25.11.2015 15:30 Armut, Gewalt, innere Spannungen
In Afrika bündeln sich die großen sozialen, ökologischen und politischen Problemlagen, die Papst Franziskus umtreiben – Jetzt ist der Pontifex vor Ort. Von Michael Gregory ANZEIGE: Die Reise des Papstes ist auch ein Signal an jene Politiker, die die Armen einfach ignorieren. Die Botschaft von Franziskus lautet: In den Armen begegnet uns Gott. – Der afrikanische Kontinent ist der Wachstumsmotor der Weltkirche. Foto: dpa vergrößern Zum ersten Mal seit Beginn seines Pontifikats im Frühjahr 2013 ist Papst Franziskus nach Afrika gereist – und trifft dort auf eine Weltregion, die ihm beim Schreiben seiner Enzyklika Laudato si' in vielem als Blaupause gedient haben durfte. Wie unter einem Brennglas bündeln sich hier die großen sozialen, ökologischen und politischen Problemlagen, die Franziskus aufgreift. Probleme, die Afrika mit seinen vielen Potenzialen, man denke an die reichen Bodenschätze, zum blockierten Riesen machen, obwohl sie oft auch den Entwicklungsfortschritt überlagern, der in Afrika in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls erzielt wurde. Drei Beispiele:
Erstens) Armut: Mit ihr wird Franziskus unmittelbar nach seiner Ankunft gestern in Kenia, der ersten Station seiner Reise, besonders konfrontiert. In Nairobis Südwesten wuchert einer der größten Slums in ganz Afrika: Kibera. Niemand weiß genau, wie viele Menschen dort leben, doch es durften inzwischen mehr als eine Million sein. Kibera steht in vielerlei Hinsicht für die zentralen Entwicklungshemmnisse des Kontinents: Neben Armut sind es Umweltverschmutzung, Gewalt, schlechte Gesundheitsversorgung und fehlende Bildung. Franziskus wird morgen von seinem Quartier im Zentrum nach Kangemi aufbrechen, einem extrem dicht besiedelten Slum im Norden Nairobis, dessen rund 100 000 Bewohner weder über eine Abwasserentsorgung noch ausreichend Wasserstellen verfügen. Doch es gibt dort eine aktive Pfarrei mit rund 20 000 Gläubigen. Es ist Franziskus wichtig, dass er den Menschen direkt begegnen und in Augenschein nehmen kann, wie Armut lähmt, zumal Kenia gerade eine Hungersnot zu verkraften hat, zugleich aber auch schöpferische Energien freisetzt. Denn die Armutsviertel rund um den wohlhabenden Kern Nairobis sind bei aller Not und lebensbedrohlicher Kriminalität auch Orte, an denen Menschen unter widrigsten Umständen Wege finden, das Überleben für sich und ihre Familien zu sichern, sei es als Handwerker, Dienstleister oder Händler.
„Wir hätten uns nie erträumen können, dass der Papst nach Kangemi kommt“, sagt Slumbewohner Patrick Kamau. Franziskus' Besuch sei auch ein Signal an viele afrikanische Politiker, die die Armen einfach ignorierten. Er zeige der Welt, dass arme Menschen wichtig sind. In Nairobi wird der Papst heute bereits die größte Messe seiner Reise zelebrieren. Der Vatikan erwartet bis zu 500 000 Gläubige. Dabei ist Franziskus' Botschaft wie immer klar und eindeutig: In der Begegnung mit den Armen begegnet uns Gott. Sie sind unsere Schwestern und Brüder, deren Schicksal uns nicht kalt lassen darf. Am Nachmittag wird er die UNO-Einrichtungen in Nairobi besuchen und den Funktionären dort ebenfalls ins Gewissen reden.
Zweitens) Gewalt: Sie ist der Zwilling der Armut. Überall dort, wo Chancen- und Perspektivlosigkeit um sich greifen, ist die Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen und ausufernder Kriminalität am größten. Wer also Aufstiegsmöglichkeiten vor allem für junge Menschen schafft, beugt zugleich Hass und Gewalt vor. Um diesen Zusammenhang zu verdeutlichen, hat sich der Papst eine der unsichersten Gegenden des Kontinents ausgesucht: die Zentralafrikanische Republik, seine dritte Station in Afrika. Andererseits: Das kleine Land mit knapp fünf Millionen Menschen liegt im Herzen des Kontinents. Gibt es einen besseren Ort, um Wege in eine bessere Zukunft aufzuzeigen, wie Franziskus es beabsichtigt? Und dass der Heilige Vater unkonventionelle Gesten mag, ist auch klar. Dennoch hat der Besuch in einem Krisengebiet mit dürftigster Infrastruktur viele überrascht. „Die Entscheidung über die Reise liegt allein beim Heiligen Vater, der die Situation im Blick hat“, sagt Papst-Sprecher Federico Lombardi.
