Freundschaft mit Jesus Christus als roter Faden 2015 von michaela Interview zu Papst emeritus Benedikt XVI. mit Bischof Rudolf Voderholzer/ Teil 2
REGENSBURG, 2015 (Vaticanista/ZENIT.org).- Aus Anlass des zehnten Jahrestags der Wahl (19. April) und der Amtseinführung (24. April) Papst Benedikts XVI. spricht der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer in einem Interview mit Michaela Koller von ZENIT über die bleibende Bedeutung des Theologenpapstes. Bischof Voderholzer ist Gründungsdirektor des Instituts Papst Benedikts XVI. Noch während seiner Amtszeit hatte Papst Benedikt XVI. selbst den Vorgänger Bischof Voderholzers, den heutigen Kardinal Gerhard Ludwig Müller, Präfekt der Glaubenskongregation, beauftragt, seine gesammelten Werke herauszugeben. Müller gründete daraufhin das Institut zur wissenschaftlichen Betreuung des mit dem Herder Verlag Freiburg geplanten Editions-Projektes. Die Edition umfasst 16 Bände. Ziel der „Joseph Ratzinger Gesammelten Schriften“ (JRGS) ist die Erschließung des theologischen Werkes von Joseph Ratzinger bis zur Papstwahl in einer Kombination von systematischer und chronologischer Ordnung. Im Gespräch mit Bischof Voderholzer wird deutlich: Positionen, die der junge Konzilstheologe Ratzinger vertrat, beeinflussten wesentlich die Offenbarungs- und die Kirchenlehre des Konzils und spiegelten sich später in seiner Amtsführung als Papst wider.
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Der emeritierte Papst schreibt gerade einfachen gläubigen Menschen einen „hellen Blick für das Wesentliche“ zu. Schwierige theologische Inhalte transportierte der Theologenpapst selbst von überraschender Verständlichkeit. Ist diese Maxime der Einfachheit auch schon in der Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils bei Joseph Ratzinger zugrunde gelegt?
Bischof Voderholzer: Das ist auch ein roter Faden: aus der Mitte heraus denken. Der Glaube ist deshalb einfach, weil er in einer Person gründet und Antwort ist auf die Selbsterschließung Gottes in Jesus Christus. Deswegen ist der Glaube für jeden einfach, der aus dieser Christusbeziehung heraus lebt, der sich durch Jesus Christus und den Heiligen Geist den Weg zum Vater öffnen lässt. Der Glaube ist keine Sache der Intelligenz oder großen Belesenheit oder Gelehrsamkeit, sondern eine Frage der persönlichen Beziehung. Um auf den einfachen Kern hinzuweisen, bedarf es einer guten Verkündigung und der Einsicht in die Hierarchie der Wahrheiten und ihren inneren Zusammenhang. Sie müssen von einer Mitte her gesehen werden, und das ist die persönliche Beziehung, die Freundschaft mit Jesus Christus, dem Herrn seiner Kirche.
Sprechen wir über den Wahrheit suchenden Joseph Ratzinger/ Papst Benedikt XVI.. Welche Quellen theologischer Erkenntnis sind in seinen frühen Arbeiten herausgearbeitet?
Bischof Voderholzer: Joseph Ratzinger geht hier ganz klar von der immer gültigen Lehre der Kirche aus, die Melchior Cano im 16. Jahrhundert in der Lehre von den „Loci theologici“ formuliert hat. Die wichtigsten Quellen des Glaubens der Kirche sind die Heilige Schrift, die Glaubensüberlieferung der Kirche (Tradition), die Autorität der Kirchenväter, der scholastischen Theologen und besonders auch der Heiligen. All das ist mit einer großen Wertschätzung der menschlichen Vernunft verknüpft, die hilft, wenn sie sich für Gott öffnet, den Glauben zu verstehen. Auch die Vernunft sowie die Philosophie sind ein „theologischer Fundort“ (locus theologicus); sie gehören zu den loci alieni.
Joseph Ratzinger hatte die Lebensrealität in der mitteleuropäischen und amerikanischen Zivilisation schon immer mit großer Nüchternheit eingeschätzt. Es gibt sehr frühe Schriften, die von einem neuen Heidentum in der Kirche sprechen. Freilich ist für ihn diese Situation nicht normativ in dem Sinne, dass die Kirche ihren Glauben an die Situation anpassen müsste. Es ist umgekehrt eine Herausforderung, die Verkündigung zu intensivieren und das, worauf es im Glauben ankommt, den Menschen verständlich zu erklären und auch vorzuleben.
Mit Blick auf aktuelle Debatten: Welche Bedeutung hat denn die Lebenswirklichkeit der Menschen etwa in den Vorlagen, die Joseph Ratzinger für Kardinal Joseph Frings von Köln erstellte?
