Überlegungen zur Bischofssynode Berufung und Sendung der Familie
Unter dem Titel "Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt" beginnt am 4. Oktober die Familiensynode im Vatikan. Im Rahmen der "Themenwoche Familie" des Katholischen Medienverbandes lesen Sie hier Überlegungen von Monsignore Wolfgang Sauer zum Thema.
Kocht in puncto Familie jeder sein eigenes Süppchen? (Bild: imago)
München – Eigentlich mehr, als man es im Blick auf die schwindende Reputation der Kirche hierzulande erwarten möchte, bewegt die kommende Bischofssynode viele Menschen, begleitet von einem erkennbaren medialen Interesse. Dabei ist oft ein reduzierter Pragmatismus zu erkennen, der mit bisweilen obsessivem Impetus die sattsam bekannten Konfliktfelder in den Blick nimmt. Es hat den Anschein, dass das bevorstehende römische Ereignis zum Katalysator wird für sämtliche ungelösten und anstößigen Fragen, die seit Jahren und Jahrzehnten die innerkirchliche und säkulare Agenda bestimmen: beispielhaft genannt seien die Bewertung von erneut eingegangenen Partnerschaften, die einer gescheiterten Beziehung folgen, die Frage nach Lebensgemeinschaften, die sich aus dem klassischen Verständnis von Ehe emanzipiert haben. Und in diesen stets spannenden und existentiellen Belangen natürlich die Frage nach Sexualität, Weitergabe des Lebens, Wertschätzung der Frau in ihrer Identität und ihrer Gleichberechtigung sowie – das darf im Katalog der lnfragestellung kirchlicher Praxis nicht fehlen: Zölibat und Umgang mit Priestern, die ihre Berufsentscheidung aus Liebe zu einer Frau revidiert haben.
Herausfordernde Themenfelder
All dies sind zweifellos herausfordernde Themenfelder, denen sich die Kirche um ihrer eigenen Glaubwürdigkeit willen nicht verschließen darf. Mehr als dogmatische Fragestellungen, die vielleicht (oder leider) schon niemanden mehr wirklich interessieren, sind es die so genannten Realitäten des menschlichen Lebens, die zum kompromisslosen Prüfstein der Glaubwürdigkeit der Kirche erhoben werden. Bisweilen hat man den Eindruck, dass sich jene bereits längst positioniert haben, die nach der Bischofssynode erklären werden, dass aus dem konservativen Konglomerat von Prälaten und einigen vermeintlichen Feigenblatt-Laien ja eh nichts Zielführendes herauskommen konnte. Es ist schwerlich zu verkennen, dass sich dabei auch quasi-pubertäre Absatzbewegungen, weg von kirchlicher Autorität, abzeichnen, die dem Trugschluss unterliegen, Kirche sei eine autoritäre Erziehungsanstalt und gouvernantenhafte Moralwächterin. Das betroffene „Leiden an Kirche“ trägt narzisstische Züge. Der Fairness halber muss eingeräumt und festgestellt werden, dass die Pastoral vergangener Jahre und Jahrzehnte nicht unschuldig ist an den Rechnungen, die heute beglichen werden. Die verführerische Versuchung der Macht über die Herzen und der sittlichen Disziplinierung des Gottesvolkes ist stets eine latente Begleiterscheinung von Religion und religiösen Systemen.
Paradigmenwechsel angedeutet
Wer nunmehr – im Gefolge der irreversiblen Aufklärung – sein vorgeschriebenes Ärgernis nehmen will, wird es nehmen. Religionssoziologische Untersuchungen belegen, dass auch charismatische Persönlichkeiten, wie der jetzige Papst sie zweifellos repräsentiert, keinen nachhaltigen Schub neuer Akzeptanz auslösen werden. Vor diesem Hintergrund könnte sich nahelegen, ausführlicher über den Titel nachzudenken, unter dem das Unternehmen Synode starten wird. Es wird nicht vom „Sinn und Zweck“ der Familie gesprochen, sondern – in hochtheologischer Begrifflichkeit! – von ihrer „Berufung und Sendung“. Damit wird ein Paradigmenwechsel angedeutet: weg von einer kasuistischen Engführung in der Bewertung einzelner Lebenssituationen, die je nachdem das Fleißbildchen oder die rote Karte zu sehen bekommen, hin zu einer urchristlichen Perspektive und Vision von der Freiheit des Menschen, von seiner sozialen Verantwortung und von der Rechenschaft über die Hoffnungsgestalt dessen, was Kirche unter dem Ideal von Ehe und Familie bezeugen will. Nicht in sektiererischer Rechthaberei, sondern in einem gewissermaßen befreiungstheologischen Ansatz, der auf der Sehnsucht des Menschen nach Begehren und Begehrtwerden, – nach Liebe und – letztlich wohl – Unsterblichkeit aufruht: letztgenannte Unsterblichkeit nicht im trivialen Sinn biologischer Fortpflanzung verstanden, sondern als ursprüngliches Verlangen nach einer Kreativität, die auch vom Tod nicht vernichtet wird. Es geht also darum, die Frohbotschaft, das „Evangelium“ der Familie zu bezeugen, und zwar nicht in einem mühevoll reaktivierten Idyll, sondern als einen Lebens- und Überlebens- prinzip der Menschheit.
