Papstinterview: Konzil „zur Hälfte“ umgesetzt
Heiliges Jahr sei konsequente Fortsetzung des Weges der Kirche seit Vaticanum II. Erstellt von Radio Vatikan am 19. November 2016 um 09:09 Uhr
Papst Franziskus Vatikan (kathnews/RV). „Das Jubiläum und der Ökumenismus sind Früchte des Konzils, aber es wird noch viel Zeit brauchen, um das Zweite Vatikanische Konzil voll zu erfassen“ – dies sagt Franziskus in einem Interview mit der italienischen Zeitung „L’Avvenire“, das an diesem Freitag erschien. Die Journalistin Stefania Falasca hat es kurz nach der Papstreise nach Schweden für das Blatt der italienischen Bischofskonferenz geführt. Es dürfe „keinen Ausverkauf des Dogmas“ geben, bekräftigt darin der Papst, Auftrag der Kirche sei, „den Armen“ und damit „Christus zu dienen“. Radio Vatikan fasst das Interview hier zusammen.
„Ich habe keinen Plan gemacht, die Dinge kamen. Ich habe mich einfach vom Heiligen Geist bewegen lassen. Die Kirche ist das Evangelium, kein Weg der Ideen.“ So beschreibt der Papst in Gespräch das von ihm ausgerufene Heilige Jahr der Barmherzigkeit, das an diesem Wochenende sein offizielles Ende findet. Auf die vielen Gesten und Werke der Barmherzigkeit angesprochen, die im Jubeljahr für Aufmerksamkeit sorgten, antwortet der Papst: „Jesus verlangt keine großen Gesten, sondern nur Hingabe und Dankbarkeit.“ Es sei darum gegangen, die Menschen direkt anzusprechen: „Wer entdeckt, sehr geliebt zu werden, beginnt aus seiner Einsamkeit auszubrechen, der Trennung, die ihn dazu bringt, die anderen und sich zu hassen. Ich hoffe, dass viele Menschen erkannt haben, dass sie sehr von Jesus geliebt werden und dass sie sich von ihm haben umarmen lassen.“
Kirchengeschichtlich beschreibt der Papst das Heilige Jahr als konsequente Fortsetzung des Weges der Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, angefangen bei Johannes XXIII. bis zu seinem direkten Vorgänger Benedikt XVI. habe die Kirche Barmherzigkeit zum Thema gemacht. Mit dem Konzil habe die Kirche ja begonnen, gerade „von einem bestimmten Legalismus“, „der ideologisch sein kann“ wegzukommen und „Gott als Person“ neu ins Zentrum zu stellen. Dieses Konzept werde freilich auch heute noch missverstanden, so der Papst weiter – er erwähnt Entgegnungen auf sein letztes postsynodales Schreiben „Amoris laetitia“ über die Ehe und Familie: „Einige verstehen immer noch nicht, entweder weiß oder schwarz, auch wenn es doch im Fluss des Lebens selbst ist, dass man unterscheiden muss! Das Konzil hat uns das gesagt, doch die Historiker sagen, dass ein Konzil ein Jahrhundert braucht, um gut in den Körper der Kirche aufgenommen zu werden… Wir sind da auf der Hälfte.“
Die letzten Fortschritte in der Ökumene – die Begegnungen mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I., mit den Spitzen des Lutherischen Weltbundes in Schweden und natürlich mit dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. auf Kuba – seien kein Ergebnis des Heiligen Jahres, stellt der Papst klar. Sie seien eine Fortsetzung des Konzils und des Wirkens der Päpste vor ihm, so Franziskus, wenn Reisen und Begegnungen auch freilich hilfreich seien, um die Geschwisterlichkeit wachsen zu lassen: „Das ist der Weg der Kirche. Ich habe da nicht beschleunigt. Je mehr wir vorangehen, desto schneller scheint es zu gehen, das ist der motus in fine velocior“, zitiert der Papst Aristoteles.