Bischof Voderholzer: Das Problem, das wir gegenwärtig haben, ist ja, dass eine Lebensrealität, die sich vom Glauben entfernt hat, plötzlich zur Norm oder Glaubensquelle erklärt werden soll. Das ist in der Kirche nie so gesehen worden. Es hätte keine Zehn Gebote, prophetische Weisungen oder den Umkehrruf Jesu gebraucht, wenn das, was sowieso schon geschieht, für in Ordnung, beziehungsweise dem Willen Gottes entsprechend, betrachtet worden wäre. Man muss die Realität nüchtern sehen und dann eine Antwort darauf finden, wie man die Botschaft Jesu glaubwürdig verkünden kann. Selbst Jesus musste aber erleben, dass auf seine Predigt hin viele Menschen sagten: Seine Rede ist hart, wer kann das ertragen. Und dann sind sie wieder gegangen. Jesus läuft aber nicht den Leuten hinterher, sondern fragt die Apostel: Wollt auch ihr gehen? Petrus antwortet dann: Herr, wohin sollen wir gehen? Du allein hast Worte ewigen Lebens (vgl. Joh 6,60–71). Es wäre ein wichtiges Modell für die Gegenwart, nicht die Preise herunterzusetzen, sondern das, was wir haben, aufzupolieren, in aller Schönheit und Größe darzustellen. Diesen Vorschlag hat auch Joseph Ratzinger sehr früh gemacht. In diesem Zusammenhang verstehe ich auch seine Rede von der „Entweltlichung“. Ich muss versuchen, meine Worte mit meinem Leben in Deckung zu halten, dass sie glaubwürdig bleiben und angenommen werden können und das Evangelium vielleicht auch noch professioneller zu verkünden.
Auch die Errichtung eines Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung am 29. Juni 2010 war kein Schritt, der für Kenner der Zuarbeiten für Kardinal Frings überraschend kam, nicht wahr?
Bischof Voderholzer: In der Tat. Die Kirche ist von ihrem Wesen her missionarisch. Der Glaube verlangt von innen her nach Mitteilung und Weitergabe, in aller Freiheit natürlich. Das ist eine Einsicht, die aus der Bibel- und aus der Kirchenvätertheologie gewonnen werden kann und auch im Zweiten Vatikanischen Konzil ihren Niederschlag gefunden hat. Joseph Ratzinger hat die einleitenden Aussagen des Missionsdekretes „Ad gentes“ vorformuliert. Da steht alles schon geschrieben. Es geht auch um ein Sich-missionieren-lassen der Kirche selbst, damit sie ihre Missionsaufgabe nach außen hin umso strahlender leisten kann. In diesem Zusammenhang erscheint mir auch der Hinweis angebracht, dass wir uns nicht vor einem missionarischen Islam fürchten müssten, sondern vielmehr vor der eigenen Lähmung, Schwäche und Wortlosigkeit in den alten christlichen Kulturen. Aus der Perspektive des Islam stellt sich die alte christliche Welt als eine sowohl hinsichtlich des Glaubens als auch der Moral brüchige Gesellschaft dar, die man mit neuem Glaubenselan vom Koran her langsam übernehmen kann. An dieser Perspektive könnte etwas Wahres dran sein, aber wir sollten nicht darüber klagen, sondern uns an die eigene Nase fassen.
Hier in Regensburg hat Papst Benedikt XVI. Wesentliches an die Adresse der Muslime gesagt, jedoch wurde die Rede im Audimax der Universität oftmals als erste Panne des Pontifikats betrachtet. Was sagen Sie zu dieser Auffassung?
Bischof Voderholzer: Papst Benedikt XVI. hat in seiner Regensburger Rede geradezu prophetisch zum Dialog mit dem Islam aufgerufen und ihn herausgefordert, auf höchster Ebene das Verhältnis von Gottesbild und Gewalt zu klären. Der militante Islam ist in der Tat besorgniserregend, und macht zu Recht vielen Angst; die Verfolgung und Vertreibung der Christen aus den Ursprungsländern des christlichen Glaubens ist ein Skandal, der eigentlich die ganze Weltgemeinschaft empören und zum Protest und zum Handeln bringen müsste. Jeder Tag bringt uns erschreckende Belege, wie notwendig die Auseinandersetzung ist, die Benedikt XVI. in Regensburg aufgenommen hat. Aus diesem Grund halte ich diese Rede auch für einen der Höhepunkte des Pontifikats.
Damit eng verknüpft ist auch das Thema Religionsfreiheit, der Papst Benedikt XVI. einen bevorzugten Rang unter allen Freiheitsrechten einräumt. Nicht nur nach außen, sondern auch nach innen hat der Theologe Joseph Ratzinger diese verteidigt…
Bischof Voderholzer: Die Religionsfreiheit musste zunächst einmal begründet werden. Das Konzil tut dies in „Dignitatis humanae“ in zwei Schritten. Das erste ist die Entwicklung der Religionsfreiheit aus dem Wesen der menschlichen Person und ihrer Würde. In einem zweiten Teil wird es biblisch-geschichtlich begründet, mit dem Hinweis auf Christus und die Märtyrer. Christus hat die Wahrheit nicht politisch durchgesetzt, sondern ist dafür ans Kreuz gegangen. So tun es die christlichen Märtyrer, die sich lieber tot schlagen lassen, als die Wahrheit zu verleugnen. Wenn es zwischen Wahrheit und Freiheit einen Konflikt gibt, muss man die Freiheit, der Wahrheit nicht zu folgen, respektieren. Die Wahrheit kann nur in Freiheit angenommen werden. Ich kann nicht für das große Gut der Wahrheit ein politisches System gut heißen, das mich äußerlich zur Wahrheit verpflichtet. Die Wahrheit muss in einer solchen Weise verkündet und dargestellt werden, dass sie in ihrer Evidenz und in ihrer die Herzen bezwingenden Schönheit auch ausstrahlt.
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