„Luther hatte recht“ – sagt Kasper...Wenn Kardinal Kasper bei Luther in die Schule geht 10. Juni 2016
Kardinal Walter Kasper Geistesblitz: "Luther hatte recht". Und die katholische Kirche unrecht?
http://biblefalseprophet.com/2016/01/27/...or-defend-them/
(Rom) Am 1. Juni veröffentlichten der Lutherische Weltbund und der Päpstliche Rat für die Förderung der Einheit der Christen eine gemeinsame Erklärung. Er greift weitgehend die Linie auf, die bereits in einer Erklärung des vatikanischen Presseamtes vom vergangenen 25. Januar enthalten war, mit dem die Reise von Papst Franziskus zum „Reformationsgedenken“ im schwedischen Lund angekündigt wurde.
Die die nicht unbedeutende Neuheit der Juni-Erklärung ist die Mitteilung, daß Papst Franziskus einen Tag länger als ursprünglich beabsichtigt in Schweden bleiben wird, um sich auch mit den Katholiken des Landes zu treffen und mit ihnen eine Heilige Messe zu feiern (siehe dazu Canossagang von Papst Franziskus zu den Lutheranern?)
Um zu verstehen, in welchem Sinn die katholische Kirche Martin Luthers mit dem Ziel gedenken will, „die Gaben der Reformation“ zu feiern (so die gemeinsame Erklärung), muß man ein kleines, jüngst von Kardinal Walter Kasper in mehreren Sprachen veröffentlichtes Buch zur Hand nehmen. Die deutsche Ausgabe: „Martin Luther. Eine ökumenische Perspektive“ (Patmos), erschien am 14. März.
Kasper: Luther „für einige Katholiken fast ein Kirchenvater“
Kaspers Buch, eloquent verfaßt, geht von der erstaunlichen Grundthese aus, daß Luther recht hatte. Was um Umkehrschluß bedeutet, daß die katholische Kirche irrte.
Für Luther kommt der deutsche Kardinal geradezu ins Schwärmen: der ausgesprungene Augustiner-Eremit habe eine geradezu „magnetische Ausstrahlung“ gehabt, der „für einige Katholiken bereits fast ein gemeinsamer Kirchenvater“ geworden sei. Nachdem Luther vergeblich einen halsstarrigen Papst und ebensolche Bischöfe zu überzeugen versucht habe, die von ihm entworfene Kirchenreform durchzuführen, sei ihm gar keine andere Wahl geblieben, als gegen seinen Willen und unter Berufung auf einen „Notstand“ eine neue Kirchenordnung, eine „Notordnung“ schaffen zu müssen.
Luther als Kirchenspalter wider Willen, der allein durch die Engstirnigkeit und Verweigerungshaltung Roms in eine Rolle getrieben wurde, die er gar gewollt habe: so jedenfalls die verklärende und unhistorische Darstellung von Kardinal Walter Kasper. Von Häresie könne da natürlich keine Rede sein. Die Rechtgläubigkeit Luthers steht für Kasper gar nicht zur Diskussion. Der Rest seien Mißverständnisse gewesen, für die ohnehin mehr oder weniger allein die katholische Kirche schuld trage.
Luther „hatte recht“ – Schuld ist Rom.....sagt Kasper
Kardinal Kaspers Buch über Martin Luther
Auf dieser These beharrt Kasper und scheint sich damit in das Herz der heutigen Protestanten schreiben zu wollen. Vielleicht meint er es aber auch ernst, schließlich sieht er sich selbst auch als einen verkannten „Reformator“, einen kleinen Luther, der durch „konservative“ Kräfte in der katholischen Kirche behindert wird.
„Luthers Aufruf zur Buße“ sei von Rom nicht angenommen worden. „Statt mit der Bereitschaft zur Buße und den notwendigen Reformen, antwortete man mit Polemiken und Verurteilungen“. Alle Zitate sind aus der italienischen Ausgabe von Kaspers Buch ins Deutsche rückübertragen und können daher leicht vom deutschen Original abweichen.
