Die Hl. Schrift nicht zu kennen heißt, Christus nicht zu kennen
Mit den Kirchenvätern beginnt der Weg der Kirche in der Geschichte. Katechesen von Papst Benedikt XVI. über die großen Denker der frühen Kirche. 30. September: Heiliger Hieronymus. Erstellt von Gero P. Weishaupt am 30. September 2016 um 09:40 Uhr
Papst Benedikt XVI., Petersplatz Im Zeitraum vom 7. März 2007 und dem 27. Februar 2008 hielt Papst Benedikt XVI. in Rahmen seiner wöchentlichen Mittwochsaudienzen in Rom insgesamt 36 Katechesen über Leben und Werk der Kirchenväter und Glaubenslehrer, beginnend von Clemens von Rom bis zu Augustinus von Hippo. Kathnews setzt seine Reihe über „Leben und Werk der Kirchenväter und Glaubenslehrer“ fort. Die Kirche begeht am 30. September in beiden Formen des Römischen Ritus das Gedächtnis des heiligen Hieronymus (geb. 347, gest. 419/20). Papst Benedikt XVI. hielt über ihn eine Mittwochskatechese am 7. November 2007
Papst Benedikt XVI. Liebe Brüder und Schwestern!
Heute wollen wir unsere Aufmerksamkeit auf den hl. Hieronymus richten, einen Kirchenvater, der die Bibel in den Mittelpunkt seines Lebens gestellt hat: Er hat sie in die lateinische Sprache übersetzt, er hat sie in seinen Werken kommentiert, und er hat sich vor allem bemüht, sie während seines langen Erdendaseins konkret zu leben – trotz seines bekannten schwierigen und temperamentvollen Charakters, den er von der Natur erhalten hatte.
Hieronymus wurde um das Jahr 347 in Stridon in einer christlichen Familie geboren, die ihm eine sorgfältige Ausbildung ermöglichte und ihn zur Vervollkommnung seiner Studien auch nach Rom schickte. Als junger Mann spürte er die Anziehungskraft des weltlichen Lebens (vgl. Ep 22,7), es überwog jedoch in ihm die Sehnsucht nach der christlichen Religion und das Interesse für sie. Um das Jahr 366 empfing er die Taufe und wandte sich dem asketischen Leben zu; er begab sich nach Aquileia und schloß sich einer Gruppe eifriger Christen an, die von ihm gleichsam als »Chor von Seligen« (Chron. ad ann. 374) bezeichnet wurde, der sich um Bischof Valerian scharte. Dann brach er in den Osten auf und lebte als Einsiedler in der Wüste von Chalkis südlich von Aleppo (vgl. Ep 14,10), wobei er sich ernsthaft den Studien widmete. Er vervollkommnete seine Griechischkenntnisse, begann mit dem Studium des Hebräischen (vgl. Ep 125,12), transkribierte Codices und Werke der Kirchenväter (vgl. Ep 5,2). Die Meditation, die Einsamkeit, der Kontakt mit dem Wort Gottes ließen seine christliche Empfindsamkeit reifen. Er fühlte stärker die quälende Last seiner Jugendsünden (vgl. Ep 22,7) und spürte eindringlich den Gegensatz zwischen heidnischer Mentalität und christlichem Leben: ein Gegensatz, der durch die dramatische und lebhafte »Vision« berühmt wurde, die er uns in einer Erzählung hinterlassen hat. In ihr schien es ihm, er würde vor dem Angesicht Gottes gegeißelt, weil er »ein Ciceronianer und kein Christ« wäre (vgl. Ep 22,30).
Im Jahr 382 übersiedelte er nach Rom: Hier nahm ihn Papst Damasus, der seinen Ruf als Asket und seine Kompetenz als Gelehrter kannte, als Sekretär und Berater in seinen Dienst. Er ermutigte ihn, aus pastoralen und kulturellen Gründen eine neue lateinische Übersetzung der biblischen Texte in Angriff zu nehmen. Einige Angehörige der römischen Aristokratie, vor allem adlige Frauen, wie Paula, Marcella, Asella, Lea und andere, die begierig waren, sich um den Weg der christlichen Vollkommenheit zu bemühen und ihre Kenntnis des Wortes Gottes zu vertiefen, wählten ihn zu ihrem geistlichen Begleiter und Lehrer bei der methodischen Annäherung an die heiligen Texte. Diese Edelfrauen lernten auch Griechisch und Hebräisch.
