Die Lektion einer Großmutter · Messe des Papstes in Santa Marta · - See more at: http://www.osservatoreromano.va/de/news/...h.hgxhQ1Jd.dpuf
14. Dezember 2015 »Gott vergibt alles, andernfalls gäbe es keine Welt«:
diese Worte, die eine alte Frau im Jahr 1992 zu Jorge Mario Bergoglio sagte, sind eine wahre »Lektion« zu Beginn des Heiligen Jahrs der Barmherzigkeit. Und sie warnen davor, in »klerikale Strenge« zu verfallen, sie regen vielmehr dazu an, ohne zu Zögern den Weg der Hoffnung und der Barmherzigkeit einzuschlagen, die uns »frei« macht. Papst Franziskus sprach während der Frühmesse, die er am Montag, 14. Dezember, in der Kapelle des Hauses Santa Marta feierte, die Aufforderung aus, einen »durchdringenden Blick « zu haben, der es verstehe, einen Schritt weiter zu gehen, um die Wahrheit zu erkennen und sie auch auszusprechen.
»In der Ersten Lesung«, so merkte der Papst sogleich an, haben wir einen Abschnitt aus dem Buch Numeri (24,2-7.15-17) vernommen, wo von »der Geschichte des Bileam die Rede ist: er war ein Prophet, aber er war auch ein Mensch und hatte seine Fehler, ja sogar Sünden«. Denn, so betonte Franziskus, »wir alle haben Sünden, wir alle, wir sind alle Sünder«. Aber »erschreckt nicht«, so tröstete der Papst, »Gott ist größer als unsere Sünden«.
»Bileam«, so legte er dar, »war von einem gewissen Balak, einem Heerführer und König, »angeheuert« worden, der das Volk Gottes vernichten wollte. Und er entsandte ihn, um Prophezeiungen gegen das Volk Gottes auszusprechen«. Aber »auf dem Weg begegnet Bileam dem Engel des Herrn und ändert seine Vorsätze, und sieht die Wahrheit«. Aber »er wechselt nicht das Lager: heute gehöre ich diesem Lager an, und dann wechsle ich ins andere über, nein! Er wechselt vom Irrtum zur Wahrheit und sagt das, was er sieht«.
»Es ist schön«, so fügte Franziskus hinzu, »wie das Buch Numeri diese Geschichte nacherzählt: ›Spruch Bileams, Spruch des Mannes mit geschlossenem Auge‹«. Tatsächlich, so führte er aus, »als sein Herz umkehrt, da bekehrt er sich, er hat das geschlossene Auge und sieht in die Ferne, er sieht die Wahrheit, mit dem geöffneten Herzen, mit dem Herzen – mit etwas gutem Willen sieht man die Wahrheit immer – , und sagt die Wahrheit«.
Und »es ist eine Wahrheit, die Hoffnung schenkt, denn er stand am Rand der Wüste, er stand wirklich am Rand der Wüste und sah die Stämme Israels.: ›Wie schön sind deine Zelte, wie schön deine Wohnstätten, Israel! Wie Bachtäler ziehen sie sich hin, wie Gärten am Strom, wie Eichen, vom Herrn gepflanzt, wie Zedern am Wasser‹«. Also »sieht er jenseits der Wüste die Fruchtbarkeit, die Schönheit, den Sieg«.
Aber »was ist im Herzen Bileams geschehen?«Tatsache sei, so sagte Franziskus, dass »er sein Herz geöffnet hat und dass der Herr ihm die Tugend der Hoffnung geschenkt hat«. Und »die Hoffnung ist diese christliche Tugend, die wir als große Gabe des Herrn besitzen und die uns in die Ferne schauen lässt, weit über unsere Probleme, unsere Schmerzen, unsere Schwierigkeiten, über unsere Sünden hinaus«. Sie lasse uns »die Schönheit Gottes schauen«.
