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  • 19.09.2017 00:28 - Debatten „Bitte wählen Sie!“
von esther10 in Kategorie Allgemein.

Debatten
„Bitte wählen Sie!“



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dpa/Daniel BockwoldtWähler stehen in einem Wahllokal in der Schlange zur Stimmabgabe.

Dienstag, 19.09.2017, 13:12
Wenn er noch einen letzten Vortrag in seinem Leben halten dürfte, schrieb Martin Roth, wäre dieser ein Plädoyer, die offene Gesellschaft zu verteidigen. Wir veröffentlichen hier einen Text, den der langjährige Museumsdirektor kurz vor seinem Tod verfasste Von Martin Roth, †

Sie werden sich fragen, warum ich meine Stimme erhebe, warum ich Familien aufrütteln will über die Generationen hinweg. Und warum ich der Meinung bin, dass das Politische, die Wertedebatten und der ehrliche Gedankenaustausch über die gesellschaftspolitischen Weichen, die richtig oder falsch gestellt werden können, unseren Alltag wieder viel mehr durchdringen müssen. Ich bin überzeugter Europäer.

Das hat natürlich auch mit meinem Alter zu tun. Als Deutscher des Jahrgangs 1955 habe ich mir schon als junger Mensch eine andere oder besser: eine zweite sehr starke Identität gesucht. Zuerst war ich Europäer, dann Deutscher. Schon viele Monate vor der finalen Brexit-Entscheidung war mir klar, dass die von Propaganda durchdrungene und verdorbene Diskussion um den Brexit nicht zu vereinbaren ist mit meiner europäischen Identität.

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dpa/Martin RothKulturmanager Martin Roth 2017 in Venedig.

Lügen und Polemik

Die Art und Weise des Austritts, wie da mit welchen Lügen und welcher Polemik agiert wurde, gerade von Wendehälsen wie Boris Johnson – das alles war übel und tragisch zugleich. Diese grandiose und ansteckende Dynamik, die von der Welthauptstadt London ausgeht, verliert zwar nicht die Anziehungskraft, auch nicht die Strahlkraft für die Avantgarde. Aber sie basiert mehr und mehr auf einem unseriösen politischen Fundament.

Für mich war London immer eine Stadt, die funktioniert hat: aufregend, lebendig, kosmopolitisch. Und ich habe immer das Gefühl gehabt, dass dann, wenn London funktioniert, es Hoffnung gibt auch für andere Metropolen. Wenn so viele Menschen aus so vielen Ländern relativ friedlich zusammenleben und zugleich diese Stadt mit diesem Tempo leben und produktiv sein kann, dann ist das übertragbar.

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Wohin sind wir gekommen, wenn die Maßstäbe derart verrutschen!

Stattdessen hat eine schwer verständliche Aggressivität das Referendum bestimmt, die es – wir müssen ehrlich sein, wenn wir etwas ändern wollen – nicht nur in Großbritannien gibt. Wir erleben sie in Bayern, in Sachsen, nicht nur bei der AfD, bei den Rechtspopulisten und Europa-Gegnern in den Niederlanden, in Frankreich, Österreich, Polen und Ungarn. Bildung zählt viel zu wenig, Ernsthaftigkeit nicht, Expertentum nicht, Fakten werden einfach weggewischt, Halbwahrheiten und Lügen haben Konjunktur. Leute wie Nigel Farage klagen, wie schlimm bei uns alles ist, zugleich sterben im Mittelmeer Menschen zu Tausenden. Wohin sind wir gekommen, wenn die Maßstäbe derart verrutschen!

Direkt vor unseren Augen baut sich ein extrem rechtslastiges Europa auf. Und damit passiert etwas – zum ersten Mal in meinem Leben auf diese Weise –, was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann. Mit einer Geschwindigkeit, dass ich mir die Frage stellen muss: Möglicherweise haben wir, die Europäer mit Herz und Hirn, die einen Kontinent in Frieden für unsere Kinder und Enkelkinder gestalten wollten, plötzlich den Sinn für die Realität verloren. Wo sind unsere christlichen Werte? Die Nächstenliebe? Begriffe wie Freiheit, Toleranz und Solidarität sind mir heilig. Heilig ist ein großes Wort, aber es geht auch um viel.
Über Martin Roth


Martin Roth galt als einer der innovativsten und erfolgreichsten Museumsmacher der Welt. Der promovierte Kulturwissenschaftler hatte seine Karriere in Dresden begonnen – zunächst als Direktor des Deutschen Hygiene-Museums, später als Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen. 2011 wurde Roth Leiter des Victoria and Albert Museums in London – der erste Deutsche an der Spitze eines britischen Topmuseums. Im vergangenen Jahr kehrte er nach Deutschland zurück und übernahm noch kurz vor seinem Tod das Ehrenamt als Präsident des Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart.

