Fünfzehn Krankheiten der Seele: eine Spurensuche
Papstansprache 2015: 15 Krankheiten der Seele - AP
20/12/2015 08:00SHARE: 0:00 Die Krankheiten der Seele, fünfzehn an der Zahl und von Papst Franziskus vor genau einem Jahr in seiner Weihnachtsansprache an die Kurie aufgezählt, sind schnell berühmt geworden. Wie kann ein Chef so etwas seinen Mitarbeitern vorhalten? Ist das wirklich nur ein Beichtspiegel, oder ist das nicht auch eine Rückmeldung?
http://de.radiovaticana.va/news/2014/12/...e_kurie/1115831
Viel Rätselraten, was es mit diesen Krankheiten, dem spirituellen Alzheimer, der geistigen Versteinerung, des Funktionalismus und so weiter, auf sich hat. An diesem Montag wird Papst Franziskus sich wieder an die Kurie wenden, dazu hat Pater Bernd Hagenkord hat etwas nachgeforscht (ausführlich hier) und eine Quelle für die Ansprache aus dem vergangenen Jahr gefunden. Was hat es damit auf sich?
„Nun ja, Quelle ist vielleicht etwas übertrieben, aber es gibt tatsächlich eine Vorlage dafür. Die Zahl fünfzehn hat mich stutzig gemacht. In der Tradition des Jesuitenordens gibt es einen Text, der auch ‚die Krankheiten der Seele und Weisen sie zu heilen’ heißt, und da sind es auch genau fünfzehn Stück. Sie sind alle anders als die von Papst Franziskus genannten, aber das Vorbild scheint mir klar zu sein. Ein früher berühmter Text, der in vielen Regelsammlungen des Ordens abgedruckt war. Und Pater Jorge Bergoglio kennt die Tradition seines Ordens sehr gut. Es ist übrigens ein alter Text, bereits aus dem Jahr 1600.“
Warum hat Papst Franziskus einen so alten Text aufgegriffen, um sich heute an die Kurie zu wenden? „Da müssen wir den Papst schon selber fragen, aber ich denke, die Tradition der Beichtspiegel und die Versuche, erst einmal bei sich selbst anzufangen, bevor man allgemein kritisiert, das sind Traditionen, die er wachrufen wollte.
Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem Original – wenn ich es denn mal so nennen darf – und der Ableitung durch den Papst. Das Original ist vom damaligen Jesuitengeneral Claudio Aquaviva als Leitungsinstrument geschrieben worden, es war also für Ordensobere gedacht. Papst Franziskus dagegen möchte, dass jeder über sich selbst nachdenkt, das ist eine völlig andere Gattung Text. Deswegen darf man die Analogie zwischen den Texten nicht übertreiben. Aber die Bildsprache der Krankheiten und die Zahl Fünfzehn legt sehr nahe, dass der Papst sich an diesem alten Text orientiert hat.“
Lernen wir aus dem alten Text etwas, was uns beim Verstehen der Papstansprache helfen kann? „Ich glaube, dass uns das Bild der ‚Krankheit’ etwas klarer wird. Damit greift der Papst eine alte Sprache auf, die wir heute so nicht mehr verwenden, unser Verständnis von Krankheit ist ja ein anderes, niemand trägt Schuld daran, dass er etwa Alzheimer hat, das wäre absurd. Die Bildsprache der Krankheiten der Seele aber geht ja davon aus, dass man selber etwas daran machen kann. Also eine ganz andere Vorstellungswelt. Der alte Text kann uns beibringen, wie vorsichtig wir mit zu engen Analogien umgehen müssen. Es ist wirklich keine Analyse einer Situation, sondern eine Aufforderung, selber bei sich nachzudenken. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger.“ (rv 20.12.2015 ord)
Hier ausführlich
Die 15 Krankheiten der Seele, revisited
Veröffentlicht am 19. Dezember 2015
„Anweisungen zur Behandlungen der Krankheiten der Seele“. Kommt das bekannt vor? Es kommt bekannt vor! Es klingt nach dem, was Papst Franziskus vor einem Jahr seiner Kurie mit auf den Weg gegeben hat. Wir waren alle beim Hören und Nachlesen erstaunt, dass er nicht bei seinen gewohnten drei Punkten blieb, sondern immer weiter machte. Aber warum waren es fünfzehn? Und was für eine Art Beichtspiegel war das? Als Beichtspiegel hat das mir gegenüber Kardinal Walter Kasper bezeichnet, der damals vor einem Jahr dabei war.
