Kurze Antwort an einen Großmeister der Freimaurerei 28. Oktober 2016
Fabio Venzi, Großmeister der Regulären Großloge von Italien (GLRI)
(Rom) Pater Paolo Maria Siano gehört dem Orden der Franziskaner der Immakulata an, der 2013 von Papst Franziskus unter kommissarische Verwaltung gestellt wurde. Eine Maßnahme, für die es bis heute offiziell keine Angabe von Gründen gibt. Inoffiziell sagte der Sekretär der römischen Ordenskongegration, die den Kommissar ernannte, der Orden sei wegen seiner Traditionsverbundenheit „krypto-lefebvrianisch“ und stelle die Autorität des Zweiten Vatikanischen Konzils in Frage. Pater Siano, gilt in der katholischen Kirche als einer der besten Kenner der Freimaurerei, der er 2012 ein 632 Seiten starkes „Handbuch“ widmete.
Am Mittwoch trat Pater Siano mit einer „Kurzen Antwort an den Großmeister“ an die Öffentlichkeit. Er antwortete damit dem Großmeister trat Pater der Regulären Großloge von Italien, Fabio Venzi. Der italienische Originaltext von Pater Siano wurde von unserer Partnerseite Corrispondenza Romana veröffentlicht.
Kurze Antwort an den Großmeister
von Pater Paolo Maria Siano FI
Am vergangenen 8. Oktober (2016) hielt Fabio Venzi, der amtierende Großmeister der Regulären Großloge von Italien (GLRI) in seiner Forschungsloge Quatuor Coronati Nr. 112 im Orient von Rom (GLRI) den Vortrag „Freie Maurerei und Katholische Kirche“ (das Skript umfaßt 39 A4-Seiten). Ich nehme an, daß es sich um denselben Text handelt, den Vanzi am vergangenen 11. September bei einer Tagung in Cambridge, veranstaltet anläßlich der bevorstehenden Feierlichkeiten zum 300. Jahrestages der Freimaurerei (1717-2017) von der prestigeträchtigen Londoner Loge Quatuor Coronati Nr. 2076 der Vereinigten Großloge von England (UGLE), vorgelegt hat.
Die Rede des Großmeisters Venzi in der Loge Quatuor Coronati von Rom ist öffentlich und kann auf der Internetseite der Regulären Großloge von Italien aufgerufen werden.
Es hat mich sehr erstaunt, daß der Großmeister darin etwa acht Seiten mir widmet, indem er Auszüge aus meinen Schriften zitiert. Er beschuldigt mich sogar, die Freimaurerei falsch und irreführend dargestellt zu haben … Soviel Werbung hatte ich wirklich nicht erwartet. Vor allem habe ich nicht erwartet, daß ein „Englisch-style“-Großmeister (Oberhaupt der englischen Freimaurerei in Italien) mir gegenüber sogar in einen „drohenden“ Ton verfallen würde, besonders in den „Schlußfolgerungen“.
Symbol der Loge Quatuor Coronati Nr. 112 im Orient von Rom Der Großmeister scheint noch immer verärgert darüber, daß ich 2012 von TV2000 (dem Fernsehsender der Italienischen Bischofskonferenz) zur Freimaurerei interviewt wurde. Damals wurde ich fast dazu „zwangsverpflichtet“, im Fernsehen aufzutreten. Ich mag die Fernsehbühne nicht, sondern ziehe das Studium und Tagungen vor. Wenn der Sender dieses Interview dann gleich mehrfach ausstrahlt, liegt das gewiß nicht in meiner Verantwortung. Ich finde die „Drohung“ besorgniserregend, so schön verpackt sie auch sein mag, die der Großmeister am Ende seines Textes objektiv auch an mich richtet (S. 39).
