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  • 14.11.2016 00:36 - Beobachtungen zur Situation der katholischen Kirche in Deutschland
von esther10 in Kategorie Allgemein.



Bistum Passau




Beobachtungen zur Situation der katholischen Kirche in Deutschland Im vergangenen Sommer bei einem Ferienaufenthalt in einer italienischen Kleinstadt: Hl. Messe an einem Sonntag Vormittag.
Die Menschen kommen kurz vor Beginn oder während des Wortgottesdienstes und begrüßen sich gegenseitig herzlich …

In Wortmeldungen von Bischof Stefan Oster SDB12. November 20162 Kommentare
Beobachtungen zur Situation der katholischen Kirche in Deutschland

Beobachtungen zur Situation der katholischen Kirche in Deutschland

Im vergangenen Sommer bei einem Ferienaufenthalt in einer italienischen Kleinstadt: Hl. Messe an einem Sonntag Vormittag. Die Menschen kommen kurz vor Beginn oder während des Wortgottesdienstes und begrüßen sich gegenseitig herzlich in der Kirche. Die paar, die noch kommen, kennen sich. Insgesamt sind vielleicht 25 Leute da, selbstverständlich die allermeisten über 60. Junge Leute sind nicht anwesend. Die Atmosphäre ist in der Kirche etwa so wie auf dem Kirchenvorplatz nach der Gottesdienst: gesellig, sommerlich, man unterhält sich bis der Pfarrer kommt. Bei seinem Eintreffen erheben sich alle, die Kantorin in der ersten Bank stimmt ein Lied an – ohne Orgel. Die meisten scheinen es zu kennen, der Gesang schleppt sich ein wenig mühsam dahin. Die Gebete und Texte von Lesungen und Evangelien kann man auf einem ausgeteilten Zettel mitlesen; eine ältere Frau übernimmt die Lesung aus dem Alten Testament, die anderen Gläubigen scheinen nicht allzu aufmerksam, auch nicht bei der zweiten Lesung – weder beim Zuhören noch beim Mitlesen. Die Lektorin der zweiten Lesung übernimmt auch das Halleluja vor dem Evangelium. Alles scheint sehr routiniert. Der schon sehr alt wirkende Pfarrer trägt das Evangelium vor und wird bei der Predigt auf einmal verständlich, vorher hatte er genuschelt. Aber in der zweiten Reihe werden die Gläubigen sichtlich unruhig, als er die acht Minuten überschreitet. Kopfschütteln, gegenseitige Bestätigung, dass es so nicht ginge. Irgendwann hört der Pfarrer wieder auf. Credo und Fürbitten werden vom Zettel gelesen, Gabenbereitung erledigt der Pfarrer mangels Ministranten selbst. Das Sanctus wird nur gesprochen, das Agnus Dei ebenfalls. Und so geht es dahin…. Als der Pfarrer am Ende den Segen gegeben hat, wenden sich die Gläubigen schon wieder der gegenseitigen, geselligen Unterhaltung zu, noch ehe er den Altarkuss vollzogen und den Gottesdienstraum verlassen hat.

VERLUST DER ERFAHRUNG DES HEILIGEN

Natürlich kann ich nicht beurteilen, wie der innere Zustand jedes Mitfeiernden bei dieser Hl. Messe war, aber ich hatte im Grunde zu keiner Minute den Eindruck, dass die Gläubigen hier einzeln oder als Gemeinschaft dem Heiligen begegnen; geschweige denn dass sie sich vorher darauf vorbereitet oder ihm einen inneren Nachhall durch Verweilen gegeben hätten. Es war einfach irgendwie wie immer, sonntags in der Kirche: Gewohnheit, Geselligkeit, ein wenig beten. Romano Guardini hat einmal gesagt, die Eucharistie sei die heiligste Handlung der Welt am heiligsten Ort der Welt. Aber hier in dieser Kirche war es kaum mehr als routinierte Beiläufigkeit, ein Versammlungssaal, ein vertrautes Ritual, das möglichst unkompliziert im Raum der Diesseitigkeit bleiben darf. Es ist äußerlich irgendwie richtig, aber es ist hoffnungslos richtig, es hatte nämlich so gar nichts von Heiligkeit.

Um mich richtig zu verstehen: Ich möchte diese Beschreibung ohne Anklage formulieren, weil ich glaube, dass ein solcher Gottesdienstvollzug für viele katholische Kirchen in Europa exemplarisch ist. Und dass zweitens in solchen Vollzügen eine Not zum Ausdruck kommt, die aber von den Teilnehmenden gar nicht mehr als Not erfahren wird: Der fast gänzliche Verlust einer Erfahrung von Ehrfurcht, Heiligkeit und Transzendenz geht einher mit einer Art gleichgültiger Hoffnungslosigkeit: Es glaubt kaum einer, dass die Begegnung mit dem Heiligen zu einer anderen inneren Haltung führt, es hofft wohl auch niemand mehr, dass sich die Erfahrung des Heiligen einstellen könnte – und daher wird es auch nicht vermisst: „Wir machen einfach weiter so wie immer.“ Freilich fragt man sich dennoch, warum niemand mehr nachkommt aus der jungen Generation – und man bemerkt, dass sich sogar nicht wenige unter den routiniert Gläubigen ebenfalls schleichend verabschieden – oder schlicht aussterben!

