Roberto de Mattei: Als ganz Europa exkommuniziert war 14. Juli 2016 0
Papst Martin V. (1417-1431) von Roberto de Mattei*
Es gab eine Epoche, in der sich das ganze christliche Europa exkommuniziert wiederfand, ohne daß jemand häretisch gewesen wäre. Alles begann am 27. März 1378, als Papst Gregor XI., 14 Monate nach seiner Rückkehr von Avignon nach Rom, starb.
Im Konklave, das nach 75 Jahren erstmals wieder im Vatikan abgehalten wurde, nahmen sechzehn der damals 23 Kardinäle der Christenheit teil. Die große Mehrheit von ihnen waren Franzosen, was eine der Konsequenzen der langen Periode von Avignon war.
Am 8. April wählte das Heilige Kollegium den Erzbischof von Bari, Bartolomeo Prignano, einen gelehrten Kirchenrechtler von sittenstrengem Lebenswandel, auf den Stuhl Petri, der kein Kardinal war und daher nicht am Konklave teilnahm.
Urban VI. (1378-1389) Am selben Tag drang das Volk in das Konklave ein, um die Wahl eines römischen Papstes zu verlangen. Die Kardinäle wagten es daher nicht, die bereits vollzogene Wahl bekanntzugeben, sondern ließen das Volk glauben, der hochbetagte Kardinal Francesco Tibaldeschi, ein gebürtiger Römer, sei gewählt worden. Am darauffolgenden Tag wurde jedoch Bartolomeo Prignano rechtmäßig inthronisiert und nahm den Namen Urban VI. (1378-1389) an. Am 18. April erfolgte seine Krönung im Petersdom.
Nun geschah es jedoch, daß sich im Monat Juli zwölf französische Kardinäle und der Aragoner Pedro de Luna in der Stadt Anagni, südöstlich von Rom, versammelten, wo sie am 2. August eine Declaratio anschlagen ließen, mit der sie den Heiligen Stuhl für vakant erklärten. Die Wahl von Urban VI. erachteten sie für ungültig, da sie vom römischen Volk durch Rebellion und Aufruhr abgenötigt worden sei. Am 20. September wurde in der noch etwas weiter südlich, aber immer noch im Kirchenstaat gelegenen Kathedrale von Fondi Kardinal Robert von Genf, damals Fürstbischof von Cambrai (deutsch Kamerich, niederländisch Kamerijk), zum neuen Papst gewählt, der sich Clemens VII. (1378-1394) nannte. Nach einem vergeblichen Versuch, Rom zu besetzen, schlug er seine Residenz erneut in Avignon auf. Damit begann das Große Abendländische Schisma.
Der Unterschied zwischen dem Abendländischen Schisma und dem Morgendländischen Schisma, das seit 1054 die Christenheit spaltet, liegt darin, daß letzteres ein Schisma im eigentlichen Sinn des Wortes ist, weil sich die Orthodoxen weigerten und weigern, den Primat des Papstes, des Bischofs von Rom und Hirten der Weltkirche, anzuerkennen.
Das Abendländische Schisma war hingegen ein faktisches, aber nicht ein formales Schisma, weil es auf keiner der beiden Seiten den Willen gab, den päpstlichen Primat zu bestreiten. Urban VI. und Clemens VII. sowie ihre jeweiligen Nachfolger waren überzeugt von der Rechtmäßigkeit ihrer kanonischen Erwählung. Keine der beiden Streitparteien vertrat doktrinelle Irrtümer. Heute versichert uns die Kirche, daß Urban VI. und seine Nachfolger die rechtmäßigen Päpste waren. Damals aber war die Unterscheidung, wer der legitime Stellvertreter Christi auf Erden ist, keineswegs so klar. Ab 1378 spaltete sich daher die Christenheit in zwei Obödienzen.
Gegenpapst Clemens VII. (1378-1392) Avignoner Gegenpapst Clemens VII. (1378-1392)
Clemens VII. wurde von Frankreich, Schottland, Kastilien, Portugal, Savoyen, Aragon und Navarra anerkannt. Urban VI. blieben die Staaten Nord- und Mittelitaliens, das Heilige Römische Reich, besonders Böhmen, aber auch England, Irland, Polen und Ungarn treu. Für mehr als 40 Jahre lebten die europäischen Katholiken ein tägliches Drama. Es gab nicht nur zwei Päpste und zwei Kardinalskollegien. Häufig gab es auch in den Diözesen zwei Bischöfe, in Klöstern zwei Äbte und in Pfarreien zwei Pfarrer. Und da sich die beiden Päpste gegenseitig exkommunizierten, war auch jeder Gläubige der Christenheit, da er Anhänger des einen oder des anderen Papstes sein mußte, vom einen oder anderen Papst exkommuniziert.
