Das Interview 10/2015
Die große Mehrheit durchschaut die Lüge
Benedikt XVI. sprach von einer „anthroplogischen Revolution“, Franziskus nennt es „dämonisch“. Dennoch ist Gender-Mainstreaming auf dem Vormarsch – zumindest in Politik, Hochschule und Verwaltung. Warum ist das so? Fragen an den Sozialethiker Manfred Spieker von Guido Horst Sie schreiben in Ihrem jüngsten Buch „Gender-Mainstreaming in Deutschland. Konsequenzen für Staat, Gesellschaft und Kirchen“, dass die Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen in Peking 1995 die Strategie Gender-Mainstreaming „geboren“ hat. Was war das Ziel der dafür Verantwortlichen?
Gender-Mainstreaming ist das Dach über einem Bündel letztlich unvereinbarer Ziele. Die einen verstehen darunter etwas naiv die Gleichberechtigung der Geschlechter, die anderen die Dekonstruktion des Geschlechts schlechthin. Während die Gleichberechtigung der Geschlechter nicht nur ein Verfassungsgebot, sondern auch ein Gebot des christlichen Glaubens ist, verbirgt sich hinter der Absicht, die geschlechtliche Identität des Menschen zu dekonstruieren und dem subjektiven Willen anheim zu stellen, ein Angriff auf die menschliche Natur und die Geschlechterdualität. Die Gender-Lobby auf der Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking zielte mit ihrer Aktionsplattform auf die „Machtgleichstellung der Frau“. Sie hatte also ein politisches Ziel.
Könnten Sie kurz zusammenfassen: Was will Gender-Mainstreaming bewirken oder erreichen?
Gender-Mainstreaming will uns belehren, dass die weibliche und die männliche Natur des Menschen weniger eine Vorgabe der Natur als vielmehr gesellschaftliche und kulturelle Konstruktionen seien, die jederzeit dekonstruiert werden könnten. Das soll dann auch für die Familie gelten. Mittels der „Sexualpädagogik der Vielfalt“ soll erreicht werden, alle Formen der Sexualität und alle Formen der Familie als gleichrangig anzuerkennen. Die sexuelle Identität soll nicht naturgegeben, sondern Resultat einer subjektiven Willensentscheidung sein. Hier nimmt das Gender-Mainstreaming die Gestalt einer letztlich leibfeindlichen gnostischen Häresie an.
Bleiben wir noch bei der Zeit vor zwanzig Jahre. Jüngere Menschen standen damals noch ganz klar unter dem Eindruck der Geschlechterpolarität. Das „Spiel“ zwischen Jungen und Mädchen, zwischen Teenagern unterschiedlichen Geschlechts war doch der Reiz, die „Musik“ in der Freizeit- und Jugendkultur. Für ältere Menschen galt das erst recht. Sie waren noch ganz unter dem Eindruck aufgewachsen, dass der Hansl seine Gretl sucht und umgekehrt. Wie erklären Sie sich da den schnellen Erfolg von Gender-Mainstreaming?
Dass der Hansl seine Gretl sucht und umgekehrt und Teenager unterschiedlichen Geschlechts im spielerischen Hin und Her von Distanz und Nähe einander kennenlernen, dürfte auch vor zwanzig Jahren schon überholt gewesen sein. Das gilt wohl eher für die Zeit vor fünfzig Jahren, als es noch kaum Koedukation, wenig Fernsehen und keine Sexualkunde gab. Nicht dass Koedukation, Fernsehen und Sexualkunde alles zum Schlechten verändert hätten. Verantwortlich genutzt beziehungsweise unterrichtet, können sie auch zu einem unverkrampften, natürlichen Umgang der Geschlechter beitragen. Ob dem Gender-Mainstreaming ein schneller Erfolg beschieden ist, wage ich zu bezweifeln. Einen schnellen Erfolg verzeichnet es zweifellos, wenn es um Stellen in der Verwaltung und in Hochschulen geht. Solche Stellen für Gleichstellungsbeauftragte und Gender-Professuren sind in den letzten zehn Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen. Es gibt inzwischen weit mehr Professuren für Gender-Studies als für alte Sprachen. Aber die große Mehrzahl der Menschen lässt sich kein X für ein U vormachen. Sie weiß, dass die geschlechtliche Identität als Mann oder als Frau eine Vorgegebenheit des Schöpfers und der Natur ist und kein gesellschaftliches oder kulturelles Produkt. Das können auch Verwaltungsvorschriften nicht ändern, die vorschreiben, „Vater“ und „Mutter“ in standesamtlichen Dokumenten durch Elter 1 und Elter 2 oder Progenitor A und Progenitor B zu ersetzen.
