„Zur Lage der Hoffnung“ – Wie Kardinal Müller den Papst „liest“ 29. März 2016
Papst Franziskus gelesen von Kardinal Gerhard Müller
http://www.katholisches.info/2016/03/22/...rdinal-mueller/
(Rom) Kurz vor Ostern erschien in Spanien ein neues Buch von Kardinal Gerhard Müller, dem Präfekten der römischen Glaubenskongregation, wie Katholisches.info ankündigte: „Barmherzigkeit bedeutet nie einen Verzicht auf die Gebote Gottes“ – Gesprächsbuch von Kardinal Müller. Der Kardinal nimmt darin Punkt für Punkt zu jenen Aussagen von Papst Franziskus Stellung, die am mißverständlichsten und zweideutigsten sind, und zu Themen wie Priesterzölibat, Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene, Martin Luther oder Homosexualität bereits für Irritationen, Verwirrung und Diskussionen gesorgt haben. Die deutsche Ausgabe des Buches befindet sich bereits in Vorbereitung.
Während die Welt noch immer auf das nachsynodale Schreiben von Papst Franziskus wartet, das die Schlußfolgerungen aus zwei Bischofssynoden über die Ehe und die Familie enthalten soll, herrscht an der Kirchenspitze erhebliche Anspannung. Zum Ausdruck kommt sie durch Stellungnahmen führender Kirchenvertreter, die sich in gegensätzlichen Positionen gegenüberstehen.
„Spaltungen“ in der Kirche erahnbar, die mit dem nachsynodalen Schreiben „explodieren werden“
„Sie positionieren sich mit ihren Erwartungen zum päpstlichen Dokument bereits an den jeweiligen Fronten und lassen bereits jetzt die Spaltungen erahnen, die nach seiner Veröffentlichung explodieren werden“, so der Vatikanist Sandro Magister.
Kardinal Walter Kasper, Wortführer der von Papst Franziskus seit 2013 begünstigten Richtung, die eine Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion, aber auch eine Anerkennung der Homosexualität fordert, gibt sich seit Wochen siegesgewiß. Triumphierend bläst er öffentlich ist Horn des Siegers. Das nachsynodale Schreiben, so Kasper, „wird der erste Schritt zu einer Reform sein, mit der die Kirche am Ende einer 1700jährigen Periode“, ein neues Kapitel aufschlagen werde. Kasper führte seine fast die gesamte Kirchengeschichte umspannende Zeitangabe nicht näher aus. Die Aussage scheint jedoch eine Anspielung auf das Konzil von Nicäa von 325 zu sein, das im Canon 8 – jedenfalls laut einer fälschlichen und verzerrenden Auslegungen des ehemaligen Bischofs von Rottenburg-Stuttgart – die Kommunion für wiederverheiratet Geschiedene erlaubt habe.
Der Konflikt sieht auf beiden Seiten der Front sich deutsche Kirchenvertretergegenüberstehen, weil es sich um einen zutiefst deutschen Konflikt handelt. Er stellt eine Fortsetzung jenes Konflikts dar, der in den 60er Jahren durch die „Rheinische Allianz“ verursacht wurde, als die deutsche Kirche maßgeblichen Einfluß auf die Ausrichtung des Zweiten Vatikanischen Konzils suchte. „Am deutschen Wesen soll die Kirche genesen?“ lautete bereits damals eine sarkastische Gegenfrage zu dieser deutschen Hybris.
Einer der deutschen Gegenspieler von Kardinal Kasper ist Kurienerzbischof Georg Gänswein, Präfekt des Apostolischen Hauses und nach wie vor persönlicher Sekretär des emeritierten Papstes Benedikt XVI. Gänswein, der sich zuletzt mehrfach zu Wort meldete, konterte im medialen Wettrennen mit der Aussage: Das nachsynodale Schreiben werde nichts anderes enthalten als das, „was das Lehramt der Kirche immer gesagt“ habe. Es werde weder Brüche in der Lehre noch in der pastoralen Praxis geben.
