Bergoglio, ein General, der siegen will, ohne zu kämpfen? – Fernández: „Das Projekt Franziskus“ 11. März 2014
"Projekt Franziskus", die Linie eines Pontifikats, dargelegt vom engsten argentinischen Mitarbeiter von Papst Franziskus, Erzbischof Victor Manuel Fernández(Rom) Sandro Magister sieht in Papst Franziskus einen „General, der siegen will, ohne zu kämpfen“. In seinem jüngsten Interview am Aschermittwoch mit dem Corriere della Sera sagte der argentinische Papst: „Ich habe den Begriff nicht verhandelbare Werte nie verstanden“. In einem Buch erklärt sein engster argentinischer Mitarbeiter, der von ihm zum Rektor der Päpstlichen Katholischen Universität von Argentinien und zum Titularerzbischof gemachte Victor Manuel Fernández, warum Papst Franziskus so penibel den Konflikt mit der vorherrschenden Kultur meidet.
Victor Manuel Fernández ist der erste Argentinier, den Jorge Mario Bergoglio nach seiner Wahl zum Papst zum Bischof ernannte. Fernández wurde von Bergoglio, als Erzbischof von Buenos Aires, zum Rektor der Pontificia Universidad Católica Argentina gemacht, gegen harte Widerstände von innerhalb und außerhalb der Kirche. So wurde Fernández bereits 2009 Rektor, konnte seinen Eid aber erst 2011 ablegen. Nachwehen dieses Konfliktes reichen bis in die Besetzung der Römischen Kurie, wo der nunmehrige Papst einige Mitglieder der Bildungskongregation wegen ihres damaligen Widerspruchs aus ihren Ämtern entfernte. Am 13. Mai 2013 zeichnete Bergoglio Rektor Fernández mit der persönlichen Ehre eines Titularerzbischofs aus. Ein demonstratives Zeichen der Anerkennung für seinen engen Mitarbeiter und ein Signal für die argentinischen Gegner der Linie Bergoglio/Fernández, wer nun das Sagen hat.
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Erzbischof Bergoglio mit Rektor FernandezVictor Manuel Fernández ist seit Jahren auch der treueste Mitarbeiter Bergoglios, vor allem bei der Abfassung von wichtigen Texten. Das gilt für das Schlußdokument der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz von Aparecida von 2007, wo ihn Bergoglio als Peritus in die Schlußredaktion nahm, bis zu Evangelii gaudium von Ende 2013, das als programmatisches Schreiben dieses Pontifikats bezeichnet werden kann.
Tatsächlich gibt die Richtung, die Papst Franziskus verfolgt, nach wie vor Rätsel auf. Angefangen davon, daß niemand recht sagen kann, worin diese Richtung eigentlich besteht und noch weniger wohin sie führen soll. Das mag damit zusammenhängen, daß Argentinien weit entfernt und daher über die Theologie des Papstes vor seiner Wahl so gut wie nichts bekannt ist.
Das Gesprächsbuch „Das Projekt Franziskus. Wohin er die Kirche führen will“, verspricht Antworten und ist am 4. März in Italien erschienen. Das Gespräch führte der Vatikanist Paolo Rodari. Fernández erklärt und kommentiert darin das päpstliche Programm und ist damit der bisher erste authentische Fährtenleser, um diesen Papst und seine Zielsetzung zu verstehen.
