Für Pädophile „keine Gnade, niemals“ – Wie sich Papst Franziskus exkulpiert und der Vox populi nach dem Mund redet 22. September 2017 0
Papst Franziskus und die Mitglieder der Kommission für den Schutz von Minderjährigen
(Rom) „Wenn der Papst aus dem Bauch heraus spricht“, geschieht, daß Franziskus über Mafia und Pädophilie spricht und dabei „der Vox populi zu sehr nach dem Mund redet“, so der Vatikanist Matteo Matzuzzi.
Gestern empfing das katholische Kirchenoberhaupt die Mitglieder der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen und wollte mit seiner Ansprache offenbar ein „Signal“ an die Öffentlichkeit senden. Immerhin geht es um die Frage des sexuellen Mißbrauches von Minderjährigen durch Kleriker. Eine Plage, die die Kirche seit 2010 in manchen Ländern schwer erschüttert und an ihrer Glaubwürdigkeit gezehrt hat. Dabei wurde das Thema von Kirchengegnern weidlich ausgenützt.
Papst Benedikt XVI. gab die Order Nulltoleranz aus und ließ von den zuständigen vatikanischen Stellen hart vorgehen. Ohne Spektakel wurden 800 Priester während seines Pontifikats verurteilt und ihres Dienstes enthoben. Gnadengesuche wurden nur in den seltensten Fällen und nach sorgfältiger Prüfung gewährt.
Die Außenwirkung blieb dennoch gering, weil der deutsche Papst vom Mainstream kampagnenmäßig bekämpft wurde. Positive Meldungen über sein Wirken durfte es nicht geben.
Während Papst Benedikt XVI., Letztverantwortlicher in der Kirche, dennoch von manchen Kreisen wegen des Pädophilie-Skandals vor ein internationales Straftribunal gezerrt werden sollte, verschwand das Thema mit der Wahl von Franziskus schlagartig. Nicht verschwunden sind Fälle von sexuellem Mißbrauch, wobei Franziskus – im Gegensatz zu Benedikt XVI. – von manchen Sachkundigen eine ambivalente Haltung vorgeworfen wird. Ein Mitglied der gestern empfangenen Päpstlichen Kommission, Marie Collins, trat deshalb sogar zurück. An Franziskus scheinen solche Anwürfe jedoch abzuprallen.
„Mehr mit dem Bauch als mit dem Kopf hat gestern der Papst gesprochen, als er die Faust in der Luft schwang, um zu schwören, daß er niemals einen pädophilen Priester begnadigen werde“, so Matzuzzi. Der Papst sprach frei und in seiner Muttersprache, als er versicherte, daß nie ein Gnadenakt für einen klerikalen Kinderschänder die Unterschrift „Franciscus“ tragen werde. Dies deshalb, so der Papst, weil „ein Mensch, der so etwas tut, ob Mann oder Frau, krank ist. Pädophilie ist eine Krankheit“.
Die freie Rede des Papstes, die der Vatikan nicht veröffentlicht
Wie in der Vergangenheit schon in anderen Fällen geschehen, ließ Franziskus die offiziell vorbereitete Ansprache an seine Zuhörer austeilen, während er frei sprach. Die Dissonanz wirft für alle Seiten Probleme auf. Zunächst vor allem die Frage, welches Wort nun gilt. Der Vatikan veröffentlichte auf seiner offiziellen Internetseite nur den vorbereiteten Text. Während bei anderen Gelegenheiten die frei gesprochenen Worte von Franziskus nachträglich integriert wurden, hat man diesmal darauf verzichtet. Was für die Internetseite gilt, gilt auch für den Osservatore Romano, der sogar ausdrücklich darauf hinweist, daß er die vorbereitete Rede abdruckt, obwohl der Papst den anwesenden Kommissionsmitgliedern etwas anderes, nämlich „persönliche Überlegungen“ sagte.
