„Alle antworten auf die Dubia, nur der Papst nicht“ – Kritik an den jüngsten Aussagen von Kardinal Schönborn 25. Juli 2017 0
Kardinal Schönborn und Papst Franziskus
(Rom) „Alle antworten auf die Dubia, nur der Papst nicht.“ Franziskus weigert sich seit September 2016 auf fünf Fragen von vier Kardinälen zum umstrittenen nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia zu antworten. Statt des Papstes antworten zahlreiche, ihm nahestehende Kirchenvertreter, jüngst der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Graf Schönborn. Der Vatikanist Sandro Magister veröffentlichte eine Kritik an den jüngsten Schönborn-Aussagen zugunsten Amoris laetitia und gegen die Dubia. Der Autor der Kritik bleibt auf eigenen Wunsch anonym.
Alle antworten auf die Dubia, außer der Papst. Dieses Mal war Schönborn an der Reihe
von ***
Am 13. Juli 2017 sprach Kardinal Christoph Schönborn, der Erzbischof von Wien, vier Stunden lang in zwei Vorträgen und einer Diskussion im Mary Immaculate College von Limerick in Irland.
Kardinal Schönborn in Limerick
Der österreichische Purpurträger nahm am Vorbereitungstreffen „Let’s Talk Family: Lets Be Family“ (Laßt uns über die Familie sprechen: Laßt uns Familie sein) für das Weltfamilientreffen teil, das vom neuen Dikasterium für die Laien, die Familie und das Leben vom 21.-28. August 2018 in Dublin organisiert wird.1)
Nach der Lektüre der Medienberichte2) über die Veranstaltung kann ich nur feststellen, daß alle auf die von vier Kardinälen dem Papst vorgelegten Dubia antworten, außer der Papst, und daß auf diese Weise dem chaotischen Chor der Kommentare und Interpretationen zu Amoris laetitia – die alles tun, nur nicht die vom Dokument aufgeworfenen Fragen und Probleme für die Gläubigen und die Beichtväter klären – eine weitere Stimme oder besser neuer Nebel hinzugefügt wurde.
Die vom Erzbischof von Wien vorgebrachten Argumente – jedenfalls so, wie sie von den glaubwürdigsten Medien wiedergegeben wurden – sind alles andere als überzeugend. Schauen wir uns die wichtigsten an.
1. Ein unangebrachter Tadel
In erster Linie tadelt Schönborn die Kardinäle der Dubia. Er beschuldigt sie, weil sie respektvoll um eine Audienz baten, den Papst unter Druck gesetzt zu haben. Sie hätten schon um Audienz bitten dürfen, dies aber nicht öffentlich bekannt machen sollen. Wörtlich sagte der österreichische Erzbischof:
„Daß Kardinäle, die die engsten Mitarbeiter des Papstes sein sollten, versuchen, ihn zu zwingen und Druck auf ihn auszuüben, damit er ihnen eine öffentliche Antwort auf ihren öffentlich bekanntgemachten Brief gibt, ist ein absolut ungehöriges Verhalten. Es tut mir leid, das sagen zu müssen. Wenn sie eine Audienz beim Papst wollen, sollen sie eine Audienz beantragen, aber nicht öffentlich bekanntmachen, daß sie um eine Audienz angesucht haben”.3)
Ich frage mich, ob Kardinal Schönborn folgende Worte des Papstes über die bereits während der beiden jüngsten Bischofssynoden entstandenen und nach der Veröffentlichung von Amoris laetitia fortdauernden Diskussionen gelesen hat und/oder glaubt. Ich zitiere einige Auszüge:
„Eine Grundbedingung dafür ist es, offen zu sprechen. Keiner soll sagen: »Das kann man nicht sagen, sonst könnte man ja schlecht über mich denken…« Alles, was sich jemand zu sagen gedrängt fühlt, darf mit Parrhesia [Freimut] ausgesprochen werden. Nach dem letzten Konsistorium (Februar 2014), bei dem über die Familie gesprochen wurde, hat mir ein Kardinal geschrieben: »Schade, daß einige Kardinäle aus Respekt vor dem Papst nicht den Mut gehabt haben, gewisse Dinge zu sagen, weil sie meinten, daß der Papst vielleicht anders denken könnte.« Das ist nicht in Ordnung, das ist keine Synodalität, weil man alles sagen soll, wozu man sich im Herrn zu sprechen gedrängt fühlt: ohne menschliche Rücksichten, ohne Furcht! Und zugleich soll man in Demut zuhören und offenen Herzens annehmen, was die Brüder sagen. Mit diesen beiden Geisteshaltungen üben wir die Synodalität aus.“4)
„Persönlich hätte es mich sehr besorgt und betrübt, wenn es nicht diese Versuchungen und diese angeregten Diskussionen – diese Bewegung der Geister, wie der heilige Ignatius es nannte (EE, 6) – gegeben hätte, wenn sich alle einig gewesen wären oder wegen eines falschen Friedens und der Ruhe wegen schweigen würden“5).
