschlichen Beziehungen sehen: Wir stehen manchmal vor dem Wunder, dass uns einfach jemand gern hat und uns ohne Hintergedanken seine Freundschaft schenkt. Und wenn wir fragen: Haben wir uns das durch Leistung verdient?, dann ist die ehrliche Antwort: Unmöglich! Man kann sich echte Freundschaft oder Liebe nicht verdienen. Sie ist geschenkt, umsonst. Wenn sie von den Bedingungen meiner Leistung abhinge, wäre sie nicht ehrlich, sondern erkauft. Aber nun: Einmal begonnen, einmal unverdient hineingenommen, braucht jede gute Beziehung dennoch Pflege.
Jede Beziehung kennt Verhaltensmuster, kleine Rituale, Liebeserweise. Echte Freundschaftserfahrung drängt dazu, den anderen besser kennenzulernen, tiefer zu bejahen. Der Freund will mit dem Freund zusammen sein. Und so wächst dann Freundschaft als Freundschaft, auch durch meine Bemühungen um sie. Besseres Kennen kann Liebe vertiefen – und Liebe erleichtert wiederum einen Zugang zu einem noch besseren Kennen. Ich kann das in der Freundschaft aber auch alles versäumen. Ich kann es schleifen lassen, ich kann mich langsam aus der Freundschaft verabschieden. Oder ich kann ihr eben durch mein Bemühen zum Wachstum verhelfen.
Analog ist es mit der Beziehung zu Christus: Die meisten von uns leben als Getaufte in gewisser Hinsicht schon in der Beziehung zu Ihm. Er hat uns schon hineingeholt, wir haben einen Geist empfangen, der uns mit Ihm verbindet. Ganz unverdient. Jetzt geht es darum, erneut die Sehnsucht zu wecken und wecken zu lassen für die Erfahrung, dass es hier tatsächlich um Freundschaft geht, dass Er tatsächlich mich selbst meint, dass Er mich in der Kraft seines Geistes berühren, faszinieren kann – sehr oft durch Personen, die schon von Ihm bewegt sind, oder durch Taten der Liebe an anderen, oder durch die Erfahrung von besonderer Gemeinschaft in der Kirche und anderes mehr. Und wenn sich so etwas ereignet, dann folgt (!) die Frage: Wie kann ich in dieser Beziehung wachsen, wie kann ich Antwort geben?
Und erst jetzt greift das Thema eines Vorschlages (von vielen möglichen anderen Vorschlägen): »fortwährendes Gebet an einem Ort«. Ich bin überzeugt, dass vertiefter Glaube auch ein vertieftes »Klima« braucht, Menschen, die einzeln und in Gemeinschaft Gott die Ehre geben – weil sie ihn kennen und lieben. Und weil ihnen diese Beziehung die zentrale in ihrem Leben ist. Warum haben gerade Klöster oft so eine starke geistliche Ausstrahlung? Weil hier Menschen oft über Jahrhunderte Gott die Ehre geben, Tag für Tag, Stunde für Stunde. Weil sie es müssen?
Nein, weil sie es freiwillig gewählt haben, diese Form der Antwort mit ihrem Leben zu geben. Strengt das nicht an? Ja, manchmal schon, denn unsere menschliche Natur bleibt auch gebrechlich und es gibt bleibend die Seite in uns, die von Gott im Grunde nichts wissen will, die Seite, die Paulus »Fleisch« nennt. Es ist die Seite, die im Bild des trainierenden Sportlers von Christiane Florin der »alte Schweinehund« wäre, der immer wieder überwunden werden will. Aber die Anstrengung ist nicht das Erste, nie. Das Erste ist Jesus, die Freude an Ihm und an der Beziehung, in der ich bleiben will!
Die Schrift sagt nun, diese Beziehung zu Gott ist nicht nur für fromme Mönche die erste ihres Lebens, sondern für uns alle. Und sie sagt auch, dass Jesus uns zuerst geliebt hat, unverdient und ohne Maß. Weil er uns zurückholen will – in diese wichtigste Beziehung und eigentliche Wirklichkeit unseres Lebens. Und jetzt erst, jetzt stellt sich die Frage: Was passiert, wenn ich da draußen bleibe oder wenn ich da hinausfalle, wo lande ich, wenn ich meiner Gottesbeziehung verlustig gehe, einfach weil ich versäume, sie zu pflegen? Und erst von hier sagt Jesus: »Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen.« – Und erst von hier sagt Paulus den Geschwistern: »Müht euch mit Furcht und Zittern um euer Heil.« Weil er weiß, was es bedeutet, die Beziehung seines Lebens schleifen zu lassen; weil er weiß, dass es möglich ist, das Heil zu verspielen.
Aber wirklich erschließen wird sich das alles erst, wenn ich es real für möglich halte (also glaube!) und wenn es wenigstens von einigen unter uns auch durch Erfahrung hinterlegt ist, dass ich durch Gottes reale Gegenwart in mir tatsächlich Verwandlung erfahren darf, Zugang zum neuen Leben, das nur Er schenken kann und will.
Was nun schließlich ein »katholischer Evangelikaler« ist, weiß ich nicht genau. Aber wenn es damit zu tun hat, die Heilige Schrift ernst zu nehmen und Jesus und die Beziehung zu ihm in den Mittelpunkt der Verkündigung zu stellen, dann bin ich es gerne. Und würde mich damit auch in großer Nähe zu Papst Franziskus wissen, den – wenn ich ihn recht verstehe – dieselben Anliegen umtreiben: Erneuerung des Glaubens aus der Freude an Christus. http://www.christundwelt.de/detail/artik...-die-sehnsucht/ http://www.christundwelt.de/index/
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