Der christlichen Ehe wurde eine Wunde zugefügt 10. September 2015 08:43 | Mitteilung an die Redaktion
Papst Franziskus und die Ehenichtigkeit light
Papst Franziskus und die neuen Regeln für die Ehenichtigkeit
von Roberto de Mattei*
Die beiden Motu proprio von Papst Franziskus Mitis iudex Dominus Iesus für die lateinische Kirche und Mitis et misericors Jesu für die orientalischen Kirchen, die am 8. September 2015 bekanntgegeben wurden, fügen der christlichen Ehe eine schwere Wunde zu. Die Unauflöslichkeit der Ehe ist göttliches und unveränderliches Gesetz von Jesus Christus. Die Kirche kann eine Ehe nicht „annullieren“ im Sinne von Auflösen. Sie kann, mit einer Nichtigkeitserklärung, das Nichtbestehen prüfen, wenn jene Voraussetzungen fehlen, die ihre Gültigkeit sicherstellen. Das bedeutet, daß in einem kirchenrechtlichen Prozeß für die Kirche nicht das Interesse der Ehepartner Priorität hat, eine Nichtigkeitserklärung zu erlangen, sondern die Wahrheit über die Gültigkeit des Ehebandes.
Pius XII. erinnert uns diesbezüglich, daß „im Eheprozeß das einzige Ziel ein der Wahrheit und dem Recht gemäßes Urteil ist, im Nichtigkeitsprozeß das gesicherte Nichtbestehen des Ehebandes“ (Allokution an die Rota Romana, 2. Oktober 1944). Der Gläubige kann die Kirche betrügen, um eine Nichtigkeit zu erlangen, zum Beispiel durch den Einsatz falscher Beweise, aber die Kirche kann Gott nicht hinters Licht führen und hat die Pflicht, die Wahrheit auf klare und genaue Weise festzustellen.
Im kanonischen Prozeß steht das Interesse der Ehe als göttlicher Institution an erster Stelle
Im kanonischen Prozeß hat an erster Stelle das höchste Interesse einer göttlichen Institution – und die Ehe ist eine solche – verteidigt zu werden. Die Anerkennung und der Schutz dieser Realität kommen im rechtlichen Bereich in der knappen Formulierung favor matrimonii zum Ausdruck, anders ausgedrückt, die Annahme der Gültigkeit der Ehe bis zum Beweis des Gegenteils. Johannes Paul II. erklärte, daß vom Lehramt die Unauflöslichkeit einer jeden vollzogenen Ehe als ordentliches Gesetz vertreten wird, gerade weil die Gültigkeit angenommen wird unabhängig vom Erfolg des Ehelebens und der Möglichkeit, in einigen Fällen, daß es zu einer Ehenichtigkeitserklärung kommen könnte (Rede an die Rota Romana, 21. Januar 2000).
Als die Aufklärung versuchte, die christliche Ehe tödlich zu treffen, ordnete Papst Benedikt XIV. mit dem Dekret Dei miseratione vom 3. November 1741 an, daß in jeder Diözese ein defensor vinculi eingesetzt zu werden hatte und führte, zur Erlangung der Nichtigkeitserklärung, den Grundsatz des doppelten übereinstimmenden Urteils durch zwei unterschiedliche Gerichtsinstanzen an. Der Grundsatz des doppelten, übereinstimmenden Urteils wurde durch den Kodex des kanonischen Rechtes von 1917 ebenso bekräftigt, wie durch den von Johannes Paul II. am 25. Januar 1983 erlassenen neuen Codex Iuris Canonici.