Venzi ist der Meinung (indem er mich überschätzt), daß auch meine Schriften ein Hindernis für den Dialog zwischen Freimaurerei und Katholischer Kirche sind, und empört sich, daß es in der Kirche auch Platz für meine Veröffentlichungen gibt. Da drängt sich mir die Frage auf: Hat der Großmeister (unabhängig davon, ob aus Eigeninitiative oder aufgrund einer Forderung/eines Rates anderer) einen „Befehl“ gegen den Unterfertigten erlassen, oder wird er einen solchen erlassen, der von Kirchenvertretern, die dem katholisch-freimaurerischen Dialog gewogen sind, auszuführen ist? Ich erlaube mir, dem Großmeister Venzi zu einigen Punkte eine kurze Antwort zu geben.
Das Buch des Großmeisters
Bei seiner Kritik an einigen meiner Feststellungen, bezieht sich der Großmeister ausschließlich auf antifreimaurerische Schriften, die ich aus chronologischen Gründen oder der Vollständigkeit halber zitiert habe. Bedauerlicherweise zitiert der Großmeister keine der zahlreichen freimaurerischen Quellen, auf die ich in meinen Schriften hingewiesen habe, und die den größten Teil der von mir angeführten Bibliographie umfassen. Zunächst möchte ich die grundsätzliche Unvereinbarkeit zwischen der Freimaurerei und der Kirche bekräftigen, und ich spreche dabei natürlich auch von der „English-style“-Freimaurerei, die vom Großmeister Venzi repräsentiert wird.
Schon vor seinem Vortrag in der Quatuor Coronati (2016) scheint Großmeister Venzi in seinem Buch „Il Libero Muratore tra esoterismo e tradizione“ (Der freie Maurer zwischen Esoterik und Tradition, Settimo Sigillo, Rom 2014) drei grundlegende Wesensmerkmale zu bestreiten,
die ich der Freimaurerei, ihrem DNA zuschreibe: 1) subjektivistischer und metadogmatischer Humanismus; 2) intrinsisch magische Initiationsriten; 3) gnostische Esoterik, die Formen der „Sympathie“ für Luzifer hervorbringen kann.
Venzis Buch: Der freie Maurer zwischen Esoterik und Tradition“
Ich erlaube mir, anzumerken, daß gerade der Großmeister mir mit seinen Schriften recht gibt, besonders mit seinem Buch Der freie Maurer zwischen Esoterik und Tradition (Venzi hat es seinem Freund und „Bruder“ Lord Northampton gewidmet, dem vormaligen Pro-Grand Master der Vereinigten Großloge von England).1
1) Venzi präsentiert einen gnostischen Initiationshumanismus: der wahre Initiierte/Freimaurer hat, auch in Übereinstimmung mit dem Denken von Julius Evola (vgl. S. 20-23), einen Weg der gnostischen und überdogmatischen Vervollkommnung zu beschreiten.
2) Der vom Freimaurer zu beschreitende rituelle Initiationsweg zielt auf eine „ontologische Veränderung des Individuums ab (vgl. S. 23f und 300f). Dem englischen Freimaurer Walter Leslie Wilmshurst (1867-1939) folgend erklärt Venzi, daß „der Dritte Grad des Meisters“ (der mit einem eigenartigen und für die Freimaurer wichtigen Ritus verbunden ist) „ist der Grad des ‚mystischen Todes‘ oder ‚Initiationstodes‘“ (vgl. S. 67-71, 198f, 254f und 299f).
3) Wenn Venzi von „Tradition“ spricht, präsentiert er als „Meister“ Julius Evola und Carl Gustav Jung, der behauptete, daß es notwendig sei, „dem Schatten als untrennbare Teilpersönlichkeit von uns selbst zu begegnen und ihn ‚wiedereinzugliedern‘“ (vgl. S. 184-186). Jung gibt den Schatten als Teufel wieder (vgl. 207f). Etwas später, im Zusammenhang mit einem freimaurerischen Ritus, erklärt Venzi, daß der Adept „durch den symbolischen Abstieg in eine Krypta seinem Schatten begegnen, so seine Persönlichkeit vervollständigen und sich mit der Gottheit vereinen kann, nämlich mit seinem Selbst“ (vgl. S. 280f).