Auch die Heiligen spalteten sich. Die heilige Katharina von Siena und die heilige Katharina von Schweden, die Tochter der heilige Birgitta, unterstützten Urban VI., während der heilige Vinzenz Ferrer, der selige Peter von Luxemburg und die heilige Colette von Corbie der Obödienz von Avignon folgten. Die Lage war ausgesprochen verworren, und es schien keinen Ausweg zu geben.
Als am 16. September 1394 Clemens VII., Papst in Avignon, plötzlich starb, schien der Moment gekommen, den Knoten zu lösen. Es hätte genügt, daß die französischen Kardinäle nicht zur Wahl eines neuen Papstes schreiten und gegebenenfalls der Papst in Rom zurücktreten würde. Das war damals Bonifatius IX. (1389-1404), der auf Urban VI. gefolgt war. Die Kardinäle von Avignon wählten stattdessen einen neuen Papst, den bereits erwähnten Kardinal Pedro de Luna, der persönlich von tadellosem Lebenswandel war, aber stur und mit Nachdruck seine Rechtmäßigkeit einforderte. Er regierte 22 Jahre lang als Benedikt XIII. (1394-1422).
Auf Bonifatius folgten wiederum die „römischen“ Päpste Innozenz VII. (1404-1406) und Gregor XII. (1406-1415). Die Diskussionen unter den Theologen begannen sich währenddessen zu entwickeln. Ausgangspunkt war der berühmte Passus im Decretum Gratiani (Dist. 400, c. 6), der besagt:
„Der Papst hat das Vorrecht, über alle zu richten, aber niemand darf den Papst richten, außer er irrt vom Glauben ab.“ Im lateinischen Original:
„A nemine est judicandus, nisi deprehenditur a fide devius” . Die Regel, laut der niemand den Papst richten darf (Prima sedes non judicabitur), erlaubte – und erlaubt – nur eine Ausnahme: die Sünde der Häresie. Es handelte sich um eine Maxime, in der sich alle einig waren, und die außer auf einen häretischen Papst auch auf einen schismatischen Papst angewandt werden konnte.
Avignoner Gegenpapst Benedikt XIII. (1394-1417) Wer aber hatte sich eines Schismas schuldig gemacht? Viele verfielen, um das Problem zu lösen, in einen schwerwiegenden Irrtum: den Konziliarismus, weil die Versammlung der Bischöfe über dem Papst steht. Führende Vertreter dieser Richtung waren der Kanzler der Universität von Paris, der spätere Kardinal Peter von Ailly (1350-1420), und der Theologe Johannes Gerson (1363-1429), Professor an der Sorbonne und Nachfolger Aillys als Kanzler der Pariser Universität.
Diese falsche ekklesiologische These veranlaßte einige Kardinäle beider Obödienzen eine Lösung in einem allgemeinen Konzil zu suchen, das am 25. März 1409 in Pisa eröffnet wurde zum Zweck, beide Päpste zum Amtsverzicht aufzufordern, oder sie – sollten sie sich weigern – abzusetzen. Genau so geschah es. Die Kirchenversammlung von Pisa erklärte sich zum ökumenischen Konzil, das die gesamte Weltkirche vertritt und setzte die beiden rivalisierenden Päpste als „Schismatiker und Häretiker“ ab und erklärte den Heiligen Stuhl für vakant.
Am 26. Juni wählte das Kardinalskollegium mit Pietro Filagro, den Erzbischof von Mailand, einen dritten, einen sogenannten „Pisaner“ Papst, der den Namen Alexander V. (1409-1410) annahm. Auf ihn folgte nur wenige Monate später Kardinal Baldassare Cossa als Johannes XXIII. (1410-1415), der maßgeblich im Jahr zuvor die Wahl eines dritten Papstes betrieben hatte. Es konnte aber nur einen wahren Papst geben, aber welcher das war, war damals weder den Theologen noch dem gläubigen Volk klar.
Pisaner Gegenpapst Johannes XXIII. (1410-1415) Johannes XXIII. ergriff mit der Unterstützung des damals neugewählten deutschen Königs und späteren Kaisers, Sigismund von Luxemburg (1368-1437), die Initiative und berief ein neues Konzil ein, das am 5. November 1414 in der Reichsstadt Konstanz eröffnet wurde. Er verfolgte das Ziel, durch die Bestätigung des Konzils von Pisa, von dem er seine Legitimität bezog, als einziger Papst anerkannt zu werden. Zu diesem Zweck hatte er viele italienische Kardinäle kreiert, die ihn unterstützten.
