Unausgereifte Missbrauchsprävention – Lehrplanmängel (6) 11. März 2017 Genderideologie, Hintergrund 1
Sexualisierung von Grundschülern fördert Missbrauch Der hessische Kultusminister R. Alexander Lorz sagte auf der Informationsveranstaltung am 2. 12. 2016 in Fulda, die Einfügung von Präventionsthemen in allen vier Schüler-Altersstufen sei ein wichtiges Anliegen seines Ministeriums. Aber die Ausführungen dazu sind unausgereift. Sie zeigen pädagogische und sachliche Mängel.
Ein Gastbeitrag von Hubert Hecker.
Die erste Prävention vor Missbrauch geschieht gewöhnlich von Seiten der Eltern mit den traditionellen Regeln: Lass dich nicht von Fremden ansprechen. Kein/e Fremde/r darf dich anfassen, egal wo. Zu einer wichtigen Schutzhaltung führt die Scham-Erziehung: Nicht entblößen, zeigen oder spielen an Pipi, Scheide und Po. Diese klassischen Elternregeln müssen heute ergänzt werden durch folgenden Hinweis: Auch wenn Lehrer, Trainer oder gute Bekannte von uns dich (am Schambereich) anfassen (wollen), dann erzähle uns das sofort.
Mängel und Grenzen von subjektiver Missbrauchsprävention
Schulische Prävention setzt heute in erster Linie darauf, Kinder gegenüber Verführern und Verführungssituationen wehrhaft und widerständig zu machen. „Ich sage NEIN“ heißt es im hessischen Sexualerziehungslehrplan für Grundschulen. Diesem Ansatz folgt auch die hessische „Handreichung zum Umgang mit sexuellen Übergriffen im schulischen Kontext“ von 2010, die im Januar 2017 leicht überarbeitet herauskam.
Frühsexualisierung fördert Missbrauch ▪ Doch solche einfach gestrickten Präventionsmethoden sind unzureichend. Sie berücksichtigen nicht, dass die meisten Missbräuche im Rahmen von Vertrauensanbahnung, Bekanntheit und Nähe sowie Abhängigkeit geschehen – durch Familienbekannte, Betreuer, Trainer etc. Auch die Intuitionsregel: „Vertraue deinem Selbstgefühl, was dir angenehm und unangenehm ist“, kann von missbrauchenden Erwachsenen leicht unterlaufen oder gar genutzt werden. Auch in der neu aufgelegten Handreichung zum Umgang mit sexuellen Übergriffen ist ein entsprechendes Lernziel aufgestellt. Den Kindern soll vermittelt werden: „Recht auf eigene Bewertungen von: – guten und schlechten Gefühlen; – guten und schlechten Berührungen“.
Unwirksamkeit und Ambivalenz Solche Regeln können sogar kontraproduktiv sein, indem sie für die Anbahnung einer Missbrauchshandlung genutzt werden. Deshalb ist das Unbehagen von Eltern durchaus berechtigt, wenn Grundschüler auf Körperzeichnungen solche angenehmen und unangenehmen Stellen anzeichnen sollen. Dagegen ist die alte Elternregel klarer und effektiver: „Keinerlei Berührungen von Fremden und Bekannten!“ Auch die oben genannte klassische Scham-Erziehung ist eine bessere Schutzbarriere gegen Missbrauch als die „guten und schlechten Berührungen“.
Schon in einer Studie aus dem Jahr 2000 wurde die Kritik laut, dass bei dieser subjektiven Missbrauchsprävention die Verantwortung für potentiellen Missbrauch auf die Kinder abgeschoben wird. Die Kinder aber sind darin völlig überfordert. So belegt eine amerikanische Studie das Unvermögen von Kindern, sich vorzustellen, von Erwachsenen, die sie gut kennen, missbraucht zu werden.
Dazu kommen die Vielfalt und Raffinesse der Täterstrategien, gegenüber denen die Kinder immer unterlegen sind. Nach Einschätzung des erfahrenen holländischen Tätertherapeuten Ruud Bullens ist es „für ein Kind praktisch unmöglich, sich gegen den sexuellen Missbrauch von Erwachsenen zu wehren“. Das sind Ergebnisse von Erfahrungen und strukturellen Überlegungen. Darüber hinaus gibt es keine empirische Studie oder Belege dafür, dass Programme subjektiver Missbrauchsprävention bei Kindern wirksam sind. Zitate und Thesen in diesem Abschnitt sind der Übersichtsstudie von Anita Heiliger aus dem Jahr 2000 entnommen: „Chancen und Grenzen von Opfer- und Täterprävention“.
