Geraubte Kindheit
Posted by Tanja Schultz on 13 October, 2016
Am heutigen Donnerstag ist im Iran die Vollstreckung des Todesurteils von Zeinab Sekaanvand Lokran vorgesehen. Die 22 jährige iranische Kurdin wurde des Mordes an ihrem Ehemann angeklagt.
Weder die Tatsache, dass sie zur Tatzeit minderjährig war und an schweren Depressionen leidet, noch dass sie jahrelang von ihrem Mann vergewaltigt und misshandelt wurde, wurden vom Gericht als mildernde Umstände zuerkannt. Zeinab hatte vor der Verzweiflungstat vergeblich versucht, den gewalttätigen Mann bei der Polizei anzuzeigen und eine Scheidung durchzusetzen.
Zeinab war eine Kindsbraut. Extreme Armut und Erziehung trieben sie mit nur 15 Jahren in eine Ehe mit einem älteren Mann. Zeinab ist kein Einzelfall – wenn auch nur in den wenigsten Fällen die Pein mit einer Gegenwehr und dem Tod des Schinders endet.
Die zum UN-Weltmädchentag am 11. Oktober vorgelegten Zahlen sind erschreckend. Millionen von Kindern und Jugendlichen weiblichen Geschlechts weltweit sind heute Opfer von Gewalt, Missbrauch und Diskriminierung. Alle 7 Sekunden wird ein Mädchen unter 15 Jahren zwangsverheiratet, jährlich etwa 16 Millionen. „Sie werden nicht nur ihrer Kindheit und Schulausbildung beraubt, ihr Körper und ihre Psyche sind durch die frühen Schwangerschaften häufig gemartert, ganz zu schweigen von sexuellen Übergriffen, die schwere Spuren in der kindlichen Seele hinterlassen“, erklärt Donatella Vergari von „Terre des Hommes“. Die Menschenrechtsorganisation hat eine Kampagne gegen Kinderbräute und sexuelle Verstümmelung gestartet.
Obwohl sich die Weltgemeinschaft verpflichtet hat, bis zum Jahr 2030 die Praxis der Kinderehen zu verbieten, ist die Tendenz steigend. „Wenn dieser Rhythmus anhält, haben wir zu dem Stichtag 950 Mio Kindsbräute und 1,2 Milliarden im Jahr 2050“, warnt die Kinderrechtsorganisation „Save the Children“.
Die Skandal-Länder
Indien ist das Land mit den meisten Kindsbräuten: 47 Prozent der Frauen werden unter 18 Jahren verheiratet, insbesondere in ländlichen Gebieten. Darüber hinaus gibt es in Indien wie vor allem in Afghanistan, Somalia, Niger und im Jemen zahlreiche Fälle von Hochzeiten zwischen Mädchen unter 10 Jahren, also noch vor der Geschlechtsreife, mit Männern im Alter ihrer Väter.
Versuche, das Mindestalter für Hochzeiten heraufzusetzen, sind in Afghanistan und im Jemen bereits mehrfach am Widerstand islamistischer Politiker gescheitert. Während jedoch jene Länder in wirtschaftlicher, technologischer und sozialer Hinsicht stark archaische und rückständige Züge aufweisen, gilt das nicht für Indien, das auf dem Weg zu einer Industrienation ist. Insofern ist hier Phänomen der Schutzlosigkeit von minderjährigen Mädchen besonders skandalös. Es genügt nicht, dass in Indien und Bangladesch die Volljährigkeit gesetzlich vorgeschrieben ist. Es ist allgemein bekannt, dass sich Standesbeamte mit geringen Summen bestechen lassen, um das Geburtsdatum der Braut zu fälschen. Die betroffenen Staaten müssten umfassende Kontrollen durchführen. Laut dem Report von Save the Children ist jedoch Niger das Land, das die schlechtesten Konditionen für ein heranwachsendes Mädchen bietet. Dort ist Unicef nun mit wichtigen Förder- und Aufklärungsprogrammen aktiv.
Armut als Hauptursache
Die Statistik gibt klare Auskunft: die Kinderehen betreffen hauptsächlich arme Familien. Aus extremer Armut sehen sich oft Eltern genötigt, ihre Tochter so früh wie möglich an einen Mann wegzugeben bzw. zu verkaufen. In Nigeria heiraten 40 Prozent der mittellosen Mädchen vor dem 15. Lebensjahr, während es unter besser gestellten Familien nur 3 Prozent der Mädchen sind. Viele Eltern halten an der Praxis fest, weil sie auf die finanzielle Versorgung ihrer Töchter durch die Schwiegerfamilie hoffen. Auch aus Angst vor vorehelichem Sex oder sexuellem Missbrauch werden viele Mädchen früh verheiratet. Diese Gefahr wird akut von syrischen Familien wahrgenommen, wo sich aufgrund des Bürgerkrieges ein Anstieg der Kinderehen abzeichnet.
Schlimme Folgen für junge Mütter
Die Folgen sind verheerend. Oft müssen die jungen Ehefrauen die Schule aufgeben und sich um den Haushalt kümmern. Weil sie viel zu früh gebären, bekommen sie und ihre Kinder gesundheitliche Probleme. „Diese Mädchen erhalten weniger Bildung, haben größere Probleme, ihre Kinder aufzuziehen und sind deutlich mehr Gewalt ausgesetzt, es ist eine wahre Kettenreaktion.“ 70.000 Mädchen sterben jedes Jahr bei Komplikationen während Schwangerschaft und Geburt. Die Gefahr ist bei 10- bis 14-jährigen Gebärenden fünf Mal höher als bei 20- bis 24-jährigen. Diese Komplikationen stellen für die Altersgruppe die zweithäufigste Todesursache nach dem Suizid dar. Jedes Jahr entbinden mehr als eine Millionen Mädchen unter 15 Jahren ein Kind, in der Altersgruppe der 15- bis 18jährigen sind es 16 Millionen. Der Start ins Leben steht auch für diese geborenen Kinder unter einem schlechten Stern. Die Kinder von Kindmüttern haben nur 50 Prozent Lebenserwartung gegenüber der von Frauen zwischen 20 und 35 Jahren.
„Die Förderung von Bildung unter den weiblichen Bürgern ist die wichtigste Investition, die eine Nation machen kann, weil sie den Kampf gegen Armut, Krankheit, Ungleichheit und Diskriminierung der Geschlechter beschleunigt,“ resümiert der Präsident von Unicef Italien, Giacomo Guerrera https://email.t-online.de/em#f=INBOX&m=1...od=showReadmail
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