Durch Reform von Franziskus Optik auf den Kopf gestellt – Präzedenzfall USA 1971-1983
In den Motu proprio von Papst Franziskus ist die Optik auf den Kopf gestellt. Das Interesse der Eheleute hat Vorrang vor dem der Ehe. Im Dokument selbst wird dies behauptet. In wenigen Punkten lassen sich die grundlegenden Kriterien der Reform zusammenfassen: die Abschaffung des doppelten, übereinstimmenden Urteils, das durch ein einziges Urteil zugunsten der Nichtigkeit ersetzt wird; Zuerkennung einer monokratischen Befugnis an den Bischof, der als Einzelrichter qualifiziert wird;
Einführung eines schnellen und faktisch unkontrollierbaren Verfahrens;
mit einschließlich der weitgehenden Ausschaltung der Sacra Rota.
Wie anders sollte, beispielsweise, die Abschaffung des doppelten Urteils interpretiert werden? Was sind die so gravierenden Gründe, daß dieser Grundsatz nach 270 Jahren abgeschafft wird? Kardinal Burke erinnerte daran, daß es diesbezüglich eine katastrophale Erfahrung gibt. In den USA galten von Juli 1971 bis November 1983 die sogenannten Provisional Norms, die faktisch die Pflicht des doppelten, übereinstimmenden Urteils beseitigten. Das Ergebnis war, daß die Bischofskonferenz nicht einen einzigen von Hunderttausenden Anträgen auf Dispensierung ablehnten, und daß man in der allgemeinen Wahrnehmung begann, den Prozeß „die katholische Scheidung“ zu nennen (s. In der Wahrheit Christi bleiben. Ehe und Kommunion in der Katholischen Kirche, Echter, Würzburg 2014).
Neue Befugnis für Diözesanbischöfe ein Aspekt von explosiver Tragweite
Noch schwerwiegender ist die Zuerkennung der Befugnis an den Diözesanbischof, als Einzelrichter nach seinem Ermessen einen schnellen Prozeß einleiten zu können und zu einem Urteil zu kommen. Der Bischof kann seine richterliche Befugnis persönlich ausüben oder an eine Kommission delegieren, die nicht unbedingt aus Juristen bestehen muß. Eine Kommission nach seinem Abbild, die natürlich seine pastoralen Anweisungen befolgen wird, wie dies bereits durch die „diözesanen Zentren des Zuhörens“ in Italien geschieht, denen bis heute jegliche rechtliche Grundlage fehlt. Die Kombination von Canon 1683 und Artikel 14 zu den Verfahrensregeln ist unter diesem Aspekt von explosiver Tragweite. Auf den Entscheidungen werden unweigerlich Überlegungen soziologischer Art lasten: die wiederverheirateten Geschiedenen werden, aus Gründen der „Barmherzigkeit“, eine bevorzugte Behandlung erhalten. „Die Kirche der Barmherzigkeit hat sich in Bewegung gesetzt“, so Giulano Ferrara in Il Foglio vom 9. September 2015. Sie bewegt sich nicht auf dem Verwaltungsweg, dafür aber auf dem „Gerichtsweg“, auf dem vom Recht wenig übrigbleibt. In einigen Diözesen werden die Bischöfe versuchen, die Ernsthaftigkeit des Verfahrens sicherzustellen. Man kann sich aber leicht vorstellen, daß in vielen anderen Diözesen, zum Beispiel in Mitteleuropa, die Nichtigkeitserklärungen zur reinen Formalität werden. 1993 produzierten Oskar Saier, Erzbischof von Freiburg im Breisgau, Karl Lehmann, Bischof von Mainz, und Walter Kasper, Bischof von Rottenburg-Stuttgart, ein Dokument zugunsten jener, die laut ihrem Gewissen von der Nichtigkeit ihrer Ehe überzeugt waren, aber nicht die Elemente hatten, dies vor Gericht zu beweisen (Hirtenbrief der Oberrheinischen Bischöfe zur seelsorglichen Begleitung von Menschen aus zerbrochenen Ehen, Geschiedenen und Wiederverheirateten Geschiedenen).
„Subjektive Gewissensüberzeugung“ genügt, um Ehe für nichtig zu halten?