Beide Seiten berufen sich „wegen der unbesiegbaren Zweideutigkeit“ seiner Aussagen auf Papst Franziskus
Kardinal Müller und Papst Franziskus, Titelseite des neuen Buches
Beide Seiten berufen sich dabei auf Papst Franziskus. „Der verbreitete Eindruck ist, als hätten beide Seiten gute Gründe dafür, angesichts der unbesiegbaren Zweideutigkeit, die die Äußerungen von Papst Franziskus kennzeichnen“, so Magister. Es sei leicht vorhersehbar, daß jeder in dem 200 Seiten starken Dokument jene Stelle ausgraben wird, die ihm am meisten zusagt und dann danach handeln werde.
Der Entwurf für das nachsynodale Schreiben wurde auch der Glaubenskongregation zur Prüfung vorgelegt. „Laut Indiskretionen sei er mit zahlreichen Korrektur- und Änderungsempfehlungen an den Papst zurückgeschickt worden“, so Magister. Ob und inwieweit sich Franziskus an die Empfehlungen der Glaubenskongregationen hält, wird allerdings ein Geheimnis bleiben.
Kein Geheimnis ist hingegen die Position von Glaubenspräfekt Kardinal Müller. Er ist der eigentliche deutsche Gegenspieler Kaspers und gehört zu den Kardinälen, die bereits vor der ersten Bischofssynode 2014 ihre Stimme gegen den Kasper-Kurs erhoben. Er gehörte auch zu den dreizehn Kardinälen, die sich am Beginn der Bischofssynode 2015 mit einem Schreiben an Papst Franziskus wandten und gegen eine versuchte Manipulation der Synode protestierten. Sie ließen den Papst wissen, daß eine Synode, die einem bereits vorgefertigen (Kasper-) Kurs dienen solle, der einen Bruch mit der Tradition darstelle, nicht akzeptabel sei. Die gesamte Synodenregie wurde dadurch zunichte gemacht, was manchen Papst-Vertrauten zur Weißglut trieb. Während Papst Franziskus selbst, wenn auch ohne direkte Namensnennung, vor einer „Hermeneutik der Verschwörung“ warnte, mußten sich die dreizehn Kardinäle von Kasperianern und aus dem direkten Umfeld des Papstes einiges an unsachlicher Kritik gefallen lassen.
Kardinal Müller kommt Franziskus zuvor und schafft Klarheit zu Lehre und Praxis
Es scheint, daß Kardinal Müller Papst Franziskus mit dem Gesprächsbuch zuvorkommen wollte, um Klarheit in Lehre und Praxis zu schaffen, noch bevor ein Hauen und Stechen über mögliche, jedenfalls befürchtete Zweideutigkeiten im päpstlichen Dokument beginnt. Das neue Buch ist das Gespräch eines spanischen Priesters mit Kardinal Müller. Die spanische Originalausgabe des Buches liegt vor. Ausgaben in deutscher, englischer, italienischer und französischer Sprache sind bereits in Vorbereitung.
Magister weist auf die Ähnlichkeit des Buchtitels mit dem berühmten Gesprächsbuch von Vittorio Messori mit dem damaligen Glaubenspräfekten Joseph Kardinal Ratzinger hin. Das 1985 erschienene Buch „Zur Lage des Glaubens“ löste großes Aufsehen aus, weil es einen Wendepunkt anzeigte, da auch von höchster römischer Ebene die Entwicklung seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil einer akzentuierten Kritik unterzogen wurde. Das Buch von Kardinal Müller, Ratzingers Nachfolger als Glaubenspräfekt, könnte übersetzt in den deutschen Ausgabe: „Zur Lage der Hoffnung“ heißen, und sich damit an die zweite göttliche Tugend anlehnen.
