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  • 14.02.2016 00:19 - Mexiko: „Kirche muss mehr evangelisieren als sakramentalisieren“
von esther10 in Kategorie Allgemein.

Mexiko: „Kirche muss mehr evangelisieren als sakramentalisieren“


Den Menschen in den Mittelpunkt stellen: Der Papst unterwegs in Mexiko - REUTERS

14/02/2016 03:33SHARE:

Mexiko, das ist eine Herzmitte der katholischen Welt und zugleich Peripherie. Papst Franziskus besucht das mittelamerikanische Land, weil er die, die dort am Rand leben, in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken möchte. Das sagte Prälat Bernd Klaschka, der Präsident der deutschen bischöflichen Lateinamerika-Aktion Adveniat, in Mexiko Stadt unserer Korrespondentin Gudrun Sailer. Klaschka hat selbst 15 Jahre als Priester in Mexiko gewirkt und wird dem Papst auf seinen verschiedenen Reise-Etappen folgen.
„Mexiko ist ein Land, das sozioökonomisch zwar nicht am Rand steht, aber aufgrund seiner Probleme, die es als Gesellschaft und teils auch als Kirche hat, irgendwo eine Randsituation darstellt. Mexiko ist das Land, das die meisten Katholiken der Welt beherbergt, nach Brasilien, aber prozentual sind es hier die meisten, fast 90 Prozent der Menschen sind katholisch, und insofern kann es auch ein Zentrum sein. Aber anhand der Stationen, die er ausgewählt hat, ist klar, er geht an die Ränder der Gesellschaft Mexikos und macht auf Probleme aufmerksam, die die Ränder betreffen, nämlich Migration, Indigene, die Armen – das sind die Gruppen, die an den Rändern der Gesellschaft leben, und die will er ins Zentrum rücken.“

„Aufgabe der Kirche ist es zu evangelisieren und nicht nur Sakramente zu spenden"
RV: Mexiko hat die enormen Probleme, die Sie eben nannten, auch Korruption, Gewalt, Drogen, Menschenhandel sind zu nennen. Gleichzeitig ist das Land zu 90 Prozent katholisch. Wie geht das zusammen?
„Wir Katholiken haben ja aufgrund unserer Soziallehre und unserer Botschaft im Mittelpunkt den Menschen. Hier scheint es, dass der Mensch nicht im Mittelpunkt steht, sondern Interessen, etwa bei der Drogenmafia, Menschenhandel, Organhandel, organisierte Kriminalität, oder zum Teil weil politischen Gruppierungen, die im Land ihre eigenen Interessen verfolgen und nicht den Bürgern und dem Wandel dienen möchten. Aus diesem Grund ist es eine Herausforderung für uns Christen, an der Basis anzufangen mit der Vermittlung der sozialen Lehre der Kirche und des Evangeliums. Mehr zu evangelisieren als zu sakramentalisieren, so möchte ich das sagen."
RV: Das war in der Vergangenheit anders?
„Die Geschichte der Kirche von Mexiko war davon geprägt davon, dass man die Sakramente spendete, aber nicht so sehr das Evangelium verkündeten. Es gibt hier Bischöfe, die ganz deutlich darauf aufmerksam machen, die Priorität hat für die Kirche in Zukunft die Inhalte des Evangeliums den Menschen zu vermitteln und nicht die sakramentale Seite. Ich glaube, damit treffen sie auch das Kernanliegen von Franziskus der sagt, die Aufgabe der Kirche ist es zu evangelisieren und nicht nur Sakramente zu spenden.“
RV: Bei der Gelegenheit ein kurzer Blick auf den mexikanischen Episkopat, den der Papst ja hier in Mexiko-Stadt auch getroffen hat: es gibt rund 150 Bischöfe hier, sehen Sie da einen Typus, oder einen neuen Typus des mexikanischen Bischofs?
„Was ich hier in Mexiko wahrnehmen konnte in den letzten zwei, drei Jahren, ist die Tatsache, dass Franziskus beziehungsweise der Nuntius in Mexiko Wert darauf legen, dass Priester zu Bischöfen ernannt werden, die einen großen pastoralen Impetus haben, denen die Seelsorge ein großes Anliegen ist, also bei den Menschen zu sein, bei den Priestern zu sein und sie zu verstehen, und dadurch auch die Atmosphäre innerhalb der Kirche in Mexiko voranbringen und so zu gestalten, dass sie mehr dem Evangelium gerecht werden kann. Früher waren es mehr Persönlichkeiten aus dem Bereich des Kirchenrechtes oder der Dogmatik, die zu Bischöfen ernannt worden sind, und ich glaube es ist eine gute Ergänzung, Weiterführung und Öffnung, Priester zu Bischöfen zu ernennen, die aus dem pastoralen Bereich kommen. Das ist eine Bereicherung der Kirche.“
RV: Missbrauch durch Kleriker: Franziskus wird diesbezüglich eine Botschaft in Mexiko hinterlassen. Ist das heute, nach der Aufarbeitung der Causa Marcial Maciel, des Gründers der Legionäre Christi, ein stark wahrgenommenes Thema? Wie sehr hat dieser Vorgang der Kirche und den Menschen in Mexiko geschadet und hat sie geschmerzt?
„Das Thema des Gründers der Legionäre Christi ist in Mexiko schon lange bekannt gewesen. Die Kirche in Mexiko hat sich schwer getan im Umgang mit Maciel und den damals bekannten Vorwürfen. Erst durch Insistieren einiger Bischöfe hier ist der Fall in Rom wieder neu aufgerollt worden und dann aber auch zum Abschluss gekommen, indem man sagte, die Vorwürfe treffen zu, und Benedikt XV. hat Maciel die Erlaubnis zum Predige und zum Feiern der Liturgie in der Öffentlichkeit entzogen und ihm zu einem zurückgezogenen Leben aufgefordert. In Mexiko ist dieses Verhalten mit großer Betroffenheit aufgenommen worden, denn die mexikanische Kirche genoss und genießt heute noch ein großes Vertrauen insbesondere der Armen. Das hat allerdings auch zu Verlusten geführt. Wir müssen auch hier die Sicht der Opfer ganz stark einbringen, was ganz stark Benedikt gesagt hat und Franziskus stärkt, die Null Toleranz fahren.“
RV: Kann eine schriftlich hinterlassene Botschaft von Franziskus bezogen auf Kindesmissbrauch etwas heilen?
„Bei den Opfern in den Herzen – da bin ich mir unsicher. Auf alle Fälle zeigt der Papst den guten Willen und die Bereitschaft der Kirche, auf diese Menschen zuzugehen und um Vergebung zu bitten. Er versucht durch dieses Zeichen diese Betroffenheit wird bleiben, aber vielleicht auch die Ablehnung des Glaubens und der Kirche, eine Haltung der Depression zu überwinden und zu sagen, die Kirche erkennt ihr Schuld an und gibt mir die Möglichkeit, das auch zu verarbeiten, damit ich wieder ja sagen kann zum Leben, was ein langer Weg ist, und wir müssen diese Menschen auf diesem Weg begleiten.“