Erfahrungen aus der Nikotin- und Drogenprävention
▪ Neben der spezifischen, also gezielten Missbrauchsprävention steht eine zweite unspezifische Präventionsphilosophie. Die handelt nach der Formel: „Kinder stark machen“. Solche Erziehungsziele wie „Ich-Stärke, Selbstbewusstsein, Selbstbestimmtheit“ würden das Selbstwertgefühl der Kinder heben und damit „wesentlich zur Vermeidung sexueller Übergriffe beitragen“, heißt es in der neuen bayrischen Richtlinie zur Familien- und Sexualerziehung. Ähnlich formuliert es die hessische Handreichung: „Die Kinder sind gegen mögliches Unrecht zu wappnen, indem ihnen eigene Bedürfnisse, Werte und Recht bewusst gemacht werden und dadurch ihr Selbstbewusstsein und ihre Selbstsicherheit gestärkt werden…“
Schützt unsere Kinder vor der exzessiven Sexualpädagogik der Vielfalt Ein solches allgemein-pädagogisches Programm zur Stärkung der Kinder ist selbstverständlich sinnvoll. Aber dass eine unspezifische Basis-Pädagogik zur Vermeidung sexueller Übergriffe „wesentlich“ beitragen würde, ist eine Illusion und ebenfalls nie durch eine Studie belegt worden. Dabei ist das Konzept der Individual- und Lebenskompetenz schon seit 40 Jahren bekannt. In den 90er Jahren setzte man darauf bei der Nikotin- und Drogenprävention. Aber es bewährte sich nicht: Gerade selbstbewusste Jugendliche fühlten sich stark genug, in den Genuss von Tabak- und Cannabis-Rauchen oder begrenzten Drogenkonsum einzusteigen. Die Ambivalenz dieser Strategie ist auch für die Missbrauchsprävention anzunehmen.
Frühsexualisierung als Missbrauchsprävention? Verstörung statt Stärkung der Kinder
▪ Mit dem Ansatz zu größerer Selbstkompetenz ist vielfach eine dritte Präventionsstrategie verbunden: die umstrittene Frühaufklärung der Kinder ab der Kita bis zur Latenzzeit in der Grundschule. Die Generalformel dieser Sexualerziehungsphilosophie lautet: Nur Kinder mit Kenntnissen und Sprache über sexuelle Vorgänge könnten sich angemessen wehren oder gegebenenfalls Missbräuche mitteilen. Auch im hessischen Grundschullehrplan ist Missbrauchsprävention mit dem Frühsexualisierungsthema „kindliches Sexualverhalten“ verbunden. Aus der Formulierung, dass Kinder sich „wehren“ sollen, zeigt sich der Bezug zur oben erörterten Überforderungs-Prävention.
▪ Bei dieser Präventionsphilosophie durch Frühsexualisierung kommen zu den bisherigen Kritikpunkten neue hinzu: - vorpubertäre Kinder können von sich aus „sexuelle Vorgänge“ gar nicht verstehen. - Die Sexual-Fokussierung ist ambivalent-verführerisch: Wenn Pädagogen bei vorpubertären Kindern ausführlich das Interesse auf Geschlechtsteile sowie sexuelle Themen und Praktiken lenken, kann das durchaus förderlich sein für pädophile Anbahnungen. - Die Frühsexualisierung nach den Lehren der Kentler-Sielert-Tuider-Schule ist mit ihren Grenzüberschreitungen selbst dem Vorwurf des Kindesmissbrauchs ausgesetzt. (Ausführlich wird auf das angesprochene Thema im 12. Teil dieser Serie eingegangen.)
Aktuell protestieren zahlreiche Eltern in Österreich gegen die dort an Schulen praktizierte Methode: Missbrauchsprävention durch Frühsexualisierung. Die seit 2015 angelaufene (Früh-) „Sexualität der Vielfalt“ führt zu massiven Verstörungen der Kinder.
