»Die EU kann auseinanderbrechen« Luxemburgs Außenminister warnt vor dem vermeintlich Schlimmsten 23.11.15
Hatten Probleme, sich in der Flüchtlingspolitik zu einigen: Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union beim Flüchtlingsgipfel vergangenen Monat in Brüssel Bild: Getty „Die europäische Integration ist irreversibel.“ Dieser Satz galt quasi als in Stein gemeißeltes Gesetz. Doch die Staatengemeinschaft scheint an ihrer Belastungsgrenze angekommen zu sein: Ukraine-Konflikt, Euro-Krise und jetzt auch noch die ungelöste Flüchtlingsproblematik.
„Die Europäische Union kann auseinanderbrechen. Das kann unheimlich schnell gehen, wenn Abschottung statt Solidarität nach innen wie nach außen die Regel wird“, sagte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn der Deutschen Presse-Agentur. Das kleine Großherzogtum führt derzeit turnusgemäß den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Im luxemburgischen Ort Schengen kam es vor 30 Jahren zu einem Abkommen, der den Grundstein des grenzenlosen Personenverkehrs im vereinten Europa legen sollte. Nun fürchtet ausgerechnet der Außenminister Luxemburgs einen Rückfall in die Vor-Schengen-Zeit. „Deutschland und die meisten EU-Länder haben verstanden, dass die Genfer
Flüchtlingskonvention gilt“, erklärte er in Brüssel. In der EU seien aber leider auch „einige dabei, die haben wirklich die Werte der Europäischen Union, was ja nicht nur materielle Werte sind, nicht richtig verinnerlicht“, sagte Asselborn, „und dieser falsche Nationalismus kann zu einem richtigen Krieg führen.“ Um die Probleme Europas zu lösen, bliebe nicht mehr viel Zeit: „Wir haben vielleicht noch einige Monate. Mehr nicht.“
Und der Luxemburger ist nicht der einzige Politiker, der das Projekt Europa vor dem Scheitern sieht. „Europa befindet sich in einer Existenzkrise. Was bisher unvorstellbar war, wird jetzt vorstellbar: Die Desintegration des Projekts Europa“, sagte der Erste Vizepräsident der EU-Kommission Frans Timmermans aus den Niederlanden.
Der Bruch wurde vor rund einem Monat deutlich. Am 15. Oktober versammelten sich die 28 EU-Staats- und Regierungschefs zu einem Flüchtlingsgipfel. Heraus kam dabei nichts Produktives. Vielmehr wurde klar, wie sehr die Fronten verhärtet sind. Eine gemeinsame Linie in Sachen Einwanderung gibt es nicht. Die Turbulenzen der Einheitswährung sind zwar noch nicht ausgestanden, aber fanden kaum noch Erwähnung. Und dann war da noch der britische Regierungschef David Cameron, der Ernst macht mit dem Referendum über den EU-Austritt seines Landes. Sein Land werde sich nicht an einer immer engeren Integration der Europäischen Union beteiligen, kündigte Cameron schließlich an.
Die Vielfalt der Nationalstaaten sei Europas größte Stärke. Europa müsse sehen, dass die Lösung für jedes Problem nicht immer mehr Europa sei. „Manchmal ist es weniger Europa.“ Großbritannien will die Freizügigkeit innerhalb der EU einschränken, die Niederlassungsfreiheit nicht für Staatsangehörige neuer EU-Mitgliedsstaaten gelten lassen. „Unsere Europäische Union ist nicht in einem guten Zustand. Es gibt nicht genug Europa in der Union, und es gibt nicht genug Union in der Union“, erklärte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Sein Landsmann Asselborn beklagt das Erstarken von Rechtsparteien in den Mitgliedsstarken.
Zuletzt legten die EU-Kritiker in Polen und Dänemark stark zu. Morten Messerschmidt, EU-Abgeordneter der rechtskonservativen Dänischen Volkspartei (DF) nennt die Union sogar „ein Auslaufmodell“. Es gebe Politiker und Parteien, die das Thema Migration „bewusst ausschlachten“, um Ängste zu schüren, sagte Asselborn daraufhin, und dieser „Irreführung“ müsse man entgegenwirken. Er warnte vor verheerenden Folgen: „Wenn wir keine europäische Lösung für diese Migrationskrise bekommen, wenn immer mehr Länder glauben, dass sie nur national an diese Sache herangehen können, dann ist Schengen tot.“
Doch in den Mitgliedstaaten wächst der Druck. Es gibt kaum eine Wahl, bei der die EU-Kritiker nicht zulegen. In Frankreich könnte Marine Le Pen bei den Regionalwahlen mit ihrem Front National zur stärksten Kraft werden. Die Juristin hat keinen Hehl daraus gemacht, dass sie lieber heute als morgen aus der EU austreten würde. In Österreich laufen der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) mit Heinz-Christian Strache die Wähler in Scharen zu.
Doch so weit wie in England ist man auf dem Festland noch nicht. Getrieben von der Angst, EU-Gegner Nigel Farage mit seiner Unabhängigkeitspartei könnte ihm den Rang ablaufen, hat sich der Konservative Cameron an die Spitze der Skeptiker gesetzt. In der vergangenen Woche stellte er in einem Brief an EU-Ratspräsident Donald Tusk seine Forderungen für eine EU-Reform, welche die Kommission zum Teil als „hoch problematisch“ einstufte. Tusk bezeichnete das Risiko eines EU-Austritts Großbritanniens vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise gegenüber dem Nachrichtenmagazin „Focus“ als „real“.
Spätestens 2017 sollen die Briten über den Verbleib in der EU abstimmen dürfen. Wenn er in Brüssel und bei den EU-Partnern mit seinen Forderungen „auf taube Ohren“ stoße, „dann müssen wir noch mal darüber nachdenken, ob diese Europäische Union richtig für uns ist“, erklärte Cameron. Großbritannien will künftig die Sozialkassen entlasten und auch Leistungen für EU-Bürger wie Kindergeld streichen, Dinge, die bisher aus EU-Sicht als unverhandelbar galten. Aber in Straßburg und Brüssel ist ohnehin nichts mehr, wie es mal war. Peter Entinger http://www.preussische-allgemeine.de/nac...-millionen.html
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