Vater klagt an Kinder sind überall auf der Welt das größte - nur in Deutschland nicht
Wenn Kinder sich in der Öffentlichkeit lautstark bemerkbar machen, finden viele Menschen das unerhört.
Colourbox.deWenn Kinder sich in der Öffentlichkeit lautstark bemerkbar machen, finden viele Menschen das unerhört. Sonntag, 26.03.2017, 15:19
In anderen Ländern reagieren Menschen mitfühlend, wenn ein Kind weint - in Deutschland allerdings sind die meisten sofort genervt. So empfindet es zumindest ein Vater von Zwillingen und fragt sich: Warum sehen die Deutschen immer nur den "Störfaktor Kind"?
Nichts hemmt den sozialen Aufstieg so sehr wie Kinder. Kinder sind wie Knast. Kinder kosten die Freiheit. Kinder kosten Ansehen. Kinder sind kein Statussymbol. Familienleben in Deutschland galt Jahre und Jahrzehnte über als spießig, die Kleinfamilie als Inbegriff von Langeweile.
Ich war selbst einer von denen, die so redeten, die mit Frau im Lokal saßen, am Tisch nebenan nahmen Vater, Mutter und ein vielleicht siebenjähriges Kind Platz. Steif und ungelenk saßen sie da, mühten sich um Lockerheit und wussten bald nicht mehr, was reden.
Da hockten wir bereits mitten drin in einer veränderten Gesellschaft, einer auffällig kinderarmen Gesellschaft. Einer kinderfeindlichen Gesellschaft? Ach, nein, das nicht. Deutschland hat sich ohne es recht zu bemerken schleichend vom Kind entwöhnt.
Kinder treten öffentlich seltener in Erscheinung; tun sie es plötzlich doch, fallen sie auf – siehe der Junge im Lokal – oder sie stören, wenn sie im ICE nicht im Familienabteil unterkommen, sondern im Großraumwagen eine Vierersitzgruppe besetzen und das tun, was Kinder tun, wenn sie gezwungen sind, zwei Stunden oder länger auf dem Hintern zu sitzen.
Der Sonntag ist versaut
In solchen Momenten teilt sich die Welt in solche, die Kinder haben und in jene, die Kinder prinzipiell als Störfaktor ansehen. Ein Sonntag im ICE, diesmal ausnahmsweise erste Klasse. Die Fahrt ist so entspannt wie sie nur sein kann. Der Betreuer schäkert mit dem Schweizer Paar eine Reihe vor mir, er reicht die üblichen Süßigkeiten, kurz darauf bietet er Zeitungen an.
Das Paar unterhält sich gedämpft, kein Telefon klingelt und als eines doch klingelt, steht die Frau vis-á-vis auf und geht hinaus. Dann platzt in die Sonntagsruhe hinein – ein Schrei. Es kommt von weiter vorne, die Tür zum nächsten Wagen steht offen.Es ist das aufgekratzte Schreien eines Kleinkindes. Ich hatte die Zwillinge für ein, zwei Stunden vergessen, sofort sind sie wieder da. + ch recke den Kopf und sehe, wie sich zeitgleich ein Dutzend weiterer Köpfe reckt. Ich sehe die Herrschaften an – mehrheitlich Männer im gesetzten Alter – und ich ahne: Sie fürchten das Schlimmste. Mindestens den Einfall eines munteren Familienverbandes, der allen anderen Reisenden den Nachmittag versaut. Es kommt leider nicht so weit, die Tür schließt sich, der Sonntag ist gerettet.
Einzelkind? Dann lieber keins!
Gegen Abend steigt ein Vater mit seiner fünf-, sechsjährigen Tochter zu. Er murmelt spanisch mit ihr, sie nickt, erwidert leise etwas, packt ihren pinkfarbenen Mini-Laptop aus und sieht sich das „Dschungelbuch“ an. Beim übernächsten Halt steigen sie aus. Applaus, Applaus. Nichts gegen Kinder, aber die Klappe halten sollten sie schon.
Der Single-Junge, der mit seinen Eltern am Nebentisch saß, langweilte sich schon bald. Er rutschte auf seinem Stuhl herum, wie ich es als Kind getan hatte, wenn unser Vater als Restaurantbesitzer bei der Konkurrenz zum Testessen ging; immerhin waren wir Kinder zu dritt und damit in Überzahl.
Drei Kinder, das ist mir inzwischen auch im Erwachsenenalter klargeworden, hält man keine halbe Stunde im Zaum. Vielleicht hatten sie ja Streit, raunte meine Partnerin und meinte das Trio am Nebentisch. Vielleicht langweilten sie sich aber auch in ihrer Dreisamkeit. Einzelkind ist eh blöd, schob meine Partnerin nach. Dann lieber gar keins!
In Mittelmeerländern ist es völlig anders
Mit dem Verlust an Kindern geht die Herzlichkeit im Umgang miteinander verloren, eine Zugewandtheit, wie man sie in Deutschland vermisst, wenn man längere Zeit im Ausland gelebt hat. Kinder sind überall auf der Welt das größte.
In Straßburg bleiben sogar Männer stehen, bestaunen den Zwillingskinderwagen, sprechen den Vater an, der sich auch beim hundertsten Mal freut, außer, die Zwillinge sind nach einer sehr langen, sehr ermüdenden Ausfahrt gerade erst eingeschlafen, dann zischt man mit einem Mindestmaß an Höflichkeit ein Pssschhht! und eilt davon, und der Franzose ruft einem Bon Courage! hintendrein.
Das Paar mit Single-Kind brach noch vor uns auf. Verständlich, es war gleich acht, der Kleine musste ins Bett. Im Süden, in den Mittelmeerländern, ist das anders, sagte meine Partnerin. Ich war mal in Lissabon. Abends, vor allem am Wochenende, bekommst du in Restaurants keinen freien Platz. Wenn die Clans Essen gehen und in lauten engbestuhlten winzigen Restaurants sich um lange Tafeln gruppieren, gibt es kein Alibikind. Da wächs t sichtbar eine junge Generation heran: drei, vier, viele Kinder sitzen geduldig bei den Alten und essen, was auf den Tisch kommt. Über den Autor Jo Berlien, geboren 1965. Sohn eines Kriegsflüchtlings, Seefahrers, Weltenbummlers und einer Dorfschönheit, Wirtin, Lebenskünstlerin. Wuchs als Kneipenkind auf. Hat eine Affinität für illustre Typen und eine Schwäche für Geschichten über Männer auf verlorenem Posten. Seit der Geburt seiner Zwillingsmädchen ist vieles anders. Darüber schreibt er in seinem Buch "Papa sorglos. Väter machen nichts richtig, aber manches besser", das bei Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienen ist. Berlien lebt mit seiner Familie im Schwarzwald und in Straßburg.
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http://www.focus.de/familie/videos/seine...id_6666931.html Im Video: Baby sieht seine Mutter zum ersten Mal - und ist außer sich
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