Interview mit Terror-Experte Tophoven Experte warnt trotz Gebietsverlusten in Rakka: „IS ist gefährlicher als je zuvor“
Die Terrormiliz IS muss nach heftigen Kämpfen schwere Gebietsverluste in ihren Hochburgen sowohl im syrischen Rakka als im irakischen Mossul (Foto) hinnehmen. FOCUS-Online-Redakteur Ulf Lüdeke Samstag, 10.06.2017, 15:48
Die Terrormiliz Islamischer Staat hat bei schweren Kämpfen in ihrer syrischen Hochburg Rakka weitere Gebietsverluste erlitten. Doch wer daraus schließt, der IS sei geschwächt, liegt falsch, meint Terrorexperte Rolf Tophoven.
FOCUS Online: Herr Tophoven, der IS hat bei heftigen Kämpfen gegen syrische und kurdische Kräfte in Rakka weiteres Gelände verloren. Bedeuten diese Verluste in der wichtigsten Terroristenhochburg, dass der IS an Stärke verliert?
Rolf Tophoven: Ganz im Gegenteil. Denn mit dem Doppel-Anschlag in Teheran auf das Parlament und das Khomeini-Mausoleum hat der IS gezeigt, dass er trotz geographischer Verluste in den Hochburgen Rakka in Syrien und Mossul im Irak nach wie vor in der Lage ist, größere, koordinierte Anschläge auszuführen. Dass der Terrormiliz diese komplexen Anschläge ausgerechnet im Herzen des Iran gelungen sind, ist umso überraschender, zeigt es doch, dass sie in den letzten Jahren ein terroristisches Netzwerk in Iran in aller Stille aufbauen konnte.
FOCUS Online: Warum überrascht Sie das ausgerechnet im Iran? Tophoven: Die Iraner haben im Kampf gegen die Terroristen massiv nachgerüstet – bei der Polizei, der Armee, der Nationalgarde. Noch im vergangenen Winter wurde aus iranischen Geheimdienstkreisen berichtet, dass das Land gegen Terroristen fast hermetisch abgeriegelt sei. Und jetzt marschieren plötzlich bewaffnete Terroristen in Teheran ins Parlament und das Khomeini-Mausoleum und schießen um sich, siebzehn Menschen sterben. Ein klarer Beweis, dass die Schlagkraft des IS nicht nur ungebrochen ist, sondern stärker wird.
Über den Experten Rolf Tophoven ist Direktor des Instituts für Krisenprävention (IFUS) in Essen, früher Institut für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen und journalistischen Tätigkeit sind der militant islamistische Terrorismus, seine Ausprägung und Bekämpfung. Außerdem der Nahe Osten und seine Konfliktregionen. FOCUS Online: Wie kann der IS die Gebietsverluste so ohne Weiteres wegstecken?
Tophoven: Geographisch ist der IS geschlagen. Doch das ist inzwischen nicht mehr der entscheidende Punkt. Der IS ist gefährlicher als je zuvor und hat in der Zwischenzeit neue Strukturen aufgebaut, die viel effektiver und auch viel schwerer zu bekämpfen sind. FOCUS Online: Gibt es außer dem Iran weitere Schwerpunkt-Länder, wo sich der IS neu organisiert?
Tophoven: Der IS sitzt an verschiedenen Orten im Nahen Osten, selbst im asiatischen Raum wie beispielsweise auf den Philippinen, aber auch in Europa. Und es gibt viele ausländische Kämpfer, die sich im Nahen Osten ausbilden lassen haben und nach Europa zurückgekehrt sind. Sie warten dort auf ihre Einsätze. Die Führung des IS sagt ihnen: ‚Ihr müsst nicht mehr nach Rakka, bleibt in euren Ländern, schlagt dort zu‘. Die Anschläge in London, Berlin, aber auch Würzburg und Ansbach haben zudem gezeigt, dass die Terroristen nicht mal mehr eine Ausbildung brauchen. Es genügt ein Beil, ein vergiftetes Messer, ein Lkw. Sie sind inspiriert durch ihre Ideologie, das reicht.
