Marokkaner in Nürnberg abgeschoben Ehefrau erzählt: „Uns blieb nur Zeit für einen Kuss“
Abgelehnte Asylbewerber werden zum Transport zum Flughafen abgeholt (Symbolbild) FOCUS-Online-Autor Philipp Luther Donnerstag, 06.07.2017,
Am Dienstag kam die Polizei zu Martina R.s Wohnung und nahm ihren Ehemann mit. Der 25 Jahre alte Marokkaner wurde noch am selben Tag abgeschoben, obwohl die beiden in einer gültigen Ehe leben. Im Interview erzählt Martina R., was sie erlebt und empfunden hat. FOCUS Online: Frau R., woher kommt Ihr Ehemann El Mustapha F. und warum kam er nach Deutschland? Martina R.: Mein Mann kommt aus Marokko, aus der Nähe von Agadir. Er wollte zu mir nach Deutschland kommen, und mit mir und meinen Kindern ein ganz normales Familienleben führen. FOCUS Online: Wie haben Sie sich kennen gelernt? Martina R.: Mein Mann und ich haben uns im Frühjahr 2015 über einen Bekannten von mir kennen gelernt. Der hat uns sozusagen vermittelt. Zu Anfang hatten wir viel Kontakt über WhatsApp und Facebook, bis El Mustapha sich entschlossen hat, nach Deutschland zu kommen. Plötzlich stand die Polizei vor der Tür FOCUS Online: Nun wurde ihr Mann abgeschoben. Wie lief das ab? Martina R.: Wir waren gerade dabei, Mittagessen zu kochen. Dann klopft es an der Tür. Mein Mann ist hingegangen und sagte nur: 'Da steht die Polizei vor der Tür'. FOCUS Online: Und dann? Martina R.: Ich konnte es erst gar nicht glauben. Aber so war es. Die Polizisten waren freundlich. Sie haben gesagt, sie müssten meinen Mann abholen, weil er heute noch nach Marokko abgeschoben wird. Dann haben sie ihm ein bisschen Zeit gegeben, seine Sachen zu packen. Zur Verabschiedung gab es dann nur einen schnellen Kuss. Wir lagen uns in den Armen und haben viel geweint. Ich habe den Polizisten noch gesagt, sie sollen gut auf ihn aufpassen, er ist ein anständiger Mann. Dann war er weg. FOCUS Online: Was haben Sie empfunden, als ihr Mann abgeholt wurde? Martina R.: Mir ging es total schrecklich, ich habe mich gefühlt, als ob mich jemand mit heißem Wasser übergießt. Ich wusste nicht mehr, wo oben und unten ist. Dann kam die Enttäuschung, die Wut, die Traurigkeit über die Behörden, und darüber, dass er seinen Deutschkurs jetzt nicht mehr machen kann. Im Video: Abschiebe-Debatte bei Maischberger - Moderatorin gibt Künast contra Künast verurteilt Abschiebung von Kriminellen - dann gibt ihr Maischberger Kontra Huffington Post/WochitKünast verurteilt Abschiebung von Kriminellen - dann gibt ihr Maischberger Kontra FOCUS Online: Wie ist Ihr Mann nach Deutschland gekommen? Martina R.: Mein Mann ist mit dem Schiff nach Griechenland gekommen, von da aus dann über die Balkanroute nach Deutschland. Auf der Flucht wäre er bei einem Autounfall fast ums Leben gekommen. FOCUS Online: Warum haben Sie geheiratet? Martina R.: Wir haben aus Liebe geheiratet, von einer Scheinehe kann keine Rede sein. Bisher aber nur standesamtlich. Eigentlich hatten wir geplant, dass wir eine große Feier ausrichten, sobald klar ist, dass mein Mann bleiben kann. Aber daraus wird jetzt erstmal nichts. FOCUS Online: Hat Ihr Mann Asyl beantragt? Martina R.: Er hat in Österreich Asyl beantragt, wegen politischer Verfolgung in seinem Heimatland. Der Antrag ist aber leider abgelehnt worden. Von Österreich aus kam er nach Deutschland, erstmal in ein Flüchtlingsheim bei Bamberg. Dann habe ich für ihn beantragt, dass er nach Nürnberg in ein Flüchtlingsheim kommt. Dort hat er nur geschlafen, tagsüber war er bei mir und meinen Kindern. Mein Mann war mir eine große Hilfe in allen Lebenslagen, hat mir mit den Kindern geholfen, war mit mir beim Einkaufen – ich war sehr glücklich. FOCUS Online: Warum wurde der Antrag auf Asyl abgelehnt? Martina R.: Die Begründung war, dass keine Gründe für Asyl vorliegen. Auch ein zweiter Antrag wurde dann abgelehnt. Eine Sache, die uns Hoffnung macht Abschiebungen können, wie in diesem Fall, Familien zerreißen und Freunde