Bezüglich der gnostischen Esoterik zitiere ich diesen Abschnitt von Venzi: „In den eleusinischen Mysterien, in den gnostischen und hermetischen Traktaten (besonders der Achtheit von Hermopolis und der Neunheit von Heliopolis), in den alchemistischen Traktaten und den freimaurerischen Ritualen, wird der Archetypus des Selbst wieder bewußt, indem das Bedürfnis des Initiierten nach Transzendenz als bewußte Selbstverwirklichung der eigenen Ganzheit erfüllt wird. Der Adept der Weisheitsschulen sucht über einen Initiationsweg der Vervollkommnung in seinem Inneren die Instanzen dieses Archetypus, um sie in sein Bewußtsein zu integrieren, und ihnen dadurch eine individuelle Lösung zu geben. Das Selbst repräsentiert in dieser Sichtweise die göttliche Komponente der Persönlichkeit, jene, die in der Gnosis und in der Kabbala der Licht-Funken war, der seine bewußte Verwirklichung verlangt“ (S. 197).
Wappenschild- und zier der Vereinigten Großloge von England. Man beachte die Engel mit Bockfüßen und die beiden Wappensprüche (unten und oben)
Auch Großmeister Venzi verknüpft also den freimaurerischen Weg mit der Gnosis, der Alchemie, der Kabbala. In seiner Rede in der Quatuor Coronati zitiert der Großmeister meinen Text, in welchem ich festhalte, daß „in der Alchemie, die Materia Prima, die Urmaterie des alchemistischen Werkes auch als Drachen oder Teufel/Luzifer dargestellt wird“. Das sage nicht ich, sondern der Alchemist Funcanelli (den ich zitiert habe), den Venzi selbst in seinem Buch den „legendären Funcanelli“ (S. 200) nennt. Zudem läßt uns Venzi selbst wissen, indem er den Freimaurer Herbert Silberer zitiert, daß die „Materia Prima von den Alchemisten auch ‚Luzifer‘ genannt wird“ und sogar „Kot, Menstruation, Urin“ (vgl. S. 210).
Am Ende seines Buches schreibt Venzi: „In den Doktrinen der Initiationsschulen lehrt uns die Erwartung der Ewigen Rückkehr, daß das unabwendbare Ende des Kaly Yuga zur Überwindung des Nihilismus selbst führen wird, ‚indem er ins Positive verkehrt wird durch die freiwillige Anerkennung der Rückkehr zum Sein. Die Willenskraft dessen, was zurückkehren will, um ewig zu besitzen.‘79 Man muß daher unversehrt die Epoche durchleben, in der wir uns befinden, indem wir unsere höchsten Gaben und Fähigkeiten einsetzen, uns mit unseren Archetypen treffen, sie kennenlernen, sie interpretieren und uns so kennenlernen (…)“ (S. 346f).
In der Fußnote 79 zitiert Venzi einen Text von Miguel Serrano: „Nietzsche e la danza di Shiva (Nietzsche und Shivas tandava, Settimo Sigillo, Rom 2013). Warum wird Serrano zitiert? Serrano2 war ein chilenischer Philosoph, Diplomat und Schriftsteller. Er war Verfechter eines esoterischen Nationalsozialismus, der in seinem Buch „El hijo del viudo“ (Der Sohn des Witwers, 2003, ital. Ausgabe bei Settimo Sigillo, Rom 2005) gnostische und esoterische Ideen ausbreitet über „Gott, den Androgynen und Luzifer, letzterer verstanden als jener, der die Wiedergewinnung der Gesamtheit der Gegensätze in jedem ermöglicht“ (vgl. S. 17, 35f. 39, 43-45. 49-51).