Der Vorfall ist neu. Beginnt man im Vatikan zwischen dem offiziellen Lehramt des Papstes und seinen „persönlichen Überlegungen“ zu unterscheiden? Wohl eher nicht.
In seiner Ansprache nannte Franziskus einen Fall konkret und sprach von einem „Priester der Diözese Crema“, ohne einen Namen zu nennen. Der Fall von Don Mauro Inzoli alias „Don Mercedes“ war in den vergangenen Monaten von verschiedenen Medien berichtet worden (siehe Papst Franziskus und pädophile Priester: Nulltoleranz oder zweierlei Maß?). Der Priester, ein führender Exponent der Gemeinschaft Comunione e Liberazione (CL), war mit Samthandschuhen behandelt worden. Eine Behandlung, die nur der Papst gewähren konnte. Diesem wurde vorgeworfen, bei der Umsetzung der verkündeten Nulltoleranz mit zweierlei Maß zu messen.
Die päpstliche Einmischung in die Glaubenskongregation
Papst Franziskus
Der Fall schlug Wellen in der Glaubenskongregation, in deren Strafverfolgung sich der Papst eingemischt, wenn nicht sogar behinderte. Zum Jahreswechsel 2016/2017 wurden von Franziskus drei qualifizierte Mitarbeiter der Glaubenskongregation entlassen und in ihre Heimatdiözesen zurückgeschickt. Die Entlassungen wurden mit der Strafverfolgung von Priestern in Zusammenhang gebracht, die hohe Freunde im päpstlichen Umfeld hätten. Der damalige Glaubenspräfekt, Kardinal Gerhard Müller, protestierte beim Papst gegen diese massive Einmischung in seinen Zuständigkeitsbereich, blitzte bei Franziskus jedoch ab.
Don Mercedes war unter Benedikt XVI., 2012, von der Glaubenskongregation verurteilt und laisiert worden. Franziskus aber begnadigt ihn 2014.
Während er beim neuen Papst Gnade fand – sein Begnadigungsdekret trägt die Unterschrift „Franciscus“ –, erstattete ein Abgeordneter der radikalen Linken Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Es kam zu neuen Ermittlungen, weiteren Anzeigen: 2016 wurde Don Mercedes zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, von denen aufgrund eines „verkürzten Verfahrens“, einer Besonderheit der italienischen Strafprozeßordnung, vier Jahre und neun Monate rechtskräftig wurden. Staatsanwalt Roberto di Martino betonte in seinem Schlußplädoyer im Juni 2016 seine Genugtuung, daß die Überführung von Don Inzoli möglich geworden sei, obwohl der Vatikan „sich nicht herabließ, Unterlagen zu liefern“.
Don Inzoli muß sich inzwischen wegen weiterer Fälle von sexuellem Mißbrauch vor Gericht verantworten.
Don Mercedes: Nach 15 Monaten nimmt Franziskus zum Fall Stellung
Es dauerte 15 Monate, in denen Papst Franziskus zu den Vorwürfen schwieg. Seine gestrige Ansprache zeigt, daß die Nachrichten ihn jedoch erreichten und ihm nicht gleichgültig waren.