Übergriffe auch von Kindern und Jugendlichen
▪ Die meisten Präventionsprogramme berücksichtigen nicht – so auch der hessische Lehrplan und die Handreichungen – die sexuellen Grenzverletzungen und Übergriffe zwischen Kindern und/oder Jugendlichen. Auf diesen Komplex machte kürzlich die Berliner Charité aufmerksam. Dort werden Missbrauchstätern zwischen 12 und 18 Jahren Therapien angeboten. „Das Durchschnittsalter liegt bei 15 Jahren“ (FAZ 22.2.2017).
Da sich bei sexuellem Missbrauch durch Kinder oder Jugendliche die Grenzen von körperlicher, verbaler und sexueller Gewalt verwischen und vermischen, müssten die entsprechenden Vorbeugungsmaßnahmen eingebettet werden in ein breiter angelegtes Programm von Gewaltprävention.
Gegendemo 30. 10.: Aufforderung zum Missbrauch Alle diese Überlegungen zeigen die substantiellen Mängel subjektiver Prävention auf, nach der die Kinder die Hauptakteure bei der Verhinderung von Missbrauch sein sollen. Kürzlich deckte ein Bericht des SPIEGELS (Nr. 2/2017) schlagartig das Unzureichende dieses Ansatzes auf: „Der neunjährige Tim hat mehrfach zu seinem Fußballtrainer ‚Stopp!’ gesagt“. Tim konnte den fortgesetzten Missbrauch nicht aufhalten. Erst als er seiner Mutter sagte: „Ich habe keine Lust mehr auf Fußball, weil der Trainer mich immer anfasst“, konnten Eltern, Polizei und Staatsanwalt dem Missbrauchstrainer das Handwerk legen.
Auf solchen Erfahrungen beruht die Kritik an der bisherigen Prävention, die von Seiten des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Röhrig, geübt wird. Der hatte Mitte September 2016 eine Informationsbroschüre für alle Schulen vorgestellt. Röhrig geht davon aus, dass in Deutschland mit jährlich 100.000 Missbrauchsfällen gerechnet werden müsste. Das heißt, in jeder Schulklasse seien „ein oder zwei Mädchen und Jungen von sexueller Gewalt betroffen“.
Erwachsene und Lehrpersonen sind hauptverantwortlich für die Prävention
Eine Vertreterin aus dem Betroffenenrat betonte laut FAZ-Meldung vom 14. 9.: Die Erwachsenen – in der Schule die Lehrpersonen – müssten sich klar machen, „dass allein in ihren Händen die Verantwortung für die Verhinderung, Unterbrechung oder Hilfe bei sexueller Gewalt liege.“ Den Schulverantwortlichen wie Kultusministerien, Schulträger und Schulen wird ein abgestuftes Programm für diese Aufgabe empfohlen – angefangen vom Leitbild der Schule, Interventionsregeln und vor allem Fortbildung der Lehrkräfte für das Erkennen und den Umgang mit Fällen sexueller Gewalt.
Korrekturempfehlungen auch für den hessischen Lehrplan
Kürzlich hat sich Hessen dieser Initiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“ angeschlossen. Aber schon aus der Pressemitteilung konnte man ersehen, dass dem Kultusministerium die Mängel der bisherigen Präventionskonzepte nach Lehrplan und Handreichung gar nicht bewusst sind:
Von den Experten der Bundesstelle gegen Kindesmissbrauch ist ein Perspektivenwechsel angemahnt. Die bisherige Konzentration der Missbrauchsprävention auf Abwehrstrategien der Kinder (subjektive Prävention) muss grundlegend überarbeitet werden. Der Schwerpunkt des Schutz- und Hilfekonzeptes sollte in der Verantwortung der Lehrkräfte liegen, wie oben aufgezeigt.
Diese Korrekturempfehlung betrifft auch den hessischen Lehrplan für Sexualerziehung. Der ist bei einer Revision entsprechend umzuarbeiten. Zum einen müssten im Kapitel 2 die Lehrkräfte darauf orientiert werden, dass sie „Verantwortung für die Verhinderung, Unterbrechung oder Hilfe“ bei sexuellem Missbrauch wahrnehmen. Zum andern sollte die Inhaltsliste (Kapitel 3) überarbeitet werden im Sinne einer altersgemäßen Anwendung der klassischen Präventionsregeln. Insbesondere im Grundschulbereich müsste die reine Abwehrstrategie überarbeitet und die Verbindung mit der Frühsexualisierung gekappt werden.
Text: Hubert Hecker Bild: Privat
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