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  • 04.12.2015 13:24 - Erste Adventpredigt des päpstlichen Hausprediger Cantalamessa
von esther10 in Kategorie Allgemein.

Erste Adventpredigt des päpstlichen Hausprediger Cantalamessa


Die erste Adventpredit von Raniero Cantalamessa im Vatika - ANSA

04/12/2015 12:56SHARE:

Raniero Cantalamessa, der 81-jährige päpstliche Hausprediger, hat an diesem Freitag mit seinen Adventspredigten gestartet. Wie bereits vor Johannes Paul II., Benedikt XVI. so hält er auch diesen Advent vor dem Papst und der Kurie seine Adventpredigten. Er gilt als einer der wohl Dienstältesten geistlichen Mitarbeitern im päpstlichen Umfeld. Er bekleidet sein Amt seit 1980 und ist zuständig für die Predigten an den Freitagen im Advent und der Fastenzeit. Wir halten hier für Sie die erste Adventpredigt vom 04. Dezember 2015 in deutscher Fassung fest:
„DA CHRISTUS DAS LICHT DER VÖLKER IST…“

Eine christologische Betrachtung zur Konstitution Lumen gentium

1. Eine christologische Ekklesiologie

Der freudige Anlass des fünfzigsten Jahrestags seit Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils hat mich auf den Gedanken gebracht, die drei Adventsmeditationen dieses Jahres einer Neubetrachtung des Konzilsereignisses in seinen wichtigsten Inhalten zu widmen. Konkret möchte ich einige Überlegungen zu den vier Konstitutionen äußern, die das Konzil hervorgebracht hat: über die Kirche (Lumen gentium), über die Liturgie (Sacrosanctum Concilium), über die göttliche Offenbarung (Dei Verbum) und über die Kirche in der Welt (Gaudium et spes).

Der Mut, in so kurzer Zeit so weittragende und bereits so oft besprochene Themen zu behandeln, kam mir von einer einfachen Feststellung: Es ist endlos viel über das Konzil geschrieben und gesagt worden, aber dabei ging es fast immer um seine doktrinären und seelsorgerischen Auswirkungen; selten nur um seine spirituellen Inhalte. Genau auf diese will ich mich konzentrieren und dabei den Versuch machen, zu erkennen, was das Konzil uns in seinen Texten noch zu sagen hat, was der Festigung des Glaubens dienen kann.

Wir werden damit beginnen, dass wir die drei Adventsmeditationen der Konstitution Lumen gentium widmen; den Rest bewahren wir für die kommende Fastenzeit auf, so Gott will. Die drei Themen der Konstitution, die ich herausarbeiten will, sind: die Kirche als Leib und Braut Christi; der universale Aufruf zur Heiligkeit und die Lehre über die Heilige Jungfrau.

Der Anstoß zu dieser ersten Meditation kam mir, als ich zufällig die ersten Worte der Konstitution in ihrer lateinischen Fassung wieder gelesen habe. Sie lauten: „Lumen gentium cum sit Christus…“; „Da Christus das Licht der Völker ist…“. Ich muss zu meiner eigenen Verwirrung gestehen, dass ich mir der gewaltigen Implikationen, die in diesem Auftakt enthalten sind, nie wirklich bewusst geworden war. Die Tatsache, dass nur der erste Teil des Satzes zum Titel der Konstitution wurde, hatte mich (und wohl auch viele andere) glauben lassen, dass mit dem „Licht der Völker“ die Kirche gemeint sei; stattdessen ist, wie man sieht, Christus gemeint. Es ist der Titel, mit dem der alte Simeon den kindlichen Messias begrüßte, als Maria und Joseph ihn zum Tempel trugen: „Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel“ (Lk 2,32).