Es ist wichtig, Kaspers Blickwinkel noch einmal zu unterstreichen: „Rom und die Bischöfe haben den Aufruf Luthers zur Buße und zur Reform nicht angenommen“. Luther wurde daher gezwungen, so die späte Exkulpation durch einen der höchsten katholischen Kirchenfürsten, das zu werden, was er wurde: laut Kasper „der“ Reformator, „obwohl er sich nicht als solcher bezeichnete“.
Luther selbst habe sich „in die lange Tradition der katholischen Erneuerer gestellt, die ihm vorausgegangen waren. Man denke vor allem an Franz von Assisi, der mit seinen Brüdern das Evangelium einfach leben und es so predigen wollte. Heute würde man von Neuevangelisierung sprechen.“
Kaspers Geschichtsphantasien: Luther als Nachfolger des heiligen Franz von Assisi
Luther also als zweiter Franz von Assisi? Kaspers Phantasie scheinen keine Grenzen gesetzt. Spätestens an dieser Stelle wird es allerdings ärgerlich, selbst für den theologisch und kirchenhistorisch Unkundigen. Den lebensfrohen, dem Essen und Trinken unmäßig frönenden und entsprechend feisten Luther kann man sich schwerlich in der Gesellschaft des in größter Armut und Enthaltsamkeit, aszetisch lebenden Franz von Assisi vorstellen. Das für Luther als „Vorläufer“ weit zutreffendere Gegenmodell zu Franz von Assisi, nämlich Martin Valdes oder auch Jan Hus, erwähnt Kasper nicht. Das locker-leicht aufgetürmte Kartenhaus der Kasperschen Geschichtsdarstellung würde ansonsten jäh in sich zusammenbrechen.
Es ist nicht das erste Mal, daß Kasper bei der Kirchengeschichte türkt. Bereits in seiner berühmten Rede vor dem Kardinalskonsistorium am 20. Februar 2014, mit der die Forderung nach Zulassung der wiederverheiratet Geschiedene genannten Ehebrecher zur Kommunion offiziell erhoben wurde. Die Doppel-Bischofssynode wurde ab diesem Augenblick, von höchster Steller offenbar so gewollt, von diesem Thema in Beschlag genommen. Das umstrittene nachsynodale Schreiben Amoris laetitia ist das Ergebnis, das mehr belastet als erbaut. Für Kardinal Kasper handelt es sich dabei um das „bedeutendstes Dokument der letzten 1000 Jahre“, womit wir wieder bei der Geschichtspolitik wären. Mit den Jahrhunderten wirbelt der ehemalige Bischof von Rottenburg-Stuttgart nur so herum.
Bereits 2014 hatte der Kardinal im Trüben gefischt und den Kardinälen die Mär aufgetischt, in der frühen Kirche hätten Geschiedene, die in einer Zweitehe leben, zur Kommunion gehen dürfen. Der Historiker Roberto de Mattei bezeichnete Kaspers Ausführungen als „Sünde“ an der Wahrheit. Dem Kardinal gehe es um eine „Kulturrevolution“ und einen „Paradigmenwechsel“. Dasselbe läßt sich auch im Zusammenhang mit Kaspers Luther-Bild sagen.
Geschichtsrevisionismus durch copy & paste der protestantischen Luther-Verklärung
Bei seiner Luther-Darstellung treibt es der Kardinal mit seinem Geschichtsrevisionismus allerdings entschieden zu bunt. An dieser Stelle kann und soll nicht die Person Luthers in allen ihren Facetten gewürdigt und beleuchtet werden. Vor allem der theologische Aspekt muß ausgeklammert bleiben. Nur soviel sei gesagt, wie notwendig ist, die Widersprüchlichkeit, ja Abwegigkeit von Kaspers Luther-Apologie aufzuzeigen.