DIE KRISE EUROPAS UND DIE KRISE DER KIRCHE

Die Krise der Kirche in Europa ist eine Krise christlicher Identität. Der Glaube ist eine Form zu leben, eine Weise, die Welt zu sehen, ein Bewegung, Gemeinschaft zu bilden – und zwar, weil wir durch und in Christus Gott als unseren Vater kennen und mit ihm in Beziehung sind, als dem absolut Heiligen und zugleich dem ganz Nahen. In dem Maß, in dem wir Gott immer weniger kennen und lieben, zerfällt Gemeinschaft, verändert sich unser Blick auf die Welt und verändert sich unsere Art zu leben. Glaubensverlust macht ängstlicher, egoistischer und fördert Gemeinschaftsbildungen, die auf anderen Motiven gründen als darin, Gott und die Menschen lieben zu wollen. Der anwachsende Populismus mit seiner Illusion, einfache Lösungen anbieten zu können, die ökonomische und ökologische Krise, die Flüchtlingskrise, die Krise Europas sind in der Tiefe auch – und aus meiner Sicht vor allem – eine Krise des christlichen Fundaments unseres Kontinentes. Im Folgenden versuche ich den Zustand der Kirche in Deutschland anhand ausgewählter, konkreter Phänomene zu umreißen. Vieles davon ist wohl ähnlich in den Kirchen anderer Länder unseres Kontinents.

Kürzlich in Deutschland: Ein Gespräch mit drei Jugendlichen zwischen 17 und 20, alle drei im überwiegend katholischen Bayern aufgewachsen, alle drei mit einigen Jahren katholischem Religionsunterricht im Gymnasium, die Eltern mit einem Rest von Kirchenbindung: Man geht ab und zu mal hin, besonders zu den großen Festen. Die Fragen der jungen Menschen zeigen aber, wie weit sie eigentlich vom genuin Christlichen weg sind: „Zeigen nicht alle Religionen, dass es irgendwie darum geht, ein anständiges Leben zu leben? Sind Religionen oder ein religiöser Glaube nicht vielleicht Flucht, weil Menschen anders mit ihrem Leben nicht zurecht kommen? Wie können Christen eigentlich behaupten, dass das Christentum der einzig wahre Glaube sei? Belegt der Umgang der Kirche mit Homosexuellen oder wiederverheirateten Geschiedenen nicht schon im Ansatz, dass es hier nicht um Liebe, sondern vor allem um Macht einiger weniger Männer geht – und dass die Kirche schon allein deshalb völlig unglaubwürdig ist?“ Solche und andere, ähnliche Fragen stellen sie! Mit Recht. Aber um Christus selbst geht es im Grunde nie. Zum Gottesdienst gehen sie natürlich nicht. Warum auch? Sie verstehen nicht, was da gefeiert wird, es wird etwas gesprochen, was zu ihrem Leben von heute keinerlei Bezug zu haben scheint. Und dass es um einen Gott geht, der mit ihnen eine persönliche Beziehung leben will, hat ihnen noch niemand gesagt. Vermutlich weil die Gläubigen aus der älteren Generation im Durchschnitt so ähnlich unterwegs sind, wie diejenigen in der italienischen Messe von oben. Und irgendwie den Versuch zu machen, ein anständiger Mensch zu werden, lernt man aus Sicht der Jugendlichen mit anderen Institutionen sicher besser, bei Amnesty International vielleicht oder bei Greenpeace oder in einer spontan organisierten Hilfegruppe für Flüchtlinge – aber doch nicht mit der katholischen Kirche, die so einen miesen Ruf hat.

BLINDENFÜHRER?

Ergebnis einer Umfrage in Deutschland: Wie oft gehen Priester, Diakone und hauptamtliche pastorale Mitarbeiter zur Beichte? Ergebnis: Über 50 Prozent der Priester beichten einmal im Jahr oder seltener, über 70 Prozent der ständigen Diakone beichten einmal im Jahr oder seltener! Bei den hauptamtlichen Pastoralreferenten und -referentinnen sind es über 80 Prozent, bei den Gemeindereferenten und -referentinnen über 90 Prozent. Bei den Gläubigen in unserem Land geht die Zahl derer, die die Beichte regelmäßig wahrnehmen, in sehr vielen Pfarreien und Pfarreiverbänden in Richtung Null. Die Versöhnung mit Gott im eigenen Leben, die Suche nach immer neuer Umkehr zu Gott, der Weg des gläubigen Menschen als ein Wachsen und Reifen im geistlichen Leben, in der Beziehung zum Herrn, spielt im Grunde in einem normalen Gemeindeleben keine Rolle mehr, und damit auch nicht das Sakrament der Versöhnung. Einzelne Ausnahmen gibt es selbstverständlich, aber sie bestätigen nur die Regel. Die Beichtpraxis unter Priestern und hauptamtlichen Mitarbeitern in der Pastoral erinnert an ein Wort aus dem Evangelium: Wer innerlich blind ist für die Wirklichkeit der Versöhnung mit Gott, taugt nicht dafür, andere Blinde zum Sehen zu führen.
http://stefan-oster.de/vom-verlust-des-h...-nach-aufbruch/
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