Um sich dennoch gegen die neue italienische Mehrheit zu behaupten, gelang es den Franzosen und Engländern einen Abstimmungsmodus nicht nach capita singulorum (nach Köpfen) sondern nach nationes (Ländern) durchzusetzen, womit sich die Gewichtung der Stimmen verlagerte. Als Nationen wurden Deutschland, Frankreich, England, Italien und in einem zweiten Moment Spanien anerkannt: die fünf führenden europäischen Nationen der damaligen Zeit. Bei diesem Abstimmungsmodus handelte es sich um ein zutiefst revolutionäres Prinzip.
In erster Linie erhielten die Nationen, und damit politische Subjekte, einen massiven Einfluß auf das Leben der Kirche, mit dem das Abhängigkeitsverhältnis, das diese gegenüber der Kirche hatten, ins Gegenteil verkehrt wurden. Zweitens und vor allem wurde der Grundsatz verdrängt, laut dem der Papst der oberste Schiedsrichter, Moderator und Richter des Konzils über die Beschlußfassungen der Konzilsväter ist. Als Johannes XXIII. erkannte, daß das Konzil ihn nicht als Papst bestätigen wollte, floh er in der Nacht vom 20. auf den 21. März 1415 aus Konstanz, wurde aber eingefangen und wie die anderen beiden Päpste, Benedikt XIII. und Gregor XII., wegen Simonie und als öffentlicher Sünder abgesetzt und von einer künftigen Wahl ausgeschlossen.
Am 6. April 1415 erließ die Kirchenversammlung ein Dekret, das unter dem Namen Haec Sancta bekannt wurde, in dem feierlich erklärt wurde, daß das Konzil mit Hilfe des Heiligen Geistes die gesamte streitende Kirche repräsentierte und damit seine Vollmacht direkt von Gott hatte. Jeder Christ, einschließlich der Papst, sei ihm zum Gehorsam verpflichtet.
Haec Sancta zählt zu den revolutionärsten Dokumenten der Kirchengeschichte, weil es den Primat des römischen Papstes über das Konzil bestreitet. Dieser Text, zunächst als authentisch und rechtmäßig anerkannt, wurde er in einem zweiten Moment vom päpstlichen Lehramt getadelt. Es wurde auf rechtlicher Ebene mit dem Dekret Frequens vom 9. Oktober 1417 vervollständigt, laut dem die ökumenischen Konzile zu einer ständigen kirchlichen Einrichtung, und daher, wie der Kirchenhistoriker Hubert Jedin schreibt, „zu einer Art von Kontrollinstanz über das Papsttum“ zu machen waren.
Gregor XII. (1406-1415) In dieser chaotischen Situation willigte der römische Papst Gregor XII. in den Amtsverzicht ein. Es sollte der letzte Verzicht auf den Stuhl Petri bis zu jenem von Benedikt XVI. 2013 sein. Gregor XII. verlor damit jedes päpstliche Vorrecht, wie es dem Papst geschieht, der aus außerordentlichen Gründen die Leitung der Kirche aufgibt. Das Konzil erkannte ihn wieder als Kardinal an, der er bereits vor seiner Wahl war, und ernannte ihn zum Bischof von Porto und ständigen Gesandten in den Marken. Aber noch bevor der neue Papst gewählt wurde, starb Gregor im Alter von 90 Jahren am 18. Oktober 1417 in Recanati in den Marken.
Nicht zum Amtsverzicht bereit war der Papst in Avignon, Benedikt XIII., von dem sich nun aber auch die Staaten seiner Obödienz abwandten und der am 26. Juli 1417 als Meineidiger, Schismatiker und Häretiker abgesetzt wurde. Die endlich gemeinsam im Konklave versammelten Kardinäle beider Obödienzen wählten am 11. November 1417 den Römer Oddone Colonna zum neuen Papst. Er nahm den Namen des Heiligen an, dessen die Kirche am Tag seiner Wahl gedachte, und nannte sich Martin V. (1417-1431). Das Große Abendländische Schisma war damit beendet und Frieden schien in die Kirche eingekehrt zu sein. Die Nachkonzilszeit hielt jedoch für den Nachfolger Martins V. bittere Überraschungen bereit.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt erschienen: Vicario di Cristo. Il primato di Pietro tra normalità ed eccezione (Stellvertreter Christi. Der Primat des Petrus zwischen Normalität und Ausnahme), Verona 2013; in deutscher Übersetzung zuletzt: Das Zweite Vatikanische Konzil – eine bislang ungeschriebene Geschichte, Ruppichteroth 2011. Die Zwischentitel stammen von der Redaktion. http://www.katholisches.info/2016/07/14/...mmuniziert-war/ Übersetzung: Giuseppe Nardi Bild: Wikicommons/Corrispondenza Romana/vatican-history/valleursactuelles (Screenshots)
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