Die Entwicklung ist in unterschiedlichen Erdteilen unterschiedlich verlaufen. Konzentrieren wir uns auf Deutschland. Was waren die Schritte zur Implementierung der Gender-Theorie in die politische Agenda in Bund, Ländern und Gemeinden?
Die politische Implementierung des Gender-Mainstreaming in Deutschland hat meines Erachtens vier Etappen. Erstens: Die Beschlüsse der Regierung Schröder/Fischer 1999 und 2000, per Geschäftsordnung der Bundesministerien das Gender-Mainstreaming zu fördern und dem Familien- beziehungsweise Frauenministerium eine herausragende Stellung in der Bundesregierung zwecks Kontrolle der Gesetzgebungsvorhaben zukommen zu lassen. Zweitens: Die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft 2001, der bis zur Regelung der Sukzessivadoption 2014 weitere Beschlüsse zur Anpassung der eingetragenen Lebenspartnerschaft an die Ehe von Mann und Frau folgten. Vom Bundesverfassungsgericht wurden diese Gesetze unter Missachtung von Artikel 6 des Grundgesetzes mehrfach unterstützt. Drittens: Die Krippenpolitik der Bundesregierung seit 2006, die der staatlichen Betreuung der Kleinkinder einen Vorrang vor der familiären Erziehung einräumt und deren theoretische Grundlage im wenig beachteten 7. Familienbericht der Bundesregierung nachzulesen ist: Das Modell der lebenslangen Ehe sei abgelöst worden durch das Zusammenleben wechselnder Partner, die „serielle Monogamie“, in der die Betreuung der Kleinkinder der Gesellschaft übertragen wird. Die vierte Etappe ist schließlich die „Sexualpädagogik der Vielfalt“, um die in verschiedenen Bundesländern zur Zeit heftig gestritten wird. Durch sie sollen die Kinder bereits im Kindergarten lernen, alle Formen sexueller Beziehungen und alle Familienformen als gleichrangig zu betrachten.
Und ein Wort zur Kirche in Deutschland: Was sagen die Bischöfe, was sagen die Laien, etwa das Zentralkomitee der deutschen Katholiken? Und was sagt die Evangelische Kirche in Deutschland?
Einzelne Bischöfe in Deutschland haben sich hellsichtig und mit deutlicher Kritik an dieser Verleugnung der Natur von Ehe und Familie zu Wort gemeldet: Voderholzer, Hanke, Algermissen und Renz. Ich hoffe, keinen vergessen zu haben. Das gilt im übrigen auch für die Schweiz (Huonder) und Österreich (Laun) und einige mitteleuropäische Bischofskonferenzen. Ein Wort der Deutschen Bischofskonferenz jedoch fehlt noch. Es wäre längst fällig. Das Zentralkomitee ist in dieser Frage leider durch eine Gruppe gendersensibler Theologinnen blockiert. Da ist keine Kritik am Gender-Mainstreaming zu erwarten. Im Gegenteil, mit den familienpolitischen Papieren von 2008 und 2015 hat es sich ganz dem Gender-Mainstreaming angepasst und in dem gerade zu Ende gegangenen Dialogprozess hat es auch noch die Forderung nach einer „geschlechtergerechten“ Kirche untergebracht. Das gilt noch mehr für die Evangelische Kirche in Deutschland. Ihre familienpolitische Orientierungshilfe „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“ und die Errichtung eines Studienzentrums für feministische und geschlechterbewusste Theologie 2013 üben sich gegen zum Teil heftigen Widerstand darin, das Gender-Mainstreaming in die evangelischen Landeskirchen zu implantieren.