Familie und Armut: schon Unvollkommenes hat mit Gott zu tun
RV: Die Institution Familie ist in Mexiko allerlei Bedrohungen ausgesetzt. Franziskus wird am Dienstag in Chiapas einigen Menschen in „unebenen“ familiären Situationen begegnen, wie sie auch bei den Familien-Bischofssynoden zur Sprache kamen. Was wird er aus diesen Begegnungen mitnehmen können?
„Er wird mitnehmen können, dass die Botschaft der Barmherzigkeit gerade für diese Familien wichtig ist. Und nicht die Botschaft auf die Gesetzmäßigkeiten zu achten, sondern der Barmherzigkeit Vorrang zu geben und damit Menschen neue Lebensperspektiven zu eröffnen, auch in einer neuen Partnerschaft nach einer gebrochenen Partnerschaft. Ich kenne aus meiner Zeit hier in Mexiko auch Menschen, die sagten, ich heirate nicht kirchlich, denn ich weiß nicht, ob ich diese Verpflichtung durchhalte. Ich muss oft in die USA, ich weiß nicht ob ich es dort schaffe, oder ob meine Frau die hier bleibt so leben kann, wie wir es uns gegenseitig versprechen würden, deswegen leben wir lieber in einer sogenannten union libre zusammen. Damit sind die Partner noch weniger Verpflichtung füreinander ein. Dem Papst ist es wichtig, die Beziehung, die jetzt da ist, ernst zu nehmen. Und diese Beziehung die versucht wird zu leben hat auch etwas mit Gott zu tun. Ob es eine vollkommene Beziehung ist oder eine imperfekte oder unvollständige Beziehung, das ist vom kirchlichen Recht und vom Sakramentalverständnis her zu empfehlen, aber im Mittelpunkt muss stehen, diese Beziehung hat schon etwas mit Gott und dem Evangelium zu tun, und das ist etwas, was der Papst mit nach Rom nehmen kann , insbesondere in armen Verhältnissen: die Armen erleben keine Verlässlichkeit. Der Arme lebt Tag für Tag. Er hat keine Perspektive auf die nächsten 20 Jahre. In diese andere Perspektive miteinzubringen, die nichts damit zu tun hat, dass der Arme die Unauflöslichkeit der Ehe ablehnt oder das Ehesakrament nicht akzeptiert, sondern die mit seiner Lebenssituation zu tun hat, diese Perspektive wird Papst Franziskus einbringen. Das Evangelium hat mit dem Leben zu tun.“
(rv 14.02.2016 gs)



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