»Hoffnung« sei also das Schlüsselwort. Und »wenn ich mit einem Menschen zusammen bin, der diese Tugend der Hoffnung besitzt und der einen schlimmen Augenblick seines Lebens erlebt – sei es nun eine Krankheit, sei es die Sorge um einen Sohn oder eine Tochter oder einen Familienangehörigen, was es auch sei –, der aber diese Tugend besitzt, so hat er inmitten des Schmerzes das geschlossene Auge, er ist frei, darüber hinaus zu sehen, immer darüber hinauszusehen«. Und gerade »das ist die Hoffnung, es ist die Prophezeiung, welche uns die Kirche heute schenkt: sie will, dass wir Männer und Frauen der Hoffnung seien, selbst inmitten der Probleme«. Denn »die Hoffnung öffnet Horizonte, die Hoffnung ist Freiheit, sie ist nicht geknechtet, sie findet stets Platz dafür, eine Lage wieder in Ordnung zu bringen«. Im Tagesevangelium aus dem Matthäusevangelium (21,23-27) , so fuhr er fort, »begegnen wir hingegen Männern, die nicht über diese Freiheit verfügen, sie haben keine Horizonte, sind Männer, die Gefangene ihres berechnenden Wesens sind«. So komme es, dass die Hohenpriester und die Ältesten des Volkes den Herrn fragten: »Mit welcher Vollmacht tust du diese Dinge?« Bevor sie auf die anschließende Frage Jesu mit »Wir wissen es nicht« antworten, stellen sie ihre Überlegungen an: »Aber wenn ich so und so antworte, dann laufe ich diese Gefahr, und wenn ich hingegen das und das sage…« Aber, so bekräftigte der Papst, »die menschlichen Winkelzüge verschließen das Herz, sie verschließen die Freiheit«. Vielmehr sei es »die Freiheit«, die »uns leicht macht«. Also »macht uns diese Heuchelei der Schriftgelehrten, der wir im Evangelium begegnen und die das Herz verschließt, zu Knechten: diese Leute waren Knechte«.
Was nun Bileam anbelange, so »hatte er die Freiheit, dem Mann, der ihn ›angeheuert‹ hatte, zu sagen: ›Das ist es, was ich sehe, wenn es dir nicht passt, so ist das dein Problem; ich aber sage dir das, was ich sehe‹«. Diese hingegen, »[die Schriftgelehrten], sind unfrei, sie sind die Knechte ihrer eigenen Rigidität«. Und »wir können sagen«, so bekräftigte Franziskus, »dass alle beide praktisch der Kirche nahestehen: Bileam, der Prophet; und diese da, die Schriftgelehrten«.
»Wie schön ist doch die Freiheit, die Großmut, die Hoffnung eines Mannes und einer Frau der Kirche«, so versicherte der Papst. Und »wie hässlich ist dagegen, und wie schädlich ist doch die Rigidität einer Frau und eines Mannes der Kirche: die klerikale Rigidität, die keine Hoffnung kennt«.
»In diesem Jahr der Barmherzigkeit«, so sagte der Papst, »stehen zwei Wege offen«. Auf der einen Seite seien die, »die auf die Barmherzigkeit Gottes hoffen und wissen, dass Gott Vater ist«, dass »Gott immer vergibt, und zwar alles«, und dass »jenseits der Wüste die Umarmung des Vaters, die Vergebung warten«. Auf der anderen Seite hingegen »sind auch die, die sich in ihre jeweilige Knechtschaft flüchten, in ihre Rigidität, und die nichts von der Barmherzigkeit Gottes wissen«. Die Menschen, von denen das Matthäusevangelium spreche, »waren Gelehrte, sie hatten studiert, aber ihre Wissenschaft hat sie nicht gerettet«.
»Abschließend«, so sagte er am Schluss, »möchte ich eine Anekdote erzählen, die ich selbst im Jahr 1992 erlebt habe. In der Diözese war das Bild der Muttergottes von Fatima angekommen. Ich bin im Zusammenhang einer großen Messe für die Kranken – aber es war eine große Veranstaltung, auf einem großen Feld, mit sehr vielen Menschen – hingegangen, um die Beichte abzunehmen. Und ich habe mehr oder weniger von der Mittagszeit bis gegen sechs Uhr, als die Messe endete, Beichte gehört. Es waren sehr viele Beichtväter da«.
Genau in dem Augenblick, »als ich aufgestanden bin, um an einem anderen Ort eine Firmung vorzunehmen«, so erinnerte er sich, »kam eine alte Frau daher, eine Achtzigjährige, mit Augen, die über die Dinge hinausschauen konnten, Augen voller Hoffnung«. Und »ich habe zu ihr gesagt: Großmütterchen, kommen Sie, um zu beichten? Aber Sie haben doch gar keine Sünden!« Auf die Antwort der Frau hin – »Pater, wir alle haben welche!« – führte Bergoglio den Dialog fort: »Aber vielleicht vergibt sie der Herr ja auch nicht?« Und die Frau, der ihre Hoffnung Stärke verliehen habe, habe gesagt: »Gott vergibt alles, denn wenn Gott nicht alles vergeben würde, dann gäbe es die Welt nicht!«
Und so regte Franziskus »angesichts dieser beiden Menschen« – dem »Freien« mit seiner »Hoffnung, dem, der dir die Barmherzigkeit Gottes bringt«; und »dem engstirnigen, dem Paragraphenreiter, dem Egoisten, dem Knecht seiner eigenen Rigidität« – an, sich »die Lektion, die diese Achtzigjährige –sie war Portugiesin – mir erteilt hat, zu eigen zu machen: Gott vergibt alles, er wartet lediglich darauf, das du dich ihm näherst.«
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