Hat Rom bisher nur zugeschaut? Wie denken die Päpste, gibt es Äußerungen vatikanischer Dikasterien?
Rom hat keineswegs zugeschaut. Die Päpste Benedikt XVI. und Franziskus haben die anthropologische Revolution, die von der Gendertheorie intendiert wird, mehrfach deutlich kritisiert. Benedikt in seiner Weihnachtsansprache an das Kardinalskollegium 2012, aber auch schon in seiner Rede im Deutschen Bundestag am 22. September 2011 und bei der Eröffnung der Pastoralsynode der Diözese Rom zum Thema Familie 2005, Franziskus in mehreren Interviews und vor allem in Ziffer 155 seiner Enzyklika „Laudato si’“. Die heute so häufig beklagte Manipulation der Natur werde in der Gendertheorie, so Benedikt, zum Grundentscheid des Menschen im Umgang mit sich selbst. Der Päpstliche Rat für die Familie hat sich in dem von ihm herausgegebenen Familienlexikon 2003 mit dem Gender-Mainstreaming auseinandergesetzt und der Päpstliche Rat „Iustitia et Pax“ hat die Kritik 2004 im Kompendium der Soziallehre 2004 in Ziffer 224 auf den Punkt gebracht: „Gegenüber denjenigen Theorien, die die Geschlechteridentität lediglich als ein kulturelles oder soziales Produkt der Interaktion zwischen Gemeinschaft und Individuum betrachten, ohne die personale sexuelle Identität zu berücksichtigen oder die wahre Bedeutung der Sexualität in irgendeiner Weise in Betracht zu ziehen, wird die Kirche es nicht müde, ihre eigene Lehre immer wieder deutlich zu formulieren: Jeder Mensch, ob Mann oder Frau, muss seine Geschlechtlichkeit anerkennen und annehmen. …Die Harmonie des Paares und der Gesellschaft hängt zum Teil davon ab, wie Gegenseitigkeit, Bedürftigkeit und wechselseitige Hilfe von Mann und Frau gelebt werden.“ Dass die Päpste oder die zuständigen Päpstlichen Räte die Entwicklung verschlafen hätten, kann wirklich niemand behaupten.
Papst Benedikt sprach von einer „anthropologischen Revolution“, Papst Franziskus nannte die Gender-Theorie „dämonisch“. Findet derzeit in der Welt ein Generalangriff auf die traditionelle Gestalt von Ehe und Familie statt, wie sie nicht nur von der katholischen Kirche, sondern auch von anderen Religionen hochgehalten wird?
Gender-Mainstreaming ist ein Generalangriff auf Ehe und Familie. Benedikt XVI. und Franziskus haben das wiederholt deutlich ausgesprochen. Auch die interreligiöse Konferenz von zahlreichen Religionen und christlichen Konfessionen zu Ehe und Familie, die die Glaubenskongregation im November 2014 in Rom veranstaltet hat, sah das so. Benedikt XVI. hat daran erinnert, dass die Offenbarung in der Sprache der ehelichen Liebe geschieht und die Familie heiligt. Insofern ist das Gender-Mainstreaming ein Angriff auf die Schöpfungsordnung. In „Laudato si’“ schreibt Franziskus: „Das Akzeptieren des eigenen Körpers als Gabe Gottes ist notwendig, um die ganze Welt als Geschenk des himmlischen Vaters und als gemeinsames Haus zu empfangen und zu akzeptieren… Zu lernen, den eigenen Körper anzunehmen, ihn zu pflegen und seine vielschichtige Bedeutung zu respektieren, ist für eine wahrhafte Humanökologie wesentlich. Ebenso ist die Wertschätzung des eigenen Körpers in seiner Weiblichkeit oder Männlichkeit notwendig, um in der Begegnung mit dem anderen Geschlecht sich selbst zu erkennen.“
Das wäre ja mal ein Thema für eine römische Bischofssynode. Der Gag ist nur: Die findet ja gerade statt, genau zum Thema Ehe und Familie. Sind Sie vor dem Hintergrund des bisher Gesagten mit dem bisherigen Verlauf des synodalen Prozesses zufrieden?
