Die Messe der Kirche – Heinz-Lothar Barths Beitrag zur Behebung liturgischer Verwirrung 19. November 2016
Heinz-Lothar Barth über die Heilige Liturgie Von Wolfram Schrems*
Der Bonner Dozent für Klassische Philologie Dr. Heinz-Lothar Barth (s. die Besprechung seines Buches Hermeneutik der Kontinuität oder des Bruchs? – Aspekte der Theologie Papst Benedikts XVI.) legte vor wenigen Monaten wiederum ein Buch vor, das zur Orientierung in verwirrter Zeit beiträgt. Da die hl. Messe der wichtigste Vollzug des kirchlichen Lebens ist, ist sie in einer gottfernen und gottfeindlichen Welt auch Gegenstand grundlegender Kontroversen, ja direkter Angriffe. Aufgrund der Hartnäckigkeit dieser Angriffe, die sich in den Jahrzehnten nach dem Konzil abermals verschärft haben – diesmal in der Kirche selbst –, muß man von einer nicht-menschlichen Quelle der Aggression ausgehen.
Das Buch – „Second Thoughts Are Best Thoughts“
Es handelt sich bei dem Buch um eine Zusammenstellung und Überarbeitung dreier bereits in der Una Voce Korrespondenz veröffentlichter Aufsätze. Dabei wurde auch die seither erschienene Literatur berücksichtigt. Es handelt sich also um gründlich durchdachte Gedanken. (Wie sich der Rezensent erinnert, lehrte ein irisch-kanadischen Professor der Philosophie, daß man auch gut geratene Aufsätze noch einmal überarbeiten soll, da „die zweiten Gedanken besser sind als die ersten“.)
Die drei Teile sind folgende:
1. Das Opfer der Kirche zur Besänftigung des göttlichen Zornes
Der erste Teil behandelt die Frage nach dem Opfercharakter der Messe. Dieser wird von akademischer Theologie und Kirchenapparat des deutschen Sprachraums heute weitgehend bestritten. Barth legt ausführlich dar, daß die Kirche nachweislich schon sehr früh, nämlich wenige Jahrzehnte nach der Himmelfahrt, die Eucharistie als „Opfer“ (thysía) verstanden hat. Die Kirche ist sich also dessen bewußt, daß sie „nicht etwa nur Brot und Wein darbringt, sondern Jesus Christus selbst, seinen Leib und sein Blut aufopfert. (…) Der Kirche zu unterstellen, ihre traditionellen Texte könnten als das Opfer ausschließlich der Naturalgaben Brot und Wein verstanden werden, kann man nur als grotesk bezeichnen“ (83).
Karl-Heinz Barth: Die Messe der Kirche Und, jawohl, es geht um eine Versöhnung mit Gott:
„Die Gaben sollen ja schließlich Gott versöhnen! Und dazu bedarf es nach dem Hebräerbrief eines blutigen Opfers (das dann freilich auf den christlichen Altären unblutig erneuert bzw. gegenwärtig gesetzt wird): ‚Ohne Blutvergießen erfolgt keine Vergebung (Hebr 9,22)‘, so heißt es dort mit Blick auf das Opferblut Jesu Christi als Überhöhung und Vollendung der blutigen Opfer des Alten Bundes“ (83f.).
Das spricht gegen die heute allgegenwärtige Mentalität, daß Gott keine Versöhnung brauche bzw. daß Er im Zeichen einer bedingungslos und unterschiedslos ausgegossenen „Barmherzigkeit“ sowieso immer allen vergebe u. dgl. Ist es demgegenüber wirklich denkbar, daß angesichts der vielen menschlichen Untaten, vom bewußt eingesetzten Völkermord über den Mord im Mutterschoß bis zur Implementierung von Gesetzen gegen Ehe und Familie, daß also angesichts der vollen menschlichen, aber teuflisch inspirierten, Niedertracht Gott dazu lediglich „Schwamm drüber“ sagen sollte? Gerade unserer Zeit des maßlosen Blutvergießens müßte die Notwendigkeit der Sühne und der Bekehrung besonders einleuchten. Tut sie aber nicht. Herz und Verstand vieler Theologen und Kirchenführer, daher auch vieler Laien, sind verschlossen.
Von daher wäre vorliegendes Buch schon wichtig und verdienstvoll, wenn Barth nur diesen Punkt behandelt hätte.
Der Teil schließt mit der Frage nach dem Zeitpunkt der Konsekration in der Messe und mit hochaktuellen Erläuterungen zu einer von Kardinal Walter Kasper („dessen Rechtgläubigkeit schon lange umstritten war“) vorbereiteten vatikanischen Fehlentscheidung: Papst Johannes Paul II. anerkannte im Jahr 2001 das ostsyrische Hochgebet von Addai und Mari, das keine Wandlungsworte enthält, als „gültig“ (122ff., 131f.).