Kardinal Müller nimmt unter anderem zum berühmt-berüchtigten Satz von Papst Franziskus Stellung: „Wer bin ich, um zu urteilen?“
„Wer bin ich, um zu urteilen?“
Dazu heißt es im Buch:
„Ausgerechnet jene, die bis heute keinerlei Respekt für die Lehre der Kirche gezeigt haben, bedienen sich eines isolierten Satzes des Heiligen Vaters: ‚Wer bin ich, um zu urteilen?‘, der aus dem Zusammenhang gerissen wird, um verzerrte Ideen über die Sexualmoral zu vertreten, die sie mit einer angeblichen Interpretation des ‚authentischen‘ Denkens des Papstes rechtfertigen.“
Der Kardinal weist auf die göttliche Offenbarung zur „homosexuellen Frage“ in der Bibel hin, sowohl im Alten wie auch im Neuen Testament, und auf die den homosexuellen Handlungen innewohnende Unordnung, weil sie „keiner wahren affektiven und sexuellen Ergänzung“ entsprechen.
Der Satz von Papst Franziskus, der damit „ein Zeichen des Respekts für die Würde der Person“ zum Ausdruck bringen wollte, sei aus dem Zusammenhang gerissen worden. Es stehe jedoch „außer Diskussion“, daß die Kirche „mit ihrem Lehramt die Fähigkeit besitzt, über die Moralität bestimmter Situation zu urteilen.“
„Das ist eine unbestrittene Wahrheit: Gott ist der alleinige Richter, der uns am Ende der Zeiten richten wird, und der Papst und die Bischöfe haben die Pflicht, die offenbarten Kriterien für dieses Letzturteil aufzuzeigen, das bereits heute in unserem moralischen Gewissen ankündigt ist.
Die Kirche hat immer gesagt, ‚ das ist wahr, das ist falsch‘ und niemand kann auf subjektivistische Weise die Gebote Gottes, die Seligpreisungen, die Konzile nach einen eigenen Kriterien, seinen eigenen Interessen oder sogar seinen eigenen Bedürfnissen auslegen, so als sei Gott nur der Hintergrund seiner Autonomie. Die Beziehung zwischen dem persönlichen Gewissen und Gott ist konkret und real, sie wir erleuchtet durch das Lehramt der Kirche. Die Kirche besitzt das Recht und die Pflicht, zu erklären, daß eine Lehre Falsch ist, deshalb, weil diese Lehre die einfachen Menschen vom Weg abbringt, der zu Gott führt.
Das Hauptziel der Angriffe der liberalen Regime und der totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts war, seit der Französischen Revolution, immer die christliche Sicht der menschlichen Existenz und deren Schicksal.
Wenn man deren Widerstand nicht bezwingen konnte, erlaubte man die Beibehaltung einiger ihrer Elemente, aber nicht des Christentums in seiner Substanz. Das Ergebnis war, daß das Christentum aufhörte, das Kriterium für die gesamte Wirklichkeit zu sein, und man die oben genannten subjektivistischen Positionen ermutigte.
Diese haben ihren Ursprung in einer neuen, nicht christlichen, relativistischen Anthropologie, die auf das Verständnis von Wahrheit verzichtet: Der heutige Mensch sieht sich gezwungen, ständig im Zweifel zu leben. Mehr noch: Die Behauptung, die Kirche könne über keine persönlichen Situationen urteilen, beruht auf der falschen Heilslehre, daß der Mensch sich selbst sein eigener Retter und Erlöser ist.
Mit der Unterwerfung der christlichen Anthropologie unter diesen brutalen Reduktionismus wendet die Hermeneutik der Realität, die davon ausgeht, nur jene Elemente an, die sie interessieren oder die dem Individuum bequemen: einige Elemente der Gleichnisse, bestimmte wohlwollende Gesten Christi oder jene Stellen, die ihn bloß als Sozialpropheten oder als Lehrmeister des Menschlichen zeigen.
Gleichzeitig wird der Herr der Geschichte, der Sohn Gottes, der zur Umkehr ruft, oder der Menschensohn, der kommen wird, um die Lebenden und die Toten zu richten, zensuriert. In Wirklichkeit entleert sich dieses bloß geduldete Christentum seiner Botschaft und vergißt, daß die Beziehung mit Christus ohne eine persönliche Umkehr unmöglich ist.“ Text: Giuseppe Nardi Bild: Bac-Editorial http://www.katholisches.info/2016/03/29/...en-papst-liest/
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