Für Christen gibt es nur eine Berufung
Noch einmal: nicht der fortwährend weitergezeugte Bestand der menschlichen Rasse ist der Fokus, sondern das gemeinschaftliche Miteinander in einem jenseits aller kulturellen Traditionen und Weltanschauungen grundgelegten Respekt vor allem, was ein menschliches Antlitz trägt und Mensch ist. Wenn Christen mit dieser „Verheißung Familie“ auf den Plan treten, dann bieten sie damit auch eine Befreiung von allen Formen des Egoismus an, der lediglich die eigene Selbstverwirklichung sieht und von einer interpersonalen Verantwortung nichts begriffen hat. Ist es hergeholt, wenn man behaupten würde, dass eine Gesellschaft und auch eine Weltgemeinschaft in dem Maße gesund und zukunftsfähig sind, wie sie die Basis- werte des Teilens, des gegenseitigen Respekts, der Versöhnungsbereitschaft und des Kompromisses in jener ursprünglichen und ersten Schule der Familie exemplarisch einüben lassen und fördern? Wer dieses Argument mit dem Verweis auf das massenhafte Scheitern des besagten Lebensentwurfes kontert, verkennt die nicht nur statistisch belegte Realität, dass selbst Menschen, die aus völlig zerstörten familiären Situationen herausgewachsen sind, eine fast unbesiegbare Hoffnung in sich tragen, im eigenen Lebensvollzug all das besser zu machen, was als schweres Erbe der eigenen Biographie auf der Seele lastet. Von der „Berufung“ der Familie zu sprechen, zwingt freilich der Wahrhaftigkeit wegen zur Ehrlichkeit im Umgang mit diesem Begriff. Für Christen gibt es nur eine Berufung: die in der Taufe überantwortete Zeugenschaft für ein Leben in Wahrhaftigkeit und Liebe.
Das familiäre Leben ist eine herausragende Verwirklichungsform dieser Ur-Berufung. Es gibt jedoch keine separate Berufung zur Familie. Alle noch so emphatisch vorgetragenen Liebesbezeugungen, man sei zur Partnerschaft mit diesem und nur mit diesem Menschen „berufen“, ja „von Gott von Ewigkeit füreinander bestimmt“, sind zwar aus mitmenschlichem Respekt zu achten, unterliegen jedoch einem theologischen Denkfehler und tragen zu einer auf Dauer intendierten Existenzform familiärer Partnerschaft kaum etwas bei. In ihrer prädestinatorischen Überhöhung können sie sogar zum Sprengsatz werden, wenn der so genannte Alltag eine Beziehung einholt und die heißen Liebesschwüre nur noch Vergangenheit sind. Christlicher Realismus beteiligt sich nicht an solchen unerfüllbaren und letztlich unmenschlichen Idealvorstellungen. Im „Schauplatz Familie“ ist das Prinzip christlich motivierter Barmherzigkeit ein Wesenselement des Gelingens. Dass in einer Partnerschaft „der eine für den anderen ein Stück menschgewordenen Mitleids Gottes“ sei, ist eine ungewöhnliche und provozierende Aussage, aber vielleicht nicht die falscheste Orientierung im Kompass der Liebe. Es trägt („let’s talk about sex!“) zweifellos befreiende Züge, wenn sich die kirchliche Lehre von Ehe und Familie weiterentwickelt und von den rein reproduktiven Zweckbestimmungen menschlicher Sexualität losgesagt hat. Intime sexuelle Gemeinschaft, verbunden mit allen sinnlichen Erfahrungen von Faszination und Ekstase, ist ein Wert in sich und ein durch nichts zu ersetzendes Medium dauerhafter Gemeinschaft.