Dieser erste Satz beinhaltet den Schlüssel zum Verständnis der gesamten Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils. Es handelt sich um eine christologische Ekklesiologie, die daher in erster Linie geistig und mystisch ist, noch bevor sie sozial und institutionell wird. Es ist notwendig, diese christologische Dimension der Konzilsekklesiologie wieder in den Vordergrund zu rücken, auch in Hinblick auf eine wirksamere Evangelisierung. Denn man nimmt nicht Christus aus Liebe zur Kirche an; vielmehr nimmt man die Kirche aus Liebe zu Christus an. Auch eine Kirche, die von der Sünde vieler ihrer Vertreter entstellt ist.
Ich will gleich zu Anfang sagen, dass ich gewiss nicht der erste bin, der diese ihrem Wesen nach christologische Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils hervorhebt. Beim Lesen der zahlreichen Schriften, die der damalige Kardinal Ratzinger über die Kirche verfasste, ist mir aufgefallen, mit welcher Insistenz er versucht hat, diese Dimension der in Lumen gentium enthaltenen Lehre über die Kirche am Leben zu erhalten. Der Bezug auf die doktrinären Implikationen des Anfangssatzes: „Lumen gentium cum sit Christus…“; „Da Christus das Licht der Völker ist…“, findet sich ebenfalls schon in seinen Schriften, gefolgt von der Feststellung: „Wer das Zweite Vatikanische Konzil richtig verstehen will, der muss immer wieder von diesem Anfangssatz ausgehen.“ [1]

Um Missverständnissen vorzubeugen

wollen wir auch betonen, dass diese geistige und innerliche Vision der Kirche nie in Frage gestellt worden ist; aber wie es in den menschlichen Dingen nur allzu oft geschieht, stellt das Neue leicht das Alte in den Schatten, das Aktuelle trübt den Blick auf das Ewige, und das Dringliche drängt das Wichtige in den Hintergrund. So kommt es, dass Ideen wie die kirchliche Gemeinschaftlichkeit oder das Gottesvolk manchmal nur in horizontaler Richtung, also soziologisch entwickelt worden sind, d.h. vor dem Hintergrund einer Gegenüberstellung von Koinonia und Hierarchie, indem der Schwerpunkt mehr auf die Kommunion der Kirchenmitglieder untereinander als auf die Kommunion aller Glieder mit Christus gesetzt wurde.

Wahrscheinlich handelt es sich um eine Priorität des Augenblicks und war damals ein Gewinn; so wird dieser Umstand auch vom heiligen Johannes Paul II. in seinem Apostolischen Schreiben Novo millennio ineunte aufgefasst und gewertet. [2] Aber fünfzig Jahre nach Abschluss des Konzils ist vielleicht der Versuch nützlich, das Gleichgewicht zwischen dieser von den historisch bedingten Debatten geprägten Kirchenvision und der auf Geist und Mysterium zentrierten Vision des Neuen Testaments und der Kirchenväter wiederherzustellen. Die grundlegende Frage ist dabei nicht: „Was ist die Kirche?“, sondern: „Wer ist die Kirche?“ [3] Von dieser Frage will ich mich in meinen Betrachtungen leiten lassen.

2. Die Kirche als Leib und Braut Christi

Die Seele und christologische Tiefe der Konstitution Lumen gentium (LG) werden vor allem im Kapitel I sichtbar, in welchem die Kirche als Leib Christi und Braut Christi vorgestellt wird.

Wir wollen uns einige Aussagen der Konstitution in Erinnerung rufen:

„Die Kirche wird auch bezeichnet als ‚das Jerusalem droben‘ und als ‚unsere Mutter‘ (Gal 4,26; vgl. Offb 12,17); sie wird beschrieben als die makellose Braut des makellosen Lammes (Offb 19,7; 21,2.9; 22,17); Christus hat sie ‚geliebt und sich für sie hingegeben, um sie zu heiligen‘ (Eph 5,26). In unauflöslichem Bund hat er sie zu sich genommen, immerfort ‚nährt und hegt er‘ sie (Eph 5,29). Nach seinem Willen soll sie als die von ihm Gereinigte ihm zugehören und in Liebe und Treue ihm untertan sein (vgl. Eph 5,24)“ (LG 6).