Nach dem Tod von Papst Damasus verließ Hieronymus im Jahr 385 Rom und unternahm eine Pilgerreise, zunächst ins Heilige Land, dem stillen Zeugen des Erdenlebens Christi, dann nach Ägypten, dem Land, das viele Mönche als Aufenthalt wählten (vgl. Contra Rufinum 3,22; Ep 108,6–14). Im Jahr 386 kam er nach Betlehem, wo dank der Großzügigkeit der Edelfrau Paula ein Männerkloster, ein Frauenkloster sowie ein Hospiz für die Pilger, die sich ins Heilige Land begaben, errichtet wurden »im Gedenken daran, daß Maria und Josef keine Unterkunft gefunden hatten« (Ep 108,14). In Betlehem blieb er bis zu seinem Tod, wobei er weiter eine intensive Tätigkeit entfaltete: Er kommentierte das Wort Gottes; er verteidigte den Glauben, indem er sich kraftvoll verschiedenen Häresien widersetzte; er ermahnte die Mönche zur Vollkommenheit, unterwies junge Schüler in der klassischen und christlichen Kultur; er nahm in pastoraler Gesinnung die Pilger auf, die das Heilige Land besuchten. Er starb am 30. September 419/420 in seiner Zelle nahe der Geburtsgrotte.
Seine literarische Ausbildung und seine umfassende Gelehrsamkeit erlaubten Hieronymus die Revision und Übersetzung vieler biblischer Texte: eine wertvolle Arbeit für die lateinische Kirche und für die abendländische Kultur. Auf der Grundlage der griechischen und hebräischen Urtexte und dank des Vergleichs mit früheren Versionen verwirklichte er die Revision der vier Evangelien in lateinischer Sprache, sodann die des Psalters und eines Großteils des Alten Testaments. Indem er dem hebräischen und griechischen Originaltext, der Septuaginta, der in vorchristlicher Zeit entstandenen klassischen griechischen Version des Alten Testaments, und den vorhergehenden lateinischen Versionen Rechnung trug, konnte Hieronymus, dem später weitere Mitarbeiter zur Seite standen, eine bessere Übersetzung bieten: Sie stellt die sogenannte »Vulgata« dar, den »offiziellen« Text der lateinischen Kirche, der als solcher vom Konzil von Trient anerkannt wurde und nach der jüngsten Revision der »offizielle« Text der lateinischen Kirche bleibt. Es ist interessant, die Kriterien festzustellen, an die sich der große Bibelwissenschaftler in seinem Übersetzungswerk gehalten hat. Er enthüllt sie selbst, wenn er sagt, er respektiere sogar die Reihenfolge der Worte der Heiligen Schrift, weil in ihr, sagt er, »auch die Reihenfolge der Worte ein Geheimnis ist« (Ep 57,5), das heißt eine Offenbarung. Er bekräftigt darüber hinaus die Notwendigkeit, auf die Originaltexte zurückzugreifen: »Wenn es wegen der nicht übereinstimmenden Lesarten der Handschriften unter den Lateinern zu einer Diskussion über das Neue Testament käme, greifen wir auf das Original zurück, das heißt auf den griechischen Text, in dem der Neue Bund geschrieben worden ist. Dasselbe gilt für das Alte Testament: Wenn es Abweichungen zwischen den griechischen und lateinischen Texten gibt, berufen wir uns auf den Originaltext, den hebräischen; so können wir all das, was aus der Quelle entspringt, in den Bächen wiederfinden« (Ep 106,2). Darüber hinaus kommentierte Hieronymus auch viele biblische Texte. Nach ihm sollen die Kommentare vielfältige Meinungen bieten, »so daß der besonnene Leser, nachdem er die verschiedenen Erklärungen gelesen und vielfältige Ansichten kennengelernt hat – die anzunehmen oder abzulehnen sind –, urteile, welche die zuverlässigste ist, und wie ein erfahrener Geldwechsler die falsche Münze ablehne« (Contra Rufinum 1,16).