„Zugleich machte uns die Vielschichtigkeit der angesprochenen Themen die Notwendigkeit deutlich, einige doktrinelle, moralische, spirituelle und pastorale Fragen unbefangen weiter zu vertiefen“6).
„Habt den Mut, uns zu belehren; habt den Mut, uns zu lehren, daß es einfacher ist, Brücken zu bauen, als Mauern zu errichten!“7)
Papst Franziskus sprach von nichts anderem als von Parrhesia, Synodalität und davon, keine Mauern, sondern Brücken zu bauen. Er sagte, daß er besorgt und betrübt wäre, wenn es bei der Synode keine angeregten Diskussionen gegeben hätte. Er schrieb in Amoris laetitia, dem Dokument, das Gegenstand der angeregten Diskussionen ist, daß es notwendig ist, „unbefangen“ einige „doktrinelle, moralische, spirituelle und pastorale Fragen zu vertiefen“.
Dann aber, und trotz dieser Worte, beschließt derselbe Papst, vier Kardinäle nicht zu empfangen, die ihn demütig und legitimerweise um Audienz gebeten haben… Und sie hätten nicht einmal etwas sagen sollen? Kardinal Schönborn hat wirklich ein seltsames Verständnis von Parrhesia
2. Doktrinelle Verwirrung
Nach dieser unbegründeten Klage des Erzbischofs von Wien kommen wir zu den mehr inhaltlichen Fragen.
Ich nehme drei Feststellungen Schönborns zusammen:
„Die Moraltheologie steht auf zwei Beinen: die Grundsätze und die klugen Schritte, um sie auf die Wirklichkeit anzuwenden“ 8) In Amoris laetitia kommt Franziskus „häufig darauf zurück, was er in Evangelii gaudium gesagt hat, daß ein kleiner Schritt zum Guten unter schwierigen Umständen mehr wert sein kann als ein solides moralisches Leben in einer bequemen Situation“9)
„Das ‚bonum possibile‘ der Moraltheologie ist ein wichtiges Konzept, das zu oft vernachlässigt wurde […] Was ist das mögliche Gut, das eine Person oder ein Paar unter schwierigen Umständen verwirklichen kann?“10)
Beginnen wir mit der Analyse der ersten Aussage. Was sind die klugen Schritte, um die Grundsätze der Moral auf die Wirklichkeit anzuwenden?