2. Priestertum des Priesters und Allgemeines Priestertum der Gläubigen
Der zweite Teil behandelt die „zentrale Aufgabe des katholischen Priesters und Grund seiner erhabenen Würde“ (133). Auch dieser Teil ist angesichts der theoretisch und praktisch durchgeführten Abwertung des Priestertums innerhalb der Kirche und des planvoll herbeigeführten Priestermangels im Westen hochaktuell.
Barth weist nach, daß das Priestertum, in den neutestamentlichen Schriften in „Grundlinien“ (134) vorhanden, von den Kirchenvätern schon zeitnahe theologisch entfaltet und definiert wurde.
Barth stellt die Theologie des Priestertums dar, wie sie vom Konzil von Trient entwickelt wurde, dar und kommt auf den KKK zu sprechen, dessen Auskunft in dieser Frage „knapp, präzis und eindeutig ausgefallen ist“ (138).
Klar ist nach Barth daher, daß der „Liturge“ im eigentlichen Sinn nur der Priester ist, die Laien in einem übertragenen Sinn.
Auch hier ist das nachkonziliare Lehramt unklar. Barth hält dem entgegen, daß von Anfang an „in erster Linie die Priester“ das liturgische Opfer darbringen (154). Denn auch das ist heute alles andere als klar und wird etwa im II. Hochgebet abgeschwächt (170).
Fragen der Spiritualität und der priesterlichen Lebensführung schließen diesen Teil ab.
3. Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut des verklärten Christus
Der dritte Teil führt in großer Subtilität die kirchliche Lehre von der Transsubstantiation aus. Barth legt im Rückgriff auf aktuelle Ereignisse und Debatten dar, daß die Lehre von der Wandlung der Substanz auf die neutestamentlichen Einsetzungsberichte zurückgeht. Hinter die Lehre von Transsubstantiation, die auch kirchlich dogmatisiert ist, kann man als Katholik nicht zurückgehen. Dennoch wird das heute mit verstärkter Intensität propagiert.
Barth bietet hier eindrucksvolle didaktische Fähigkeiten auf, schwierige Fragen zu erklären.
Es wird klar, daß es sich hier um ein Glaubensgeheimnis handelt, das sich dem Erfassen und Erklären entzieht. Es entzieht sich besonders den weltlich Gesonnenen und Spöttern. Nur derjenige, der bereit ist, dem Dogma den entsprechenden Vertrauensvorschuß entgegenzubringen, wird es für sich fruchtbringend erfassen können.
Für unsere Zeit bezeichnend ist, daß der iranisch-deutsche Schriftsteller Navid Kermani, ein Muslim, diesen Vertrauensvorschuß – wie unvollkommen auch immer – zu leisten bereit ist und sich eher im Sinne des Christentums äußert als viele zeitgenössische Theologen und Kirchenführer (226ff.).
Dieser Teil wird mit Ausführungen zur bleibenden Bedeutung der scholastischen Begrifflichkeit und den Irrungen des Protestantimus, einer Zurückweisung aller Magie-Vorwürfe gegen die Messe und einem Appell an das gläubige Volk angesichts des katastrophischen Charakters des derzeitigen Pontifikats (Barth formuliert etwas zurückhaltender) abgeschlossen.
Was der Rezensent aus dem dritten Teil gelernt hat, ist vor allem, daß die Lehre von Joh 6 und deren Entwicklung durch die Kirche ein Ärgernis „für Juden und Heiden“, also für das weltliche und „moderne“ Denken seit 2000 Jahren, darstellt. Für die Gläubigen ist sie jedoch zentraler Bestandteil der Glaubenspraxis, Quelle und Höhepunkt des kirchlichen Lebens.
Von hier ausgehend soll noch ein besonders aktueller Punkt angesprochen werden:
Das Konzil als Ursprung der Liturgieverwüstung: Man kann am Meßritus nicht herumpfuschen, ohne ihn zu zerstören
Barth kritisiert die „Liturgiereform“ im Gefolge des Konzils. Schon der Ausdruck ist falsch: Von einer „Zurückführung in die rechte Form“ kann keine Rede sein. Die neue Messe wurde gleichsam gewaltsam implementiert. Nach Summorum Pontificum zu schließen, geschah dies offenbar unrechtmäßig („niemals abgeschafft“). Barth zitiert in diesem Zusammenhang Martin Mosebachs Verdikt: „In der Antike nannte man die Unterbrechung einer Tradition durch den Herrscher einen Akt der Tyrannis. In diesem Sinn ist der Modernisierer und Fortschrittsgläubige Paul VI. ein Tyrann der Kirche gewesen“ (aus Häresie der Formlosigkeit, 67).
