Müller oder Schönborn? – Papst Franziskus: Kardinal Schönborn ist „ein großer Theologe“ 31. Mai 2016 0
Kardinal Müller versucht dennoch bestehende Dämme zu sichern und neue Dämme rund um die katholische Glaubenslehre aufzurichten, während Papst Franziskus eben diese Dämme zu untergraben scheint.
Kardinal Schönborn bei der Vorstellung von "Amoris laetitia" am 8. April in Rom (links Kardinal Baldisseri)
(Rom) Für Papst Franziskus gilt nicht die Interpretation des umstrittenen nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia, die Kardinal Gerhard Müller, der Präfekt der römischen Glaubenskongregation gab, sondern die des Erzbischofs von Wien, Christoph Kardinal Schönborn.
Wiens Erzbischof, Christoph Kardinal Schönborn, wurde 2005 als Kandidat für das Amt des römischen Glaubenspräfekten gehandelt, als der damalige Amtsinhaber, Joseph Kardinal Ratzinger, zum Papst gewählt wurde. Dieser entschied sich jedoch für den damaligen Erzbischof von San Francisco, William Levada.
Als Kardinal Levada im Juni 2011 75 wurde und Papst Benedikt XVI. ersuchte, sein Mandat aus gesundheitlichen Gründen nicht zu verlängern, wurde erneut Schönborn ins Spiel gebracht. Die Stimmen, die ihn als Wächter der Orthodoxie sahen, fielen deutlich leiser aus als 2005, und wie sich herausstellen sollte, kamen sie nicht aus dem Vatikan. Papst Benedikt XVI. entschied sich 2012 zwar für einen Nachfolger aus dem deutschen Sprachraum, aber nicht für den Wiener Kardinal, sondern den damaligen Bischof von Regensburg, Gerhard Ludwig Müller.
Eine Entscheidung, die sich – wie die weitere Entwicklung zeigte – als richtig erweisen sollte. Kardinal Schönborn war ein Schüler Ratzingers an der Universität Regensburg und war später einige Zeit unter Ratzinger an der Glaubenskongregation tätig, unter anderem als Sekretär des Weltkatechismus. Eine Verbindung, die seinen Aufstieg zum führenden Kirchenmann Österreichs begründete.
Am 11. Juli 1991 wurde Wiens streitbarer Weihbischof Kurt Krenn zum Diözesanbischof von Sankt Pölten ernannt und am selben Tag der „urbanere“ Dominikaner Christoph Schönborn zum neuen Weihbischof von Wien. Im April 1995 wurde er Erzbischof-Koadjutor von Hans Hermann Kardinal Groër OSB, dem er noch im September desselben Jahres als Erzbischof von Wien nachfolgte. 1998 erfolgte die Erhebung in den Kardinalsrang. Seither ist Schönborn auch Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz.
Amoris laetitia: Welche Interpretation?
Glaubenspräfekt der katholischen Kirche ist zwar weiterhin Kardinal Müller, doch die Distanz zwischen ihm und dem amtierenden Papst wird immer größer. Franziskus scheut sich nicht, immer neu das Seine dazu beizutragen. Mit besonderem Nachdruck bemüht sich der frühere Regensburger Bischof, durch eine Interpretation von Amoris laetitia im Licht der kirchlichen Tradition, um Schadensbegrenzung. Zuletzt hielt er am 4. Mai im spanischen Oviedo eine Lectio magistralis zum Thema.
Von einer Reihe von Theologen, Priestern und katholischen Beobachtern wird das Unterfangen als uneinlösbar betrachtet, weil die umstrittensten Stellen von Amoris laetitia in offenem Widerspruch zur kirchlichen Überlieferung stünden und daher eine „Hermeneutik der Kontinuität“ beim besten Willen scheitern müsse.
Kardinal Müller versucht dennoch bestehende Dämme zu sichern und neue Dämme rund um die katholische Glaubenslehre aufzurichten, während Papst Franziskus eben diese Dämme zu untergraben scheint.
In der Kirche werden unter Klerikern Unstimmigkeiten, Gegensätze, Sympathien und Antipathien selten mit Worten direkt angesprochen. Dazu bedient man sich der Sprache der Gesten.
Kardinal Schönborn als „Schattenglaubenspräfekt“?
Die Beauftragung von Kardinal Schönborn mit der Vorstellung von Amoris laetitia am vergangenen 8. April in Rom war ein erster Affront gegen Kardinal Müller, den eigentlich zuständigen Glaubenspräfekten. Kurz darauf folgte der nächste Affront. Auf dem Rückflug von Lesbos am 16. April gab Papst Franziskus die bisher deutlichste, und wahrscheinlich auch ehrlichste Antwort auf die Frage, ob Amoris laetitia, und damit ob er, „konkrete Möglichkeiten gibt“, daß wiederverheiratete Geschiedene zu den Sakramenten zugelassen werden können. Der direkten Beantwortung dieser konkreten Frage, um die sich zwei Jahre die Diskussion drehte, war das Kirchenoberhaupt bisher ausgewichen. In seinen Schmeicheleien für Schönborn ging der Papst soweit, den österreichischen Dominikaner irrtümlich sogar zum „ehemaligen Sekretär“ der Glaubenskongregation zu machen.