Die Glaubenskongregation antwortete mit dem Schreiben Annus Internationalis Familiae vom 14. September 1994, mit dem sie klarstellte, daß dieser Weg nicht möglich war, weil die Ehe eine öffentliche Realität ist: „Diesen wichtigen Aspekt nicht zu beachten, würde bedeuten, die Ehe faktisch als Wirklichkeit der Kirche, das heißt als Sakrament, zu leugnen“ (Nr. 8). Dennoch wurde jüngst vom Pastoralamt des Erzbistums Freiburg der Vorschlag wieder aufgegriffen (Handreichung für die Seelsorge zur Begleitung von Menschen in Trennung, Scheidung und nach ziviler Wiederverheiratung in der Erzdiözese Freiburg), laut dem die wiederverheirateten Geschiedenen aufgrund einer „Gewissensnichtigkeit“ („subjektive Gewissensüberzeugung“) der vorherigen Ehe die Sakramente empfangen und Aufgaben in den Pfarrgemeinderäten übernehmen könnten.
Der favor matrimonii wird durch den favor nullitatis ersetzt, der zum primären Rechtselement wird, während die Unauflöslichkeit zu einem „nicht praktikablen Ideal“ reduziert wird. Die theoretische Bekräftigung der Unauflöslichkeit der Ehe wird in der Praxis vom Anspruch auf ein Recht begleitet, jedes gescheiterte Eheband für nichtig zu erklären. Es genüge, nach eigenem Gewissen, die eigene Ehe für ungültig zu halten, um deren Nichtigkeit durch die Kirche anerkennen zu lassen. Es ist derselbe Grundsatz, laut dem einige Theologen eine Ehe für „tot“ halten, in der laut Aussage beider oder auch nur eines Ehepartners, „die Liebe tot ist“. „Schlechtes Geld verdrängt das gute Geld“
Benedikt XVI. warnte am 29. Januar 2010 das Gericht der Sacra Rota Romana bei der Annullierung der Ehen vor einer nachgiebigen Haltung, „gegenüber den Wünschen und Erwartungen der Parteien oder den Einflüssen des sozialen Umfeldes“. Doch in den meisten Diözesen Mitteleuropas wird die Nichtigkeitserklärung zu einer reinen Formalität, wie es in den USA während der Provisional Norms der Fall war. Aufgrund des bekannten Gesetzes, laut dem „schlechtes Geld das gute Geld verdrängt“, wird im Chaos, das verursacht wird, die „schnelle Scheidung“ gegenüber der unauflöslichen Ehe überwiegen.
Seit mehr als einem Jahr ist die Rede von einem latenten Schisma in der Kirche, jetzt aber sagt es Kardinal Gerhard Müller, der Präfekt der Glaubenskongregation, der in seiner Rede in Regensburg die Gefahr einer Kirchenspaltung beschwor und dazu aufforderte, sehr wachsam zu sein und nicht die Lektion des protestantischen Schismas zu vergessen, das Europa vor fünf Jahrhunderten in Brand steckte.
Im Vorfeld der im Oktober stattfindenden Synode über die Familie löscht die Reform von Papst Franziskus keinen Brand, sondern entfacht ihn und ebnet den Weg zu anderen katastrophalen Neuerungen. Schweigen ist nicht mehr möglich.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Schriftleiter der Monatszeitschrift Radici Cristiane und der Online-Nachrichtenagentur Corrispondenza Romana, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt erschienen: Vicario di Cristo. Il primato di Pietro tra normalità ed eccezione (Stellvertreter Christi. Der Primat des Petrus zwischen Normalität und Ausnahme), Verona 2013; in deutscher Übersetzung zuletzt: Das Zweite Vatikanische Konzil – eine bislang ungeschriebene Geschichte, Ruppichteroth 2011. Die Zwischentitel stammen von der Redaktion. Übersetzung: Giuseppe Nardi Bild: Corrispondenza Roman http://www.katholisches.info/2015/09/10/...unde-zugefuegt/
Beliebteste Blog-Artikel:
|