Barth beanstandet die Liturgiekonstitution des II. Vaticanums Sacrosanctum concilium und ihre Unklarheit und Mehrdeutigkeit. Wie die Geschichte bewiesen hat, ließ sich vieles aus ihr ableiten.
Er stößt sich besonders an ihrer geistigen Flachheit, etwa an ihrer Forderung nach „edler Einfachheit“ der liturgischen Riten, die „aufgrund ihrer Kürze durchschaubar“ sein und „unnütze Wiederholungen vermeiden“ sollen (141):
„Eine solche Zielsetzung ist überhaupt nicht nachvollziehbar, lebt doch jeder Kult auch von Wiederholungen! (…) Eine Anwendung dieser Bestimmung auf die traditionelle römische Messe ist umso unsinniger, als sie ja, im Unterschied zu anderen liturgischen Formen des Ostens, bei aller formalen Schönheit gerade von einer beinahe klassischen Nüchternheit geprägt ist“ (142).
Höchst bemerkenswert ist nach Barth auch, daß ausgerechnet ein afrikanischer Kardinal die „inkulturierten“ Messen Afrikas ablehnt. Kardinal Robert Sarah, derzeit Präfekt der Liturgiekongregation, bezweifle, „dass eine echte Begegnung mit Gott in solchen Momenten ständiger Anspannung und bei Tänzen, die eine Begegnung mit dem Mysterium wenig begünstigen, stattfindet“ (68).
Die Inkulturation hat sich ohnehin als Schlag ins Wasser erwiesen. Sie hat die Völker Afrikas und Asiens dem Glauben nicht näher gebracht und im Westen zu dem allseits bekannten liturgischen Niedergang und Schabernack geführt. Und zu Blasphemie und Sakrileg. Wobei wir wieder bei der nicht-menschlichen Quelle der Aggression gegen die Messe wären.
Resümee
Heinz-Lothar Barth hat wiederum ein hervorragendes Buch vorgelegt.
Er besitzt einen kirchlichen Glaubenssinn, redliche Wissenschaftlichkeit und großen Fleiß. Er verfügt über detektivischen Spürsinn und geistige Unbestechlichkeit: So läßt er sich von frommem, aber nichtssagendem Wortwust nicht blenden (z. B. S. 116, Fn. 248). Er kennt sich in der Theologie, besonders bei den Kirchenvätern, sehr gut aus und überblickt die zeitgenössische Literatur. Als Nicht-Theologe ist er zudem gegen den Konformitätsdruck der Zunft immun.
Der Leser findet sich, wie bei Barth üblich, mitten im Getümmel: hunderte Autorennamen, Buch- und Zeitschriftentitel in fünf Sprachen, Abgrenzungen, Zustimmungen, Unterscheidungen, weit ausgreifende Texte in den Fußnoten u. s. w. Der Rezensent findet das durchaus anregend. Er kann sich aber auch gut vorstellen, daß es weniger geübte Leser überfordert.
Das Buch ist anspruchsvoll. Auch der Rezensent mußte es zweimal lesen, um es adäquat besprechen zu können.
Vielleicht wäre es in Hinkunft tatsächlich sinnvoll, weniger auf einmal sagen zu wollen, die Sätze kürzer zu halten und die Häufungen von Adverbien zu reduzieren. Auch das Lektorat ist aufgerufen, bei einer wünschenswerten Neuauflage die Verschreibungen auszumerzen.
So und anders empfiehlt sich für Glaubende und Suchende, Laien, Priester, Bischöfe, Kardinäle und Theologen, ein gründliches Studium der Ausführungen Barths.
Der Bruch einer gescheiterten „Liturgiereform“ muß geheilt werden. Es muß der Hierarchie der Kirche, vor allem dem Papst, darum gehen, die Form der gottgefälligen Liturgie wiederherzustellen. Eine Reform, die diesen Namen verdient, ist also dringlich.
Heinz-Lothar Barth hat dazu wichtige Vorarbeiten geleistet. Dafür gebühren ihm und dem Una-Voce-Verlag Dank und Anerkennung.
Heinz-Lothar Barth, Die Messe der Kirche, Opfer – Priestertum – Realpräsenz, UNA VOCE Edition, Tremsbüttel 2016, 377 S.; € 18,90 [D], Bestellungen über: leserdienst@una-voce.de
*MMag. Wolfram Schrems, Wien, katholischer Theologe, Philosoph, Katechist, Interesse an liturgischen Fragen
Bild: Meister des Saint Gilles „Die Messe des St. Gilles“ in der Abtei Saint-Denis (National Gallery, London) http://www.katholisches.info/2016/11/19/...her-verwirrung/
Beliebteste Blog-Artikel:
|