„Verfolgungskampagnen von sehr konservativen Teilen der Kirche“
Es gibt eine Stelle im Buch, wo Fernández auf die Metamorphose anspielt, die in Bergoglio durch seine Wahl stattfand:
„Als er Erzbischof war, begann er sich langsam zurückzuziehen und zog es vor, immer weniger in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Zudem gab es zu viele gelenkte Verfolgungskampagnen von einigen sehr konservativen Teilen der Kirche und ich glaube, daß ihn das sehr beunruhigte. Heute, Papst geworden, mit dem neuen Geschenk, das ihm der Heilige Geist gespendet hat, hat er diese Befürchtungen aufgegeben und es zugelassen, daß seine besten Seiten zum Vorschein kommen. Das hat seine Begeisterung und seine Energie erneuert.“ An anderer Stelle erklärt Fernández Vorbehalte gegen den damaligen Erzbischof von Buenos Aires folgendermaßen:
„Es gab Teile, die einen starken Akzent auf die doktrinäre Sicherheit legten, auf die Ehre der Kirche und auf ihre Selbsterhaltung, und die sich durch einige kirchliche Autoritäten vertreten fühlten. Die Teile, die auch nur ein leicht von diesen Letzteren verschiedenes Projekt hatten, wie Kardinal Bergoglio und viele andere, respektieren diese Entscheidungen oder begleiteten sie zumindest im Stillen.“ Es wäre interessant zu erfahren, warum es angeblich „gelenkte Verfolgungskampagnen“ gab, und weshalb Erzbischof Bergoglio sie fürchtete. Doch Fernández sagt nicht mehr. Um mehr über jene Zeit im Leben Bergoglios zu erfahren, gibt es ein anderes Buch, das vor wenigen Monaten in Argentinien und Italien erschienen ist. Geschrieben wurde es von der argentinischen Vatikanistin Elisabetta Piqué, die bisher die bestinformierte und – auch mangels Alternativen – glaubwürdigste Biographin des derzeitigen Papstes ist. Das Buch trägt den Titel „Franziskus. Leben und Revolution“. Wobei man mitdenken muß, daß das Wort „Revolution“ in Lateinamerika deutlich beliebter zum allgemeinen Wortschatz gehört als in Europa.
Auf der Bergoglio kritisch gegenüberstehenden Seite standen demnach im Vatikan die Kardinäle Angelo Sodano und der Argentinier Leonardo Sandri. Während in Buenos Aires der Apostolische Nuntius Adriano Bernardini die Fäden der Widersacher Bergoglios gezogen hätte, der von 2003 bis 2011 im südamerikanischen Land Dienst tat. Die argentinischen Widersacher Bergoglios waren die zahlreichen, in der Zeit Bernardinis ernannten Bischöfe, die sich fast immer in offenem Widerspruch zu den Richtungsvorgaben und Erwartungen des damaligen Kardinals und Erzbischofs von Buenos Aires befanden.
Nuntius: Benedikt XVI. bei Verteidigung der Wahrheit im Stich gelassen
Am 22. Februar 2011, dem Fest Petri Stuhlfeier, hielt Nuntius Bernardini eine Predigt, die allgemein als Verteidigungsrede für Benedikt XVI. verstanden wurde. Tatsächlich handelte es sich gleichzeitig auch um einen harten Angriff auf Bergoglio.
Der Apostolische Nuntius erhob öffentliche Anklage gegen jene Priester, jene Ordensleute und vor allem jene Bischöfe, die durch eine Haltung des Wegduckens den Papst in seinem öffentlichen Kampf zur Verteidigung der Wahrheit im Stich ließen.
„Wir müssen feststellen, daß Jahr um Jahr unter den Theologen und Ordensmännern, unter den Ordensfrauen und Bischöfen die Gruppe jener größer geworden ist, die überzeugt sind, daß die Zugehörigkeit zur Kirche nicht auch die Anerkennung und Zustimmung zu einer objektiven Doktrin bedeutet.“
Bemerkenswerte Worte und eine erstaunliche Anklage. Genau das aber war der Vorwurf, der Bergoglio gemacht wurde: sich der kirchenfeindlichen Offensive nicht entgegenzustellen und sich ihr zu widersetzen, nicht die Lehre der Kirche und ihre „nicht verhandelbaren“ Grundsätze zu verteidigen. Der Kardinal duckte sich in der Öffentlichkeit lieber weg. Und da er nicht verteidigen wollte, was er verteidigen sollte, zog er es vor, sich immer mehr aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen.