Die Zentralafrikanische Republik, einem UN-Index zufolge das drittärmste Land der Welt, wird seit 2013 von einem Konflikt erschüttert, bei dem sich muslimische Rebellen und christliche Milizen gegenüberstehen. Tausende wurden getötet, etwa jeder fünfte Bewohner ist vor der Gewalt geflohen, gegen die Franziskus ein Zeichen setzen will. Der Pontifex hofft, mit seiner Reise etwas zur Befriedung des Landes beitragen zu können. Manche Experten befürchten jedoch, dass der Besuch die Spannungen zwischen den Religionsgruppen erneut anheizen könnte. Extremisten auf beiden Seiten könnten versuchen, ihre Gruppen zu Gewalttaten anzustacheln. Den Sicherheitsleuten des Papstes dürfte diese Reiseetappe jedenfalls Schweißperlen auf die Stirn treiben. Papst-Sprecher Lombardi sagt, der Papst habe keine Angst und wolle auch in Bangui sein offenes Papamobil nutzen. Es geht Franziskus zum einen um einen Appell für ein friedliches Zusammenleben von Muslimen und Christen an der Schnittstelle der Kulturen. Überdies will er den Gläubigen vor Ort den Rücken stärken. „Die Bedeutung des Besuches für die Christen in Zentralafrika hängt davon ab, ob man versucht, die Menschen in den Provinzen an den Versammlungen und Feiern, die in der Hauptstadt Bangui stattfinden, zu beteiligen“, sagte Peter Marzinkowski CSSp, früher Bischof in Zentralafrika, dem Hilfswerk Missio. „Wenn die Christen aktiv dabei sein können und nicht nur über Rundfunk oder Fernsehen, gibt es hinterher Erfolge. Ich wünsche mir sehr, dass dieser Papstbesuch für die Christen eine Gelegenheit zur Erneuerung wird und ihnen ein Zugehörigkeitsgefühl zur Kirche schenkt.“
Drittens) Innere Spannungen: Die zweite Etappe wird von Freitagnachmittag bis Samstagabend Uganda sein: Bischof Giuseppe Franzelli – er stammt ursprünglich aus Italien – leitet das ugandische Bistum Lira. Gegenüber Radio Vatikan betont er, sein Land sei sehr stolz darauf, dass Franziskus komme. „Wir sind das einzige afrikanische Land, das drei Päpste hier empfangen konnte! Paul VI. kam 1969, Johannes Paul II. 1993, und nun ist es Papst Franziskus“, so Bischof Franzelli. Uganda sei ein „typisches Land“ dieser zentralafrikanischen Region: reich an Rohstoffen, mit viel Armut und Unruhe unter den verschiedenen Ethnien. Am Samstag besucht Franziskus einen Schrein für ugandische Märtyrer: In Namugongo bei Kampala ließ König Mwanga vor 130 Jahren 22 Katholiken und 10 Anglikaner foltern und hinrichten, da sie sich geweigert hatten, dem Christentum abzuschwören. Viele wurden bei lebendigem Leib verbrannt. Franziskus wird dort vor rund 100 000 Gläubigen eine Messe feiern. Später wird er laut Vatikan bei einer Begegnung mit Jugendlichen den Bericht eines früheren Kindersoldaten und auch den von einer HIV-positiven Katholikin anhören.
Die Station in Uganda wird noch stärker als die Etappen in Kenia und der Zentralafrikanischen Republik im Zeichen des Gebets stehen, die Kraftquelle, aus der Christen immer wieder schöpfen können. So will Franziskus auch zur Vertiefung des Glaubens in Afrika mit seinen inzwischen rund 180 Millionen Katholiken beitragen – Tendenz rasant steigend. Der Kontinent ist damit Wachstumsmotor der Weltkirche, doch nicht überall ist der Glaube so fest verwurzelt wie bei den Märtyrern in Uganda. Genau darin liegt eine, wenn nicht die zentrale Herausforderung für die Kirche in Afrika. Wird sie angegangen, bestehen auch gute Chancen auf eine nachhaltige Lösung der drängenden sozialen, politischen und ökologischen Fragen.
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