Die Klugkeit, „recta ratio agibilium“, wählt die Mittel gemäß dem Ziel. Sie wählt sie nicht willkürlich, sondern ist an die Wahrheit gebunden. Folglich kann die Klugheit, wenn sie eine solche sein soll, keine schlechten Mittel oder in sich schlechte Handlungen wählen, die zwangsläufig immer unklug sind. Eine kluge Handlung muß in sich gut sein. Wenn sie nicht gut ist, ist sie auch nicht klug. Damit eine Handlung gut ist – und daher eventuell auch klug –, sind die Absichten oder Umstände nicht immer ausreichend. Das ist zu glauben, wie die Kirche unfehlbar lehrt. So hat es der heilige Johannes Paul II. in der Enzyklika Veritatis splendor gelehrt:
„Jeder von uns weiß um die Bedeutung der Lehre, die den Kern dieser Enzyklika darstellt und an die heute mit der Autorität des Nachfolgers Petri erinnert wird. Jeder von uns kann den Ernst dessen spüren, worum es mit der erneuten Bekräftigung der Universalität und Unveränderlichkeit der sittlichen Gebote und insbesondere derjenigen, die immer und ohne Ausnahme in sich schlechte Akte verbieten, nicht nur für die einzelnen Personen, sondern für die ganze Gesellschaft geht“11)
Der Zweck heiligt nie die Mittel, daher macht der Zweck eine schlechte Handlung nie zu einer klugen oder verhältnismäßigen. Wenn es also stimmt, daß die „Moraltheologie auf zwei Beinen steht: die Grundsätze und die klugen Schritte, um sie auf die Wirklichkeit anzuwenden“, dann ist das Zusammenleben „more uxorio“ von zwei Personen, die nicht Mann und Frau sind, nie eine kluge Anwendung der Grundsätze auf die objektive Wirklichkeit12)
Die zweite Aussage von Kardinal Schönborn lobt die kleinen Schritte zum Guten, vor allem jene, die unter Schwierigkeiten erfolgen. Handlungen, die unabhängig von den Umständen immer schlecht sind, sind nie ein kleiner Schritt zum Guten, sondern ein mehr oder weniger schwerwiegender Schritt zum Bösen. Es kann viele kleine Schritte zum Guten geben von Personen, die im Stand der Sünde sind (Caritas, Gebet, Teilnahme am Leben der Kirche, usw.), aber es sind nicht die Handlungen, die sie in den Stand der Sünde versetzen, die sie dem Guten annähern: diese widersetzen sich unweigerlich dem Weg zum Guten, der Bewegung des vernunftbegabten Geschöpfes zu Gott, wie der heilige Thomas von Aquin sagen würde13)
Die dritte Aussage des Wiener Erzbischofs würdigt die Kategorie des bonum possibile. Das ist eine schöne Kategorie, wenn sie korrekt interpretiert wird (denken wir an das Wort des heiligen Philipp Neri: „Bleibt gut, wenn ihr könnt“). Sie ist irreführend, wenn man die Worte des heiligen Paulus vergßt: „Noch ist keine Versuchung über euch gekommen, die den Menschen überfordert. Gott ist treu; er wird nicht zulassen, daß ihr über eure Kraft hinaus versucht werdet. Er wird euch in der Versuchung einen Ausweg schaffen, sodaß ihr sie bestehen könnt“14) Sie ist irreführend, wenn sie sich gegen das richtet, was das Konzil von Trient unfehlbar definiert:
„Niemand aber, wie sehr er auch gerechtfertigt sein mag, darf meinen, er sei frei von der Beachtung der Gebote, niemand jenes leichtfertige und von den Vätern unter Androhung des Anathema verbotene Wort benützen, die Vorschriften Gottes seien für einen gerechtfertigten Menschen unmöglich zu beobachten“15)
Sie ist irreführend, wenn gegen die katholische Rechtfertigungslehre die Türen der unbezwingbaren Lust mit jansenistischem Beigeschmack – wenn auch in anderem Sinn – geöffnet würden, oder einer Bedingtheit durch soziale Faktoren, die stärker seien als die Gnade oder sogar der freie Wille.