Die Vertreter der anderen christlichen Konfessionen seien für ihn „Geschwister“, so Franziskus, der seine letzten ökumenischen Begegnungen in Griechenland, der Türkei, Kuba, Georgien, Rumänien, und Schweden noch einmal Revue passieren lässt. Den orthodoxen Patriarchen Kyrill I. nennt er einen „Mann des Gebetes“, besonders warme Worte findet er für den Orthodoxen Patriarchen Bartholomaios I.: „Auf Lesbos, während wir alle begrüßten, war da ein Kind, zu dem ich mich niederbeugte, es schaute hinter mich. Ich dreh‘ mich um und sehe Bartholomaios mit Taschen voll Bonbons für die Kinder. Das ist Bartholomaios – er kann unter großen Schwierigkeiten das Große Orthodoxe Konzil vorantreiben und auf hohem Niveau über Theologie sprechen und dann einfach so mit Kindern zusammen sein.“
Zum Reformationsgedenken hält der Papst fest, Martin Luther habe die Kirche mit seinem Vorstoß heilen wollen; Benedikt XVI. habe in seiner Erfurter Rede im Jahr 2011 richtig betont, dass es die Frage nach dem barmherzigen Gott gewesen sei, die den Reformator umgetrieben habe. Einen weiteren Verdienst Luthers sieht der Papst in seiner Absage an eine selbstgerechte und selbstbezügliche Kirche. Erneut holt Franziskus hier gegen Arroganz und Machtstreben in der kirchlichen Hierarchie aus: „Wenn einer nicht weiß, wer Jesus ist oder ihn nie traf, kann er ihm immer noch begegnen. Wenn aber jemand innerhalb der Kirche seine Gier nach Macht und Selbstbestätigung nährt und glaubt, die Kirche sei eine unabhängige Realität, wo sich alles nach der Logik des Ehrgeizes und der Macht dreht, hat er eine spirituelle Krankheit.“
Die jüngsten Begegnungen mit den Spitzen des Lutherischen Weltbundes seien „ein Schritt voran“ gewesen, „um den Skandal der Trennung besser zu verstehen“, resümiert der Papst seine letzte Schwedenreise. „Als ich Kind war, sprach man nicht mit Protestanten. Es gab einen Priester in Buenos Aires, der – wenn die evangelischen Gläubigen kamen, um zu predigen, junge Leute losschickte, die deren Zelte verbrennen sollten. Heute haben wir andere Zeiten. Den Skandal überwinden wir, indem wir gemeinsam Gesten der Einheit und Geschwisterlichkeit tun.“ „Projekte“ oder „Systeme“ taugten jedoch für ein Gelingen der Ökumene nicht, präzisiert er, nur der Blick auf Jesus, das Gebet um die Einheit und gemeinsames Wirken könnten hier wirklich Fortschritte bringen
Dem Proselytismus erteilt der Papst eine klare Absage: „Die Kirche ist keine Fußballmannschaft, die Fans sucht.“ Ebenso dürfe man Fragen der Lehre und Fragen der Pastoral nicht gegeneinander ausspielen, fährt er fort. So müsse der ökumenische Einsatz der Kirchen für Arme und Bedürftige Hand in Hand gehen mit der theologischen Auseinandersetzung, es gehe nicht darum, theologische Fragen angesichts einer tätigen Ökumene „beiseite zu schieben“: „Den Armen zu dienen bedeutet Christus zu dienen, denn die Armen sind das Fleisch Christi. Und wenn wir den Armen gemeinsam dienen, bedeutet das, dass wir Christen uns darin vereinen, die Wunden Christi zu berühren.“ Positiv hervor hebt Franziskus hier ein Ergebnis seiner Reise ins schwedische Lund, nämlich die auf den Weg gebrachte Zusammenarbeit der katholischen und lutheranischen Hilfswerke. http://www.kathnews.de/papstinterview-ko...elfte-umgesetzt Foto: Papst Franziskus – Bildquelle: Kathnews
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