Die jüngere Luther-Forschung, die den Anspruch der Wissenschaftlichkeit erheben will, zeichnet ein ausgesprochen kritisches Bild der Persönlichkeit des „Reformators“ und seiner Aussagen und Handlungen. Martin Luther, eigentlich Luder, muß von jähzornigem und aufbrausendem Charakter gewesen sein. Seine eigene Biographie schönte er selbst, vor allem aber wurde sie von der protestantischen „Hagiographie“ geschönt. Aufgrund eines verbotenen, bewaffneten Händel war ihm als Student der Rechtswissenschaften in Erfurt das Recht entzogen worden, einen Degen zu tragen, womit damals allgemein ein Schwert gemeint war.
Der Ordenseintritt bei den Augustiner-Eremiten in Erfurt dürfte weniger einem simplen Blitzeinschlag geschuldet sein, sondern der Flucht vor strafrechtlicher Verfolgung, da Luther – wie die Forschung rekonstruieren konnte – wohl im Duell einen Kommilitonen getötet hatte. Damit wäre nicht nur seine Karriere als Jurist zu einem abrupten Ende gelangt, sondern auch sein Kopf in Gefahr gewesen. Das Kloster in Erfurt war exemt, weshalb die weltliche Gerichtsbarkeit keinen Zugriff hatte. Das war wahrscheinlich Luthers einzige Chance, durch Abtauchen im kirchlichen Raum, einer Anklage zu entgehen in der Hoffnung, daß alles gut vertuscht war und Gras über die Sache wachsen würde. Das wirft zumindest die Frage auf, ob seine Ordensgelübde und sein Priestertum aus freiem Willen zustandekamen. Die radikale Entledigung, die er sich durch die „Reformation“ verschaffte – Kasper nennt sie „Notordnung“ –, scheint dagegenzusprechen.
Luthers „Befreiungsschlag“ wurde zur Zertrümmerung
Zu Luthers schillerndem politischen und kirchenpolitischen Wirken seien nur zwei Stichwörter erwähnt. Zuerst wiegelte Luther die deutschen Bauern zum Aufstand gegen soziale Ungerechtigkeit auf, um sich dann auf die Seite der ihn unterstützenden Fürsten zu schlagen und die Hinrichtung der aufständischen Bauern zu fordern: „Schlagt sie tot, wie wie man einen tollen Hund erschlagen muß“. Der eigene Kragen, Schutz und Wohlstand, war ihm auch in diesem Fall wichtiger. Man darf für dieses Verhalten durchaus die Charakterisierung „opportunistisch“ bemühen. Das zweite Stichwort betrifft die Bereitschaft Luthers, den bigamistischen Lebenswandel des ihn fördernden Landgrafs Philipp I. von Hessen anzuerkennen und damit die christliche Ehe nicht nur als Sakrament, sondern samt und sonders seinem Opportunismus zu opfern.
Der „große Reformator“ hatte demnach nicht nur hehre Ziele, sondern durchaus ein persönliches Interesse am Umsturz der geltenden Ordnung. Für diesen „Befreiungsschlag“ war er bereit, alles zu zertrümmern, was sich ihm in den Weg stellte, einschließlich des Altarsakramentes, des Bußsakramentes, des Ehesakramentes und des Weihesakramentes.
Daran ändert auch nichts der Umstand, daß sich in den umfassenden Forderungskatalogen von „Reformatoren“ neben häretischen Anliegen auch berechtigte finden. Der Häretiker ist unbelehrbar. Er will keine echte Erneuerung der Kirche, sondern die Durchsetzung seines Willens. Hochmut und Demut unterschieden die gegensätzlichen Zeitgenossen Martin Valdes und Franz von Assisi. Der eine wurde zum häretischen Kirchenspalter, der andere zum großen Heiligen der Kirche. Luther gehört zur ersteren Spezies, auch wenn Kardinal Kasper ihn in die Gruppe der Heiligen schmuggeln möchte.