„Nie eine Begnadigung für Priester, die des Mißbrauchs an Minderjährigen schuldig sind. Keine Rekurse zweiten Grades, wenn der Mißbrauch in erster Instanz bewiesen wurde. Nie mehr die Praxis, pädophile Priester von einer Diözese in die andere zu verschieben; eine Vorgehensweise, die in der Vergangenheit ‚die Gewissen eingeschläfert hat‘. Bei der Plage der Pädophilie ‚ist die Kirche zu spät gekommen‘, nun aber ist er es – der im Sinne der ‚Nulltoleranz‘ – eine weitere Beschleunigung aufdrückt, um sie zu besiegen.“ Mit diesen Worten zitiert die italienische Presseagentur ANSA, was Papst Franziskus gestern den Kommissionsmitgliedern sagte. Dazu auch die, anhand der Vorfälle zum Jahreswechsel, bemerkenswerte Ankündigung:
„Mehr Personal für das Ex-Heilige Offizium.“
Damit ist die Glaubenskongregation gemeint. Seit der Entlassung von Kardinal Müller, der mit Papst Franziskus auch wegen dessen Einmischung in die Strafverfolgung pädophiler Priester in Konflikt geraten war, scheinen die Pläne vom Tisch, der Glaubenskongregation die Strafverfolgung zu entziehen und der Rota Romana zu übertragen. Der Hintergrund: Die Glaubenskongregation galt unter Kardinal Müller als „nicht bergoglianisch“, während die Rota Romana fest in Bergoglianischer Hand ist.
„Ich bereue, zu weich gewesen zu sein“ – Das Exkulpations-Narrrativ des Papstes
Zum Fall Don Mercedes, den Franziskus nicht namentlich erwähnte, aber eindeutig meinte, erklärte der Papst, es zu „bereuen“, zu „weich“ gewesen zu sein, denn dieser Priester sei „nach zwei Jahren rückfällig geworden“. In Wirklichkeit wurde Don Inzoli – nach heutigem Wissensstand – nicht in sexueller Hinsicht „rückfällig“. Er wurde vielmehr „nach zwei Jahren“ von einem staatlichen Gericht für frühere Fälle von sexuellem Mißbrauch verurteilt, für den ihn auch die Glaubenskongregation verurteilt, Franziskus aber begnadigt hatte.
Laut Gerichtsurteil vom Juni 2016 wurde Don Inzoli in zwanzig Fällen verurteilt. Der Staatsanwalt sprach jedoch von „mehr als hundert Fällen“, die zum Teil verjährt waren, zum Teil nicht gerichtsrelevant bewiesen werden konnten.
„Rückfällig“ war Don Inzoli nur insofern geworden, als er sich nicht an die Auflage gehalten hatte, sein Priestertum nicht öffentlich auszuüben.
Mit dem Hinweis, Don Inzoli alias „Don Mercedes“ sei „rückfällig“ geworden, wollte Papst Franziskus sich selbst exkulpieren, als sei er, von dem Priester getäuscht und enttäuscht worden.
Damit deutet jedoch viel darauf hin, daß die gestrige Empörung des Papstes, seine geballte Faust, die er in der Luft schwang und vor der Weltöffentlichkeit einen „Schwur“ ablegte, „niemals“ einen Pädophilen zu begnadigen, vor allem seiner Imagepflege dienen sollte. Nach über einem Jahr des Schweigens im Fall Inzoli schien der Widerspruch zwischen den bisherigen Erklärungen und den Handlungen des Papstes zu einer zu großen Belastung für das Image geworden zu sein. Vor allem saßen ihm mit den Mitgliedern der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen erstmals seit den Entlassungen bei der Glaubenskongregation im Dezember 2016 und dem Rücktritt von Marie Collins jene gegenüber, die in der Materie bewandert sind.
Populistischer Zungenschlag
Jenseits der päpstlichen Imagepflege stießen sich Beobachter, darunter auch der Vatikanist Matzuzzi, auch am populistischen Zungenschlag beim gestrigen Papst-Auftritt. Eine goldene Regel der Kirche lautet: „hart gegen die Sünde, milde gegen den Sünder“. Dadurch unterscheidet sich die Kirche von der Welt, die einerseits die Sünde duldet, aber gleichzeitig gnadenlos und rachsüchtig gegen den Sünder sein kann.
Mit seinem Postulat „keine Gnade“, „niemals“, habe Franziskus „zu sehr“ der Vox populi nach dem Mund geredet, so Matzuzzi. http://www.katholisches.info/2017/09/fue...dem-mund-redet/ Text: Giuseppe Nardi Bild: Vatican.va
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