Roth starb am 6. August nach schwerer Krankheit mit 62 Jahren in Berlin. Zum Trauergottesdienst in Berlin kamen auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau sowie Außenminister Sigmar Gabriel (SPD). Außerdem kamen eine Reihe namhafter Museumsleiter und Repräsentanten des Kulturbereichs.

Roths Buch „Widerruf“ erschien wenige Wochen nach seinem Tod.
(dpa)
Ich will das nicht akzeptieren!

Ich will nicht akzeptieren, dass Menschen wie Marine Le Pen die künftige Tonlage bestimmen, dass Nationalisten wieder hoffähig sind. Die Rhetorik in England war so kriegerisch, dass sich jedem vernünftigen Menschen Parallelen zu unserer Geschichte aufdrängen müssen, zu den 1920er-, 1930er-Jahren. Haben da nicht auch viele Menschen gedacht und gesagt: Was da passiert, ist nicht gut, aber so schlimm wird es schon nicht kommen?
Im Video: Bekanntes Phänomen: Union rutscht kurz vor Wahl ab - SPD, FDP, AfD legen zu

Union verliert im aktuellen Politbarometer - SPD, FDP, AfD legen zu

VIDEO
http://www.focus.de/politik/videos/aktue...id_7595751.html

FOCUS Online/WochitUnion verliert im aktuellen "Politbarometer" - SPD, FDP, AfD legen zu

Ich habe vor langer Zeit eine Doktorarbeit über die Kulturpolitik der 1920er- und 30er-Jahre geschrieben. Die unendlich vielen Zeitungsartikel aus den 20ern sind mir immer in Erinnerung geblieben: Dort hatte ich genau das gelesen, was ich in den Brexit-Wochen und bei der Wahl vom Juni 2017 in London erlebte: Stimmung gegen irgendetwas machen, vorpreschen, sich dann dafür entschuldigen, aber andere gehen im Windschatten hinterher, legen eins drauf.

Irgendwann ist die Entwicklung nicht mehr zu stoppen

So schaukelt sich die Stimmung hoch, irgendwann ist die Entwicklung nicht mehr zu stoppen. Wir wissen, wie das ausging. Natürlich sind das riskante Vergleiche. Aber wer aufrütteln will, muss die vornehme Zurückhaltung aufgeben können. Nur: Wo war die große Aufregung im Herbst 2015, als in Dresden auf der Pegida-Demonstration die Galgenattrappen für Angela Merkel und Sigmar Gabriel hochgehalten wurden? Dieses Schweigen macht mich fertig.

Das gilt besonders auch im Kulturbetrieb und gerade für Kulturpolitiker. Dasitzen, sich auf seine schönen Themen und schönen Häuser zurückziehen und Ereignisse unkommentiert vorüberziehen lassen – das geht nicht mehr. Ich verstehe Kunst und Wissenschaft als wesentlichen Bestandteil unseres zivilen Lebens, weil viel bewirkt werden kann durch künstlerische und kreative Prozesse. Ich bin überzeugt, dass Kunst und Kultur unverzichtbare Grundlagen einer Gesellschaft im demokratischen und friedlichen Zusammenleben sind. Je kreativer eine Gesellschaft ist, umso fähiger ist sie, aufzustehen und damit zu überleben.

Mir stellt sich deshalb schon seit Langem die Frage, ob wir alle nicht viel zu viel den Politikern überlassen. Ich habe meine tägliche Arbeit immer als eine sehr politische betrachtet; man erreicht eben unendlich viele Menschen, wenn man im weiten Bereich der Kultur tätig ist. Wenn ich nur noch einen einzigen Vortrag halten dürfte in meinem Leben, dann wäre dies ein Plädoyer dafür, sich zu informieren, zu engagieren, die offene Gesellschaft nicht nur bei Wahlen, aber eben auch bei Wahlen zu verteidigen. Ich würde sagen: Bitte wählen Sie! Egal, was, aber eine demokratische Partei, eine Partei, die sich für demokratische Ziele einsetzt. Und vor allem: Bitte machen Sie sich stark für das, was eine offene Gesellschaft bedeutet. Wir dürfen nicht darauf warten, dass die Regierungen etwas für uns tun. Sondern wir müssen versuchen, die Politik zu unterstützen in diesen schwierigen Zeiten.
http://www.focus.de/politik/deutschland/...id_7515256.html



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