Menschenschmuggel
Das miese, lukrative Geschäft mit den Flüchtlingen 29.08.2015, 08:00 Uhr | Von Björn Hengst, Spiegel Online
Der Erstickungstod von 71 Flüchtlingen in einem Kühllaster in Österreich sorgte weltweit für Entsetzen. (Quelle: dpa)
Bis zu 20.000 Euro zahlen manche Flüchtlinge an ihre Schlepper - und deren perfides Business boomt. Die Kriminellen arbeiten mit ausgeklügelten Systemen. Für die Fahnder sind sie kaum zu fassen.
Die Bestürzung nach dem grausamen Tod von 71 Flüchtlingen, die am Donnerstag in einem Lkw in Österreich entdeckt wurden, ist groß, auch in Deutschland: "Ein solches Ausmaß an Leid lässt einen verstummen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Er sprach sich auch dafür aus, noch energischer gegen Schlepper vorzugehen.
Leid als Geschäftsquelle
Die Forderung nach schärferen Maßnahmen gegen Schlepper wird jedes Mal erhoben, wenn es zu tragischen Flüchtlingsunglücken kommt - wie jetzt in Österreich oder auch bei gekenterten Booten auf dem Mittelmeer. Nur ist dieser Kampf gegen skrupellose Schlepperbanden
In vielen Ländern der Welt sind Menschen auf der Flucht - das Leid und die Hoffnungen dieser Flüchtlinge sind die Geschäftsquelle von Schleppern, und deren Geschäfte laufen gut: Rund 16 Milliarden Euro zahlten Flüchtlinge und Migranten seit dem Jahr 2000 an Menschenschmuggler, um nach Europa zu gelangen - so das Ergebnis der Recherche "The Migrants' Files", die auf eine internationale Gruppe aus Journalisten, Programmierern und Statistikern zurückgeht.
Der Preis, den Flüchtlinge an Schlepper zahlen, ist unter anderem abhängig von der Route und dem Verkehrsmittel und auch davon, ob etwa gefälschte Ausweispapiere ausgehändigt werden: Der Bundespolizei zufolge kann eine Flucht dann bis zu 20.000 Euro kosten.
860 Festnahmen allein in Bayern
Wie sehr die kriminellen Machenschaften von Schleusern florieren, zeigen schon die Zahlen der Bundespolizeidirektion München: Sie nahm im ersten Halbjahr 2015 in Bayern 860 Schleuser fest, im Vorjahreszeitraum waren es 350.
Die Hintermänner sind damit aber noch lange nicht dingfest gemacht: Meistens begleiten lediglich Fahrer und Ortskundige die geschleusten Personen beim Grenzübertritt, die eigentlichen Drahtzieher agieren im Hintergrund. Ermittlern zufolge gehen Schleuser streng arbeitsteilig vor: Manche kümmern sich ausschließlich um Papiere, andere akquirieren Interessenten, wieder andere übernehmen die Fahrten.
Häufig werden lediglich Teilstrecken mit den Flüchtlingen zurückgelegt, weil dann der nächste Fahrer übernimmt. "Je größer die Organisation, desto mehr Helfer", sagte Matthias Knott, Sprecher der Bundespolizeidirektion München, gegenüber "Spiegel-Online". Zum Schutz des Netzwerks wüssten die einzelnen Helfer meist wenig oder nichts von den anderen Beteiligten.
Auch in Österreich gehen die Fahnder davon aus, dass die Hierarchie des Schlepperrings sechs oder sieben Ebenen umfasst. Derzeit bewegten sich die Ermittlungen auf den unteren beiden Stufen.
Lügengeschichte von Schiff mit Kino und Pool
Um an die Hintermänner zu gelangen, seien intensive Ermittlungen erforderlich, sagte Knott. Hierfür setze man spezielle Teams ein. Auch eine Zusammenarbeit mit den Behörden anderer Länder ist Knott zufolge wichtig.
Im Fall von Ländern wie Österreich oder Italien mag das noch gut funktionieren. Kommen Schleuser dagegen aus Ländern ohne intakte staatliche Strukturen, sind internationale Ermittlungsverfahren praktisch unmöglich. Im Bundeslagebild 2013 zur Schleusungskriminalität von Bundeskriminalamt und Bundespolizeipräsidium werden etwa 140 Fälle von Einschleusungen durch syrische Tatverdächtige genannt.
Das menschenverachtende und kriminelle Vorgehen der Schlepper, Flüchtlinge auf engstem Raum auf Booten oder in Transportern zusammenzupferchen, hat Methode - und bringt den Schleusern das meiste Geld.
Österreichische Medien hatten bereits Anfang August von einem Fall berichtet, der zwar vergleichsweise glimpflich ausging, aber stark an das jüngste Drama mit 71 Toten erinnert: Niederösterreichische Polizisten waren an einer Autobahnraststätte auf einen Transporter aufmerksam geworden, weil er überladen wirkte. Die Beamten entdeckten 86 Flüchtlinge im Frachtraum, der Gesundheitszustand vieler Menschen, die stundenlang bei Hitze ausgeharrt hatten, war besorgniserregend - aber glücklicherweise gab es keine Toten. Zumindest damals.
Schleuser verschleiern gegenüber Flüchtlingen offenbar auch die Gefahren der Reisen: So erzählte zuletzt ein Flüchtling aus Afghanistan im Gespräch mit "Spiegel-Online", man habe ihn und seine Familie auf ein kleines Boot verfrachtet, das mehrfach zu kentern drohte und völlig überladen war.
Im Vorfeld hatten die Schmuggler das Schiff für die Reise aus der Türkei nach Italien dagegen noch völlig anders angepriesen. Der Flüchtling über das Versprechen der Kriminellen: "Auf einem geräumigen Schiff würde es ein Schwimmbad und ein Kino geben." http://www.t-online.de/nachrichten/deuts...echtlingen.html
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