Soweit zum Titel „Braut Christi“; was den „Leib Christi“ anbelangt, heißt es:

„Gottes Sohn hat in der mit sich geeinten menschlichen Natur durch seinen Tod und seine Auferstehung den Tod besiegt und so den Menschen erlöst und ihn umgestaltet zu einem neuen Geschöpf (vgl. Gal 6,15; 2 Kor 5,17). Indem er nämlich seinen Geist mitteilte, hat er seine Brüder, die er aus allen Völkern zusammenrief, in geheimnisvoller Weise gleichsam zu seinem Leib gemacht […]. Beim Brechen des eucharistischen Brotes erhalten wir wirklich Anteil am Leib des Herrn und werden zur Gemeinschaft mit ihm und untereinander erhoben. ‚Denn ein Brot, ein Leib sind wir, die Vielen, alle, die an dem einen Brote teilhaben‘ (1 Kor 10,17)“ (LG 7).

Auch
in diesem Fall fällt dem damaligen Kardinal Ratzinger der Verdienst zu, den inneren Zusammenhang zwischen diesen beiden Bildern der Kirche herausgearbeitet zu haben: Die Kirche ist Leib Christi weil sie die Braut Christi ist! In anderen Worten: Der Ursprung des paulinischen Bildes der Kirche als Leib Christi liegt nicht in der von den Stoikern ausgeliehenen Metapher des Einklangs zwischen den Gliedern des menschlichen Körpers begründet (obwohl Paulus manchmal deutlich darauf zurückgreift; so z.B. in Röm 12,4 ff und in 1 Kor 12,12 ff.), sondern in der Vorstellung, dass Mann und Frau in der Ehe ein Fleisch bilden (vgl. Eph 5, 29,32) und mehr noch in der eucharistischen Idee, dass alle, die vom selben Brot essen, ein und denselben Leib bilden: „Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot“ (1 Kor 10,17). [4]

Nur am Rande wollen wir erwähnen, dass dies auch der Kern der Kirchenbetrachtung des hl. Augustinus war, der so weit ging, dass man manchmal meinen könnte, er identifiziere schlicht und einfach den Leib Christi, der die Kirche ist, mit jenem Leib Christi, der die Eucharistie ist. [5] Davon legt auch die Evolution der Bezeichnung „mystischer Leib“ Christi ein Zeugnis ab: Anfangs war damit die Eucharistie gemeint; allmählich jedoch fing man an, damit immer öfter die Kirche zu meinen, wie wir es heute noch tun. [6] Wie bekannt ist, ist das auch der Punkt, an dem die katholische Ekklesiologie und die eucharistische Ekklesiologie der orthodoxen Kirche sich am nächsten kommen. Ohne Kirche und ohne Eucharistie hätte Christus keinen „Leib“ mehr in der Welt.

3. Von der Kirche zur Seele

Ein Prinzip, dass von den Kirchenvätern oft wiederholt und angewendet wurde, lautet: „Ecclesia vel anima“; die Kirche, oder die Seele. [7] Das soll heißen: Was allgemein für die Kirche gilt, gilt im Einzelnen für jede Seele innerhalb der Kirche. Dem heiligen Ambrosius wird die Aussage zugeschrieben: „Die Kirche ist in ihren Seelen schön.“ [8] Um dem erklärten Ziel dieser Meditationen treu zu bleiben und die im engeren Sinn „erbaulichen“ Elemente der Konzilsekklesiologie herauszustreichen, fragen wir uns: Was bedeutet es für das Geistesleben eines Christen, diese Idee der Kirche als Leib und Braut Christi erleben und verwirklichen zu wollen?

Wenn die Kirche in ihrer tiefsten und wahrsten Bedeutung der Leib Christi ist, dann bin ich ein „kirchliches Wesen“ [9], bzw. verwirkliche ich in mir die Kirche in dem Maße, in dem ich Christus gestatte, mich zu seinem Leib zu machen; nicht nur theoretisch, sondern auch in der Praxis. Was zählt ist nicht der Platz, den ich in der Kirche einnehme, sondern der Platz, den Christus in meinem Herzen einnimmt!

