14.09.2015 15:00 Es rumort im Vatikan
Kritik an Inhalt und Verfahren der von Papst Franziskus verfügten Änderung der Eheannullierung. Von Guido Horst ANZEIGE: Muss sich der Papst vor der Familiensynode warm anziehen? Römische Beobachter berichten von ernsthaften Verstimmungen in der Kurie. Foto: dpa vergrößern Rom (DT) Es gibt keine Anti-Franziskus-Dossiers im Vatikan und erst recht keine Rebellion gegen den Papst, nachdem dieser in der vergangenen Woche mit dem Motu proprio „Mitis Iudex Dominus“ und einem ähnlich formulierten Schreiben für die Ostkirchen die Verfahren zur Eheannullierung reformiert hat. Aber es kreisen Papiere und E-mails, was nicht zuletzt daran liegt, dass die beiden Erlasse bisher nur auf Latein und Italienisch vorliegen und auch die Amerikaner, Spanier oder Polen in ihrer Landessprache lesen möchten, was denn nun Kern der Reform ist.
Den hat Franziskus in seinem Motu proprio selber genannt: Kirchliche Ehenichtigkeitsprozesse seien zu beschleunigen, die Betroffenen sollen schneller erfahren, ob ihre erste Ehe in der Kirche überhaupt gültig geschlossen wurde. Dieses Anliegen findet allgemeine Zustimmung und fand sie schon auf der Familiensynode des vergangenen Jahres. Die Kritik geht in eine andere Richtung – auch außerhalb des Vatikans.
So hat der streitbare, aber einflussreiche Journalist Antonio Socci seinen Artikel zum Annullierungs-Motu proprio mit der Überschrift versehen: „Nach zweitausend Jahren wird in der Kirche die Scheidung auferlegt – Und das Schisma steht vor der Tür“. Es folgt eine ausführliche inhaltliche Analyse, die aber von zwei Verfahrensfragen absieht, die wiederum im Vatikan für Erstaunen gesorgt haben: Zum einen waren die Verfahren zur Ehenichtigkeit Gegenstand der außerordentlichen Synode 2014. Es wurde über den Wegfall des Urteils in zweiter Instanz gesprochen, über Annullierungen auf dem Verwaltungsweg durch den Bischof, auch über Schnellverfahren bei evidenten Fällen. Jetzt im kommenden Oktober stehen die Ehenichtigkeitsprozesse wieder auf der Tagesordnung – aber Franziskus hat die Angelegenheit schon entschieden. Eine vom Papst selbst gewünschte Aufwertung synodaler Entscheidungsstrukturen in der Kirche ist das jedenfalls nicht.
Zum anderen hat der Papst seine Reform der Eheannullierungen an allen Instanzen vorbei durchgesetzt. Die beiden Dekrete wurden vergangene Woche von der Kommission vorgestellt, die diese auch erarbeitet hatte. Da saßen der Präsident des Rates für die Gesetzestexte, der Dekan der Rota Romana, ein Ostkirchen-Exarch, der Sekretär der Glaubenskongregation sowie Monsignore Alejandro Bunge von der Rota Romana und Pater Nikolaus Schöch OFM von der Apostolischen Signatur. Sie waren aber alle „ad personam“ in die Kommission berufen worden und zum Schweigen verpflichtet – auch in ihrem eigenen Dikasterium. Kardinal Francesco Coccopalmerio, Präsident der Rota Romana, wies bei der Präsentation ausdrücklich darauf hin, dass er hier nicht als Leiter seines Rats, sondern nur als Mitglied der Kommission sitze.
Bei Gesetzgebungsverfahren ist es vorgesehen und üblich, dass alle betroffenen Vatikanbehörden, wie in der Regel die Glaubenskongregation, der Rat für die Gesetzestexte und die Vatikangerichte die entsprechenden Dokumente zur Prüfung erhalten. In diesem Fall hätte auch die Ostkirchen-Kongregation einbezogen werden müssen, da das zweite Motu proprio in ihren Zuständigkeitsbereich fiel. Auch werden bei Dekreten dieser Art die Bischofskonferenzen, die Fakultäten für Kirchenrecht und einzelne ausgewiesene Fachleute befragt. Bei der Reform der Ehenichtigkeitsverfahren hat das alles nicht stattgefunden. Der Vatikan wachte am Mittwoch auf und erfuhr von dem Rechtsakt des Papstes aus der Zeitung.