Energisch und lebhaft widerlegte er die Häretiker, die die Überlieferung und den Glauben der Kirche bestritten. Er zeigte auch die Bedeutung und Wirksamkeit der christlichen Literatur auf, die zu einer wahren Kultur geworden war und nun würdig war, mit der klassischen verglichen zu werden: Er tat dies mit der Abfassung von De viris illustribus, einem Werk, in dem Hieronymus die Biographien von über hundert christlichen Schriftstellern vorlegt. Er hat auch Biographien von Mönchen geschrieben und erläuterte damit, neben anderen geistlichen Wegen, auch das monastische Ideal. Außerdem übersetzte er verschiedene Werke griechischer Autoren. Schließlich tritt Hieronymus in dem wichtigen Epistularium, einem Hauptwerk der lateinischen Literatur, mit seinen Wesensmerkmalen eines gebildeten Mannes, Asketen und Seelenführers hervor.
Was können wir vom hl. Hieronymus lernen? Mir scheint, vor allem dies: das Wort Gottes in der Heiligen Schrift zu lieben. Der hl. Hieronymus sagt: »Die Heilige Schrift nicht zu kennen heißt, Christus nicht zu kennen.« Es ist deshalb wichtig, daß jeder Christ in Berührung und in persönlichem Dialog mit dem Wort Gottes lebt, das uns in der Heiligen Schrift geschenkt ist. Dieser unser Dialog mit dem Wort Gottes muß immer zwei Dimensionen haben: Einerseits muß er ein wirklich persönlicher Dialog sein, weil Gott mit einem jeden von uns durch die Heilige Schrift spricht und eine Botschaft für jeden hat. Wir dürfen die Heilige Schrift nicht als Wort der Vergangenheit lesen, sondern als Wort Gottes, das sich auch an uns wendet, und müssen versuchen zu verstehen, was der Herr uns sagen will. Um aber nicht in den Individualismus zu verfallen, müssen wir uns vergegenwärtigen, daß das Wort Gottes uns gerade deshalb gegeben ist, um Gemeinschaft aufzubauen, um uns auf unserem Weg zu Gott hin in der Wahrheit zu vereinen. Obwohl es also immer ein persönliches Wort ist, ist es auch ein Wort, das Gemeinschaft errichtet, das die Kirche auferbaut. Deshalb müssen wir es in Gemeinschaft mit der lebendigen Kirche lesen. Der bevorzugte Ort des Lesens und Hörens des Wortes Gottes ist die Liturgie, in der wir durch das Feiern des Wortes und durch die Vergegenwärtigung des Leibes Christi im Sakrament das Wort in unserem Leben verwirklichen und es unter uns gegenwärtig machen. Wir dürfen nie vergessen, daß das Wort Gottes über die Zeiten hinausreicht. Die menschlichen Meinungen kommen und gehen. Was heute sehr modern ist, wird morgen uralt sein. Das Wort Gottes hingegen ist Wort des ewigen Lebens, es trägt in sich die Ewigkeit, das, was für immer gilt. Indem wir in uns das Wort Gottes tragen, tragen wir also in uns das Ewige, das ewige Leben.
Und so schließe ich mit einem Wort des hl. Hieronymus an den hl. Paulinus von Nola. Darin bringt der große Exeget gerade diese Wirklichkeit zum Ausdruck, nämlich daß wir im Wort Gottes die Ewigkeit empfangen, das ewige Leben. Der hl. Hieronymus sagt: »Versuchen wir, auf der Erde jene Wahrheiten zu lernen, deren Beschaffenheit auch im Himmel bestehen bleiben wird« (Ep 53,10). http://www.kathnews.de/die-hl-schrift-ni...nicht-zu-kennen Foto: Papst Benedikt XVI. – Bildquelle: Kathnews
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