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Im Video: IS-Experte: Niederlage in Rakka könnte verheerende Trotzreaktion der Terrormiliz auslösen IS-Experte: Niederlage in Rakka könnte verheerende Trotzreaktion der Terrormiliz auslösen
FOCUS Online/WochitIS-Experte: Niederlage in Rakka könnte verheerende Trotzreaktion der Terrormiliz auslösen
FOCUS Online: Aber wie kompensieren die Terrormiliz die weggefallenen Führungsstrukturen in den alten Hochburgen Mossul und Rakka?
Tophoven: Dadurch, dass sie inzwischen perfekt Propaganda und Kommunikation über die sozialen Netzwerke beherrscht. Die IS-Terroristen operieren sogar kryptologisch auf höchstem Niveau. Die Kommunikation zu den Anschlägen in Paris am 13. November 2015 erfolgte laut Informationen verschiedener Nachrichtendienste über eine Spielkonsole – die „Playstation 4“. Die IT-Experten der Nachrichtendienste haben erklärt, dass es extrem schwierig ist, dort reinzukommen und die Codes zu knacken. Über diese Konsole lassen sich sogar Koordinaten übertragen, ohne dass sie entdeckt oder entschlüsselt werden können. Und wenn diese Experten das schon sagen, dann ist klar, was das bedeutet. Auf diese Art konnten drei verschiedene Kommandos in Paris an acht verschiedene Orte geschickt werden. Es reichte am Ende ein banaler Telefonanruf mit dem Befehl ‚Bataclan, Eventtempel, 20 Uhr‘, und dann geschah die Katastrophe.
Eine Sache, die uns Mut macht
Zum ersten Mal wurde in diesem Jahr an eine deutsche Kommune der "Nationale Integrationspreis" vergeben. Die Auszeichnung ging an die 17.000-Einwohner-Stadt Altena im Sauerland.
Die Jury, der neben Frankfurts Ex-Oberbürgermeisterin Petra Roth auch der Schauspieler Elyas M'Barek ("Fack ju Göthe") angehörte, bezeichnete Altena als vorbildlich im Umgang mit Flüchtlingen.
Eine Besonderheit war zum Beispiel, dass die Stadt die Flüchtlinge nicht in Sammelunterkünften, sondern in normalen Wohnungen unterbrachte. Zudem wurden auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise sogar rund 100 Menschen mehr aufgenommen, als der Stadt zugewiesen worden waren.
Die Stadt selbst stellte die positiven Effekte des Flüchtlingszuzugs heraus. So verzeichnet Altena erstmals seit mehr als 20 Jahren eine positive Bevölkerungsentwicklung. FOCUS Online: Das heißt, auch in Deutschland wächst die Gefahr?
Tophoven: Die Terrorgefahr steigt auch in Deutschland weiter. Bei uns gibt es unter den aktuell rund 600 islamistischen Gefährdern allein 26 vom Schlage des Berlin-Attentäters Anis Amri. Natürlich ist es gut, zu wissen, dass diese Personen observiert werden. Doch wie hoch die Dunkelziffer ist, das wissen wir nicht – nur, dass es ganz sicher Gefahren gibt, von denen wir noch nichts ahnen. FOCUS Online: Und was kann Deutschland dagegen tun?
Tophoven: Den Behörden sind immer wieder die Hände gebunden, wenn mangelnde Beweislage oder die Rechtslage eine Verhaftung von Gefährdern nicht zulassen. Es sollte ernsthaft und schnell darüber nachgedacht werden, diese Regeln zu verschärfen. In jedem Fall muss die Infrastruktur der Überwachung der Gefährder noch deutlich stärker ausgebaut werden, um wenigstens die allerschlimmsten Anschläge verhindern zu können. Denn die marodierenden Söldner des IS werden weitermarschieren und auch nach den militärischen Rückschlägen in anderen Ländern ihre Operationen fortsetzen.
Im Video: IS-Terroristen schlichen als Frauen verkleidet ins Parlament
VIDEO http://www.focus.de/politik/videos/doppe...id_7223317.html
http://www.focus.de/politik/ausland/inte...id_7228780.html
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