Bergoglio kann „versessene Strenge“ zur Sexualmoral „nicht leiden“
Der damalige Erzbischof von Buenos Aires konnte die „versessene Strenge“ bestimmter Kirchenvertreter in Fragen der Sexualmoral „nicht leiden“. „Er war überzeugt“, schreibt Elisabetta Piqué, „daß es das schlimmste wäre, auf diese Themen zu beharren und den Konflikt zu suchen.“
Ein Beispiel, das Piqué berichtet, veranschaulicht die Linie Bergoglios:
„2010, mitten im Kampf der Bischöfe gegen die Legalisierung der Homo-Ehe in Argentinien, kam die Idee auf, eine Gebetsvigil vor dem Parlament abzuhalten. Esteban Pittaro von der Universidad Austral des Opus Dei von Argentinien schickte daraufhin eine E-Mail an die erzbischöfliche Kanzlei von Buenos Aires, um diese darüber zu informieren. Am Tag darauf sah er auf seinem Telefon, daß ein Anruf vom Erzbistum eingegangen war. Er rief zurück und es antwortet ihm Bergoglio persönlich. ‚Mir scheint es eine wunderschöne Sache, daß ihr betet. Aber daß ihr die ganze Nacht auf dem Platz bleiben wollt … Es wird kalt sein. Geht nach Hause, betet zu Hause, in der Familie!‘, sagte ihm der Kardinal. ‚Er unterstützte den Marsch, hatte aber recht, von der Vigil abzuraten, weil am nächsten Tag Kundgebungen für die Homo-Ehe stattfanden. Er wollte den Gegensatz vermeiden‘ erzählt Pittaro.“
„Wenn das die Präzedenzfälle sind, dann erstaunt es nicht, daß Bergoglio, zum Papst geworden, dieselbe Linie der gesamten Kirche als Verhaltensweise diktiert“, so Magister. „Es ist die Linie, die Evangelii gaudium der Welt dargelegt hat. Und die das Gesprächsbuch von Bischof Fernandéz noch ausdrücklicher unterstreicht mit der demonstrativen Sicherheit dessen, der das Denken des Papstes gründlich kennt.“ Das Gesprächsbuch bietet tiefe Einsicht in das Denken hinter Papst Franziskus und darüber, was die nächste Generation Bergoglio denkt. Aussagen, die an das erinnern, was der am Sonntag verstorbene Rechtsphilosoph Mario Palmaro über die Rede von Kardinal Kasper vor dem Kardinalskonsistorium sagte: Die Rede sei aus dem Stoff der Weißen Fahne gemacht, die man zur Kapitulation schwenkt (siehe eigenen Bericht Mario Palmaros letzter Aufsatz – „Kaspers Rede aus Stoff für weiße Fahne der Kapitulation gemacht“).
Einige Leseproben mit den Aussagen von Bischof Victor Manuel Fernández.
„Nicht verhandelbare“ Grundsätze
Papst Franziskus ist nicht blauäugig. Er vermittelt uns, uns auf sehr realistische Weise in den kulturellen Kontext von heute einzutauchen. Er lädt uns ein, anzuerkennen, daß die Schnelligkeit der Kommunikation und die Selektion der von den Medien verbreiteten Inhalte, uns vor eine neue Herausforderung stellt. […] Wenn die Kirche übermäßig über philosophische Fragen oder das Naturrecht spricht, dann tut sie das vermutlich, um mit der Welt der Nicht-Glaubenden über moralische Themen zu sprechen. Auf diese Weise überzeugen wir allerdings einerseits mit den philosophischen Argumentationen anderer Zeiten niemanden, und andererseits verlieren wir die Gelegenheit, die Schönheit Jesu Christi zu verkündigen und die „Herzen zu entzünden“. Das bedeutet, daß diese philosophischen Argumentationen das Leben von niemandem ändern. Wenn es hingegen gelingt, die Herzen zu entzünden, oder zumindest zu zeigen, was am Evangelium anziehend ist, dann werden die Menschen bereiter sein, zu sprechen und auch in Bezug auf eine Antwort, die die Moral betrifft, nachzudenken. […]
Zum Beispiel nützt es nicht viel gegen die Homo-Ehe zu sprechen, weil die Menschen dazu neigen, uns zu sehen, als wären wir Zornige, Grausame, wenig verständnisvolle Menschen oder sogar solche die übertreiben. Eine andere Sache ist es, wenn wir über die Schönheit der Ehe und der Harmonie sprechen, die sie durch die Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau schafft, und in diesem positiven Kontext taucht dann, fast ohne daß man es erwähnen muß, auf, wie unangemessen es ist, „Ehe“ auch eine Verbindung von zwei homosexuellen Menschen zu nennen. […]
Es gibt zwei Gründe, die den Papst drängen, uns zu bitten, nicht „immer“ und „nur“ über bestimmte moralische Grundsätze zu sprechen: um die anderen nicht zu ermüden, zu übersättigen und einen Ablehnungseffekt zu erreichen, und vor allem um nicht die Harmonie unserer Botschaft zu zerstören.