Der Skrupulant
Kasper erinnert lieber an ein beliebtes protestantisches Motiv der Luther-Verklärung, an dessen Frage als Mönch: „Wie kann ich einen barmherzigen Gott finden? Das war das existentielle Problem Luthers.“
In der Tat war die Frage existentiell und wurde von der jüngeren Forschung auch tiefenpsychologisch zu deuten versucht. Wenn Luthers Kloster-Eintritt und sein Priestertum tatsächlich der Angst vor Strafverfolgung durch die weltliche Gerichtsbarkeit geschuldet waren, weil er einen Studienkollegen getötet hatte, dann erklärt sich seine verzweifelte Suche nach einem „barmherzigen Gott“ tatsächlich als verzweifeltes Ringen um sein Seelenheil. Daß ihm das Bußsakrament jedoch keine Linderung und Befreiung bringen konnte, und er daher eine andere „Lösung“ für sein persönliches Problem suchen mußte, die er in einer eigenwilligen und häretischen Auslegung der Heiligen Schrift fand, zeugt von einer skrupulösen Natur. Angesichts eines Menschenlebens, das er auf dem Gewissen hatte, nicht ganz unverständlich.
Die Suche nach dem barmherzigen Gott ist in jedem Fall anerkennenswert, entscheidend ist jedoch der Schluß, zu dem jemand gelangt, und Luther kam zu einem Schluß, der zur Verwüstung wurde. Der Grund: er lehnte den barmherzigen Gott, der ihm im Bußsakrament begegnete, ab.
Die „Lösung“ konnte daher letztlich nur eine ganz neue, revolutionäre Theologie sein. Diese erklärt auch, weshalb der seit dem Ordenseintritt niedergedrückte, ängstliche Luther wieder zum lebensfrohen und unerschrockenen Draufgänger wurde, der seine Gelübde als Mönch und sein Versprechen als Priester sorglos brach, und sich eine ehemalige Nonne zur Frau nahm. Kein Wunder, daß die Ehe bei einer solchen Vergangenheit nur „ein weltlich Ding“ war.
Kaspers halsbrecherischer Brückenschlag von Luther zu Papst Franziskus zu Franz von Assisi
Kardinal Kasper geht es jedoch weniger um die Vergangenheit und noch weniger um die historische Wahrheit. Es geht ihm vielmehr um Geschichtspolitik. Die Geschichte dient nur dazu, sie im Heute einer Forderung nutzbar zu machen. Kasper geht es um das Jetzt. Ihm geht es darum, mit Worten wie „Reform“, „Buße“ und „Barmherzigkeit“ und auch dem heiligen Franz von Assisi eine Brücke zu Papst Franziskus zu schlagen. Er gebraucht die Begriffe, um eine gewagte Analogie zwischen Martin Luther und Papst Bergoglio herzustellen, der am 31. Oktober nach Lund reisen wird, um der 500 Jahre von Martin Luthers „Reformation“ zu gedenken.
Papst Franziskus soll gleichzeitig als eine Art neuer Luther präsentiert werden, als Reformer, der ganz auf der Seite der Barmherzigkeit stehe und sich deshalb entschieden habe, sich Franziskus zu nennen, wie der große Heilige des Mittelalters. Daß Luther, laut Kasper, auch ganz auf der Seite der Barmherzigkeit gestanden habe, versteht sich implizit. Das Ganze ist zwar ziemlich dick aufgetragen, aber von Kasper nicht ohne vermeintliche Logik vorgetragen, wenn man dessen Grundthese erkennt, laut der Katholiken und Lutheraner eins werden sollen, indem sich die katholische Kirche protestantisiert, denn – so verkündet es Kasper – Luther hatte recht und die katholische Kirche unrecht.
Margot Käßmann, ehemalige EKD-Ratsvorsitzende und nunmehrige Luther-Botschafterin, bedankte sich für Kaspers Blumen, indem sie dessen These aufgriff und ihrerseits am 7. Mai im Osservatore Romano Papst Franziskus Blumen streute, den sie als einen „Reformator […] so wie Martin Luther“ bezeichnete.
Verpönte „Rückkehrökumene“ spiegelverkehrt?
Was Kasper vorschlägt, wenn auch weniger direkt, ist nichts anderes als die den Protestanten und progressiven, katholischen Kreisen so verpönte „Rückkehrökumene“, nur eben eine Rückkehrökumene unter umgekehrten Vorzeichen. Da Luther recht hatte, ergibt sich von selbst, daß die katholische Kirche den Lutheraner hinterherzulaufen habe, die Bringschuld für die Einheit der Christen also bei den Katholiken liegt. So sagt es Kasper nicht, meint es aber so.