3. Amoris laetitia ist katholisch: versichert Schönborn
Crux berichtet auch eine Episode, die vom Kardinal erzählt wurde:
„Schönborn enthüllte, daß ihm Franziskus gedankt hat, als er ihm nach der Vorstellung von Amoris laetitia begegnete, und ihn gefragt hat, ob das Dokument orthodox ist. ‚Ich habe ihm gesagt: Heiliger Vater, es ist vollkommen orthodox‘. Schönborn fügte hinzu, daß er wenige Tage später eine kleine Mitteilung von Franziskus erhielt, die besagte: ‚Danke für dieses Wort, das mich getröstet hat‘.“16)
Diese Schilderung enthüllt einerseits die Demut von Franziskus, der Theologen seines Vertrauens um ihre Meinung fragt. Andererseits aber sollte es der Papst sein, der den Theologen Antwort gibt, und den Kardinälen, die ihm – mit der gebotenen Parrhesia und vom Papst selbst ermutigt – ihre große Sorge über den Zustand der Kirche vortragen. Die ist durch die widersprüchlichen Interpretationen der verschiedenen Episkopate nämlich wirklich gespalten und verwundet.
4. Schlußfolgerungen
Kardinal Carlo Caffarra nannte in einer Rede((“Il cristiano e le sfide attuali“ (Der Christ und die aktuellen Herausforderungen), 3. Juni 2005. vor dem wissenschaftlichen Beirat des Instituts Veritatis splendor von Bologna einige aktuelle Herausforderungen, auf die die Christen reagieren müssen: Relativismus, Amoralität und Individualismus.
Bezüglich der Amoralität sagte der damalige Erzbischof von Bologna:
„Ich habe von Amoralität in einem präzisen Sinn gesprochen. In dem Sinn, daß die Aussage, laut der ‚es Handlungen gibt, die für sich und in sich – unabhängig von den Umständen – immer schwerwiegend unerlaubt sind‘ (Reconciliatio et penitentia, 17) haltlos sei [laut der aktuellen Mentalität].“
Kardinal Caffarra warnte vor einigen Pseudo-Lösungen:
„Eine erste Pseudo-Lösung ist die Flucht vor der wirklichen und ernsten Konfrontation mit diesen Herausforderungen. Eine Flucht, die eine allgemeine Form des Fideismus annimmt, einer Ablehnung der Dimension der Wahrheit des christlichen Glaubens. Es ist eine regelrechte Verweigerung, die nicht unbedingt bewußt erfolgen muß, gegen eine ernsthafte Konfrontation auf der kulturellen Ebene im eigentlichen Sinn. Es ist eine Flucht in einen zwar erklärten, aber nicht hinterfragten Glauben, einen erklärten, aber nicht überlegten Glauben.“
Die Flucht „in einen nur erklärten, aber nicht hinterfragten Glauben“! Wie oft hören wir die Worte Barmherzigkeit, Gewissen, Reife, Verantwortung usw. bei gleichzeitiger Ablehnung einer wirklichen Suche nach dem „intellectus fidei“, dem tieferen Verständnis der Glaubensgründe.
Schönborns Argumente wurden ante litteram in den Kontext dieser Überlegungen von Kardinal Caffarra zur substantiellen (nicht unbedingt absichtlichen) Ablehnung der „Dimension der Wahrheit des christlichen Glaubens“ gestellt:
„etsi veritas non daretur“, als gäbe es keine unveränderliche Wahrheit über den Menschen und die Sakramente; „etsi bonum non daretur“, als gäbe es kein objektiv Gutes, das zu tun ist, und ein ebenso objektiv Böses, das zu meiden ist, die beide vom Menschen nicht bestimmt, von ihm aber gefunden und aus freien Stücken nach seinem Gewissen gewählt werden.
„etsi gratia non daretur“, als sei der Mensch von Gott in einer Art Falle vergessen worden, in der er keine andere Wahl habe, als zu sündigen.
http://www.katholisches.info/2017/07/all...nal-schoenborn/
Übersetzung: Giuseppe Nardi Bild: Vatican.va/Catholic (Screenshots)
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