Satanisten töten in Deutschland Kinder, sagen Therapeuten, Sektenbeauftragte und Journalisten. Doch Kriminalisten finden dafür keine Beweise: Schwarze Geschichten
BERLIN/COTTBUS, im Februar. Die Geschichten, die Renate Rennebach zu erzählen hat, klingen wie aus einem Horrorfilm. "Menschen werden systematisch gefoltert, und sie werden von jung auf trainiert, dass sie die Folter auch aushalten", sagt sie. Sie spricht von satanistischen Zirkeln, die Kinder darauf drillen, sich missbrauchen und quälen zu lassen. Von jungen Frauen, die Babys im Geheimen zur Welt bringen, um sie dann bei schwarzen Messen zu opfern. "Die Herzen der Säuglinge werden herausgeschnitten und gegessen, das Blut wird getrunken. Und das alles wird gefilmt", sagt Renate Rennebach. "Es geschieht überall in Deutschland. Seit Jahrzehnten." Von diesen Monstrositäten berichtet Renate Rennebach recht routiniert. Ihre Stimme ist sicher, ihr Blick ist fest. Renate Rennebach hat eine Mission. Die 55 Jahre alte SPD-Politikerin aus Berlin, die Mitglied des Bundestages und sektenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion war, spricht davon, dass sie eine Stiftung gründen will für die "Opfer von ritueller Gewalt". Und dann sagt Frau Rennebach, sie sei unendlich froh, dass das Schicksal dieser Opfer endlich auch öffentlich wahrgenommen werde. "Seit dem Film." Ein Schock-Film, der im Januar im Fernsehmagazin ZDF-Reporter gesendet wurde, hat eine Diskussion ausgelöst, in die sich auch die Bundesjustizministerin einschaltete. Brigitte Zypries sagte, alle Hinweise müssten sehr ernst genommen werden. Hinweise auf bizarre Verbrechen in Trier, Koblenz und Lüttich, von denen in dem Fernsehbeitrag die Rede war. Eine 34 Jahre alte Frau namens Steffi hatte dort mit stockender Stimme berichtet, sie sei in ihrer Kindheit von Satanisten vergewaltigt worden und habe erlebt, wie Säuglinge zersägt wurden. "Sie haben geschrien, und dann hat man uns gesagt, dass es der Teufel ist, wenn sie schreien." Die Leichen seien verspeist worden. Der Film lieferte zwar keinen Beweis, aber seit dem Fall des kannibalistischen Mordes in Hessen scheint im Grunde nichts mehr undenkbar. Für Renate Rennebach sind denn auch okkulte Orden, die Kinder opfern, eine unbezweifelbare Realität. "Das sind geheime Netzwerke. Das geht bis in höchste Kreise", sagt die Politikerin. Mehr als fünfzig Säuglinge würden jedes Jahr, so formuliert sie das, verbraucht. Und sie sagt: "Ein Staatsanwalt, der das jetzt immer noch abbügelt, muss merken, dass er gegen die Öffentlichkeit handelt." Rennebach gehört zu einer wachsenden Gruppe von Sektenbeauftragten, Psychotherapeuten, Anwälten und Journalisten, die sich zum Ziel gesetzt haben, das Thema ritueller Missbrauch publik zu machen. Zu ihnen zählt auch die Sektenberaterin Solveig Prass aus Leipzig, die von 800 bis 1 000 meist pädophilen Tätern in Deutschland spricht, von einer satanischen Szene. Die Leipziger Beraterin sagt auch, sie könne sehr gut unterscheiden zwischen Fantasie und Realität, wenn Klienten ihre Geschichten erzählten. Das sagen eigentlich alle, die sich als Experten für rituellen Missbrauch verstehen. Sie behaupten außerdem, die Polizei gehe entsprechenden Anzeigen nicht nach, denn die Monstrosität der Schilderungen schütze die Täter. Aber wie glaubwürdig sind die Zeugenaussagen, auf die sie sich berufen? Im brandenburgischen Cottbus versieht Kriminaloberkommissar Wolfgang Bauch seinen Dienst. Bauch ist stellvertretender Vorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter und einer der wenigen Kriminalisten, die sich gut mit Sekten auskennen. Ein