Mit dem bisherigen Verlauf der Debatten um die Bischofssynode zu Ehe und Familie kann meines Erachtens niemand zufrieden sein. Die Diskussion um die Zulassung der wiederverheirateten Geschiedenen zur Kommunion, die längst entschieden ist, wie Johannes Paul II. auch in „Familiaris Consortio“ unterstrichen hat, absorbiert alle Energien. Ehe und Familie stehen im Übrigen nicht nur durch das Gender-Mainstreaming unter einer besonderen Bedrohung, sondern auch durch die Entwicklung der Biomedizin, auf die Benedikt XVI. in seiner Sozialenzyklika „Caritas in veritate“ besonders hingewiesen hat. Auch diese Bedrohungen hat die Bischofssynode 2014 weitgehend ignoriert. Es ist zu erwarten, dass dies jetzt bei der Synode 2015 korrigiert wird.
Wenn man die Fortpflanzung von der Sexualität trennt und letztere zu einer Spielwiese macht, wo jeder mit jedem alles machen kann, ohne dass Nachwuchs kommt, die Fortpflanzung aber in die Hände einer irgendwie gearteten Allianz von Staat und Biowissenschaft legt, hätte man eines der Szenarien, das uns gewisse Spielarten der Eugenik beschert haben. Könnte man Gender-Mainstreaming auch vor diesem Hintergrund sehen?
Die Abspaltung der Sexualität von der Weitergabe des Lebens ist eine Quelle des Gender-Mainstreaming. Gendersensible Theologinnen werfen der Kirche und insbesondere der Enzyklika „Humanae vitae“ denn auch eine Ideologisierung der Fruchtbarkeit oder eine „Fortpflanzungszentrierung“ vor. Sie wollen die Schönheit und die prophetische Kraft dieser Enzyklika und der ihr adäquaten Theologie des Leibes nicht sehen. Zu den 2006 von einer Gender-Lobby formulierten Yogyakarta-Prinzipien, die das Gender-Mainstreaming als ein Gebot der Menschenrechte ausgeben, gehört auch die Forderung, die Staaten müssten den Zugang zur assistierten Reproduktion einschließlich der Samenspende unabhängig von der sexuellen Orientierung gesetzlich ermöglichen. Dies öffnet den Weg zu einer eugenischen Selektion, die vom Erfinder der Anti-Baby-Pille Carl Djerassi ebenso befürwortet wurde wie vom Pionier der Molekularbiologie James Watson, der in einem Interview mit der „Welt“ 2005 meinte, „wenn wir eines Tages ein Gen hinzufügen können, um Kinder intelligenter oder schöner oder gesünder zu machen, dann sehe ich keinen Grund, das nicht zu tun… Wenn wir in der Lage sind, die Menschheit zu verbessern, warum nicht“? Die Molekularbiologie kennt aus sich heraus kein Hindernis, das sie daran hindern würde, auf dem Weg zur Menschenzucht und zu Huxleys schon 1932 beschriebenen „schönen neuen Welt“ voranzuschreiten. Benedikt XVI. hat diese eugenische Mentalität in „Caritas in veritate“ als die eigentliche Gefahr der Zukunft kritisiert. http://www.vatican-magazin.de/index.php/...usgabe/aktuell1
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