und Bekannte verstören. Das zeigte nicht zuletzt der Fall der 15-jährigen Bivsi aus Duisburg, die aus der Schule geholt und nach Nepal abgeschoben wurde. Nun gibt es jedoch Hoffnung für das in Deutschland geborene Mädchen: Neben Mitschülern und Lehrern setzt sich auch der Petitionsausschuss des Düsseldorfer Landtags dafür ein, dass die in Deutschland geborene Bivsi zurückkommen und hier ihren Schulabschluss machen kann. Kurz vor der Deutschprüfung wurde El Mustapha F. abgeschoben FOCUS Online: Waren Sie der Meinung, die Ehe mit Ihnen würde dazu führen, dass ihr Mann bleiben dürfte? Martina R.: Ja eigentlich schon. In anderen Fällen hat das ja auch geklappt. Mein Mann war sich so sicher, dass es klappt, ich nicht so ganz. Aber wir waren sehr hoffnungsvoll – schließlich war er ja auch in einer Deutschschule, hat einen Deutschkurs gemacht. FOCUS Online: Würden Sie sagen, Ihr Mann war gut integriert hier? Martina R.: Er hat den Deutschkurs gemacht. Mein Mann stand sogar kurz vor der Prüfung, dann hätte er Sprachniveau A1 (nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen, Anm. d. Red.) gehabt. Dann hätte er vermutlich auch hierbleiben können. Aber die Chance, den Kurs fertig zu belegen, hat man meinem Mann genommen. Außerdem hätte er gerne eine Ausbildung zum Kranken- oder Altenpfleger gemacht, nach dem Deutschkurs. Das hat leider nicht gleich geklappt, er hatte ja keine Arbeitserlaubnis. Im Video: FOCUS-Online-Umfrage - Soll es ein Abschiebeverbot für gut integrierte Flüchtlinge geben? Soll es ein Abschiebeverbot für gut integrierte Flüchtlinge geben? FOCUS OnlineSoll es ein Abschiebeverbot für gut integrierte Flüchtlinge geben? FOCUS Online: Hatten Sie inzwischen wieder Kontakt mit Ihrem Mann? Martina R.: Ja, ich habe ihn am gleichen Tag noch angerufen. Er hat gesagt, er sitzt im Auto nach München zum Flughafen. Danach habe ich ihn persönlich aber nicht mehr erreicht. Ein Freund meines Mannes hat mir eine Nachricht geschrieben. Es scheint El Mustapha gut zu gehen – zumindest ist er gut angekommen. Er ruht sich jetzt erstmal aus. Mehr weiß ich aber auch nicht. Ich habe ihn nicht mehr erreicht. Ich weiß auch nicht, wo genau in Marokko er gerade ist. Ehefrau will Geld für El Mustapha F.s Rückreise sammeln FOCUS Online: Der Leiter der Ausländerbehörde in Nürnberg hatte angedeutet, dass ihr Mann nach Deutschland zurückkommen kann, wenn zunächst in Marokko einen Deutschkurs macht und Ihre Familie einen Antrag auf Familiennachzug stellt. Den "Nürnberger Nachrichten", sagt er: "Er muss gehen, um dann wieder kommen zu können." Wie empfinden Sie das? Martina R.: Mein ganzes Familienleben ist durch die Abschiebung zerstört worden. Vor allem der Kinder wegen. Die haben ihn sehr gemocht und ihm aufs Wort gehorcht. Wir wissen noch gar nicht, ob wir das Geld für einen Rückflug überhaupt zusammen bekommen. Von dem Geld für Deutschkurse in Marokko ganz zu schweigen. FOCUS Online: Was werden Sie jetzt tun, um Ihren Mann so schnell wie möglich wieder zu sehen?
Martina R.: Ich möchte Geld für ihn sparen. Meine beiden Nachbarinnen wollen mir auch helfen und ein bisschen Geld beiseitelegen. Ich denke außerdem über einen Spendenaufruf nach, aber da kenne ich mich noch nicht so gut aus. Wir brauchen das Geld für die Rückreise und für den Sprachkurs am Goethe-Institut, die Bücher. Er soll schnell den Kurs machen, damit er schnell wieder zurück kommt. Ich wünsche mir sehr, dass El Mustapha bis zu meinem Geburtstag im Oktober wieder da ist. Ich feiere so ungern alleine. Meine Kinder wünschen sich das übrigens auch sehr. Sie fragen jeden Tag nach ihm, wollen mit ihm Fußball spielen oder Fahrrad fahren. Sie vermissen ihren Patchwork-Papa. Im Video: "Viel Integrationsarbeit zerstört" - Abschiebe-Tumult in Nürnberg: Schulleiter macht der Polizei schwere Vorwürfe http://www.focus.de/politik/deutschland/...id_7325173.html
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