De Mattei: Die Widersprüchlichkeiten des zu Ende gegangenen Heiligen Jahres 28. November 2016 5
Papst Franziskus und die Heilige Pforte. "Kann Papst Franziskus denn die Widersprüchlichkeiten übersehen?" von Roberto de Mattei*
Zu den Schlüsseln, um das Pontifikat von Papst Franziskus interpretieren zu können, gehört mit Sicherheit seine Liebe zur Widersprüchlichkeit. Diese Neigung geht eindeutig auch aus dem Apostolischen Schreiben Misericordia et misera hervor, das zum Abschluß des außerordentlichen Heiligen Jahres der Barmherzigkeit von ihm unterzeichnet wurde.
In diesem Schreiben legt Papst Bergoglio fest, daß jene, die von Priestern der Piusbruderschaft betreute Kirchen besuchen, gültig und erlaubt die sakramentale Lossprechung empfangen können. Der Papst heilt damit, was den Hauptfaktor der „Irregularität“ der von Msgr. Lefebvre gegründeten Priesterbruderschaft ausmachte. Es wäre ein Widerspruch, anzunehmen, daß mit der Anerkennung der Beichten als gültig und erlaubt, nicht auch die von der Bruderschaft zelebrierten Messen als gültig und erlaubt anzusehen sind. An diesem Punkt angelangt, versteht man allerdings nicht (mehr), welche Notwendigkeit es noch für eine Vereinbarung zwischen Rom und der von Msgr. Lefebvre gegründeten Bruderschaft gibt, da die Position dieser Priester de facto anerkannt wurde, und die Probleme über die Glaubenslehre, die noch am Tapet sind, den Papst bekanntlich wenig interessieren.
„Damit dem Wunsch nach Versöhnung und der Vergebung Gottes nichts im Wege stehe“, gewährte Papst Bergoglio im selben Schreiben „von nun an allen Priestern die Vollmacht, kraft ihres Amtes jene loszusprechen, welche die Sünde der Abtreibung begangen haben“. In Wirklichkeit hatten die Priester diese Vollmacht bereits, in der Beichte von der Sünde der Abtreibung loszusprechen. Allerdings gehört die Abtreibung, nach der jahrhundertealten Praxis der Kirche, zu den schweren Sünden, die automatisch zur Exkommunikation führen. „Wer eine Abtreibung vornimmt, zieht sich mit erfolgter Ausführung die Tatstrafe der Exkommunikation zu“, heißt es im Canon 1398 des Codex Iuris Canonici. Die Priester brauchten also die Erlaubnis des eigenen Bischofs, die Exkommunikation aufheben zu können, bevor sie von der Sünde der Abtreibung lossprechen konnten. Nun kann jeder Priester die Exkommunikation aufheben, ohne den Bischof um Erlaubnis zu fragen oder von ihm delegiert zu werden. Die Exkommunikation fällt damit de facto, und die Abtreibung verliert die Schwere, die ihr das Kirchenrecht zuschreibt.
In einem am 20. November von TV2000 ausgestrahlten Interview bekräftigte Papst Franziskus allerdings, daß „die Abtreibung eine schwere Sünde bleibt“, ein „schreckliches Verbrechen“, weil sie „einem unschuldigen Leben ein Ende setzt“. Kann der Papst denn übersehen, daß seine Entscheidung, die Straftat der Abtreibung von der Exkommunikation latae sententiae zu entkoppeln, dieses „schreckliche Verbrechen“ relativiert und den Massenmedien die Möglichkeit bietet, sie als eine Sünde darzustellen, die von der Kirche heute als weniger schwerwiegend angesehen wird als in der Vergangenheit, und von ihr leichter vergeben wird?
Der Papst sagt in seinem Schreiben, daß „es keine Sünde gibt, die durch die Barmherzigkeit Gottes nicht erreicht und vernichtet werden kann, wenn diese ein reuevolles Herz findet, das um Versöhnung mit dem Vater bittet.“ Wie aber aus seinen eigenen Worten offensichtlich wird, setzt die Barmherzigkeit ihrem Wesen nach die Existenz der Sünde voraus, und daher auch die Gerechtigkeit. Warum ist dann immer und nur vom guten und barmherzigen Gott die Rede und nie vom gerechten Gott, der je nach Verdienst und Schuld des Menschen belohnt oder bestraft? Die Heiligen, wie angemerkt wurde, haben nie aufgehört, die Barmherzigkeit Gottes zu loben, der unerschöpflich im Geben ist, aber zugleich Seine Gerechtigkeit zu fürchten, der streng im Fordern ist. Ein Gott, der nur imstande wäre zu lieben und das Gute zu belohnen, aber unfähig wäre, zurückzuweisen und das Böse zu bestrafen, wäre ein Widerspruch.
Außer man wäre der Meinung, daß das Göttliche Gesetz zwar existiert, aber abstrakt und unanwendbar ist, und daß das einzige, was zählt, das konkrete Leben des Menschen ist, der gar nicht sündigen könne. In dieser Perspektive ist nicht die Einhaltung des Gesetzes wichtig, sondern das blinde Vertrauen in Gottes Vergebung und Barmherzigkeit. Pecca fortiter, crede fortius.
Das allerdings ist die Lehre Luthers – und nicht der katholischen Kirche.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Das Zweite Vatikanische Konzil – eine bislang ungeschriebene Geschichte, Ruppichteroth 2011. http://www.katholisches.info/2016/11/28/...eiligen-jahres/ Übersetzung: Giuseppe Nardi Bild: Corrispondenza Romana
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