Syrien „Unendliche Angst“: Aktivistin erzählt, wie sie sechsmonatige Folterhaft unter Assad überlebte
FOCUS-Online-Autorin Laura Gaida Dienstag, 28.02.2017, 19:49
In Genf laufen derzeit Friedensgespräche zum Bürgerkrieg in Syrien. Wieder einmal steht die Staatengemeinschaft vor der Frage, ob eine Auflösung des Konflikts nur mit Präsident Baschar al-Assad möglich sei. Aktivistin Noura Aljizawi erlebte die Brutalität seines Regimes am eigenen Leib. Mit FOCUS Online sprach die Syrerin über ihren sechsmonatigen Überlebenskampf.
FOCUS Online: Frau al-Jizawi, 2011 haben Sie angefangen, sich an dem Aufstand in Syrien zu beteiligen. Im März 2012 wurden Sie verhaftet. Was genau war passiert?
VIDEO http://www.focus.de/politik/videos/auf-s...id_6670917.html
Al-Jizawi: Ich war auf dem Weg von Damaskus nach Aleppo, als mich zwei von Assads Sicherheitsmännern aus dem öffentlichen Bus, in dem ich unterwegs war, kidnappten. Der Bus wollte losfahren, als ihn die Männer stürmten und mich in ihr Auto zerrten. Sie warfen mir vor, eine Terroristin zu sein. Der wahre Grund war aber meine Teilnahme an Demonstrationen und die Tatsache, dass ich die erste freie Revolutions-Zeitung „Hurriyat“ 2011 gegründet hatte. Nachdem ich entführt worden war, verbrachte ich sechs Monate meines Lebens in vier verschiedenen Gefängnissen.
FOCUS Online: Was ist es Ihnen in den sechs Monaten Gefangenschaft ergangen?
Al-Jizawi: In zweien der Gefängnisse, die offiziell gar nicht existieren und daher geheim in Damaskus betrieben werden, folterten mich Assads Leute: Sie schlugen mich immer und immer wieder – und gaben mir Stromschläge. Ihr Ziel war es, mich so zum Reden zu bringen. Sie wollten, dass ich andere Aktivisten verrate. Andere Gefangene wurden an ihren Händen über dem Boden aufgehängt oder sogar vergewaltigt. Zum Glück ist mir das nicht passiert. Aber wir alle mussten hungern, hatten nicht genügend Trinkwasser. Viel zu viele Menschen wurden in einem kleinen Raum festgehalten, dort war es dreckig, es hat gestunken. Und jeder hatte Angst. Ist jemand krank geworden, so war er verloren – denn Ärzte gab es nicht. Es war einfach nur schrecklich, auch weil viele Menschen unter Folter gestorben sind.
FOCUS Online: Haben Assads Truppen Sie mit ihrer Folter zum Reden gebracht?
Al-Jizawi: Ich habe kein Wort gesagt. Während meiner gesamten Zeit im Gefängnis habe ich mir gedacht: Die Folter ist der Preis, den du für die Freiheit deines Landes und deine Arbeit als Aktivistin bezahlst. Aber um ehrlich zu sein: Ich hatte auch unendliche Angst. Jeder Moment in einem der geheimen Gefängnissen hätte mein letzter sein können.
FOCUS Online: Wie konnten Sie dann doch entkommen?
Al-Jizawi: Meine Eltern habe eine große Summe Geld bezahlt, damit ich frei komme. Ich kenne bis heute nicht die Summe, aber sie war Teil eines Prozesses, der mir gemacht wurde. Dieser war nicht demokratisch wie beispielsweise in Deutschland – zumal mich das Regime gezwungen hat, vor meiner Freilassung ein Dokument zu unterschreiben. Es spricht mich des Versuchs schuldig, das Regime zu stürzen. Sollte ich jemals zurück in mein Heimatland kehren, könnte das Dokument gegen mich verwendet werden. Wahrscheinlich würde ich dann nie wieder aus Syrien rauskommen.
Im Video: "Ich wurde von Assads Militär gefoltert": Junge Syrerin bewegt mit emotionaler Rede Junge Syrerin bewegt mit emotionaler Rede
FOCUS Online/WochitJunge Syrerin bewegt mit emotionaler Rede FOCUS Online: Warum denken Sie, hat das Regime Ihre Freilassung zugelassen? Schließlich waren Sie in Geheimgefängnissen.
Al-Jizawi: Ich habe keine Ahnung. Vielleicht damit die Überlebenden nach außen tragen, wie grausam und brutal das Assad-Regime ist – quasi als abschreckende Maßnahme für andere Oppositionelle im Land.
FOCUS Online: Wo sind Sie dann nach Ihrer Freilassung hingegangen?
Al-Jizawi: Ich bin zu meinen Eltern nach Damaskus gezogen. Sie waren aus Sicherheitsgründen von Homs dorthin geflohen, nachdem ich verhaftet wurde. Als auch meine Schwester aus einem Gefängnis kam, floh ich mit ihr und meinem Bruder in verschiedene EU-Länder. Meine Eltern allerdings leben noch immer in Syrien. FOCUS Online: Gehen Ihnen Ihre Erlebnisse aus den Gefängnissen noch nahe?
Al-Jizawi: Ja, auf jeden Fall. Manchmal muss ich an die Kinder in den Geheimgefängnissen denken. Da waren nämlich nicht nur Frauen und Männer. Einige von ihnen wurden auch von den Wärtern gefoltert – um ihre Mütter zum Sprechen zu bringen. Mir geht es jetzt gut, ich bin frei, brauche nicht einmal psychologische Hilfe. Aber die Kinder und tausende andere Syrer eben nicht. Deshalb muss die internationale Staatengemeinschaft endlich handeln und ihnen aktiv helfen. FOCUS Online: Wie bewerten Sie die Friedensgespräche zu Syrien, die aktuell in Genf geführt werden?
Noura al-Jizawi: Meiner Meinung nach sind sie festgefahren. Das liegt am syrischen Regime. Es hat keinerlei Interesse daran, den Krieg zu beenden – weil Präsident Baschar al-Assad und seine Gefolgschaft an der Macht bleiben möchten. Sie bombardieren, erschießen und foltern Zivilisten. Die Menschen in der Opposition, zu denen auch ich gehöre, wurden von Anfang an vom Regime als Terroristen angesehen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Und das ist auch der Grund, warum ich mittlerweile denke, dass das syrische Volk militärische Hilfe von Seiten der EU benötigt. Das bedeutet natürlich nicht, dass Friedensgespräche per se sinnlos sind. Aber der Krieg dauert nun sechs Jahre an und kein Ende ist in Sicht – vor allem weil Russland und der Iran Assad unterstützen. FOCUS Online: Momentan wohnen Sie in der Türkei. Wie sieht Ihr Engagement als Oppositionelle heute aus?
Al-Jizawi: Im Januar 2016 habe ich die NGO „Start Point“ gegründet. Mein Team und ich setzen uns für Menschen- und Frauenrechte ein. Wir wollen Frauen und Mädchen selbstermächtigen, indem wir ihnen Bildung anbieten. Auch unterstützen wir Menschen, die Folter und Gefangenschaft in Syrien überlebt haben, mit psychologischer Hilfe. Öffentlichkeitsarbeit gehört ebenfalls zu unserer Arbeit. Momentan bin ich in der Türkei, weil dort unser Headquarter liegt. So sind wir nah an Syrien und können eng mit den Menschen, die sich in meinem Heimatland befinden, zusammenarbeiten.
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