Das Volk, das im Dunkeln sitzt
Weihnachtskrippe Quelle: Pixabay CC0 , Pezibear Public domain
Impuls zu Weihnachten -- Lesejahr C
Msgr. Dr. Peter von Steinitz | 25. Dez | ZENIT.org |
So unterschiedlich ist die Situation nicht. Nicht nur vor der Ankunft des Erlösers, sondern auch heute hat man den Eindruck, dass das Volk im Dunkeln sitzt. Wobei die Dunkelheit sich hierzulande nicht so sehr in Armut und Elend zeigt – das tut es in Ländern wie Syrien oder Afghanistan. Die Dunkelheit im reichen Europa nimmt man in erster Linie wahr als einen Mangel an geistigem Tiefgang.
Nur ein Beispiel: im Bereich Schule und Erziehung wird seit über fünfzig Jahren ständig reformiert. Was heute die große Errungenschaft ist, gilt morgen nicht mehr. Psychologie und Soziologie liefern ständig neue „Ergebnisse“, die sofort pädagogisch realisiert werden müssen. Im Jahr darauf gibt es neue Erkenntnisse. Maos Kulturrevolution war ein Kinderspiel dagegen.
Man wird nicht leugnen können, dass der große Kunsthistoriker Hans Seldmayr mit dem Wort vom „Verlust der Mitte“ die innere Haltlosigkeit des entchristlichten Europas treffend charakterisiert hat, auch wenn er zunächst nur Kunst und Architektur im Blick hatte.
Europa hat tatsächlich seine geistige Mitte verloren, nicht erst seit gestern. Es bewegt sich ständig außerhalb seiner selbst, da es sich seiner Identität nicht mehr recht bewusst ist. Sedlmayr sagt, der moderne, „autonome“ Mensch habe allem gegenüber eine Störung. Er habe ein gestörtes Verhältnis zu Gott, da er in seiner Kunst nicht mehr ihm diene (Tempel, Kirche, Götterbild); zu sich selbst, da er sich mit Misstrauen, Angst und Verzweiflung betrachte; zu seinen Mitmenschen, da der Mensch in der Kunst auf das Niveau der übrigen sichtbaren Dinge herabgedrückt werde; und zur Natur, da er sich nicht mehr als Krone der Schöpfung über sie erhebt, sondern sich mit ihr solidarisch erklärt.
Damit ist er, der „moderne Mensch“ das Gegenteil von dem, was der Mensch im Ursprung der Schöpfung war, als er in vollkommener Harmonie lebte, mit Gott, mit sich selbst und mit seiner Umwelt.
Da drängt sich gerade auch heute die bange Frage auf: was ist denn seit der Geburt des Erlösers anders geworden? Wo zeigt sich eine Besserung? Gibt es nicht genau wie vorher Hass und Streit, Krankheit und Leiden aller Art und schließlich Kriege und Terrormaßnahmen von einer Grausamkeit wie sie die Welt selten gesehen hat?
Ist gar die Menschwerdung Gottes und alles, was daraus folgt, nur eine, wenngleich ehrenwerte Illusion? Sieht die reale „Lebenswirklichkeit“ nicht ganz anders aus?
Die Antwort lautet – Gott sei Dank – nein. Christus hat tatsächlich durch seine Menschwerdung, durch seine erhabene Lehre und schließlich durch seine Erlösungstat die Menschheit erlöst und den ursprünglichen paradiesischen Zustand wieder hergestellt. Allerdings muss jeder Mensch die Erlösung für sich auch annehmen, so sehr respektiert Gott unsere Freiheit. Die scheinbare Ungereimtheit entsteht also dadurch, dass wir vergessen, die Erlösung ist noch nicht vollendet, sie ist im Gang. Und das so lange, bis der letzte Mensch die Weltbühne betreten hat und die Erlösung akzeptiert hat. Dann erst kommt das Gericht und damit der „neue Himmel und die neue Erde“. Bis dahin müssen wir immer wieder mit der Dunkelheit rechnen.