Der Freimaurer-Meister zwischen Morgenstern und „Retrologe“
Großmeister Venzi meint, ich sei „fixiert“ auf die luziferische Bedeutung, die ich dem freimaurerischen „Morgenstern“ (Dritter Grad des Meisters) zuschreibe, und auf die „Retrologen“. Ich beschränke mich an dieser Stelle lediglich auf wenige Anmerkungen dazu. Venzi kennt (auch dank meiner Schriften) die Figur von William Wynn Westcott (1848-1825). Westcott war Freimaurer der Vereinigten Großloge von England, der Loge Quatuor Coronati von London, des 30. Grades des angeblich „christlichen“ Alten und Angenommenen Schottischen Ritus, des IX. Grades der angeblich „christlichen“ Societas Rosicruciana in Anglia (SRIA) und Mitbegründer des Hermetic Order of the Golden Dawn (Hermetischer Orden der Goldenen Dämmerung, GD). Mit anderen Worten, er war ein respektabler und regulärer englischer Freimaurer und angeblicher Christ mit einer Leidenschaft für die Kabbala, die Alchemie und die Magie, die er auch praktizierte.
Miguel Serrano (Podium), ein Freund von Pablo Neruda, als Hauptredner einer Hitler-Gedenkveranstaltung
In der Golden Dawn (das ist keine „Fixiertheit“ von mir) stellt die Stella Matutina oder der Planet Venus-Luzifer, der in der Morgendämmerung erstrahlt, (daher „Goldene Dämmerung“, Golden Dawn) Luzifer-Schlange der Genesis dar. Das sagt Israel Regardie (den ich auch zitiere), Mitglied der Golden Dawn. Zudem verschmähte es Westcott 30° [als Freimauerer des 30. Grades] nicht, in der Zeitschrift der Theosophischen Gesellschaft zu schreiben, die damals den bezeichnenden Titel Lucifer trug. Initiationserfahrungen wie jene von Westcott 30° sind auch heute möglich …
Ich weiß, daß im freimaurerischen Sprachgebrauch der Begriff „Retrologe“ nicht existiert. Mit diesem einfachen Wort bezeichnen wir Nicht-Eingeweihten jene freimaurerischen oder parafreimaurerischen Körper („Side Degrees“) der Hochgrade, in denen es möglich ist, gewisse esoterische Inhalte zu vertiefen. Der Morgenstern der „blauen“ Logen stellt nur das Licht, die Morgendämmerung der Erleuchtung, die Wiedergeburt dar? Und für die christlichen Freimaurer vielleicht auch Christus? In Wirklichkeit aber hat der Christus des katholischen Dogmas, aufgrund der humanistischen und gnostischen Ausrichtung, die Venzi selbst dem freimaurerischen Weg zuschreibt, wenig Platz und Einfluß in der Freimaurerei.
Jedenfalls kann der freimaurerische Meister, der sich mehr für Gnosis und Esoterik interessiert, in anderen „Körpern“, zusammen mit anderen Freimaurern, im Morgenstern etwas anderes oder einen anderen sehen …
Ich komme zum Schluß. Es werde sicher nicht ich sein, der weitere vatikanisch/diözesane Dialoge zwischen Freimaurern und Katholiken verhindern oder behindern kann. Ich stehe nicht im Genuß der mächtigen Unterstützungen (freimaurerische, soziale, kirchliche und wirtschaftliche) des Großmeisters Venzi, der ausgezeichnete Beziehungen zur britischen und skandinavischen Freimaurerei unterhält und auch zur Großloge des Staates Israel.3 Heutzutage rollt man in der Kirche die roten Teppiche viel leichter den Großmeistern aus, aber sicher nicht einem armen Bruder und Priester wie dem Unterfertigten.
http://www.katholisches.info/2016/10/28/...r-freimaurerei/ Übersetzung/Fußnoten: Giuseppe Nardi Bild: Corrispondenza Romana/Gran Loggia Regulare d‘Italia (Screenshots)
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