Flüchtlinge schützen – den gesellschaftlichen Zusammenhalt bewahren
Erklärung des Abschlussforums des überdiözesanen Gesprächsprozesses zur Flüchtlingskrise Von Redaktion
Würzburg, 12. September 2015 (DBK PM)
An diesem Wochenende, am 11.-12. September 2015, haben sich mehr als 300 Vertreterinnen und Vertreter des kirchlichen Lebens in Deutschland zum abschließenden Forum des fünfjährigen überdiözesanen Gesprächsprozesses versammelt und weitreichende Perspektiven für das Leben der katholischen Kirche in unserem Land beraten. Als Bischöfe, Delegierte der Diözesen, der Orden, des Deutschen Caritasverbandes und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), der Verbände und geistlichen Gemeinschaften und der katholisch-theologischen Fakultäten können wir aber gar nicht anders, als unseren Blick in diesen Tagen auch auf die dramatischen Flüchtlingsbewegungen zu richten, die eine große Herausforderung für Europa und Deutschland und somit auch für die Kirchen geworden sind.
Wir sind allen Menschen in diesem Land, den vielen Engagierten in der Gesellschaft und in allen Bereichen der Politik und der staatlichen Verwaltungen, dankbar für die überwältigende Hilfsbereitschaft, die den Flüchtlingen in diesen Wochen und Monaten entgegengebracht wird. Mit Freude dürfen wir auch feststellen, in welchem Maße die professionellen Caritas-Einrichtungen und die Ordensgemeinschaften ebenso wie unzählige ehrenamtlich Tätige in Pfarrgemeinden und kirchlichen Gruppen denen zur Hilfe eilen, die vor Kriegen und Bürgerkriegen, religiöser und politischer Verfolgung geflohen sind.
Es spricht für unseren Staat und unsere Gesellschaft, dass Menschen in Not bei uns Zuflucht suchen. Für sie ist ein Land attraktiv, das dem Recht verpflichtet ist, und eine Bevölkerung, die von Werten geprägt ist, die sich in vielerlei Hinsicht dem Christentum verdanken: die Unantastbarkeit der Würde eines jeden Menschen, die Solidarität mit den Notleidenden, die Liebe zum Nächsten ungeachtet von dessen Herkunft. Wir sind stolz, auf den Fundamenten eines „christlichen Europa“ zu stehen, das nicht Ausgrenzung meint, sondern Humanität und Zuwendung zu den Bedürftigen.
Wir blicken realistisch auf die Situation und die Probleme. Wir wissen, dass unserer Gesellschaft Bewährungsproben noch bevorstehen. Wir wissen, dass die enorme Zahl der Flüchtlinge, deren Zustrom nach Deutschland und Europa noch lange nicht an ein Ende gekommen ist, mit Belastungen der einheimischen Bevölkerung verbunden ist. Wir wissen, dass die derzeitigen Flüchtlingsbewegungen auch viele zu uns führen, die verständlicherweise der heimischen Armut entkommen wollen, aber wenig Aussicht haben, auf längere Frist in Deutschland bleiben zu dürfen.
Wir ermutigen Staat und Gesellschaft und somit auch die vielen, die in den Kirchen aktiv sind, zu einer auf lange Frist ausgerichteten Kultur der Gastfreundschaft und der Integration. Dies erfordert Klugheit und Umsicht, damit die Bereitschaft der Bevölkerung sich der Flüchtlinge anzunehmen, keinen Schaden nimmt und rechtsextremistische Bewegungen keinen Zulauf finden. Wir ermutigen die politisch Verantwortlichen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Flüchtlinge, die zu uns gekommen sind und noch kommen werden, angemessen untergebracht und versorgt werden können und – auch im Falle eines vorübergehenden Aufenthalts – verträgliche Perspektiven für ihr Leben in Deutschland erhalten.
Dabei ist stets darauf zu achten, dass die berechtigten Interessen vor allem der in unserer Gesellschaft weniger gut Gestellten mit berücksichtigt werden. Das betrifft Arbeitsplätze, Zugang zu bezahlbaren Wohnungen, verträgliche Wohnumfelder, aber auch Fragen der Sicherheit und der Zusammensetzung von Schulklassen.
Hass und Gewalt gegen Flüchtlinge treten wir entschieden entgegen. Dies ist eine gemeinsame Aufgabe der staatlichen Organe und der ganzen bürgerschaftlichen Gesellschaft. Gerade Politikerinnen und Politiker sollten in ihren Reden eine große Umsicht an den Tag legen, um nicht unwillentlich Vorbehalte und Ressentiments in Teilen der Gesellschaft Vorschub zu leisten.
Wir bitten unsere Kirchengemeinden und alle, die zu uns gehören, das ihnen Mögliche zu tun, um Flüchtlingen zu helfen und die Bereitschaft unserer Gesellschaft zum humanitären Engagement zu bewahren und zu stärken. Papst Franziskus hat uns alle mit berührenden und eindringlichen Worten aufgerufen, den Flüchtlingen als unseren Nächsten beizustehen. Diesem Appell wissen wir uns als Kirche in Deutschland verpflichtet. Derzeit muss das Augenmerk besonders auf die Bereitstellung von Wohnraum gelegt werden.
In der derzeitigen Lage steht der europäische Zusammenhalt auf dem Prüfstand. Die Europäische Union muss sich als Werte- und Solidargemeinschaft bewähren, will sie nicht einschneidend an Zustimmung in den Völkern verlieren. Die Verantwortung für die gegenwärtige Krise liegt dabei nicht zunächst bei der Europäischen Kommission, sondern bei kurzsichtiger Politik in manchen Mitgliedsstaaten. „Jeder ist sich selbst der Nächste“ ist kein Motto, auf dem Europa aufgebaut werden kann. Solidarität und geteilte Verantwortung sind Bausteine der gemeinsamen Zukunft.
Flüchtlingsbewegungen in einem Ausmaß, wie wir es derzeit erleben, können nur vermieden werden, wenn eine gerechtere Welt entsteht, in der alle Menschen wenigstens das Nötigste zum Leben haben und vor unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben geschützt sind. Der politische Wille muss gestärkt werden, die miserablen Lebensbedingungen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge – Gewalt und fehlende Lebensperspektiven – durchgreifend zu verbessern. Als Christen, die an die gleiche Würde aller glauben und sich dem Projekt der einen
Menschheitsfamilie verpflichtet wissen, sollten wir immer mehr zu Tempomachern der Einen – friedlichen und gerechten – Welt werden.
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