"Papst will imperiale Kirche demontieren" Kuppel des Petersdoms im Vatikan
Marco Politi zeichnet im Interview mit der "Kleinen Zeitung" einen Machtkampf zwischen progressiven und konservativen Kräften im Vatikan und der Weltkirche
EXPERTE 08.11.2015, 12:57 Uhr Österreich/Vatikan/Kirche/Papst/Konflikte/Kurie/Experte Graz, 08.11.2015 (KAP) Der bekannte Vatikan-Experte Marco Politi zeichnet in einem Interview mit der "Kleinen Zeitung" (Sonntag) einen Machtkampf zwischen progressiven und konservativen Kräften, der aktuell im Vatikan und der Weltkirche tobt. Auf der einen Seite stehe Papst Franziskus, der die "imperiale Kirche demontieren will", auf der anderen jene Kräfte in Kurie und Weltkirche, "die nach bestem Wissen und Gewissen gegen die Reformen kämpfen, weil sie das traditionelle Lehramt im Kopf haben und die alte Ordnung verteidigen wollen".
Der Pontifex aus Südamerika stehe nach Ansichten des Vatikan-Experten für eine Revolution der Kirche. "Er will an die Stelle einer imperialen Kirche eine Kirche für die Armen setzten; eine kollegiale, vom Papst gemeinsam mit den Bischöfen gelenkte Kirche, in der auch Frauen in Führungspositionen gelangen; eine Kirche, die ihre Schlafzimmertheologie aufgibt und die nicht länger vom Thema Sexualität besessen ist."
Klar erkennbar sei auch sein Wille, die Kirche ein Stück weit zu dezentralisieren. "Er will, dass nicht mehr alles in Rom entschieden wird, und hat mit seinem Dekret zur Annullierung katholischer Ehen ein erstes eindrucksvolles Zeichen gesetzt, wie ernst es ihm damit ist." Nun kann auch der Ortsbischof selbst entscheiden, ob eine Ehe null und nichtig ist. "Aufräumen" wolle Franziskus auch im Finanzbereich. Von Anfang an habe er energisch auf Sauberkeit und Transparenz gedrängt. Die jüngsten Skandale zeigten aber, dass noch längst nicht alle Missstände beseitigt sind.
Leicht werde es der Papst laut Politi dabei nicht haben. Er stehe mächtigen Feinden gegenüber, "so Mächtigen, dass der Papst sich in der Kurie nur auf eine Minderheit stützen kann". Ähnliches gelte auch für die Weltkirche und das Episkopat. Einschlägige Websites in Italien, den USA und in Südamerika betrieben "regelrechte Hetzkampagnen" gegen das Oberhaupt der Katholischen Kirche. "Man schimpft ihn einen Demagogen, der den Massen nach dem Maul rede, und macht sich darüber lustig, dass er erklärt hat, ein Hirte müsse wie seine Schafe riechen." Auf der Synode über die Familie habe die Mehrheit der Bischöfe ein klares Signal zugunsten der wiederverheirateten Geschiedenen ebenso verhindert wie selbst die "leiseste Andeutung", dass homosexuelle Partnerschaften durchaus auch etwas Gutes haben könnten.
Politi nennt die konservativen Kräfte beim Namen: "Im Vorfeld der in Rom gerade zu Ende gegangenen Familiensynode waren das der US-Kardinal Raymond Burke, der erklärte, dass die Kirche wie ein steuerloses Schiff dahintreibe. Oder der ehemalige Erzbischof von Bologna, Carlo Caffarra, und Kardinal Robert Sarah aus Guinea, die Angst haben, dass die Kirche der Häresie verfällt, wenn sie wiederverheiratete Geschiedene nach einer gewissen Bußzeit zur Kommunion zulässt." In der Kurie habe sich in dieser Frage sogar der Chef der Glaubenskongregation, der Deutsche Gerhard Ludwig Müller, gegen jede Neuerung gestellt. Besonders schwer wiegt für den Vatikan-Experten der "Verrat" des Opus-Dei-Prälaten Lucio Angel Vallejo Balda, der eine geheime Rede des Papstes mitgeschnitten und an die Öffentlichkeit gespielt hatte. "Das heißt, dass es im Vatikan Personen gibt, die den Papst nicht mehr als obersten Chef der Kirche respektieren."
Papst ist von "großer Ausdauer und hartnäckig"
Sorgen brauche man sich um Franziskus aber trotzdem nicht. "Er ist ein politischer Kopf. Er weiß, wann er stehen bleiben oder sogar einen Schritt zurück machen muss, und wann er nach vor gehen kann." Er sei von großer Ausdauer und hartnäckig. "Die Wölfe werden ihn nicht verschlingen", ist Politi überzeugt. Der Papst sei der letzte Monarch, der sein Reich nicht absolut regieren wolle - sehr zum Missfallen seiner Gegner, "die sich einen Papst wünschen, der als allmächtiger Verteidiger der althergebrachten Ordnung auftritt."
Nach Einschätzung Politis will der Papst, "der nie ein liberaler Katholik war", die Lehre aber ohnehin nicht "groß verändern"; er glaube an die Unauflöslichkeit der Ehe, stelle sich gegen Abtreibung und Homoehe. Neu sei allerdings sein Umgang mit Scheitern und die Überzeugung, "dass die Kirche niemanden auf ewig verdammen darf, sondern allen Menschen in Schwierigkeiten helfen muss, auch wenn sie gesündigt haben". Auf dem Weg zu einer "barmherzige, kollegiale Kirche" wolle er alle Kräfte "mit ins Boot holen". Im Kronrat, den er zur Vorbereitung der Reform der Kurie ins Leben gerufen hat, säßen deshalb Reformer ebenso wie erzkonservative Kardinäle-
Der Konflikt sei außerdem nicht neu und breche immer dann wieder auf, wenn es um Reformen gehe. Zuletzt auch während des Zweiten Vatikanischen Konzils, allerdings mit dem großen Unterschied, "dass die Reformer damals viel stärker und dynamischer waren und heute isoliert sind". Die Bischofsernennungen der letzten 35 Jahre würden jetzt ihre Wirkung zeigen: "Johannes Paul II. und Benedikt XVI. haben Hirten ernannt, die in erster Linie Rom treu ergeben und weniger kritische und kreative Persönlichkeiten sein sollten." http://www.kathpress.at/goto/meldung/131...che-demontieren
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