Mensch, der seine Worte abwägt. "Therapeuten und Helfer sind geneigt, alles zu glauben, was ihre Klienten erzählen. Polizisten müssen da kritischer rangehen", sagt er. "Wir müssen jeden Zeugen ernst nehmen. Polizisten müssen für das Thema Satanismus sensibilisiert werden. Aber alles steht und fällt damit, ob man Beweise sichern kann." Wolfgang Bauch berichtet von einem Fall von rituellem Missbrauch, dem die Polizei vor einiger Zeit in Brandenburg nachging. Eine Schülerin hatte ihrer Lehrerin anvertraut, dass sie regelmäßig von Männern in einer Sekte vergewaltigt werde und Angst um ihr Leben habe. Lehrer und Polizisten sollten zu dem Kult gehören. "Das Mädchen wurde aber immer sehr undeutlich, wenn es konkret werden sollte", sagt Bauch. Schließlich beschlossen die Beamten, die junge Frau zu observieren. So klärten sie die Sache auf. Das Mädchen hatte gesagt, sie werde an bestimmten Tagen von der Sekte weggeholt. "Aber die Beobachtung ergab: Das stimmte gar nicht. Sie hat sich dann in eine Therapie begeben." Wolfgang Bauch will nicht behaupten, dass es satanische Kultmörder nicht gibt. Aber er sagt: "Wenn wirklich so ein riesiges Dunkelfeld existiert, müsste doch das eine oder andere mal ans Licht kommen." Doch wo immer in der Bundesrepublik bisher rituelle Morde untersucht wurden, erlebten die Ermittler Überraschungen. Vor zwei Jahren sendete die ARD einen Film mit dem Titel "Höllenleben" über eine Frau namens Niki aus Bielefeld, die von Folter und Mord an Säuglingen in einer Satanssekte auf der Wewelsburg bei Paderborn berichtete. Der Fall beschäftigte drei Staatsanwaltschaften. "Diese Ermittlung ist außerordentlich komplex", sagt Staatsanwalt Ralf Vetter. "Die psychisch kranke Frau nannte einen Täter mit Vornamen, aber wir konnten ihn nicht ermitteln. Ihre Angaben sind unkonkret oder werden durch die Ermittlungen widerlegt." Fest steht allerdings, dass Niki von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht wurde, der dafür verurteilt wurde. Mittlerweile haben weitere Frauen ausgesagt, sie seien von der Sekte gequält worden. Eine Zeugin machte zwar präzise Angaben über die Tatzeit, aber die Polizei kann ausschließen, dass zu dem Zeitpunkt jemand auf der Wewelsburg war. Eine andere nannte den Namen eines Mannes, der bei rituellen Handlungen ermordet worden sei. Doch die Polizei stellte fest, dass dieser Mann Jahre nach dem genannten Zeitpunkt friedlich im Krankenhaus gestorben war. Selbst vermeintlich handfeste Zeugenhinweise auf rituelle Morde durch Satanisten, von denen Staatsanwälte vor einem Jahr in Niederbayern sprachen, erwiesen sich als falsch. Zwei Frauen hatten sieben Morde angezeigt, die vor dreißig Jahren verübt und als Verkehrsunfälle getarnt worden seien. Die Polizei richtete eine Sonderermittlungsgruppe ein. "Wir haben zwanzig Wohnungen durchsucht und Dutzende von Zeugen vernommen. Aber wir haben keinerlei Anhaltspunkte gefunden, dass eine der Personen auch nur im Entferntesten mit einer satanistischen Gruppe zu tun hatte", sagt Staatsanwalt Günther Hammerdinger aus Traunstein. Die Todesfälle erwiesen sich als das, was sie vorher waren: Verkehrsunfälle, Selbstmorde oder natürliche Tode. Die Ermittlungen wurden schließlich eingestellt. Derzeit sind noch Verfahren anhängig in Trier, Koblenz, Augsburg, Paderborn, Grevenbroich, Hamburg und Lüneburg. Ergebnisse bisher: keine. Die Behörden stehen unter Druck, weil Satansmorde ein großes Medienthema sind. Aber man komme nicht weiter, weil die Angaben so vage seien, sagen die Staatsanwälte. Oder es gibt Probleme, weil die angezeigten Taten sehr weit