Wörtlich sagte Franziskus:
„Ich könnte sagen: ‚Ja‘ und nichts weiter. Aber das wäre eine zu enge Antwort. Ich empfehle Ihnen allen, die Präsentation zu lesen, die Kardinal Schönborn gehalten hat, der ein großer Theologe ist. Er ist Mitglied der Kongregation für die Glaubenslehre und kennt die Lehre der Kirche gut. In jener Präsentation wird Ihre Frage ihre Antwort finden. Danke.“ Schönborns Gradualitätstheorie
Damit machte Franziskus den Wiener Erzbischof, nicht den römischen Glaubenspräfekten, zum offiziellen Interpreten des nachsynodalen Schreibens. Zwischen der Position von Kardinal Müller und jener von Kardinal Schönborn bestehen jedoch erhebliche Unterschiede, die bereits im Zuge der ersten Bischofssynode 2014 sichtbar wurden. Kardinal Schönborn signalisierte in der Sache der permanenten Ehebrecher der Kasper-Fraktion anzugehören und in der Sache der Homosexualität den höchst umstrittenen Thesen von Erzbischof Bruno Forte zu folgen. Schönborn ging noch wesentlich weiter und lieferte die entscheidende Argumentation für die Änderung der Sakramentenordnung, die auch in das nachsynodale Schreiben Amoris laetitia eingeflossen ist.
Laut Schönborn gebe es, grob gesagt, kein Übel, sondern nur graduell unterschiedliche Stufen in der Verwirklichung des Guten. Eine wilde Ehe, Scheidung und Zweit- oder Drittehe seien kein Übel, sondern nur (noch) nicht vollkommene Formen des Eheideals. Schönborns Gradualitätstheorie macht potentiell aus jedem Übel über Nacht eine Form des Guten. In letzter Konsequenz gibt es in dieser Theorie keinen Platz für die Sünde.
Kardinal Müllers Oviedo-Rede – Papst bevorzugt Schönborn
Kardinal Müller in Spanien
Am 4. Mai konterte der Wächter der Orthodoxie, Kardinal Müller, im spanischen Oviedo. Mit seiner ausführlichen Rede wollte er Klarheit schaffen und den vielstimmigen und gegensätzlichen Interpretationsreigen und widersprüchliche Umsetzungen beenden.
Papst Franziskus war ihm dafür keineswegs dankbar. Vielmehr ignorierte er Müllers Ausführungen, als hätte es sie nie gegeben. Mit dem Papst ignorierte auch der Osservatore Romano die Oviedo-Ansprache völlig.
Für Franziskus gilt weiterhin allein die Schönborn-Interpretation von Amoris laetitia vom 8. April, und er tut das auch kund.
Am 19. Mai empfing Papst Franziskus die beiden Kardinäle und drei Bischöfe, die das Präsidium des Lateinamerikanischen Bischofsrates (CELAM) bilden. Auf deren Frage, wie Amoris laetitia zu verstehen und anzuwenden sei, antwortete Franziskus laut der CELAM-Internetseite:
„Der Papst antwortet, daß das Herz des Schreiben das 4. Kapitel „Die Liebe in der Ehe“ ist, das auf dem 13. Kapitel des Ersten Briefes des Apostels Paulus an die Korinther beruht. Während das am schwersten zu lesende das 8. Kapitel ist. Einige, sagt der Papst, haben sich von diesem Kapitel gefangennehmen lassen. Der Heilige Vater ist vollkommen am Laufenden über die Kritik einiger, darunter auch Kardinäle, die nicht imstande waren, die evangelische Bedeutung seiner Aussagen zu verstehen. Und er sagt, daß die beste Anleitung, um dieses Kapitel zu verstehen, die Präsentation ist, die von Kardinal Christoph Schönborn OP, Erzbischof von Wien, Österreich, gemacht wurde, einem großen Theologen und Mitglied der Glaubenskongregation, sehr erfahren in der Lehre der Kirche.“
Zur CELAM-Delegation gehörte auch José Luis Lacunza Maestrojuán. Der Augustiner-Eremit ist Bischof der panamaischen Diözese David und wurde im Februar 2015 überraschend von Papst Franziskus zum Kardinal erhoben. Gleich am ersten Tag der Bischofssynode vom Oktober 2015 löste Lacunza ein lautes Raunen im Synodensaal aus.
In seiner Wortmeldung hatte der Neo-Kardinal Papst Franziskus aufgerufen, „ebenso barmherzig zu sein“. Doch nicht wie Jesus, was sich alle an dieser Stelle erwartet hatten, sondern „wie Moses“, der „den Hartherzigen“ die Scheidung erlaubte. Lacunza forderte den Nachfolger des Petrus auf, wie Moses aus „Barmherzigkeit“ die Scheidung zu erlauben.
Die Synodensprecher übergingen die Aussage. Kein Wort davon findet sich in den offiziellen Verlautbarungen. Es war die Polnische Bischofskonferenz, die empört die Rede auf ihrer Internetseite zitierte. Der Papst-Vertraute Kardinal Lorenzo Baldisseri, ebenfalls von Papst Franziskus zum Kardinal kreiert und zum Generalsekretär der Bischofssynode ernannt, intervenierte umgehend und ordnete die Löschung der Notiz an, wie der Vatikanist Sandro Magister berichtete.
Da Papst Franziskus dem Wiener Erzbischof die authentische Interpretation von Amoris laetitia zuschreibt, scheint es um so wichtiger, dessen Ausführungen vom 8. April nachzulesen. Was aber genau sagte Kardinal Schönborn bei seiner Vorstellung von Amoris laetitia in Rom?
Katholisch.at, die Internetplattform des Medienreferats der Österreichischen Bischofskonferenz veröffentlichte einen deutschen Text. Er wurde von Katholisches.info mit dem Originalmitschnitt verglichen und gemäß Original korrigiert und ergänzt, da Kardinal Schönborn bei der Präsentation italienisch sprach. In eckiger Klammer sind jene Teile eingefügt, die der Kardinal mündlich dem schriftlichen Text hinzufügte. Der vollständige Text wird in Kürze hier veröffentlicht. http://www.katholisches.info/2016/05/31/...osser-theologe/ Text: Giuseppe Nardi Bild: MiL/InfoVaticana
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