DER Vatikan-Spezialist gab in Purgstall faszinierende Einblicke über Papst Franziskus
Marco Politi bei der Buchpräsentation in Purgstall
Purgstall, 05.09.2015 (dsp) „Das werde ich dem Papst berichten: Es genügt, seinen Namen Franziskus zu nennen und schon gibt es in Purgstall einen gesteckt vollen Pfarrsaal“, freut sich Marco Politi über das große Interesse in Purgstall. Der bekannte Vatikan-Spezialist präsentierte auf Einladung des Katholischen Bildungswerkes (kbw) sein neues Buch "Franziskus unter Wölfen: Der Papst und seine Feinde" (Herder-Verlag). In diesem diskutiert der Autor die Frage, ob der Papst die Auseinandersetzung um die Reform und die Zukunft der Kirche gewinnen kann.
Politi schrieb 20 Jahre lang für die italienische Tageszeitung "La Repubblica" und war für das Blatt Berichterstatter aus dem Vatikan. „Er gilt als profunder Kenner des Vatikan und der römischen Kurie“, leitete Peter Haslwanter vom kbw Purgstall die Veranstaltung ein.
Der deutsch-italienische Journalist nannte mehrere Bereiche, die Papst Franziskus derzeit besonders energisch angehe. Mit José Mario Francisco Bergoglio sei jemand zum Papst gewählt worden, der als Argentinier eine ganz andere Sicht auf die Welt habe als die europäischen Vorgängerpäpste. Weiters habe er in Buenos Aires gelebt und kenne somit eine Millionenstadt mit ihren unterschiedlichen ökonomischen und ethnischen Gruppen. Er habe auch Bekanntschaft gemacht mit verschiedensten religiösen Gruppen: Juden, Protestanten, Pfingstkirchen, Antiklerikale oder Atheisten, mit denen der Papst den Dialog pflegt. „Offen für alle zu sein“ sei typisch für Franziskus, so Politi. Dieser spreche ungewöhnlicherweise in der Art und Weise wie ein Apostel in Galiläa zu Anfang des Urchristentums und wende sich damit direkt an die Menschen.
Mit seinem Pontifikat habe sich viel verändert, künftige Päpste könnten bei mehreren Punkten nicht mehr hinter Franziskus zurückgehen: etwa beim bescheidenen Auftritt von Franziskus. Dieser lege das Papsttum nicht monarchisch an, sondern gemeinschaftlich. Der Papst wolle durchaus Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Auffassungen, aber er fordere praktische Vorschläge, nicht nur Theorien von den Ortskirchen. Den Versuch, die Kirche in eine Gemeinschaftskirche zu wandeln, würde aber bei einer Reihe von Kardinälen und Bischöfen auf wenig positive Resonanz stoßen, da sie einen Autoritätsverlust der katholischen Kirche fürchten. "Ich schätze die Anhänger des Papstes auf zwanzig Prozent. Zehn Prozent sind offene Gegner, siebzig Prozent sind unentschlossen und geben sich bedeckt." Es sei von großer Bedeutung, in welche Richtung sich die Unentschlossenen entwickeln, so Politi.
"Gradmesser" wird Familiensynode
Als "Gradmesser" für das Pontifikat von Franziskus bezeichnete Vatikankenner Marco Politi die im Oktober stattfindende Familiensynode. Über den Ausgang der Synode könne man zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Prognose abgeben. Allerdings würde der Kreis der Gegner des Papstes in letzter Zeit zunehmend intensiver agieren.
Politi sagt, Franziskus sei in vielen Bereichen präsent: Außenpolitisch vermittelt er zwischen Kuba und den USA oder zwischen Israelis und Palästinensern; bei der Vatikanbank holte er Experten von außen und sorgte für Transparenz; beim Thema Frauen wolle der Papst, dass diese in Positionen kommen, in denen sie wirkliche Entscheidungen treffen könnten und Autorität hätten; beim Missbrauchsthema greife der Papst durch und habe sogar erstmals einen vatikanischen Strafprozess gegen einen Erzbischof angeordnet. Vieles habe vom derzeitigen Papst nicht erwartet, etwa sein Anstellen bei der Kantine oder Aussagen wie „Wenn jemand schwul ist und den Herrn sucht, wer bin ich, um ihn zu verurteilen?“ Aufgrund seines Alters würde der Papst wissen, dass ihm nicht viel Zeit für seine Reformen bleibt, doch er wisse die Bevölkerung hinter sich, so Politi. Auch einen Rücktritt des Papstes könne sich der Autor vorstellen, wenn Franziskus das Gefühl habe, die Zügel nicht mehr in der Hand zu haben.
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