Objektiv betrachtet verwirklicht sich das in den Sakramenten, vor allem in zweien von ihnen: in der Taufe und in der Eucharistie. Die Taufe haben wir ein einziges Mal empfangen; die Eucharistie hingegen empfangen wir täglich. Deshalb ist es so wichtig, sie zu feiern und zu empfangen, damit sie ihre Aufgabe, uns zu einer Kirche zu formen, wirklich erfüllen kann. Die berühmte, durch de Lubac eingeführte Maxime: „Die Eucharistie macht die Kirche“ findet ihre Anwendung nicht nur auf gemeinschaftlicher Ebene, sondern auch auf der persönlichen Ebene: Die Eucharistie macht jeden von uns zum Leib Christi, zur Kirche. Auch in diesem Zusammenhang will ich mich einiger tiefsinniger Worte des damaligen Kardinals Ratzinger bedienen:

„Kommunion bedeutet, dass die scheinbar unüberwindbare Barriere meines Ichs durchbrochen wird […]; bedeutet Verschmelzung der Existenzen. So wie bei der Ernährung ein Körper eine fremde Substanz aufnehmen und dadurch leben kann, so wird mein Ich von Jesus selbst ‚aufgenommen‘ und ihm angeglichen, in einem Austausch, der die Grenzen immer mehr durchbricht.“ [10]

Zwei Existenzen – die meine und die Christi – werden eins, „ohne Verwirrung und ohne Trennung“; nicht hypostatisch, wie bei der Menschwerdung, sondern auf mystische und reale Weise. Aus zwei „Ichs“ wird ein einziges: nicht mein kleines Ich, sondern jenes Christi. Das geht so weit, dass jeder von uns nach dem Empfang der Eucharistie mit Paulus sagen kann: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20). In der Eucharistie, schreibt Kabasilas,

„fließt Christus in uns ein und verschmilzt mit uns, wobei er uns in sich verwandelt, wie ein Tropfen Wasser, der in einen grenzenlosen Ozean aus duftendem Öl fällt.“ [11
]
Das Bild der Kirche als Leib Christi ist, wie wir gesehen haben, von der Vorstellung der Kirche als Braut Christi nicht zu trennen. Auch das kann uns sehr nützlich sein, um die Eucharistie auf tiefe Weise mystagogisch zu erleben. Der Epheserbrief lehrt uns, die menschliche Ehe als Symbol der Verschmelzung Christi mit seiner Kirche zu betrachten: „Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden und die zwei werden ein Fleisch sein. Dies ist ein tiefes Geheimnis; ich beziehe es auf Christus und die Kirche“ (Eph 5, 31-32). Eine unmittelbare Folge der Ehe ist, nach Paulus, dass der Leib des Mannes fortan der Frau gehört und der Leib der Frau dem Mann (vgl. 1 Kor 7,4).

Auf die Eucharistie angewendet bedeutet das, dass das unverderbliche und lebenspendende Fleisch des menschgewordenen Wortes „mein“ Fleisch wird; aber auch, dass mein Fleisch, meine menschliche Natur, vom Wesen Christi angenommen wird. In der Eucharistie empfangen wir Leib und Blut Christi; aber auch Christus empfängt unseren Leib und unser Blut! Jesus, so schreibt Hilarius von Poitiers, nimmt das Fleisch dessen an, der seinen Leib einnimmt. [12] Er sagt zu uns: „Nimm, das ist mein Leib“; aber auch wir können zu ihm sagen: „Nimm, das ist mein Leib.“

In seiner Sammlung eucharistischer Gedichte nennt der spätere Papst Karol Wojtyla dieses neue Subjekt, dessen Leben Christus sich angeeignet hat, das „eucharistische Ich“:
„Es wird dann das Wunder
der Verwandlung stattfinden:

