Murrhardt Immer mehr feiern Weihnachten nicht allein
Von Frank Rodenhausen 27. Dezember 2015 - 19:00 Uhr
Weil er selbst aus eigener Erfahrung weiß, wie trostlos ein Heiligabend ohne Partner oder Angehörige sein kann, hat Stefan Nägele vor fünf Jahren in Murrhardt eine gesellige Runde ins Leben gerufen. Nägele ist mittlerweile nicht mehr allein, die Veranstaltung aber auch nicht mehr wegzudenken.
In Murrhardt kann man an Heiligabend in geselliger Runde feiern. Foto: Gottfried Stoppel Stefan Nägele weiß aus eigener Erfahrung, dass es nicht selbstverständlich ist, Heiligabend im Kreise der Familie zu feiern. Im Alter von 17 Jahren verlor er seine Mutter und war von diesem Zeitpunkt an meist auf sich alleine gestellt.
Als er vor fünf Jahren nach Murrhardt zog und mal wieder ein einsames Weihnachtsfest drohte, beschloss er, aktiv etwas dagegen zu unternehmen. Er organisierte einen Raum in der Pfarrscheuer der evangelischen Kirche, fragte bei Firmen nach Gaben an, die man als Geschenke unter den Weihnachtsbaum legen könnte und richtete mit drei weiteren Helfern für etwa 30 ihm bis dato unbekannte Gäste einen schönen Abend mit Saitenwürstchen und Kartoffelsalat aus.
Seither hat er vor und während des 24. Dezember regelmäßig alle Hände voll zu tun. „Weihnachten nicht allein zu Hause“ ist eine feste Institution in Murrhardt geworden. Mehr als 100 Gäste kommen mittlerweile in den Fürstensaal der Alten Abtei, in den die Veranstaltung aus Platzgründen umgezogen ist.
Dieter Pfitzenmaier hat sich eigens eine rote Mütze mit weißer Fellborte und Bommel aufgesetzt. Der 57-Jährige hat sich spontan dazu entschlossen, Weihnachten in der Alten Abtei und nicht allein zu Hause zu verbringen, nachdem er das Fest nicht mehr wie bisher mit seiner älteren Schwester feiern kann. Der erste Eindruck sei gut, die Tafel reichlich gedeckt, der Saal festlich geschmückt. „Ich bleib’ bis zur Bescherung und helfe dann abräumen“, sagt er zur Kaffeezeit. Und wenn gewünscht, werde er auch den Weihnachtsmann spielen.
Bärbel Welsch ist mit Mann, Söhnen und Hund gekommen, um „die Oma“ an Heiligabend mal unter Leute zu bringen. Die 86-Jährige, die zurückgezogen in einem benachbarten Seniorenheim lebt, sei nicht mehr so gut zu Fuß und deshalb auch nicht gewillt, das Fest im Haus ihrer Familie zu verbringen. Sie selbst erhoffe sich darüber hinaus, Kontakt zu den Flüchtlingen knüpfen zu können, von denen gut 50 der Einladung gefolgt sind.
Die sitzen noch ein wenig separat, was aber bestimmt nicht damit zusammenhänge, dass man unter sich bleiben wolle, wie Silvia Metzger vom örtlichen Arbeitskreis Flüchtlingshilfe betont, sondern eher daran, dass man ein wenig spät aus dem Containerdorf aufgebrochen sei.
Die 16-jährige Syrerin Sarah hat dort vor zehn Tagen eine vorübergehende Unterkunft gefunden. Zuvor ist sie mit einer Schwester und einem ihrer drei Brüder 14 Tage lang auf abenteuerlichen Wegen von ihrer Heimatstadt Deer Al Ezzore nahe der irakischen Grenze nach Deutschland gereist. Sie sei froh und dankbar, jetzt mit friedlich gesinnten Menschen Weihnachten feiern zu dürfen, sagt die Muslima.
Stefan Nägele springt derweil zwischen Küche und Kaffeetafel hin und her, macht Fotos, schüttelt Hände und schneidet eine Torte an, die ein örtlicher Bäcker gespendet hat. Gemütlich feiern sieht sicher anders aus, doch Nägele wirkt hochzufrieden.
Ganz pragmatisch gesehen hätte „Weihnachten nicht allein zu Hause“ für ihn persönlich bereits nach der Premiere beendet sein können. Denn im Jahr 2012 hat er seine Partnerin kennengelernt – indirekt über seine nicht ganz alltägliche Weihnachtsfeier. Martina Gerke war über ein während der Veranstaltung aufgenommenes Foto im Internet auf ihn aufmerksam geworden.
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