Die historischen lutherischen Gemeinschaften umfassen weltweit zusammen 70 Millionen Gläubige, alle historischen protestantischen Gemeinschaften zusammen (Lutheraner, Reformierte, Anglikaner) rund 220 Millionen, die katholische Kirche aber 1,3 Milliarden. Sollen laut Kasper die 200 Millionen als eine Art „erleuchtetere“ Spitze, die durch die katholische Fehlentscheidung gegen Luther vor 500 Jahren noch im Dunkeln lebenden 1,3 Milliarden Katholiken zum Licht führen?
Gewagte Gedanken, gar eine Unterstellung, oder nur die logische Weiterentwicklung des von Kardinal Kasper in seinem Luther-Büchlein auf 96 Seiten dargelegten Denkens?
„Kirchen“ nicht „Kirche“
Dem Kardinal ist dabei durchaus zu danken, denn wer es noch nicht verstanden haben sollte, was seit 50 Jahren unter dem Begriff „Ökumene“ gemeint ist, findet darin die erhellende Aufklärung. Der vage Begriff verbirgt ein klares Projekt, und das nicht nur für Kasper. Wörtlich schreibt er: „Unter Ökumene versteht man die gesamten bewohnte Erdkugel, daher also Universalität statt Partikularismus. Man kann auch sagen: Im Unterschied zum Katholizismus und dem Protestantismus, die in ihrem konfessionellen Aspekt begrenzt sind, bedeutet Ökumene die Wiederentdeckung der ursprünglichen Katholizität, die nicht durch einen konfessionellen Gesichtspunkt eingeschränkt ist.“
Daraus läßt sich folgern: Da Katholizismus und Protestantismus, nach der Diktion Kaspers, nebeneinander existieren, ist keiner der beiden wirklich universal. Um wirkliche Universalität zu erreichen, müsse der Konfessionalismus überwunden werden, also der Partikularismus der katholischen Kirche, und dadurch Ökumenizität errungen werden. Ökumene meint demnach für Kasper nur eine andere Art, die Universalität der christlichen Botschaft zu benennen, allerdings mit weitreichenden, ja revolutionären Folgen für das Kirchenverständnis. Die „Kirche“ gibt es in Kaspers Verständnis nicht, jedenfalls nicht als katholische Kirche. Es gibt nur „Kirchen“, die gleichwertig nebeneinanderstehen und die alle gleich konfessionell und daher nicht universal sind. Alle sich christlich nennenden Denominationen sind demnach Partikularkirchen oder „Teilkirchen“ der einen zu erreichenden universalen Kirche, die es aber (noch) nicht gibt. Alle „Kirchen“ müssen daher, so Kasper, „eine neben der anderen leben und eine der anderen entgegengehen“.
Rückkehr zum Konfessionalismus „wäre eine Katastrophe“
Martin Luther auf dem Totenbett
Kasper ist der Meinung, wie aus seinem Buch hervorgeht, daß die so verstandene Ökumene zwingend sei. Eine Rückkehr zum Konfessionalismus „wäre eine Katastrophe“. Wer erinnert sich da nicht an vergleichbare, ja identische Argumentationsmuster der Politik? Die „Universalität“ der Politik ist die Europäische Union und noch größere Zusammenschlüsse. Jede Rückkehr zu kleineren Einheiten, zu den historisch, kulturell und ethnisch gewachsenen Nationalstaaten „wäre eine Katastrophe“. Entlehnt sich die Kirche das Denkmuster von der Politik oder umgekehrt? Oder sind beide Gedanken genuin analog, oder einfach die respektive Adaptierung des Zeitgeistes auf den jeweiligen Bereich?