Du wirst ich werden,
ein eucharistisches Ich“ [13]

Es gibt in meinem Leben nichts, was nicht Christus angehörte. Niemand kann sagen: „Ach, Jesus weiß nicht, was es bedeutet, verheiratet zu sein, Frau zu sein, ein Kind verloren zu haben, krank zu sein, alt zu sein, farbig zu sein!“ Wenn du es weißt, weiß er es auch, durch dich und in dir. Was Christus nicht „dem Fleische nach“ erlebt hat, weil sein irdisches Leben wie das von uns allen auf einen engen Kreis von Erfahrungen beschränkt war, das erlebt und erfährt er als Auferstandener „dem Geiste nach“, dank der ehelichen Kommunion in der heiligen Messe. In der Frau erlebt er, was es bedeutet, Frau zu sein; im Alten was es bedeutet, alt zu sein; im Kranken erlebt er die Krankheit. Alles, was an der vollständigen Menschwerdung des Wortes noch „fehlte“, erfüllt sich in der Eucharistie.

Den tiefen Grund dafür hatte die selige Elisabeth von der heiligsten Dreifaltigkeit gut verstanden, als sie schrieb: „Die Braut gehört dem Bräutigam. Meiner hat mich ganz eingenommen. Er will, dass ich für ihn zu einer erweiterten Menschlichkeit werde.“ [14] Es ist, als sage uns Jesus: „Ich habe Hunger nach dir, ich will von dir leben; deshalb muss ich in allen Gedanken und allen Gefühlsregungen leben, die du hast; ich muss von deinem Fleisch und deinem Blut leben, von deiner täglichen Mühe; ich muss mich von dir ernähren, wie du dich von mir ernährst!“

Welch unerschöpflicher Grund zur Verwunderung und zum Trost ist dieser Gedanke, dass unsere Menschlichkeit zur Menschlichkeit Christi wird! Aber welch große Verantwortung erwächst uns auch daraus! Wenn meine Augen zu Augen Christi geworden sind, mein Mund zum Mund Christi, welch hohen Grund habe ich dann doch, um meinen Blick nicht auf lasziven Bildern ruhen zu lassen, um meiner Zunge die üble Nachrede über meinen Bruder zu verbieten, um meinen Leib von der Sünde fern zu halten. „Darf ich nun die Glieder Christi nehmen und zu Gliedern einer Dirne machen?“, fragt der Apostel (1 Kor 6,15). Diese Worte gehen jeden Getauften etwas an. Was soll man dann erst über die Gottgeweihten sagen, über die Diener Gottes, die „Vorbilder für die Herde“ (1 Petr 5,3) sein sollten? Man bekommt das Zittern, wenn man bedenkt, wie sehr der Leib Christi, die Kirche, misshandelt wird.

4. Die persönliche Begegnung mit Jesus
Bisher habe ich vom objektiven, sakramentalen Beitrag zu unserer Umformung zur Kirche, das heißt zum Leib Christi gesprochen. Es gibt aber auch eine subjektive und existenzielle Dimension. Sie besteht in dem, was Papst Franziskus in Evangelii gaudium als „persönliche Begegnung mit Jesus“ bezeichnet. Lasst uns noch einmal seinen Worten lauschen:

„Ich lade jeden Christen ein, gleich an welchem Ort und in welcher Lage er sich befindet, noch heute seine persönliche Begegnung mit Jesus Christus zu erneuern oder zumindest den Entschluss zu fassen, sich von ihm finden zu lassen, ihn jeden Tag ohne Unterlass zu suchen. Es gibt keinen Grund, weshalb jemand meinen könnte, diese Einladung gelte nicht ihm“ (EG, Nr. 3).