Und dann erst wird die Erneuerung der Menschheit und der ganzen Schöpfung auch äußerlich erkennbar. Dann „weiden Wolf und Lamm zusammen, der Löwe frisst Stroh wie das Rind. Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen“ (Jes 65,25). Ja, die ganze Schöpfung, die nach Paulus „in Wehen liegt und des Offenbarwerdens der Kinder Gottes harrt“ (vgl. Röm 8,34), wird erneuert und gereinigt.
Auch wenn wir gehalten sind, die derzeitige Welt in christlichem Sinne zu gestalten und nach den Vorstellungen Christi zu „reformieren“, so kann es uns bei der derzeitigen Überfülle von falschen Ideen und so genannten Reformvorstellungen ein Trost sein, wenn wir in der Offenbarung des hl. Johannes lesen, dass die neue Erde nicht durch die Menschen heraufgeführt wird (da haben wir durch die Ideologien des 20. Jahrhunderts verheerende Erfahrungen gemacht), sondern durch ihn, Christus: „Seht, ich mache alles neu!“ (Off 21,5).
Dann, wenn das geschehen sein wird, werden wir uns mit Dankbarkeit erinnern, wie das Ganze begann. Die Dinge Gottes beginnen immer klein und unscheinbar. Oft aus dem Dunkel heraus. Allerdings unscheinbarer als in Bethlehem ist es kaum vorstellbar. Der allmächtige Gott, der Schöpfer des Universums liegt als ein kleines Kind in einer Krippe in einem Stall, weil im Ort kein Platz für ihn war.
Auf dem Weg nach Bethlehem haben sich Maria und Josef oft gefragt, warum die Geburt des Gottessohnes mit so vielen Unannehmlichkeiten verbunden sein musste. Die Laune des Kaisers, dem es um mehr Steuereinnahmen ging, die eigentlich unzumutbare Reise von Nazareth nach Bethlehem, vor allem aber das bösartige Verhalten der Leute in Bethlehem – konnte das denn nicht anders gehen?
Aber Maria und Josef sind so sehr mit Gott und seinem heiligen Willen verbunden, dass sie in allem die Hand Gottes sehen und akzeptieren. Aus diesem Grunde gelingt es ihnen ganz leicht, allen Ärger und alles Ungemach zu vergessen in dem Augenblick, als das unendlich liebliche Kind vor ihnen auf dem Boden der Grotte liegt und sie anlächelt.
Das göttliche Baby lehrt uns, ohne Worte, mehrere gute Verhaltensweisen. Es zeigt uns, dass wir, wie Maria und Josef, unseren oft berechtigten Ärger relativieren können, denn wenn wir in ihm das Kreuz erkennen, wird er auf einmal sinnvoll, und wir können das Unangenehme mit dem Kreuz des Herrn, das schon in Bethlehem hinter der Krippe aufscheint, vereinigen.
Zum anderen lernen wir dadurch, dass sich der allmächtige Gott in der absoluten Einfachheit eines kleinen Kindes zeigt, dass auch wir einfach werden sollen. Das Leiden des modernen Menschen besteht vielfach darin, dass er viel zu kompliziert ist. Das kleine Kind zeigt uns, durch seinen liebevollen Blick, den wir erwidern, wie wir uns „entkomplizieren“ können. Wie gut uns das tut!
Wenn wir das schaffen und tatsächlich unsere eigenen Befindlichkeiten relativieren, dann ergeht es uns so wie Maria und Josef: wir werden mit Entzücken, und befreit von aller Egozentrik, auf das Kind schauen, das unser ganzes Glück ist. Denn es führt uns aus allen Dunkelheiten heraus und bringt uns nicht nur eine momentane Freude, sondern ewiges Glück.
Msgr. Dr. Peter von Steinitz war bis 1980 als Architekt tätig; 1984 Priesterweihe durch den hl. Johannes Paul II.; 1987-2007 Pfarrer an St. Pantaleon, Köln; seit 2007 Seelsorger in Münster. Er ist Verfasser der katechetischen Romane: „Pantaleon der Arzt“, „Leo - Allah mahabba“ (auch als Hörbuch erhältlich) und „Katharina von Ägypten“ http://www.zenit.org/de/articles/das-vol...m-dunkeln-sitzt
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