Auf diese Fragen muß an dieser Stelle nicht geantwortet werden. Der Hinweis soll genügen, daß Kasper selbst ein Kopieren weltlichen Denkens andeutet, wenn er sein Rückkehrverbot zum Konfessionalismus damit begründet, daß es andernfalls nicht möglich sein werde, gegen die „säkulare Ökumene“ standzuhalten, „die das Christentum aus dem öffentlichen Bereich hinausdrängen möchte“.
Ist die Argumentation schlüssig? Kann die Kirche, kann das Christentum den Bestrebungen der vorherrschenden politischen (und offenbar auch nach Kaspers Meinung nicht-christlichen) Kräfte zu übernationalen Zusammenschlüssen, zum europäischen Einheitsstaat, zum transatlantischen Wirtschaftsraum (TTIP) als Vorstufe zu einem westlichen Einheitsstaat bis hin zur Weltregierung, nur dadurch entgegengetreten, daß die katholische Kirche ihr überliefertes Kirchenverständnis und damit ihre Identität aufgibt? Oder handelt es sich nur um eine Alibi-Argumentation zur Durchsetzung der eigentlich angestrebten Protestantisierung der katholischen Kirche? Bisher wurde nicht bekannt, daß sich Kasper den politischen Einheitsbestrebungen widersetzen würde.
So schreibt der Kardinal: „Bei der christlichen Ökumene steht die Einheit der Kirche, der Dienst an der Einheit und für den Frieden der Welt auf dem Spiel. Es handelt sich um einen universalen Humanismus, der in Jesus Christus begründet ist als neuer und letzter Adam.“
Kaspers Ökumene-Kopfstand: „katholische Kirche ist nicht katholisch“
Das Denkgerüst Kaspers ist von einer bemerkenswerten Offenheit und Klarheit. Auch Originalität kann man dem deutschen Purpurträger nicht absprechen. Alles geht jedoch einseitig auf Kosten der katholischen Überlieferung und stellt daher Raubbau am eigenen Erbe dar. Kaspers Denken besagt: Die Kirche von Rom ist gar nicht katholisch, weil sich nicht universal ist. Sie ist konfessionell, genauso wie jede andere christliche Denomination. Um die Katholizität wiederzugewinnen, braucht es das Zusammengehen mit den anderen christlichen „Kirchen“, um einer „versöhnten Diversität“ Leben zu geben.
Die verschiedenen Abspaltungen, zu denen es im Lauf der Geschichte gekommen ist, haben sich wieder zusammenzufügen zu etwas Neuem, denn solange das nicht geschehe, gebe es keine „katholische“ Kirche. Die Voraussetzung für dieses Denken ist,daß jedwede sich christlich nennende Gemeinschaft als gleichwertiger und unentbehrlicher Teil der „katholischen“ Kirche anzuerkennen ist. Ob das tatsächlich so wörtlich zu nehmen ist, sei dahingestellt. Vielleicht begnügt sich Kasper mit den historischen protestantischen Gemeinschaften ohne Mormonen und Zeugen Jehovas. Der Blick auf die Evangelikalen ist dagegen mit Sicherheit fixiert.
Kaspers These das Gegenteil dessen, was die Kirche 2000 Jahre gelehrt hat
Was Kasper in seinem Luther-Büchlein ausbreitet, ist – soweit steht es fest – das genaue Gegenteil dessen, was die Kirche seit 2000 Jahren lehrt. Trotz aller Häresien und aller Angriffe, die in dieser langen Zeit gegen sie gerichtet wurden (darunter gerade auch von Luther mit extremer Härte), hat die Kirche nie das Bewußtsein verloren, katholisch und daher universal zu sein. Sie ist die heilige, katholische, apostolische und römische Kirche. Das römisch im Namen ist ja kein Zufall, wie es Kasper nahelegen möchte, indem er den Aspekt wie viele andere einfach ausklammert. Rom ist die Welt, wie der feierliche Segen Urbi et Orbi bezeugt. Die Gräber der Apostelfürsten Petrus und Paulus befinden sich in Rom. Diese römische Berufung zur Universalität wurde von den beiden Aposteln vollendet.