Hier müssen wir vielleicht sogar noch einen Schritt weiter gehen, als die Ekklesiologie des Konzils reicht. In der katholischen Alltagssprache ist „die persönliche Begegnung mit Jesus“ nie ein besonders weit verbreiteter Begriff gewesen. Anstelle der „persönlichen“ Begegnung mit Christus bevorzugte man die Idee einer ekklesialen Begegnung, die also durch die Sakramente der Kirche stattfindet. Die „persönliche“ Begegnung hatte für die Ohren von uns Katholiken immer einen leicht protestantischen Beiklang. Aber selbstverständlich ist hier nicht von einer persönlichen Begegnung als Ersatz für die sakramentale Begegnung die Rede; vielmehr soll die sakramentale Begegnung auch eine frei beschlossene und gewollte Begegnung sein, die nicht nur aus Form und Gewohnheit stattfindet. Wenn die Kirche der Leib Christi ist, dann ist die persönliche Annahme Christi der einzige Weg, der uns existenziell in sie einführt.

Wenn wir verstehen wollen, was es bedeutet, Jesus persönlich zu begegnen, dann müssen wir zumindest einen flüchtigen Blick auf die Geschichte der Kirche werfen. Was musste man in den ersten drei Jahrhunderten tun, um Mitglied der Kirche zu werden? Trotz aller Unterschiede von Individuum zu Individuum und von Ort zu Ort war doch allen Christen gemeinsam, dass sie eine lange Vorbereitungszeit – das Katechumenat – zu erfüllen hatten und diese Wahl bewusst und freiwillig trafen; eine Wahl, die obendrein gefährlich war und zum Martyrium führen konnte.

Die Dinge änderten sich, als der christliche Glaube zunächst toleriert wurde und dann kurze Zeit später sogar zur geförderten, manchmal geradezu aufgezwungenen Religion wurde. In dieser Situation verlagerte sich das Interesse von der Begegnung mit dem Glauben weg zu den Anforderungen des Glaubens, zur Läuterung der eigenen Lebensweise; in anderen Worten, zur Ethik.

Trotz allem stand es damals nicht so schlecht um die Religion, wie wir heute meinen könnten, weil trotz aller bekannten Einschränkungen die Familie, die Schule, die Kultur und nach und nach auch die Gesellschaft dabei halfen, den Glauben auf fast unmerkliche Weise zu verinnerlichen. Ganz abgesehen davon, dass es schon seit Anbeginn dieser neuen Situation Lebensformen gab – das Mönchstum und später die religiösen Orden – , in denen die Taufe mit unverminderter Radikalität erlebt wurde und das christliche Leben nach wie vor die Folge einer persönlichen Entscheidung blieb, die nicht selten geradezu heroisch war.

Diese Situation, in denen die gesamte Gesellschaft christlich war, hat sich heute radikal verändert. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Neuevangelisierung, die der neuen Lage gerecht wird. In der Praxis geht es darum, für die Menschen von heute Gelegenheiten zu schaffen, die es ihnen ermöglichen, im heutigen Kontext dieselbe freie und reife Entscheidung zu treffen, wie die Christen der Frühzeit sie trafen, wenn sie sich taufen ließen, und die aus ihnen echte Christen machte, die es nicht nur dem Namen nach waren.

Die 1972 erschienene Grundform der „Feier der Eingliederung Erwachsener in die Kirche“ schlägt eine Art katechumenalen Weg für die Taufe Erwachsener vor. In Ländern, wo zahlreiche Religionen nebeneinander leben und daher viele Erwachsene um die Taufe bitten, hat sich dieses Instrument als sehr wirksam erwiesen. Doch was tun mit den zahlreichen bereits getauften Christen, die nur dem Namen nach Christen sind und denen die Kirche und das sakramentale Leben völlig fremd bleiben?

Eine Antwort auf dieses Problem sind die zahlreichen kirchlichen Bewegungen, Laienverbände und erneuerte Pfarrgemeinden, die nach dem Konzil entstanden sind. Was trotz der großen Vielfalt ihnen allen gemeinsam ist, ist dass sie ein Umfeld und ein Mittel darstellen, das es zahlreichen erwachsenen Menschen erlaubt, ihre persönliche Entscheidung für Christus zu treffen, ihr Getauftsein wiederzuentdecken und innerhalb der Kirche zu handelnden Subjekten zu werden.

