Nachricht des Monats, 2017 / 4, 10.04.2017 Wenn Laien Glaubensinhalte bestimmen
Die Fastenzeit wird in der katholischen Kirche seit dem II. Vatikanischem Konzil als „österliche Bußzeit“ bezeichnet. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass es um innere Umkehr und Buße geht.
Dafür gibt es die Tradition der „Osterbeichte“: Wer an Ostern die Kommunion empfangen wollte, sollte vorher zur Beichte gehen. Als das II. Vatikanische Konzil zu Beginn der 1960er Jahre einberufen wurde, war diese Praxis auch in den katholischen Gemeinden in Deutschland noch weit verbreitet, gut die Hälfte der Katholiken nahm die Gelegenheit wahr, in der Fastenzeit zu beichten und an Ostern die Kommunion zu empfangen. An normalen Sonntagen gingen damals 40% der Katholiken zur Messe, heute sind es noch 10%. Dies zeigen die Statistiken über den Kirchenbesuch, mit denen die Säkularisierung üblicherweise quantitativ zu erfassen versucht wird. Eine solche Quantifizierung gibt es bei den Beichten natürlich nicht. Augenscheinlich jedoch ist die Beichtpraxis viel stärker zurückgegangen als der sonntägliche Messbesuch. In vielen Kirchengemeinden werden keine festen Beichtzeiten mehr angeboten, nicht einmal in der Fastenzeit. Man hat sich so sehr daran gewöhnt, die Beichte als Relikt aus „vorkonziliaren Zeiten“ anzusehen, dass sie in den Diskussionen über Kirche und Christentum kaum noch beachtet wird.
Eine andersartige Sicht auf Glaube und Kirche in Deutschland erschließt sich Katholiken aus Ostmitteleuropa, Polen etwa oder der Slowakei: Aus der Fasten- und Weihnachtszeit kennen sie lange Wartezeiten vor den Beichtstühlen, die auch zu anderen Zeiten im Kirchenjahr nicht leer bleiben. Wenn hierzulande die Beichtstühle sogar vor Ostern kaum noch aufgesucht weden, fragen sie sich, was es für deutsche Katholiken überhaupt noch bedeutet, „praktizierend“ zu sein.
Dazu interviewte die slowakische katholische Internetzeitung „Postoj“ kürzlich den Präsidenten des Zentralkommittees der deutschen Katholiken, Prof. Dr. Thomas Sternberg. Zu Beginn des Gesprächs stellte „Postoj“ fest, dass von den nominell 24 Millionen Katholiken in Deutschland nur eine kleine Minderheit praktizierend sei. Sternberg widersprach mit dem Argument, dass über die Hälfte der Katholiken „irgendwie mit der Kirche verbunden“ seien. Der Interviewer setzte nach und meinte, dass es ihm um „die wirklich praktizierenden“ Katholiken geht, die zumindest jeden Sonntag in die Messe gehen“. Sternberg räumte daraufhin ein, dass dies nur 10 Prozent der deutschen Katholiken tun. Er versuchte aber den sonntäglichen Kirchenbesuch als Maßstab zu relativieren, indem er darauf verwies, dass auch Gläubige, die „sich als fromm bekennen“, nicht mehr jeden Sonntag, sondern nur noch etwa einmal im Monat die Messe besuchen würden. Daraufhin konfrontierte ihn der Journalist mit einer anderen Schlüsselfrage des „Katholisch-Seins“, der Beichtpraxis, worauf sich ein Dialog entwickelte, der über das Verständnis des Katholischen bei führenden Verbandskatholiken aufschlussreich ist.
Postoj: „Wenn ich in der Vergangenheit mit deutschen Priestern gesprochen habe, waren die sehr überrascht darüber, was es in der Slowakei bedeutet, ein praktizierender Katholik zu sein. Dass es nicht nur die regelmäßige Teilnahme an Gottesdiensten einschließt, sondern auch die regelmäßige Beichte. Die haben mir davon erzählt, dass so was wie die Beichte in vielen Regionen Deutschlands im Grund verschwunden ist. Ist das so?“ Sternberg antwortete: „Deutschland ist darin wirklich ganz anders. Das Bußsakrament ist eigentlich verschwunden. In Deutschland beichten nicht mal die frömmsten Katholiken“. Postoj: „Aber wie dürfen die Leute, die nicht mehr beichten gehen, die Eucharistie empfangen?“ Sternberg: „Wir sehen den Zusammenhang zwischen Beichte und Eucharistie nicht mehr so.“ Postoj: „Aber dieser Zusammenhang ist nach der Kirchenlehre sehr eng. Die Frage ist dann, ob die Eucharistiefeier in Deutschland unter diesen Bedingungen überhaupt gültig ist.“ Sternberg: „Ja, sie ist gültig. Aber es ist ein interessantes Thema. Die Eucharistie beruht nicht auf der Beichte. Weil die Eucharistie selbst die Kraft hat, die Sünden zu verzeihen. Es ist wahr, dass der Zusammenhang zwischen Eucharistie und Beichte radikal gebrochen ist, er existiert praktisch nicht mehr.“ Postoj: „In ihrem ZdK kennen Sie keinen Menschen, der zur Beichte gehen würde?“ Sternberg: „Nein, ich kenne niemanden.“ Postjoj: „Das hört sich für uns in der Slowakei ziemlich unglaublich an.“ Sternberg: „Das kann ich verstehen, aber das Bußsakrament ist auch in anderen Ländern in die Krise gekommen. Ich denke, man soll daran arbeiten, um das zu verbessern.“
Welche Arbeit da zu tun wäre, erklärte Sternberg nicht. Dabei könnte er auch in Deutschland Beispiele für eine lebendige Beichtpraxis finden. Dazu gehören Kirchen, die von Orden oder geistlichen Gemeinschaften betreut werden, aber auch manche Wallfahrtsorte und mitunter sogar Pfarrkirchen. Gläubige Katholiken, die an solchen Orten beichten gehen, sind Sternberg offenbar entweder unbekannt oder sie gehören nicht zu den „frömmsten Katholiken“, wie er sie versteht. Dass er solche Gläubigen im Zentralkommitee der deutschen Katholiken nicht antrifft, wird wohl zutreffend sein. Gerade im Milieu des Gremienkatholizismus- und der Berufskatholiken hat das Bußsakrament einen schweren Stand. Das belegt eine Frankfurter Seelsorgestudie, nach der ca. 90 Prozent der Pastoralassistenten- und Gemeindereferenten, 70 Prozent der ständigen Diakone und 54 Prozent der Priester jährlich nur einmal oder noch seltener zur Beichte gehen.
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