Vor einem Jahr: Ansprache des Papstes an die Kurie
Schließlich habe ich – dank meiner klugen Mitbrüder – einen Text gefunden und gelesen, der mich erstaunt hat. Eben weil er „Anweisungen zur Behandlungen der Krankheiten der Seele“ heißt und genau fünfzehn solcher Krankheiten beschreibt. Er stammt vom damaligen Generaloberen der Jesuiten Pater Claudio Aquaviva und stammt aus dem Jahr 1600. Ja, richtig gelesen, der Text ist über 400 Jahre alt.
Nun geht das auf eine lange und reiche Tradition zurück und Aquaviva war nicht der erste und nicht der letzte, solche Listen zu schreiben. Aber die Zahl fünfzehn lässt mich dann doch aufhorchen. Nun mag ich nicht behaupten, Papst Franziskus habe den Text angewandt oder auch nur gekannt, aber dass es eine Tradition gibt, wird dieser Kenner der geistlichen Tradition des Jesuitenordens Pater Jorge Mario Bergoglio wissen. Er hat in Argentinien einiges dazu publiziert, er kennt also die Tradition. Wer den Text selber nachlese möchte, kann das in der Reihe „Geistliche Texte SJ“ tun, Pater Thomas Neulinger SJ hat 2002 eine deutsche Übersetzung herausgegeben, aus der ich hier auch zitiere.
Pater Claudio Aquaviva
Der Text war jahrhundertelang so bekannt, dass er in die Regelbücher des Ordens eingegangen ist. Bekannt ist vor allem die Überzeugung „fortiter in re, suaviter in modo“, „stark in der Sache und milde in der Art“, die dem zweiten Kapitel „Die Verbindung von Milde und Wirksamkeit“ entnommen ist. Wörtlich heißt es dort „damit wir sowohl stark sind im Verfolgen des Zieles als auch mild in der Art und Weise, [es] zu erreichen“. Man merkt, es geht Aquaviva vor allem um Leitung, nicht um Selbstreflexion des Einzelnen.
„Die Kurie ist gerufen, sich zu bessern, immer zu verbessern und in Gemeinschaft, Heiligkeit und Weisheit zu wachsen, um ihre Aufgabe ganz und gar erfüllen zu können. Und wie jeder menschliche Körper ist sie auch Krankheiten ausgesetzt (..) Hier möchte ich einige dieser möglichen Krankheiten nennen, kuriale Krankheiten.“ Originalton Papst Franziskus am 22. Dezember 2014. Aquaviva geht es 1600 aber um das Individuum, nicht um eine Gruppe. Und es geht ihm um Leitung, wie ich schon gesagt habe. So wie das Exerzitienbuch des Ignatius nicht für den Beter gedacht ist sondern für den Begleiter, so sind diese Regeln für den Oberen und den Beichtvater gedacht.
Was den alten Text von seiner Adaption durch Papst Franziskus außerdem unterscheidet ist die Tatsache, dass auf die ‚Krankheiten‘ selber kaum eingegangen wird. Pater Claudio Aquaviva nennt sie in den Kapitel-Überschriften und setzt sie dann als erkannt voraus. Seine Kapitel befassen sich dann mit den Rezepten, wie ihnen zu begegnen ist, sehr konkrete Anweisungen ganz im Sinn der Unterscheidung der Geister, wie wir sie auch in der Tradition des Exerzitienbuches des heiligen Ignatius von Loyola finden, und wie sie auf die Kirchen- und Wüstenväter zurück gehen. Ich zitiere: „Sobald er während des Examens schlechte Früchte dieser verderblichen Wurzel (es geht hier um die Liebe zu Auszeichnungen und Ehre) sieht, wende er sich ihr sofort zu, tadle sich in diesem Punkt, seufze darüber und schreibe niemals seine Schwäche einer anderen Ursache zu, vor allem nicht der Schuld anderer.“ Das möchte man gleich unterschreiben: Niemals den anderen die Schuld in die Schuhe schieben. Und wenn man das wirklich macht, wenn man sich wirklich hinsetzt und sich darüber ehrlich und im Gebet Rechenschaft ablegt, dann seien diese ‚Krankheiten‘ zu heilen.