Priesterzölibat
Wir beharren darauf, daß viele verheiratete Personen pädophil sind. Dennoch, so sehr wir es auch zu erklären versuchen, glaubt uns die Gesellschaft nicht. Es gibt eine allgemeine Überzeugung, daß der Pflichtzölibat und das priesterliche Ambiente, das nur aus Männern besteht, nicht nur die homosexuelle Neigung erleichtern, sondern sogar den Mißbrauch. Auch wenn diese Überlegung nicht überzeugen sollte, glaube ich, daß wir mehr auf das Volk Gottes hören müssen, und soweit möglich eine große Debatte über den Pflichtzölibat beginnen müssen. […]
In Wirklichkeit denke ich, daß die Gewohnheiten stärker wiegen als die Überzeugungen, weil der Zölibat nicht vom Priestertum untrennbar ist und es gibt katholische Priester im Orient, die glücklich verheiratet sind. Zu dem allen hat der Papst dennoch einige sehr interessante und destabilisierende Dinge gesagt, an die es lohnt zu erinnern: „In ihrem bewährten Unterscheidungsvermögen kann die Kirche auch dazu gelangen, eigene, nicht direkt mit dem Kern des Evangeliums verbundene, zum Teil tief in der Geschichte verwurzelte Bräuche zu erkennen, die heute nicht mehr in derselben Weise interpretiert werden und deren Botschaft gewöhnlich nicht entsprechend wahrgenommen wird. Sie mögen schön sein, leisten jedoch jetzt nicht denselben Dienst im Hinblick auf die Weitergabe des Evangeliums. Haben wir keine Angst, sie zu revidieren!“ [Evangelii gaudium, 43]. Es ist daher notwendig, sich zu fragen, ob die Gründe um verheiratete Priester im Orient zu akzeptieren, heute nicht auch für den Westen gelten.
Kommunion für wiederverheiratet Geschiedene
Es wird ein Thema sein, das bei den nächsten Synoden diskutiert wird und der Papst wird die verschiedenen Meinungen anhören. […] In Evangelii gaudium hat er uns eine wichtige Orientierung für unser Nachdenken geliefert, die wir nicht unberücksichtigt lassen können. Er gelangt zur Aussage: „auch die Türen der Sakramente dürften nicht aus irgendeinem beliebigen Grund geschlossen werden“, und daß die Eucharistie „nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen“ ist. Er legt uns nahe, nie aufzuhören, die Worte des heiligen Ambrosius und des heilige Kyrillus zu lesen, die in der Fußnote 51 zitiert werden, die uns einladen, in der Verwaltung der Eucharistie nie streng zu sein. Wir können auch nicht seine Einladung zur Besonnenheit ignorieren, ebensowenig zum Wagemut, diese Themen anzugehen, und seine Aufforderung, uns nicht wie „Kontrolleure der Gnade“ zu benehmen.
Soweit die Zitate aus den Antworten von Bischof Fernández im soeben erschienenen Gesprächsbuch. Als Nachtrag sei erwähnt, was in der Fußnote 51 des Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium steht, an dem Fernández offensichtlich maßgeblich mitgearbeitet hat:
Vgl. Ambrosius, De Sacramentis, IV, 6, 28: PL 16, 464: „Ich muss ihn immer empfangen, damit er immer meine Sünden vergibt. Wenn ich ständig sündige, muss ich immer ein Heilmittel haben“; ebd., IV, 5, 24: PL 16, 463: „Wer das Manna aß, starb; wer von diesem Leib isst, wird die Vergebung seiner Sünden erhalten.“
Cyrill von Alexandrien, In Joh. Evang. IV, 2: PG 73, 584-585: „Ich habe mich geprüft und erkannt, dass ich unwürdig bin. Denen, die so reden, sage ich: Und wann werdet ihr würdig sein? Wann werdet ihr also vor Christus erscheinen? Und wenn eure Sünden euch hindern, näherzukommen, und wenn ihr niemals aufhört zu fallen – wer bemerkt seine eigenen Fehler, sagt der Psalm – werdet ihr schließlich nicht teilhaben an der Heiligung, die Leben schenkt für die Ewigkeit?“ Und abschließend noch die Angaben zu den erwähnten Büchern:
Víctor Manuel Fernández in dialogo con Paolo Rodari, „Il progetto di Francesco. Dove vuole portare la Chiesa“ (Victor Manuel Fernández im Gespräch mit Paolo Rodari: Das Projekt Franziskus. Wohin er die Kirche führen will), EMI, Bologna, 2014 Elisabetta Piqué: Francisco. Vida y Revolucion, El Ateneo, Buenos Aires 2013; ital. Ausgabe: Francesco. Vita e rivoluzione, Lindau, Torino, 2013 Text: Settimo Cielo/Giuseppe Nardi Bild: Familia Cristiana/Em http://www.katholisches.info/2014/03/11/...ekt-franziskus/
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