Zurück zu der Kritik am Inhalt der beiden Erlasse, wie sie der Journalist Socci zusammengefasst hat. Grundsätzlich stellen die von ihm zitierten Kirchenrechtler und Gelehrten einen Paradigmenwechsel fest. War es bisher die Aufgabe der Kirchengerichte in Eheangelegenheiten, das Eheband zu verteidigen, erweckt die Reform den Eindruck, als gehe es Papst Franziskus darum, möglichst vielen die Eheannullierung zu ermöglichen. Im kirchlichen Gesetzbuch heißt es jetzt – nach der vom Motu proprio verfügten Änderung des einschlägigen Paragrafen –, dass der Kirchenrichter sich vor dem Verfahren davon überzeugen muss, dass die betreffende Ehe endgültig gescheitert sei. Im ursprünglichen Paragrafen des Kirchenrechts hieß es darüber hinaus, dass der Richter zunächst aber alle pastoralen Möglichkeiten ausschöpfen solle, um die Eheleute zu einem Einlenken zu bewegen. Dieser Passus fehlt jetzt. Entscheidend ist diese Abschwächung nicht, aber sie gibt den Ton vor.
Für entscheidend halten Kritiker der neuen Richtlinien zur Eheannullierung die Einführung der Schnellverfahren. Es wird gefragt, ob jetzt, nach dem Wegfall des Urteils in zweiter Instanz, die Bedingungen geschaffen sind, den Prozess mit seinem einzigen Verfahren wirklich gründlich und mit der nötigen Zeit abzuschließen. Ebenso wird gefragt, ob der mit vielfachen anderen Leitungsaufgaben betraute Ortsbischof als oberster Richter seiner Diözese tatsächlich in der Lage ist, die Verfahren von kurzer Dauer besser zu führen als die kirchenrechtlich ausgebildeten und prozesserfahrenen Kirchenrichter der Diözese. Aber bei den Schnellverfahren an sich, die laut der Reform für evidente Fälle vorgesehen sind, sind die Kritiker dann doch deutlicher: Hier sei der Schritt zu einer „katholischen Scheidung“ nicht mehr weit. Es müsste sich ein Ehepaar nur darin einig sein, ihre Ehe beenden zu wollen, dann könnten sie sich bei dem abgekürzten Verfahren mit gleichlautenden Aussagen innerhalb von 45 Tagen ihre Annullierung holen. Das Verfahren selbst dauere nur dreißig Tage, die Verhandlung gehe an einem Tag über die Bühne. Da sei es nicht mehr möglich, der Frage nach der Gültigkeit der Eheschließung ausreichend zu vertiefen.
Bei den Umständen, die die Kirchengerichte veranlassen können, eine Eheannullierung im Schnellverfahren herbeizuführen, führt der Artikel 14 der dem Motu proprio angefügten Prozess-Regel auch den Mangel an Glauben auf. Die Diskussion darüber, ob die Ablehnung Gottes und das Fehlen des Glaubens die Gültigkeit eines Eheschlusses beeinträchtigen können, hat niemand Geringeres als Benedikt XVI. eröffnet. Aber die Frage ist noch lange nicht geklärt. Bisher reicht es den Kirchenrichtern, dass ein Brautpaar bei der kirchlichen Eheschließung das eingehen will, was die Kirche unter dem Ehebund versteht, und die Formpflicht einhält. Den Glauben zu messen, um die Gültigkeit der Ehe bewerten zu können, war auch für Papst Benedikt eine Frage, die noch zu vertiefen ist. Im Regelwerk zu einer Verfahrensänderung bei Annullierungsprozessen hat sie Papst Franziskus jetzt anscheinend geklärt. Aber die Diskussion darüber unter Kanonisten und Kirchenrechtlern, die steht ihm noch ins Haus. http://www.die-tagespost.de/Es-rumort-im...n;art456,163624
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