Das Buch des Pater Claudio Aquaviva SJ
Alles sehr konkret
An dieser Stelle müsste man über den Krankheitsbegriff der Frühneuzeit sprechen und darüber, was sich seitdem verändert hat. Wir können ‚Krankheit‘ nicht einfach gleichsetzen, damals wurde der menschliche Körper nicht wie heute als vom Rest losgelöst zu behandelndes etwas, quasi als Maschine betrachtet. Medizin war etwas ganz anderes, Ärzte gab es nicht in unserem Sinn etc. Das würde an dieser Stelle zu weit führen. Ich will nur sagen, dass zu all der Fremdheit, die wir beim Lesen erfahren, diese Schwelle auch noch dazu kommt.
Was sind das noch an ‚Krankheiten‘? „Neigung zu Sinnengenuss und Vertraulichkeiten“, „Laxheit in der Beobachtung der Regeln und ein sehr wenig gottesfürchtiges Gewissen“, oder auch „Streben nach Ruhe und Ablehnung von Diensten“, gemeinhin Faulheit genannt. Bekannt mag auch „Weltlichkeit und Interesse am höfischen Leben“ vorkommen, wenn man „höfisch“ durch unsere heutigen gesellschaftlich relevanten Gruppen ersetzt. Eindeutig ist auch „ Starrsinn und streitsüchtige Härte im Urteil“.
Aquaviva richtet sich an die Oberen, nicht an die ‚Kranken‘ selber, wie oben schon gesagt. Also gewissermaßen an die Ärzte, nicht dir Kranken, wenn man im Bild bleiben will. Und deswegen stellt er seinem Text auch eine wichtige Regel vorweg, die gewissermaßen die ganze Idee und die Dynamik des Textes erklärt: „Bei Krankheiten des Körpers erkennt und spürt derjenige, der leidet, die Krankheit am stärksten. Er ist es, der sich von allen am meisten wünscht, geheilt zu werden, und den Arzt herbei ruft. Da er sich danach sehnt, gesund zu werden, lehnt er kein Medikament ab, auch wenn es noch so bitter und unangenehm ist. Bei der Seele verhält es sich allerdings umgekehrt: alle erkennen seine Krankheit, nur er [selbst] nicht, sodass er den Arzt meidet und eine Behandlung kaum zulässt. Daher muss man sich im Blick auf die Behandlung vor allem darum bemühen, dass er die Krankheit (an)erkennt.“ Der größte Feind dieser ‚Krankheiten der Seele‘ ist also die Überzeugung, gar nicht krank zu sein.
Nun muss man aber bei Aquavivas Text sich immer vor Augen halten, dass er in den Orden hinein gerichtet ist, es geht um Gehorsam gegenüber dem Oberen und der Ordensregel und so weiter. Das gilt natürlich nicht nach außen. Aber es ist eine Tradition, die es im Orden gegeben hat, eine Weiterschreibung der Exerzitien in den Alltag des Ordenslebens. Nun ist die päpstliche Kurie nicht der Orden, aber alles geistliches Leben beruht auf einigen geistlichen Prinzipien, und die kann man anfragen. Und das hat Papst Franziskus vor einem Jahr getan. Und wie bei Aquaviva so gilt auch bei der Gewissensrechenschaft von Papst Franziskus, was bereits 1600 wahr war: „ eine äußere Zurechtweisung bewirkt nichts, wenn nicht ein innerer Antrieb mitwirkt.“ http://blog.radiovatikan.de/die-15-krank...eele-revisited/
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