Familie als Prinzip des Ausgleichs und der Gerechtigkeit
Anderseits muss man sich nicht in die Ecke ahnungsloser Prüderie stellen lassen, wenn man darauf hinweist, dass auch die sensationellste sexuelle Erfahrung nicht jenen andauernden existentiellen Hunger nach Geborgenheit und Zugehörigkeit stillen kann, der als ruheloser Ausgangspunkt jeder Intimität konstatiert werten darf. Alle menschliche Sinn- und Selbstwerterfahrung dem Körper mit seinen hormonellen Reaktionen und libidinösen Prozessen aufzulasten, wird auf Dauer nicht tragen, wenn nicht andere Bindungskräfte dazu kommen, die ihre Wurzeln ausdrücklich nicht in den genetischen Programmierungen der Fortpflanzung und der Triebbefriedigung haben. Dieses und ähnliches in selbstbewusster und – wenn es angezeigt ist – auch humorvoller Weise zu bezeugen, könnte die „Sendung“ der Familie sein. Wenn – vielleicht überraschend – vom „Humor“ die Rede ist, dann ist im Grunde damit eine realistische Demut gemeint, die es gelernt hat, mit den eigenen Grenzen gelassen und ehrlich umzugehen. Niemand ist der perfekte Partner oder die perfekte Partnerin – und das muss auch gar nicht sein. Wechselseitige Enttäuschungen sind nahezu unausweichlich. Aber wie bei einer Zielscheibe muss man wenigstens den „Zwölfer“ in den Blick nehmen, auch wenn es anschließend nur ein „Achter“ oder noch weniger wird. Auch das ehrliche Bemühen um den jeweiligen Neuanfang, der scheinbar alle Kräfte übersteigende Kampf um die Rettung von Beziehungen, sind ein Teil dieser „Sendung“: sind gewissermaßen das „mission statement“ der Lebensform Familie. Nicht der vorgetäuschte Perfektionismus, sondern die täglich neu entdeckte Glaubwürdigkeit in Partnerschaft und Familie bieten einer in sich zerrissenen Menschheit die notwendigen Heilkräfte an, wenn es um wirkliches „Leben“ geht und nicht nur um das biologische „Überleben“. Es ist der Synode zu wünschen, dass es gelingt, jenseits von allen moralisierenden Bekundungen und kasuistischen Festlegungen etwas von jener ursprünglichen befreienden Kraft herauszuschälen und in Erinnerung zu rufen, die von dem humanisierenden Kulturgut Familie ausgeht. Aus den archaischen Zwängen, in denen Polygamie und (das Individuum kaum berücksichtigende) Sippenverbände das Überleben garantieren mussten, hat sich in faszinierender Evolution ein Modell des Zusammenlebens entwickelt, in dem das partnerschaftliche Miteinander von Frau und Mann eine von letztlich inhumanen Zwängen befreite Spielart von Liebe und Verantwortung werden konnte. Hinter dieses „Weltkulturerbe der Menschheit“ zurückzufallen und ohne Not dem Zeitgeist entspringende konkurrierende Alternativen zu favorisieren, könnte ungewollt Auswirkungen auf andere soziale Errungenschaften haben, ohne die ein überleben der Menschheit in Frieden und ohne kriegerische Prozesse des Überlebenskampfes und der Arterhaltung kaum denkbar ist. „Familie“ ist kein romantisches Auslaufmodell für Ewiggestrige, sondern ein bewährtes Prinzip des Ausgleichs, der Gerechtigkeit und der humanen Zukunft.
Womöglich wird dies irgendwann die schmerzliche Entdeckung derer, die meinten, darauf verzichten zu können. Der solches behauptet, ist ein zölibatärer Priester. Wie kann er – möchte man fragen – sich erdreisten, in Fragestellungen mitzureden, in denen er (wenn man ihn in seiner Entscheidung ernst nehmen darf) doch gar keine Erfahrung haben kann? Er nimmt sich das Recht wie viele andere, die den gesellschaftlichen Diskurs zum Thema Familie mitbestimmen wollen, ohne sich wirklich je „familiär“ bewährt zu haben. Er nimmt sich das Recht eines Menschen, der nicht weniger als andere eine Sehnsucht nach Geborgenheit und liebender Intimität in sich trägt, und seine freie Entscheidung zu einem enthaltsamen und ehelosen Leben nicht aus der Motivation eines auf eigene Unabhängigkeit bedachten Singles heraus getroffen hat. Er nimmt sich das Recht aus unzähligen persönlichen Begegnungen in der Seelsorge, die ihm zwar keine unmittelbar-existentielle Erfahrung eröffnet haben, wohl aber einen authentischen Schatz von Wahrnehmung und Wissen um die Sehnsucht des Menschen, die sich manchmal wie aus heiterem Himmel in ein Drama verwandeln kann, und dann gerade nicht durch raffinierte Praktiken und so genannte „Ratschläge“ gerettet wird. Dies gilt für alle eingangs genannten „Reizthemen“, sozusagen „von Abtreibung bis Zölibat“.
Die berufliche Diskretion verbietet es, hier ins Detail zu gehen. Aber wer die hoffnungsfrohe Zuversicht eines verliebten jungen Paares ebenso kennt wie die Tränen, die von gescheiterten Beziehungen und persönlicher Schuld erzählen, der darf nicht müde werden, sich dafür einzusetzen, dass alle Beteiligten alles dafür geben, dass barmherzige Treue Bestand hat und Versöhnung immer neu gelingt. Dies ist dann seine „Berufung“ und „Sendung“. (Wolfgang Sauer) http://www.muenchner-kirchennachrichten....er-familie.html
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