„Ihr seid alle durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid «einer» in Christus Jesus. Wenn ihr aber zu Christus gehört, dann seid ihr Abrahams Nachkommen, Erben kraft der Verheißung“, schreibt Paulus im Brief an die Galater 3,26-29. „Die eine, heilige, katholische, apostolische, römische Kirche braucht nicht die Universalität wiedergewinnen, denn diese ist ihr zu eigen, seid sie von Jesus Christus gestiftet wurde. Sie ist die wahre und einzige Universalität auf Erden, um die sie andere Machtzentren, religiöse und mehr noch weltliche Machtzentren allerdings beneiden. Sie möchten auf der Asche der römischen, katholischen Universität einen neuen Typus von Universalität setzen“, so die Historikerin und Philosophin Angela Pellicciari, die selbst 2012 ein Buch über Martin Luther vorgelegt hatte.
Seine persönliche Tragik machte Luther zur Tragik des deutschen Volkes
Die Tragik der Figur Martin Luthers liegt auch darin, nicht nur die Kirche, sondern auch das deutsche Volk gespalten zu haben, dessen Geschichte wie die keines anderen durch die Spaltung geprägt und gehemmt wurde. Dazu können hier bestenfalls Stichwörter als Gedankenanregung eingeworfen werden:
In der deutschen Geschichte und für das alte römisch-deutsche Reich, dem weltlichen Pendant zur römischen Kirche mit dem entsprechenden Universalitätsanspruch des Kaisers, setzte Luther einen Niedergang in Bewegung, von dem es sich nicht mehr erholte, und der 1806 schließlich in der Sistierung des alten Reiches endete, als eine ganze neue Ordnung, keine katholische Ordnung mehr, sich an die Stelle der alten Ordnung setzte, die durch Luther unwiederbringlich geschwächt war. Auch die Aufklärung, in ihrem kirchenfeindlichen und in ihrem (in der radikaleren Form) religionsfeindlichen Aspekt, läßt sich ohne die Folgen der „Reformation“ und der daraus entstandenen blutigen, kriegerischen Konflikte nicht erklären. Die Schwäche des römisch-deutschen Reichs bedeutet die Schwächung der Mitte Europas, die Deutschland in jene unglückliche Lage brachte, an der sie im 19. und 20. Jahrhundert litt mit all den damit verbundenen Verwerfungen.
Im Laufe der Geschichte wurde viel in Luther hineininterpretiert, von protestantischer Seite, aber auch von staatlicher Seite, als er als „Nationalsymbol“ des kleindeutschen, zweiten Reiches vereinnahmt wurde.
Das Erbe und die Spaltung belasten das deutsche Volk seit 500 Jahren. So gesehen, sind die Bestrebungen Kaspers, der aus diesem Volk stammt, zu einer Überwindung verständlich und nachvollziehbar. Nicht verständlich und nachvollziehbar ist der Weg, den er dazu beschritten hat. Es ist zu dünnes Eis, auf das der Kardinal die katholische Kirche führen will.
1975 schrieb der Kirchenrechtler Georg May in seinem Aufsatz „Der Ökumenismus als Hebel der Protestantisierung der katholischen Kirche“:
„Das ungeheure Unheil, das der Protestantismus über die Erde gebracht hat, und die Aggressivität gegen die katholische Kirche, die er bis zur Stunde überall zeigt, wo die Kirche nicht seine Geschäfte besorgt, wurden übergangen. Diesen Fehler der Konzilsväter muß die Kirche teuer bezahlen. Die Begeisterung des Protestantismus für den Ökumenismus nimmt aber regelmäßig dort sofort ein Ende, wo von ihm ein Entgegenkommen gegenüber der katholischen Kirche oder gar die Übernahme katholischer Lehren erwartet wird. Es ist kein einziger Fall bekannt, in dem der Protestantismus eine interkonfessionelle Zusammenarbeit betrieben hätte, die zu seinen Ungunsten ausgeschlagen wäre. Für die katholische Kirche ist letzteres die Regel.“
Text: Giuseppe Nardi Bild: Wikicommons http://www.katholisches.info/2016/06/10/...ie-schule-geht/ http://beiboot-petri.blogspot.de/
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