30.12.2015
Die europaweiten Wege auf den Spuren des heiligen Martin wachsen Wer teilt, hat mehr
Statue des Heiligen Sankt Martin © Harald Oppitz
Die europäischen Martins-Pilgerwege wachsen weiter. Im Martinsjahr 2016 soll die württembergische Wegstrecke mit dem Grab des Heiligen in Tours verbunden sein. Pilger-Pioniere haben bereits GPS-Daten gesammelt.
Die Jakobswege nach Santiago de Compostela sind ein Riesenerfolg: 300.000 Pilger jährlich laufen auf Haupt- und Nebenstrecken zum heiligen Jakobus nach Nordspanien. Eine tolle Geschichte, eine Riesenerfahrung - findet auch Antoine Selosse. Aber dem Initiator des Centre Culturel Europeen Saint Martin de Tours fehlt eine entscheidende Komponente: Vielen gehe es zu sehr ums Ankommen und zu wenig um das Gemeinsame auf dem Weg. "Der Jakobsweg wird konsumiert. Die Landschaft, die Leute am Wegesrand werden konsumiert."
Auf den Spuren des Heiligen Martin
Selosse hat ein internationales Projekt auf den Weg gebracht, das den heiligen Martin und das Teilen in den Vordergrund stellt: die europäischen Martinswege. Die Wanderwege durch Frankreich, aber auch bis Ungarn, Italien, England, Kroatien, sind nicht einfach auf ein Ziel ausgerichtet: auf Tours an der Loire, wo der heilige Martin im vierten Jahrhundert als Bischof wirkte. Selosse träumt von einem Weg, wo nicht nur das Ziel das Ziel ist, sondern der Weg selbst. Wo der Wanderer von den Menschen am Weg lernt und mit ihnen teilt.
Der heilige Martin ist dafür der Richtige - ein Heiliger der Nächstenliebe und ein echter Europäer. Geboren vor knapp 1.700 Jahren, um 316/17, im heutigen Szombathely (Steinamanger) in Ungarn, verbringt er seine Jugend als Soldatensohn in Pavia. In Amiens teilt er als Offizier einer römischen Eliteeinheit seinen Mantel mit einem Bettler, empfängt die Taufe und bittet den Kaiser bald darauf in Worms, aus dem Militärdienst ausscheiden zu dürfen. Als Einsiedler gründet er in Liguge das erste Kloster Galliens. Von dort entführt und gegen seinen Willen zum Bischof von Tours gemacht, unternimmt er weite Missionsreisen. Mehrfach ist er in kirchenpolitischer Mission beim Kaiser in Trier und Mainz.
Europaweite Wege
Die drei französischen Wege - der "Trierer Weg", der "Weg des Bischofs von Tours" und der "Weg des Martinssommers" - sind auf knapp 500 Kilometern voll ausgeschildert und mit einheitlichen Steinstelen markiert. Auch in Ungarn und Slowenien macht das Wegenetz Fortschritte. Bis Sommer soll die württembergische Wegstrecke mit Tours verbunden sein. Irgendwann sollen die europäischen Martinswege in etwa 100 Kilometer lange Teilstrecken mit je eigenem thematischem Schwerpunkt aufgeteilt sein. Auf einer lernen die Pilger von den Anrainern etwas über Artenvielfalt, anderswo über Tierschutz, Wasser, regionales Handwerk und so fort. Wer teilt, gewinnt, so die Botschaft des heiligen Martin.
Noch fehlt es freilich an der "partage", der Teilhabe der Bevölkerung. Natürlich gibt es die freundlichen Begegnungen am Wegesrand und manchenorts im Bürgermeisteramt oder beim Pfarrer einen Stempel in den Wanderpass. Aber Selosse lässt seinem Projekt Zeit: "Ende der 80er Jahre, als der Europarat den Jakobsweg neu auf die Agenda setzte, war dort auch noch nicht viel los. Es hat 20 Jahre gebraucht, bis wir die Wiedergeburt der Pilgertradition von heute sehen."
In Frankreich weitgehend unbekannt
Ein Problem in Frankreich: "Kaum einer hier kennt mehr die Legenden und Geschichten von Sankt Martin." Schon seit den Religionskriegen des 16. Jahrhunderts waren Martinskult und Pilgerwesen im Niedergang.
Die riesige Martinsbasilika, über Jahrhunderte eine zentrale Station auf dem Jakobsweg, verfiel und wurde nach der Französischen Revolution abgerissen. Dazu kam, dass der Waffenstillstand des Ersten Weltkriegs genau am 11. November 1918 unterzeichnet wurde. Fortan war der Martinstag in Frankreich der "Tag des Waffenstillstands" und der Veteranen. Selosse: "Es wäre schön, wenn eine Frucht der gewachsenen deutsch-französischen Freundschaft ein Rückimport des Martinsbrauchtums etwa aus dem Rheinland würde."
In Tours versucht das Europäische Martinszentrum, seinen Teil beizutragen: mit geführten Radtouren, mit Fackelbasteln und Umzug, gemeinsamem Kochen und Essen. "Wir wollen vor allem etwas für die Jugend des 21. Jahrhunderts machen", sagt Selosse. "Dinge, die in unserer gehetzten und besinnungslosen Gesellschaft dringend nötig sind: Entschleunigung, Verantwortung, Mitmachen, Verstehen, Teilen - die Werte des heiligen Martin."
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Kathedrale von Orléans © Alexander Brüggemann (KNA)
Der Heilige Martin
Geboren wurde Martin 316/317 im heute ungarischen Szombathely. Als Jugendlicher trat der Sohn eines Offiziers der römischen Armee bei. Er wurde Christ und errichtete im heutigen Frankreich eines der ersten Klöster des Abendlandes. Später wählte ihn das Volk zum Bischof von Tours.
Schon zu Lebzeiten wurden Martin, der am 11. November 397 starb, viele Wunder bis hin zur Wiedererweckung von Toten nachgesagt. Im Gedächtnis bis heute am meisten verhaftet ist jedoch eine Szene, die am Stadttor von Amiens stattgefunden haben soll: Martin sah am Straßenrand einen frierenden Armen, teilte mit einem Schwert seinen Mantel und schenkte dem Bettler die Hälfte.
Martin ist der erste Heilige der Kirche überhaupt, der kein Märtyrer ist. Er ist Schutzpatron Frankreichs und der Slowakei, Landespatron des Burgenlandes in Österreich, Patron der Bistümer Mainz und Rottenburg-Stuttgart sowie tausendfacher Namensgeber für Kirchen und Klöster weltweit. Katholiken verehren ihn ebenso wie Protestanten, Orthodoxe, Anglikaner und armenische Christen. Alexander Brüggemann (KNA)
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