zurückliegen. Oder die angebliche Beteiligung "hochstehender Persönlichkeiten" an den mörderischen Ritualen wie etwa Gerhard Schröder oder Angela Merkel weckt gewisse Zweifel an den Aussagen der Zeugen. Die Staatsanwälte ermitteln trotzdem, sie ermitteln zügig. Auch Verschwörungstheoretiker könnten ja einmal Recht haben. "Es gibt wirklich nichts, was wir uns nicht vorstellen können", weist Frederick Holtkamp vom Landeskriminalamt in Düsseldorf Vorwürfe zurück, die Polizei nehme rituellen Missbrauch nicht ernst. Holtkamp hatte 1995 eine polizeiinterne Untersuchung zum Thema geleitet. "Das Ergebnis: Nichts konnte verifiziert werden. Absolut nichts!" Zwar gab es in den vergangenen zehn Jahren einige Kriminalfälle, die in der Presse Satansmorde genannt wurden; doch sie spielten sich im Milieu jugendlicher Cliquen ab oder sie sind längst aufgeklärt, wie der Fall des Satanisten-Ehepaares Ruda, das in Witten einen Bekannten ermordet hatte. Auch der niedersächsische Thelema-Orden, die einzige deutsche Satanssekte, die nachweislich Gewalt bei schwarzen Messen ausübte, passt nicht in das Raster eines Mord-Kultes. Thelema-Chef Michael Eschner wurde zwar 1992 zu sechs Jahren Haft verurteilt, weil er Frauen bei schwarzen Messen missbraucht und gequält hatte. Zurzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft Lüneburg wieder wegen einer Vergewaltigung gegen die Gruppe. Wegen Mordes oder gar Kannibalismus wurden Eschner und seine Jünger aber weder angezeigt noch angeklagt. Vom kriminalistischen Standpunkt aus bleiben rituelle Tötungen ein Phantom. Als der Kriminalist Holtkamp nach dem Grund dafür forschte, fiel ihm auf, dass fast alle, die Anzeige erstatteten, Frauen mit einer multiplen Persönlichkeitsstörung waren. Sie haben sich, vermutlich wegen eines sexuellen Missbrauchs, in mehrere Identitäten aufgespalten, die in verschiedenen Realitäten leben. "Das bedeutet nicht, dass die Zeuginnen vorsätzlich lügen, aber ihre Erinnerungen können falsch sein", sagt Holtkamp. Wie es zu falschen Erinnerungen kommt, damit beschäftigen sich in Deutschland auch Kriminalpsychologen wie Jens Hoffmann von der Universität Darmstadt. Hoffmann weiß, dass die menschliche Erinnerung manipulierbar ist. "Es kann sein, dass sich Leute mit traumatischen Erlebnissen unbewusst eine falsche Erinnerung konstruieren. Und es kann sein, dass dann Bilder des prototypisch Bösen entstehen." Bilder, wie sie in Filmen und Talkshows vorkommen, Bilder von Satanisten und mörderischen Ritualen. Jens Hoffmann sagt, auch Psychotherapeuten könnten falsche Erinnerungen in einen Patienten projizieren. Es habe Fälle gegeben, wo sich vage Bilder von Gewalt und Aggression im Verlauf einer Therapie zu detaillierten Geschichten von Missbräuchen und Opferungen verdichteten. Diese Aussagen könnten dann sehr präzise sein - und trotzdem falsch. Anderereits ist es so: "Wer tatsächlich miterlebt, dass Menschen gefoltert und getötet werden, wird nicht selten auch als Täter traumatisiert", sagt Hoffmann. "Und dann ist es doch sehr unwahrscheinlich, dass so gravierende Verbrechen über Jahre nicht herauskommen.""Es kann sein, dass sich Leute mit traumatischen Erlebnissen unbewusst eine falsche Erinnerung konstruieren. " Jens Hoffmann, Kriminalpsychologe.DPA/BERND THISSEN Satanismus vor Gericht. Michaela Ruda, im Vordergrund, und ihr Mann Daniel haben in Witten einen Mann umgebracht. Ihr Fall ist aufgeklärt. – Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/16380328 ©2016
– Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/16380328 ©2016
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