Doch will ich nicht länger bei diesen pastoralen Aspekten des Problems verweilen. Was ich zum Ende dieser Meditation betonen möchte ist noch einmal der spirituelle und existenzielle Aspekt, der uns individuell betrifft. Was bedeutet es, Jesus zu begegnen und sich von ihm persönlich begegnen zu lassen? Es bedeutet, dass wir in der Lage sind, den Satz: „Jesus ist der Herr!“ so auszusprechen, wie es Paulus und die ersten Christen es taten; d.h. auf eine Weise, die unser ganzes Leben bestimmt.

Jesus ist keine abstrakte Gestalt mehr, sondern ein Mensch; nicht jemand, über den man spricht, sondern jemand, mit dem man sprechen kann, weil er auferstanden ist und lebt; nicht mehr nur eine Erinnerung, wenn auch eine liturgisch lebendige und wirksame, sondern eine Gegenwart. Das bedeutet auch, dass wir keine wichtige Entscheidung treffen dürfen, ohne sie ihm zuvor im Gebet vorgelegt zu haben.

Eingehens habe ich gesagt, dass man nicht Christus aus Liebe zur Kirche annimmt, sondern die Kirche aus Liebe zu Christus. Versuchen wir also, Christus zu lieben und ihn lieben zu lassen, und wir werden der Kirche den besten Dienst erwiesen haben. Wenn die Kirche die Braut Christi ist, dann wird auch sie, wie jede Braut, neue Kinder hervorbringen, indem sie sich aus Liebe mit ihrem Bräutigam vereint. Die Fruchtbarkeit der Kirche hängt von ihrer Liebe zu Christus ab.

[1] J. Ratzinger, L’ecclesiologia del Vaticano II, in Chiesa, ecumenismo e politica, Edizioni Paoline, Cinisello Balsamo, 1987, S. 9-16).
[2] Vgl. hl. Johannes Paul II., „Novo millennio ineunte“, 42. 45.
[3] Vgl. H. U. von Balthasar, Sponsa Verbi, Saggi teologici,II, Morcelliana, Brescia 1972, S. 139 ff. (deutsche Ausgabe: Sponsa Verbi, Johannes Verlag, Einsiedeln 1961).
[4] Joseph Ratzinger, Origine e natura della Chiesa, in La Chiesa. Una comunità sempre in cammino, Ed. Paoline, Cinisello Balsamo, 1991, S. 9-31).
[5] Augustinus, Discorsi, 272 (PL 38, 1247 s.).
[6] Vgl. H. de Lubac, in Corpus Mysticum. L’Eucharistie et l’Eglise au Moyen Age, Aubier, Paris 1949.
[7] Vgl. Origenes, In cant. cant. III (GCS 33, S. 185; 190); Ambrosius, Exp. Ps. CXVIII, 6,18 (CSEL 62, S. 117).
[8] Ambrosius, De mysteriis, VII, 39, vgl. H. de Lubac, Exégèse mediévale, I, 2, Paris, Aubier, 1959, S. 650.
[9] Vgl. J. Zizioulas, L’être ecclésial, Labor et fides, Genève 1981.
[10] J. Ratzinger, Origine e natura della Chiesa, cit.
[11] Ni. Kabasilas, Leben in Christus, IV,3 (PG 150, 593).
[12] Hilarius von Poitiers, De Trinitate, 8, 16 (PL 10, 248): „Eius tantum in se adsumptam habens carnem, qui suam sumpserit.“
[13] K. Wojtyla, Tutte le opere letterarie, Bompiani. Milano 2000, S. 75.
[14] Sel. Elisabeth von der heiligsten Dreifaltigkeit, Brief 261, an die Mutter (in Opere, Roma 1967, S. 457).
(rv 04.12.2015 no)



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